Filmmusik ganz ohne Film

Filmmusik ganz ohne Filme. Das bot das Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling am Dirigentenpult im Wiener Konzerthaus anlässlich des Festivals Wien Modern am 9. November. In insgesamt sechs unterschiedlichen Formationen trat der Klangkörper auf, denn ebensoviele Stücke standen an jenem Abend auf dem Programm, an welchem auch der Erste Bank-Kompositionspreis 2014 uraufgeführt wurde.

Konzerte wie aus einem Guss

Gleich eines vorweg, was an dieser Stelle noch nie richtig gewürdigt wurde: Auch an diesem Abend durfte man die Stringenz des Programmes bewundern. Zwar bietet das diesjährige Motto „on screen“, das Schnittstellen zwischen Film und zeitgenössischer Musik aufzeigen soll, einen guten Rahmen für die Konzeptionierung. Dennoch hält auch dieser Fokus noch genug Möglichkeiten parat, ein Kunterbunt an unterschiedlichsten zeitgenössischen Kompositionen aufzuführen. Es ist jedoch ein Charakteristikum des Festivals, dass jedes einzelne angebotene Konzert in sich ein stimmiges Ganzes darstellt. Die Auswahl der Stücke ist so clever angelegt, dass man Vergleiche ziehen kann, Unterschiede hört und in den meisten Fällen auch überrascht wird, wie aktuell so manches Werk ist, das vor 50 oder 60 Jahren geschrieben wurde.

Wolfgang Rihms „Bild (eine Chiffre)“ stand am Anfang des Abends. Es ist ein Auftragswerk, das der deutsche Komponist 1984 zum surrealistischen Stummfilm „Un Chien andalou“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí schuf. Der Komponist wollte seine Musik parallel neben dem „bewegten Bild“ als „bewegten Klang“ verstehen und bezeichnete die Arbeit sogar als „Skulptur“. Damit schuf er eine wunderbare Metapher, denn tatsächlich können die Klänge mit ihren scharfen Schnitten, harten Trommelklängen und Trompetenstößen als massives Klang-Objekt wahrgenommen werden, das mit Ecken und Kanten en masse aufwartet.

Im Anschluss daran wurde Morton Feldmans „Untitled Film Music“ (1960/61) gespielt. Kurios dabei ist, dass es nicht klar ist, für welchen Film diese Musik entstand. So bleiben den Zuhörenden nur die Titel der insgesamt elf musikalischen Miniaturen als Anhaltspunkt für eventuelle Assoziationen. Kleine Klangfitzelchen erinnern dabei immer wieder an Melodien aus der Westside Story, ohne diese jedoch eins zu eins zu zitieren. Einen wichtigen Part schrieb Feldman dem Kontrabass zu, der in zum Teil jazzigen, kurzen Passagen das Grundgerüst für das Klanggeschehen bildete. Obwohl die einzelnen Teile extrem kurz sind, ist doch bei einigen von ihnen eine innere Verwandtschaft gut zu erkennen.

Dunkles und Spannendes vom Preisträger

Einer der zwei Höhepunkte des Abends war das preisgekrönte Konzert von Reinhard Fuchs. Geboren 1974, ist er ein wahres Multitalent. Vielfach international ausgezeichnet widmet er sich neben seinem kompositorischem Werk auch dem herausragenden Klangkörper „Phace“, dem er seit 2008 als Geschäftsführer und Künstlerischer Leiter vorsteht. Sein von der Erste Bank prämiertes Stück „Mania“ wurde von ihm heuer komponiert. Dabei ließ er sich vom Streifen „Blue Velvet“ von David Lynch inspirieren. Rasch baut er darin einen dunklen, spannungsgeladenen Raum in dem explosive Entladungen das Publikum zu Beginn immer wieder überraschen. Elektronische Einspielungen erweitern das architektonische Klanggebilde auf geradezu fantastische Art und Weise. Klagende Stimmen der Streicher, schnarrende Geräusche der Percussionisten ergeben ein giftiges Gebräu. Gehetzt, gedrängt und getrieben jagt die Musik dahin, um immer wieder zu einem kurzen Stillstand zu gelangen. Winzige Pausen, in welchen der Atem vor Angst angehalten wird. Dann ein Zittern, Wispern und Beben das schließlich von einem Moment abgelöst wird, der in seiner flirrenden Ruhe zum Albtraum wird. Was kommt als nächstes? Leises Glockengeläut und ein permanenter Basston werden so lange ausgereizt, dass die Spannung körperlich spürbar wird. Ein konvulsivisches Zucken im gesamten Klangkörper, ein flatterndes Geräusch, eine allerletzte Angespanntheit, dann endet der psychopathologische Zustand in einem gänzlich unprosaischen und platten Abfallen der elektronischen Einspielung. So, als würde jene Batterie leer werden, welche das gesamte Werk zuvor mit Strom versorgte.

Höchst interessant, wie im Anschluss Arnold Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene op. 34“ (1929-1930) dagegen sein Alter nicht verleugnen konnte. Nach einem aufwühlenden Intro, das mit einer heftigen Percussionbegleitung beeindruckt, folgt ein ruhigerer Teil mit einem Streicher-Unisono aus dem sich ein bedrohliches Thema schält. Schönbergs Stück folgt keinem realen Film, sondern ist nur mit Untertiteln – Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe – versehen, die Anreize für ein eigenes Kopfkino geben können.

Olga Neuwirths „Diagonal Symphony“ (2007) hingegen speist sich ganz aus zeitgeistigen Hörgewohnheiten. Geschaffen für einen restaurierten Film von Viking Eggeling aus dem Jahre 1925, der in 8 Minuten nichts anderes als Lichtstreifen, Linien und Diagonalen zeigt, weist das Werk eine strikte Zweiteilung auf. Einem strengen rhythmischen Gerüst, das von einer CD eingespielt wird und im konstanten Viervierteltakt verbleibt, legt Neuwirth einen zweiten Layer darüber. Die Instrumentierung, in welchem im Ensemble neben Streichern, Bläsern, Klavier und Schlagzeug auch eine E-Gitarre zum Einsatz kommt, erzeugt dabei völlig abstrakte Klangflächen. Sie stehen im Gegensatz zum eingespielten Rhythmus, der nicht nur maschinelle sondern an manchen Stellen sogar menschliche Klangcharakteristika aufweist. Der Kraft und Vitalität, die von diesem ausgeht, werden unaufgeregte, neutrale Klanggebilde gegenübergestellt, die den Wunsch erzeugen, den Film, für welchen die Musik geschrieben wurde, tatsächlich gleichzeitig auch mitansehen zu können.

So spannend kann ein einziger Ton sein

Als zweiter Höhepunkt und Abschluss zugleich, der vom Publikum schließlich auch heftig mit Applaus bedacht wurde, gestaltete sich „Quattro Spezi (su una nota sola) für Kammerorchester (1959) von Giancinto Scelsi. Darin zeigt er, wie aufregend und atemberaubend die musikalische Idee sein kann, vier Stücke rund um jeweils eine einzige Note zu bauen. Das Werk fiel insofern aus dem gesteckten Rahmen, als es in keinem Zusammenhang mit einer Filmmusik steht. Dennoch ermöglicht es, eine ganze Reihe von bildlichen Assoziationen hervorzurufen. Und auch, sich selbst beim Hören zu beobachten und eigene Hörgewohnheiten zu hinterfragen. Die vielen verschiedenen Wandlungen, die Scelsi ein und demselben Ton unterwirft, zeugen von einer gewaltigen Kreativität. Und machen zugleich auch deutlich, wie unendlich weit das Feld von zeitgenössischen Kompositionen gespannt werden kann. Wenn ein einzelner Ton in so mannigfacher Art und Weise quer durch den Orchesterapparat wandern kann, wenn er in unterschiedlichen Registern auftaucht, stufenlos sich ein wenig erhebt um gleich darauf wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren, wenn er sich rhythmisch in verschiedenen Farbschattierungen zeigt, dann wird klar, dass das Feld der Komposition ein Unendliches ist. Und dass gute Musik kein Ablaufdatum hat.

Das Klangforum lieferte an diesem Abend mit diesem so schillernden Programm eine gewaltige Leistung ab. Sylvain Cambreling, der nicht nur Ehrenmitglied des Ensembles, sondern auch erster Gastdirigent ist, führte mit sichtbarem Feingefühl und gänzlich ohne große, zerstörende Gesten die unterschiedlich zusammengesetzten Formationen souverän durch den Abend. Großes Kino – wenn auch nur im Kopf.

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