Erklär mir den Tanz!

Erklär mir den Tanz!

Michaela Preiner

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2.

August 2013

Das wahre Kunststück in „Pichet Klunchun and myself“ liegt darin, Information mit Unterhaltung so geschickt zu vereinen, dass Suchtgefahr nach Aufführungen wie dieser besteht.

Jérôme Bel und Picht Klunchun geben Nachhilfeunterricht

Die mittlerweile schon 8 Jahre alte Produktion „Pichet Klunchun and myself“ von Jérôme Bel durfte nun auch das Publikum des Impulstanz-Festivals in Wien beeindrucken. Unter dem Überlevel „East-West Meetings“, einer Veranstaltungsreihe, die in Zusammenarbeit mit dem Weltmuseum ausgetragen wird, sprachen der französische Tanz-Denker Bel und der Khon-Spezialist Pichet Klunchun aus Thailand einen ganzen Abend lang über ihre jeweiligen Tanzstrategien. Korrekt verortet taten sie dies in der Eingangshalle des jüngst umbenannten „Weltmuseums“ – früher Völkerkundemuseum – die dem Geschehen einen zusätzlichen Reiz beisteuerte. Dabei gaben sie in diesem nicht ausschließlichen Sitz-pas-de-deux sowohl Einblick in ihre ureigenen Tanzwelten als auch mannigfache Hinweise zur Geschichte dieser Kunstgattung.

Bel ist bekannt dafür, mit Erwartungshaltungen des Publikums zu brechen. Gelabelt als Tanz-Dekonstruktivist schlüpfte er selbst – aber später auch sein Gegenüber – an diesem Abend in die Rolle eines Katalysators. Gedanken, die im Publikum zwangsläufig während des Geschehens auf der Bühne auftauchen, werden dabei von ihm und Klunchun verbalisiert. In einfachster Art und Weise, nie belehrend, nie dozierend, nur einfach im Gespräch mit jemandem, den man nicht gut kennt und über den man mehr wissen möchte, erschließen sich so nach und nach die so gänzlich unterschiedlichen Tanzkosmen der beiden Künstler.

Das Publikum darf dabei einerseits in die Welt des thailändischen Khon-Tanzes eintauchen, in welchem jede auch noch so kleine Geste eine bestimmte Bedeutung hat. Pichet Klunchun versteht es meisterhaft, ein beachtliches Repertoire an Figuren, aber auch an ikonographischen Gesten vorzustellen, durch deren Verständnis sich der Inhalt des Gezeigten erst in seiner Gänze erschließt. Von Bel ständig hinterfragt, gibt er bereitwillig Auskunft. Dass dabei eine Dechiffrierung auch des historischen und sozialen Kontextes, in welchem Khon einst und heute getanzt wird, geschieht, ist den scheinbar so einfachen und zugleich so hintergründigen Fragen Bels zu verdanken. Was einst dem Königshaus vorbehalten war, wird heute in Thailand hauptsächlich von Touristen genossen – ein Paradebeispiel eines sinkenden Kulturgutes in der Definition des unter den Nationalsozialisten so geschätzten Volkskundlers Hans Naumann, der sich nicht zu schade war, an den Bücherverbrennungen ketzerische Reden zu halten.

Wie sehr sich weltweit die Mechanismen kultureller Machtpräsentation ähnelten – und wohl auch heute noch ähneln, wurde klar, als Bel seinerseits die Entwicklung des klassischen Tanzes seinem Gegenüber zu erklären begann. Ursprünglich am Hofe Ludwig XIV. als Kunstgattung eingeführt, in welcher eine Verklärung und Erhöhung des Herrschers stattfand, reproduziert das klassische Ballett auch heute noch Machtstrukturen, die von einem Oben und Unten ausgehen. Dadurch festigt diese Kunstform auch heute noch ein Klassenbewusstsein, welches man durch die Auswirkungen der Französischen Revolution glaubte, zerstört zu haben. Als demokratisch denkender Mensch bleibt Bel in diesem Zusammenhang nichts anderes übrig, als sich dieser Reproduktion zu verweigern. Seine minimierten Bühnenhandlungen, die aus nur wenigen Gesten bestehen, identifizieren sich mit den auf den Rängen Sitzenden und umgekehrt, wodurch er mit der gängigen Tanzperformancepraxis völlig bricht. Oder zumindest brechen will. Denn was noch immer bleibt, ist der Bühnengraben, wenn auch an manchen Orten wie dem Weltmuseum ein imaginierter – und nicht zuletzt eine intellektuelle Barriere, an der viele scheitern. Der Versuch, mit dieser Produktion an diesem Hindernis kräftig zu rütteln und sie zu Fall zu bringen, gelingt jedoch tatsächlich. Denn die Bloßlegung und das Aufzeigen historischer Zusammenhänge und ihrer Nachwirkungen kann im allerbesten Fall beim Publikum eine Bewusstseinsveränderung schaffen, die über die informierte Betrachtungsweise von zeitgenössischem Tanz hinaus Wirkungen entfalten kann. Zumindest jedoch erzeugt Bel Irritationen und damit einen Ausgangspunkt – das Gesehene weiter zu hinterfragen. Auch wenn er auf der Bühne noch so minimalistisch agiert, so kreiert er dennoch unglaubliche lyrische Räume. Mit kurzen Ausschnitten aus einigen seiner Produktionen macht er an diesem Abend sein Kunstverständnis deutlich. Die einfache Sterbeszene, bei welcher er sich zu den Klängen von Roberta Flacks „killing me softly“ auf den Boden legt, um sanft zu entschlummern, weckt beim Publikum eine wahre Flut von Assoziationen, die schließlich ihren Kulminationspunkt in der Erzählung von Klunchuns Eindrücken findet. Die Erinnerung an das Sterbemoment seiner Mutter erfüllt den Raum mit einer emotionalen Qualität, die großes Theater hervorbringen kann.
Das wahre Kunststück in „Pichet Klunchun and myself“ liegt darin, Information mit Unterhaltung so geschickt zu vereinen, dass Suchtgefahr nach Aufführungen wie dieser besteht. Und darüber hinaus, dass bei dem einen oder der anderen ein Nachdenkprozess in Gang gesetzt wird, der zeitgenössische Kunstproduktion auch über diesen Abend hinaus kritisch hinterfragt, was wiederum noch ganz andere Implikationen in sich birgt. Fazit: Experiment mehr als gelungen.

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