Ein Sommernachtstraum – angekommen im Heute und doch ganz Shakespeare

Ein Sommernachtstraum – angekommen im Heute und doch ganz Shakespeare

Michaela Preiner

Foto: ( )

29.

April 2022

Der „Sommernachtstraum“ im Grazer Schauspielhaus zeigt, dass es möglich ist, klassische Stoffe so aufzuführen, dass das Original nicht verbogen werden muss, um dennoch aktuell zu sein.

Das Grazer Schauspielhaus wartet mit einem Stück auf, von dem man weiß, dass es das Haus füllen wird. Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ wird schon allein wegen seiner Bekanntheit und seinem herausragenden Platz im europäischen, dramatischen Theaterkanon von vielen Schulklassen besucht werden.

Und tatsächlich eignet sich das Stück unter der Regie von Marcus Bothe sehr gut, um das erste Mal damit Bekanntschaft zu machen. Aber auch eingefleischte Sommernachts-Fans werden ihre Freude an dieser Inszenierung haben. Bleibt es doch den Shakespear`schen Handlungssträngen und Figuren – bis auf wenige Streichungen treu. Die athenische Herzogsfamilie Theseus und Hippolyta stehen dem Elfenpaar Oberon und Titania gegenüber. Die einen frisch verlieb und kurz vor ihrer Hochzeit, die anderen in einer veritablen Ehekrise, da sie sich gegenseitige Untreue vorwerfen. Beide Paare werden von Vera Bammer und Mathias Lodd gespielt. Auch die beiden jungen Liebespaare – Hermia und Demetrius, sowie Helena und Lysander müssen alle Liebesverwicklungen erleiden, die ihnen Shakespeare zugedacht hat.

Die einfältigen Handwerker, die sich in den Kopf gesetzt haben, ein Theaterstück für die Fürstenhochzeit einstudieren, kämpfen sich – spaßig bewährt – durch ihre Theaterproben und auch Puck – Florian Köhler und ein Elf – Frieder Langenberger – tragen, wie aus dem Original bekannt, kräftig zum Theaterzauber bei.

Dass das Stück dennoch nicht elisabethanisch-altbacken daherkommt, verdankt es mehreren Faktoren: Zum einen einem sehr abstrakten, zugleich aber auch mit Finessen ausgestatteten Bühnenbild. (Robert Schweer) Da werden gleich zu Beginn Puck und sein Elfenbegleiter zu pyromanischen Zündlern, dass es nur so eine Freude ist. Dann erweisen sich die über die Bühne verteilten Kuben, die wie übergroße Paketschachteln aussehen, als unerwartete Auftrittsmöglichkeiten. Schließlich fließen aus einer der geöffneten Riesenboxen grün beleuchtete Styroporflocken, deren Farbe einen Hauch von Waldesflair verbreiten. Subtile Presslufthammergeräusche, ab und zu lauter und dann wieder leiser wahrnehmbar, markieren wohl eine Naturbedrohung, die unser Planet heute miterleben muss und verstärken damit zugleich das artifizielle Natursurrounding.

Zum anderen wird zwar Shakespeares Reimform verwendet, aus dem jedoch Puck und Oberon – DAS Paar des Abends, immer wieder ausbrechen und umgangssprachliche Ausdrücke verwenden. Florian Köhler und Matthias Lodd, ausgestattet mit zeitgeistigen Kostümen (Anna Brandstätter), agieren fulminant im Duo. Puck hat nichts von einem behänden, ätherischen Waldgeist an sich. Vielmehr steckt in einem schulterlosen, opulenten Tüllkleid, das sich im Laufe der Vorstellung als schier unerschöpfliches Requisitenlager entpuppt, ein gestandener, brustbehaarter Kerl. Wenn Puck um die Welt fliegt, dann markiert er Flügelschläge und stößt kleine, spitze Vogellaute aus – oder er streckt die Arme über den Kopf und erklärt, dass er jetzt eine Rakete sei – alles sehr zum allgemeinen Gaudium des Publikums. Wenn Oberon wiederum sich nach allzu grobem Vergehen an seinem Chef-Elf Puck entschuldigen muss, gerät eine kleine Nebenszene zu einem wahrhaft fulminanten Theaterstatement. Live eine derart perfekte, humorige Bühnendarbietung zu erleben – wie lange hat das gefehlt und wie dankbar ist man nun für solche Momente.

Aber auch die Handwerksburschen, die sich mit ihrem „Re-Schisser“ abmühen, um ein vorzeigbares Bühnenstück aufzuführen, garantieren viele Lachmomente. Alexej Lochmanns outrierte Interpretationen jeglicher Charaktere, in die er gerne schlüpfen möchte, Clemens Maria Rieglers zarter Löwe, der sich seinen Arm vollschreiben muss, um sich seinen einzigen Auftrittssatz zu merken, Oliver Chomiks missmutige Thisbe-Darstellung, Franz Solars Wand-Interpretation, deren Gestaltung er immer und immer wieder neu proben muss, oder Gerhard Balluchs stetig hervorgebrachten Einwände als Mondschein, doch den Löwen aus dem Stück zu streichen, sind allesamt wunderbare, komödiantische Momente, von denen man gar nicht genug bekommen kann.

Shakespeares Stück bleibt aufgrund seiner psychologischen Grundfragestellungen nach den Irrungen und Wirrungen des Verliebtseins, Betrügens, der Treue und der Vergebung immer aktuell. Das zeigen auch Daria von Loewenich als Hermia und Evamaria Salcher als Helena. Letztere sprang kurzfristig für die erkrankte Sarah Sophia Meyer ein. Das wütende Aneinandergeraten der beiden Rivalinnen, genauso wie die Balzkämpfe zwischen Lysander (Lukas Walcher) und Demetrius (Raphael Muff) würden sich auch als Publikumsmagnet jeder Reality-Show erweisen, in der das Animalische im Menschen zelebriert wird. Am Höhepunkt der Liebeswirren wird das Geschehen, das sich nun wie in einem Tollhaus zeigt, mit wummernden Club-Beats ausstaffiert. Sandy Lopičić und Lukas Lechner-Heschls steuerten das Sounddesign bei.

Diesem liebestollen Treiben folgt ein gänzlich unerwarteter Twist. Liefert doch die Handwerks-Schauspieler-Gruppe mit ihrem „nominierten“ Stück anlässlich der fürstlichen Hochzeit tatsächlich eine höchst poetische Interpretation des Liebesdramas von Pyramus und Thisbe ab. In Bothes Inszenierung wird Thisbe, ganz ungewohnt, stets als Thisbi ausgesprochen. Diese, nur wenige Minuten dauernde „Laien-Vorführung“ lässt tiefe Emotionen über den Bühnenrand in den Zuschauerraum schwappen und macht den Unterschied zwischen tief empfundener Liebe von verblendeter Verliebtheit deutlich.

Der „Sommernachtstraum“ im Grazer Schauspielhaus zeigt, dass es möglich ist, klassische Stoffe so aufzuführen, dass das Original nicht verbogen werden muss, um dennoch aktuell zu sein.
 

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