Ein herrschaftliches Vergnügen

Das Schlosstheater in Laxenburg ist vielen Wienerinnen und Wienern nur von außen bekannt. Gibt es doch eine wunderbare Kulisse bei einem der herrlichen Spaziergänge in seinem Park ab, die in der warmen Jahreszeit dort so beliebt sind.

Jetzt hat man Gelegenheit, den historischen Ort anlässlich einer Opernaufführung auch im Inneren zu besuchen. Das Teatro Barocco zeigt dort genau 230 Jahre nach der Uraufführung der „Hochzeit des Figaro“ diese Mozartoper, und zwar so originalgetreu wie möglich. Im Konzertsaal kann man schon seit einem guten halben Jahrhundert Aufführungen erleben, die der historischen Musikpraxis verpflichtet sind. Im Bereich der Oper jedoch gibt es hier, wohl aufgrund der aufwendigen Recherchen und Vorbereitungen, noch Aufholbedarf. In Österreich stellte sich der Intendant und Regisseur in Personalunion, Bernd R. Bienert, der für die Produktionen seines Teatro Barocco stets auf historische Spurensuche geht, dieser Herausforderung. Als ob dies nicht genug wäre, auch für das Bühnenbild und die Kostüme zeichnet er selbst verantwortlich. Eine übrigens auch historisch gesehen nicht unübliche Praxis, die sich klarerweise nach den finanziellen Gegebenheiten richtete. Bienert recherchierte, dass das Schlosstheater in Laxenburg, nach der Uraufführung im Burgtheater in Wien, das Stück im Sommer 1786 übernahm. Dank einer Anordnung Joseph II., der an diesem Ort der erholungssuchenden, adeligen Gesellschaft diese und andere Produktionen aus Wien als musikalische Kurzweil anbieten wollte.

Die Bühne, ungefähr 10 Meter breit und 10 Meter hoch, für den kleinen Theatersaal eigentlich überdimensioniert, konnte die Bühnenbilder aus dem Burgtheater 1:1 fassen, was eine enorme Kostenreduktion bedeutete. Das Orchester ist nicht, wie erst in späterer Zeit, in einem Bühnengraben verborgen. Vielmehr kann das Publikum, das in der ersten Reihe sitzt, den Musikerinnen und Musikern in die Noten schauen. Die intime Umgebung erzeugt ein ganz besonderes Flair mit dem Gefühl, hautnah am Geschehen teilzunehmen. Die Besetzungsliste des kleinen Orchesters, das auf alten oder historisch nachempfundenen Instrumenten spielt, ist kurz. Einzig die Violine ist zweifach vorhanden, alle anderen Streich- und Blasinstrumente sowie die Pauke – sind nur einmal vertreten. Das Klangresultat ist verblüffend. Mozart light, könnte man dazu sagen, was zugleich aber bedeutet, dass die einzelnen Instrumentalstimmen besonders gut wahrnehmbar werden. Wenn Cherubino in seiner Arie über seine ersten Liebeserfahrungen berichtet, dann empfindet man plötzlich das Pizzicato der Streicher wie den raschen Herzschlag eines jungen Mannes und nicht nur als kompositorisch gelungene Idee. Wenn der musikalische Leiter, David Aronson, die Rezitative am Hammerklavier begleitet, ertönt so manche kleine, musikalische Verzierung schalkhaft witzig. Er ist sichtlich mit großer Freude am Arbeiten und erhebt sich zwischendurch immer wieder kurz von seiner Klavierbank, um sichtbarer Einsätze geben zu können.

Die Kostüme, die Bienert bis auf wenige Ausnahmen aus einem Fundus zusammenstellte, geben in wunderbarer Weise auch das Gefälle zwischen Adeligen und Bediensteten wieder. Federn und viel Stoff, aufwendigst mit Schnürungen, Plissierungen und hohem Schneiderhandwerk auf der einen, grobes Leinen, Schürzen und Strohhüte auf der anderen Seite. Das Bühnenbild besteht aus unterschiedlichen, verschiebbaren Wänden, die sowohl das Innere von Almavivas Schloss als auch den nächtlichen Garten in sichtlich naiv-barockem Malgestus stilisieren. Die Kerzen, die an der Bühnenrampe aufgestellt sind, und deren flackenders Licht zart an den Wänden der Bühnendekoration sichtbar wird, lassen einen kleinen Eindruck zu, wie die Beleuchtung in der Zeit Mozarts gewesen sein könnte. Besonderes Augenmerk aber legt die Regie auf die Mimik und Gestik des Ensembles. Dabei kommt dem ehemaligen Tänzer an der Wiener Staatsoper sicherlich seine eigene Erfahrung auf diesem Gebiet zugute.

So entsteht eine äußerst lebhafte Interpretation, in der die Charaktere und ihre Empfindungen nicht nur durch die Musik hörbar, sondern auch sicht- und dadurch stärker fühlbar werden. Susanna – herausragend mit Megan Kahts besetzt, deren sowohl stimmliche als auch schauspielerische Leistung eine wahre Freude ist – ist oft händeringend zu sehen. Ihre Not, als Objekt der gräflichen Begierde zu gelten, kommt besonders gut auch in jener Szene zum Ausdruck, in der ihr der Graf unmissverständlich Avancen macht. Gezim Berisha führt in dieser Rolle an einer Stelle dabei sogar einmal ihre Hand zwischen seinen Schritt, deutlicher kann sein Verlangen wohl nicht zum Ausdruck gebracht werden. Und angeekelter hat man wohl noch keine Susanna reagieren gesehen. Juan Carlos Petruzziello darf als affektiert-gezierter Musiklehrer aber auch als Richter alle komödiantischen Register ziehen, die diese Rollen hergeben. Wie er fächerwedelnd zwischen der Gesellschaft tanzt und seinem Grafen beständig das Riechfläschchen als kurzen, olfaktorischen Erholungsmoment gegen die offenbar strengen Körperausdünstungen der Bediensteten unter die Nase hält, ist unglaublich amüsant. Sein heller, strahlender Tenor ist eine der größten Überraschungen des Abends, neben der Entdeckung des Talents von Megan Kahts. Als Richter trippelt er in Minischritten über die Bühne und legt eine überraschte Mimik an den Tag, die das Publikum in eine unglaublich heitere Stimmung versetzt. Florian Pejrimovsky, in einer Doppelrolle sowohl als Gärtner als auch Bartolo zu sehen, agiert in den fast schon holzschnittartig angelegten Rollen ganz nah an der Commedia dell`arte.

Sarah Marie Kramer als Gräfin nimmt erst in jener Arie ihre beredte Körpersprache zurück, in der sie sich an die Vergangenheit erinnert, in der sie von ihrem Mann noch geliebt wurde. Innig und ruhig passt sich ihr geschmeidiger und zugleich voluminöser Sopran wunderbar dem introvertierten Geschehen der betrogenen Frau an. Gebhard Heegmann verkörpert einen kräftigen Figaro, stimmlich klar und gut verständlich, der sich gewitzt aus jeder verfahren geglaubten Situation retten kann. Barbara Angermaier (Cherubino), Anne Wieben (Marcellina) und die junge Penelope Makeig (Barbarina) sind wunderbar besetzt und stimmlich jede einzelne bestens ausgestattet.

Die Möglichkeit, diese Oper, die für das adelige Publikum an der Grenze zum Affront operierte, in diesem Ambiente zu sehen, lässt aber auch noch andere Gedankenexperimente zu. Nicht wie in einem großen Theater ist man dazu verführt, das Geschehen auf eine rein künstlerische Ebene zu abstrahieren. Es drängen sich Gefühle auf, die damit zusammenhängen, dass am selben Ort vor vor 230 Jahren Personen saßen, die alleine qua ihrer Geburt maßgeblich das Weltgeschehen beeinflussten und zur selben Zeit außerhalb der Schlossmauern das einfache Volk ein Leben fristete, das wir uns heute nicht mehr vorstellen können. Abhängigkeiten von Feudalherren, wie Susanna sie auf der Bühne erleben muss, gehörten zum Alltag des Volkes, Luxus wie Opernvorführungen konnten sich nur die mächtigen Adelsgeschlechter leisten. Dass man das anlässlich einer Produktion von „Figaros Hochzeit“ auch einmal spüren darf, ist ein weiteres Verdienst des Teatro Barocco.

Wir empfehlen: Wenn möglich, noch rasch für die restlichen Vorführungen Karten besorgen.

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