Ein Konzertabend ohne Dirigat

Michaela Preiner

 

Eröffnungskonzert Wien Modern (Foto: Markus Sepperer)

01

November 2018

Es ist schon eine Selbstverständlichkeit, dass die Konzerte von Wien Modern eine unglaublich gute, inhaltlich kongruente Programmierung aufweisen. Unter Beweis stellte dies der Intendant, Bernhard Günther, gleich beim Eröffnungskonzert der Saison 2018 im Konzerthaus, die unter dem Motto „Sicherheit“ steht.

Dabei zeigte sich, dass das Generalthema schon auch einmal schwer hinterfragt, wenn nicht sogar auf den Kopf gestellt werden darf. Denn in dem Konzert mit den Wiener Philharmonikern war – zumindest für das Orchester – überhaupt nichts sicher.

Schließlich sind es die Musizierenden gewohnt, einen Dirigenten oder eine Dirigentin als Sicherheitsanker vor sich zu haben. Jemandem, mit dem das Konzert nicht nur erarbeitet wurde, sondern jemanden, der dieses letztlich auch leitet. An diesem Abend aber mussten sie ohne Dirigat auskommen. Dass dies dennoch funktionierte, hängt einerseits mit den ausgesuchten Stücken zusammen. Andererseits aber auch mit dem herausragenden Klangkörper und seinem Konzertmeister, Rainer Honeck, der spürbar eine Art interimistische Leitungsfunktion übernahm.

Gleich zu Beginn wurde jenes legendäre Stück von John Cage performt, in dem kein einziger Ton gespielt wird. 4‘33‘‘ aus dem Jahr 1953 beeindruckt das Publikum jedes Mal aufs Neue und ist mittlerweile – mit der Handynutzung – in unserer Zeit angekommen. Das „Einfrieren“ des Orchesters, das nach jedem der drei „Sätze“ kurz unterbrochen wurde, erzeugte ein ganz eigenartiges Gefühl. So, als ob die Zeit stehen geblieben und der Saal samt Orchester und Publikum aus jeglicher Zeitmessung gefallen wäre. Dass kurz vor Ende ein Mann sich aus den hinteren Parkettreihen bemüßigt fühlte, ein lautes „Alleluja“ von sich zu geben, erweiterte Cages Idee durch eine persönliche Wortmeldung humorig. Und zeigte zugleich auch, dass jede einzelne Aufführung von 4‘33‘‘ Komponenten bereithält, die zum Teil auch nicht vorhersehbar sind.

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Eröffnungskonzert Wien Modern (Foto: Markus Sepperer)

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Eröffnungskonzert Wien Modern (Foto: Markus Sepperer)

Ein absolutes Konzerthighlight folgte im Anschluss mit der „Verklärten Nacht“ von Arnold Schönberg. Ein häufig gespieltes Stück, das jedoch an diesem Abend so interpretiert wurde, dass man es ohne Übertreibung als Referenzaufnahme titulieren kann. Es sind nur Mutmaßungen, warum an diesem Abend die Spannung, die dem Stück innewohnt und das Drängen, das darin zum Ausdruck kommt, derart intensiv waren und warum die Pianissimo-Stellen eine sphärische Kraft entwickelten, die in dieser Art nicht selbstverständlich ist.

Ein Erklärungsmodell hängt damit zusammen, dass das Fehlen einer dirigierenden Person alle Kräfte eines Orchesters offenbar dermaßen mobilisierst, das Sensorium für ein gelungenes Zusammenspiel derart schärft, dass es zu einer Höchstleistung angestachelt wird. Denkbar ist auch, dass das Erarbeiten des Stückes ohne Dirigat in einer Art und Weise vonstatten geht, in welcher sich die Musikerinnen und Musiker wesentlich stärker einbringen können als dies der Fall ist, wenn ihnen eine Interpretations-Idee, die von außen kommt, vermittelt wird. Schließlich wird die Klasse der Musizierenden auch insofern deutlich, als sich alle aufeinander blind verlassen können und wissen, dass rund um sie herum nur musikalische Exzellenz arbeitet. Es wäre wunderbar, wenn der ORF, der das Konzert live in Oe1 übertrug, diese Aufnahme auskoppeln könnte und vielleicht mit anderen Highlights der Philharmoniker oder des Festivals auf CD anbieten würde. Zumindest bis zum 4. November besteht noch die Möglichkeit, es auf der Seite von Oe1 nachzuhören.

Mit dem zweiten Cage-Stück – Sixty-Eight – wurde abermals klar, dass moderne Mobiltelefone mehr als nur eine Funktion – nämlich das Telefonieren – haben. Die Notation ist so angelegt, dass die Spielenden frei in der Entscheidung sind, innerhalb eines gewissen, vorgegebenen Zeitrahmens ihren Part zu spielen. Dementsprechend waren auch alle Musizierenden mit ihren Handys ausgestattet, um ihren jeweiligen Einsatz nicht zu verpassen. Trotz aller Freiheit – die dennoch nur eine vermeintliche ist – zeigt sich dieses Werk als extrem strukturiert, lässt aber einen sinnlichen, musikalischen Ausdruck nicht vermissen.

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Eröffnungskonzert Wien Modern (Fotos: Markus Sepperer)

Als Abschluss erklang ‚Scattered Light“ von Johannes Maria Staud. Ein Auftragswerk, das er Bernhard Günther widmete. Vorgabe war, eine Komposition zu schreiben, die ohne Dirigat auskommt und so überlegte sich Staud ein metrisches System, das von einer strikten Rhythmusvorgabe im Klavier das gesamte Orchester mitträgt. Im Programmheft war von einem Spannungsfeld zwischen Präzision (Pulsation) und der Unschärfe (ausgelöst durch zwangsläufig auftretende kleinere agogische Abweichungen zwischen den Instrumentengruppen) zu lesen. Und tatsächlich war diese leichte Verschiebung auch hörbar. Das Orchester kam in seiner ganzen instrumentalen Bandbreite zum Einsatz, wobei zum Teil zeitgenössische Spieltechniken angewandt wurden. Stauds Komposition kann als dunkles Klangwolkenkonstrukt beschrieben werden, das mit wilden Pauken und Blech eine organische Bedrohung evoziert. Die Klangfarben bilden ein wildes, lebendiges Etwas ab, das sich aufmacht, Schrecken zu verbreiten und sich am Schluss leise, mit hörbaren Atemgeräuschen aus dem Geschehen verabschiedet. Bravo-Rufe und langer Applaus machten die Zustimmung des Publikums deutlich. Ein fulminanter Auftakt zu einem – das ist sicher – spannenden Festivalmonat von Wien Modern.

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