Geigengenie trifft auf Spitzenorchester

Maxim Vengerov ist einer jener wenigen Geiger, der jedes Stück, das er spielt, so inhaliert hat, als ob es von ihm selbst stammte. Eine Probe dieser außergewöhnlichen Fähigkeit gab er im Rahmen des 38. Internationalen Musikfestes im Konzerthaus.

Ihm zur Seite stand Peter Oundjian am Pult und dirigierte das grandiose Toronto Symphony Orchestra. Ein Klangkörper, der zuletzt 1983 in Wien gastierte und sich derzeit auf einer Europatournee befindet. Schon alleine aus diesem Grund ein Ausnahmekonzert, präsentierte sich doch das groß besetzte Orchester in seiner allerbesten Form.

Feine kulturelle Unterschiede

Präzise und empathisch, bestens auf den Dirigenten abgestimmt und auf höchstem musikalischen Niveau agierten die Musikerinnen und Musiker dieses wunderbaren Orchesters. All jene, die gut beobachten, konnten auch einige interessante Unterschiede im Auftritt des Orchesters gegenüber jenen feststellen, die in Europa angesiedelt sind. Schon eine halbe Stunde vor Konzertbeginn saßen viele auf ihren Plätzen und übten, was das Zeug hielt. Die dementsprechende Kakophonie war genauso ungewöhnlich wie die dem Publikum zugewandte Verbeugung, als der Dirigent auf die Bühne kam.

Eidechsen und fließendes Gewässer

Wiener Singakademie 12 Mai17

Wiener Singakademie

Eröffnet wurde das Programm mit Pierre Boulez, dem der Schwerpunkt des Internationalen Musikfestes gewidmet ist. Sein „Soleil des eaux“ aus dem Jahr 1965 wurde von zwei Gedichten von René Char beeinflusst. Die Musik spiegelt sehr schön sowohl die abstrahierte Landschaftswiedergabe als auch höchst kunstvoll ausformulierten Eidechesen-Überlegungen wieder, die in Chars Werk zutage treten. Die Sopranistin Carla Huhtanen beeindruckte nicht nur stimmlich, sondern auch durch ihr Mienenspiel, das sie in sowohl in der „Klage der verliebten Eidechse“ als auch in der Hymne an die Sorgue, einem Fluss in Südfrankreich höchst illustrierend zum Einsatz bringen konnte. Ihr zusätzliches, großes Plus: Die unglaublich klare und verständliche Artikulation dieses schwierigen, französischen Textes. Die Wiener Singakademie steuerte dazu stimmgewaltiges Tonmaterial bei.

Ein Brahmskonzert der Sonderklasse

Vengerov Maxim 03 Jun16

Maxim Vengerov (Foto: Benjami Ealovega)

Mit dem Konzert für Violine und Orchester D-Dur op.77 von Johannes Brahms lieferte Maxim Vengerov eine violinistische Meisterleistung ab. Von der ersten Sekunde ganz in die Musik versunken, spielte er mit geschlossenen Augen, was Peter Oundjian vor die Aufgabe stellte, sein Orchester ganz auf Vengerovs Spiel abzustimmen. In Vengerovs eigener Kadenz zeigte er nicht nur sein technisches Können, sondern verband aufs Intelligenteste Motive aus den verschiedenen Sätzen – bis hin zu fugenhaften Einsprengseln Bach´scher Tradition. Die Verschränkung einzelner Phrasen von Orchester und Solist gelang in einer derart einzigartigen Weise, dass dieses Konzert als Referenz gelten kann.

Vengerov dosiert sowohl der lyrischen als auch der spröderen Stellen nicht nur mit extremem musikalischem Verständnis. Auch seine Vibrati sind so angelegt, dass sie ihr Ziel, die Töne so voll wie möglich erklingen zu lassen, in einer unglaublichen Perfektion erreichen. Das Orchester hinter und neben ihm verwandelt sich zu einem natürlichen Organismus, der ganz von seinem pulsierenden Kreislauf abhängt. Mit der Sarabande aus der 2. Partita von Bach verabschiedete sich der Violinist vom begeisterten Publikum. Und zeigte auf, dass es keine Teufelsgeiger-Zugaben braucht um zu zeigen, welche Größe er als Geigensolist tatsächlich verkörpert.

Bei Béla Bartok sprudeln die Ideen

Das Konzert Sz 116 von Béla Bartók aus den Jahren 1943 und 1940 bildete den Schlusspunkt des Abends. Ein wahres Bravourstück für Orchester, in dem sich beinahe im Minutentakt die Stimmungen ändern. In ihm zeigte sich abermals die Kennerschaft von Peter Oundjian, der großen Wert auf Werktreue bis ins kleineste Detail legte. Mit der Zugabe „Nimrod“, einer von 14 Enigma Variationen von Edgar Elgar aus dem Jahr 1898 verabschiedete sich das Toronto Philharmonic Orchestra mit seinem künstlerischen Direktor Peter Oundjian vom Wiener Publikum. Hoffentlich dauert es bis zu einem Wiederhören nicht wieder 34 Jahre! Welcome back in Vienna – we hope very, very soon!

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