Brutale Romantik

Brutale Romantik

Michaela Preiner

Foto: (© Eva Würdinger )

4.

August 2022

"Tanz. Eine sylphidische Träumerei in Stunts" von Florentine Holzinger verwandelt Ballett-Tänzerinnen in blutrünstige Hexen.

Florentine Holzinger hat kurz vor der Pandemie ihr Stück „Tanz. Eine sylphidische Träumerei in Stunts.“ im TQW präsentiert. Mit dabei war Beatrice Cordua, jene deutsche Primaballerina, die als Erste unter der Choreografie von John Neumeier im „Sacre de Printemps“ nackt getanzt hat. Nun, 3 Jahre nach Holzingers Premiere, gelangte die Produktion im Volkstheater im Rahmen des Impuls-Tanz-Festivals abermals zur Aufführung. Und abermals war Cordua mit auf der Bühne, nackt – wie all ihre anderen jungen Kolleginnen, die von der ehemaligen Primaballerina aufgefordert wurden, sich ebenfalls auszuziehen.

22 florentinaholzinger tanz c evawuerdinger 01

TANZ. Eine sylphidische Träumerei in Stunts (Foto: © Eva Würdinger)

Zu Beginn und am Schluss wurde das Publikum Zeuge eines, im klassischen Ballett üblichen, Arbeitsprozessen an der Stange. Nur mit dem Unterschied, dass Cordua die Bewegungen fachkundig kommentierte und ihre kleine Gruppe permanent lobend anspornte. Zwischen der Eingangs- und der Schlussszene jedoch lag eine dramaturgische Entwicklung, die durch die Figur einer zeitgenössischen Hexe, bekleidet nur mit einer Lederjacke und auf einem Staubsauger reitend, eingeleitet wurde.

Holzinger verließ die Spuren des romantischen Ballettes – inklusive eines interaktiven Publikumseinschubes – und zeigte nicht nur akrobatische Nummern in luftiger Höhe auf an Seilen hängenden Motorrädern. Sie formte ihr Ensemble zu einer hexischen Gruppe, in der es letztlich um das reine Überleben inklusive Mord und Totschlag ging. Parallel zu dem wilden Treiben wurde – durch Life-Projektionen sichtbar gemacht – im Bühnenhintergrund eine junge Frau so gepierct, dass sie anschließend durch Karabiner fixiert, an ihrem eigenen Körpergewicht, ihrem eigenen Fleisch, in die Luft hochgezogen werden konnte. Die Verkörperung einer zeitgenössischen Sylphide lag – aufgrund des Untertitels der Produktion – auf der Hand.

„Unser ganzes Leben lang versuchen wir uns vom Boden zu erheben“ – erklärte Cordua im Rahmen der grazilen Ballettübungen ihren Schülerinnen. Dieses Bestreben erhielt durch den gezeigten, weiblichen Stunt eine gänzliche neue Dimension. Steht diese Aussage doch in direktem Zusammenhang mit dem zerstörerischen Eingriff am Körper, der gepiercten Frau, der danach schwingend vor dem Publikum an Seilen baumelte. Die Brutalität, die hier gezeigt wurde, sie ist in subtilerer Form wahrscheinlich ebenso schmerzhaft im Spitzentanz vorhanden. In all jenen Übungsstunden, in welchen der Fuß und die Beinmuskulatur mühsam daran gewöhnt werden müssen, auf den Zehen zu gehen, trippeln, tanzen und springen. Was letztlich schwebend aussehen soll, ist nur durch eine schmerzhafte Zurichtung des Körpers zu erreichen.

22 florentinaholzinger tanz c evawuerdinger 04

TANZ. Eine sylphidische Träumerei in Stunts (Foto: © Eva Würdinger)

Holzinger gab in einem Interview, auszugsweise im Programmheft nachzulesen, zu verstehen, dass es ihr wichtig sei, dem eigenen Körper als einer Stärke und Waffe wirklich vertrauen zu können. Kraft und Stärke war es auch, was sie von sich und ihren Tänzerinnen und Performerinnen abverlangte. Und dies nicht nur in körperlicher, sondern auch in mentaler Hinsicht. Dass sie die Frauen, die mit ihr auf der Bühne standen und sich selbst auch als Hexenwesen auftreten ließ – sosehr dies in den Kontext von Ballett- und Opernstücken des 19. Jahrhunderts stand – sosehr lässt sich diese Wahl aber auch trefflich hinterfragen. Bedient sie damit doch Klischeevorstellungen, die nicht nur emanzipierten Frauen Schauer über den Rücken jagen.

Es stellen sich aber auch andere Fragen im Kontext der Aufführung. Die Kunstproduzentinnen und Kunstproduzenten tragen immer Verantwortung. Nicht nur für sich, sondern vor allem auch für ihr Ensemble und letztlich auch für das Publikum. Es ist davon auszugehen, dass alle, die mit Florentine Holzinger in dieser Produktion aufgetreten sind, dies auf freiwilliger Basis taten. Wo aber beginnt Freiwilligkeit, wenn gerade im meist prekären Beschäftigungsfeld des zeitgenössischen Tanzes jede Teilnahme einer Show als Chance gesehen wird, sich die kommenden Monate finanzieren zu können? Es ist zu hoffen, dass die Stärkung des weiblichen Körpergefühles, ja das Empowerment, das mit dieser Choreografie für das Ensemble einhergeht, nachhaltig ist und über die Bühnenauftritte hinaus wirkt.

Standing Ovations machten deutlich, dass Holzinger den Geschmack des Publikums vollends getroffen hat.
 

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch Englisch Italienisch

Pin It on Pinterest