„Hallöchen“ im Viertel Zwei

„Hallöchen“ – was ist der Unterschied zwischen Essen und Ibiza? In Ibiza kann man essen aber in Essen nicht ibizen. Zu lesen ist dieser „Begrüßungswitz“ auf einer blau-gelben Fahne, die jene Besucher empfängt, die das Areal Viertel Zwei im zweiten Wiener Gemeindebezirk von der Seite der neuen Wirtschaftsuniversität her betreten. Wer meint, hier handle es sich um einen Gag der Stadt Wien, irrt. Die Fahne ist Teil eines Skulpturenprojektes, das im Areal zwischen den U-Bahnstationen Krieau und Stadion konkretisiert wurde. Geschaffen wurde die beredte Flagge vom leider viel zu früh verstorbenen Martin Kippenberger bereits 1995. Aber nach wie vor verbreitet sie den scharfen Geist und subtilen Humor des Künstlers und lässt all jene schmunzeln, die den Schriftzug auf ihr tatsächlich auch lesen. Dass sich dahinter noch ein historischer Kosmos verbirgt, den Kippenberger lachend bei seinen Raffl-Besuchen in Jennersdorf nutzte, steht dabei noch auf einem ganz anderen – unlesbaren – Blatt. Dort nämlich wurde diese – ganz in monarchischer Manier – gehisst, wenn der Künstler im Restaurant speiste. Meist stand währenddessen sein motorisiertes Eier-Dreirad vor der Türe, das er führerscheinfrei fahren durfte.

Viertel Zwei – für gewöhnlich eine österreichisch formulierte Zeitangabe – markiert in Wien seit einigen Jahren aber auch etwas ganz anderes: Viertel Zwei ist ein Ort, an dem sich Architektur, Natur und Kunst ein Stelldichein geben. Letzteres aufgrund der Vision und Initiative des Stadtentwicklers Michael Griesmayr und der Galeristin Gabriele Senn. Griesmayr ist schon seit 15 Jahren als Kunstkäufer aktiv und wird dabei durch Susanna Hoffmann-Ostenhof kundigst beraten. Für die Idee, Kunst im Außenareal von Viertel Zwei zu positionieren, wurde Gabriele Senn zusätzlich in den Kunst-Think-tank geholt. Ermöglicht wurde das Projekt schließlich im Jahr 2012 durch eine Förderung von 100.000,– Euro von Departure, dem Kreativzentrum der Wirtschaftsagentur Wien. Eröffnet wurde nun zwei Jahre später Anfang September 2014. Insgesamt gelangten bis jetzt sieben Kunstwerke zur Aufstellung im Areal. Diese statten den Ort mit einem ganz speziellen, subtilen und kunstgeschwängerten Flair aus. Zwischen den Büro- und Wohnhochhäusern und dem alten behutsam revitalisierten Fabriksgebäude, in welchem Griesmayr ein Büro unterhält, beruhigt ein lauschiger – beinahe romantischer kleiner See das Auge und die stressgeplagten Gemüter. Rund um ihn aber auch direkt in ihm darf nun auch Kunst das Auge und den Geist der Besucherinnen und Besucher erfreuen.

„Bronzed Vanity“ des Amerikaners Tom Burr ragt auf einem Sockel mitten aus dem Wasser. Eine Bronzeskulptur, die Erinnerungen an einen Spiegeltisch – ähnlich einem Schminktischchen – hervorruft. Dass dieser bei Windstille vom ruhigen Gewässer reflektiert wird, lässt mannigfache Assoziationen zu. Vergänglichkeit, aber auch das Ausloten des eigenen Spiegelbildes, das Eintauchen in eigene Untiefen drängt sich an Assoziationen in Kombination mit dem Aufstellungsort auf. Eine Arbeit, die kontemplativ angesetzt ist. Etwas, das zum Verweilen einlädt, zum Innehalten, In-sich-hinein-hören und Durchatmen. Kleiner Tipp: Packen Sie sich Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“ als MP3-Format auf ihr Handy und genießen sie an einem ruhigen Wochenende bei schönem Wetter vor Ort Burrs Kunstwerk. Ganz anders zeigt sich die Intervention von Marko Lulić angebracht auf dem Holzsteg vor dem historischen Industriegebäude. „Total living“ ist dort in grellem Pink schon von Weitem zu lesen. „Meine Schriftzüge werden vielfach verstanden und interpretiert“ erklärte der Künstler bei einer Begehung, „so ist es hier vorgekommen, dass Leute gefragt haben, wo man denn hier nun die Möbel kaufen könne.“ Die ultimative Lebensanweisung, die durch das Wort „total“ vorgegeben ist, wird gerade in einem industriell geprägten Umfeld – in welchem nur mehr das Surrogat der Industrie selbst, nämlich die Bürohäuser, als Außenposten der tatsächlichen Industrie stehen – konterkariert, auf die Spitze getrieben oder ins Lächerliche gezogen. Je nach eigener Interpretation, die darf man sich aussuchen. Mit Hans Weigands Werk „Wellenbrecher“ wird das Künstler-Männerquartett komplettiert, das einem künstlerischen Frauentriumvirat gegenübersteht. Seine Skulptur ist direkt am „Strand“ des Viertel Zwei Sees positioniert und harrt hier wohl auf lange Zeit der nicht eintretenden Flut. Weigands „Wellenbrecher“ sind formal ganz den sogenannten funktionalen „Tetrapoden“ nachempfunden, wie sie von der Nordsee bis zu den Küsten in Gran Canaria von der Betonindustrie gefertigt werden und zum Einsatz kokmmen. An den jeweiligen Stränden werden sie neben- oder übereinander geschichtet, um die Wucht der Wellen gegenüber dem Festland abzumildern. Bei Weigand jedoch gibt es einige künstlerische Abweichungen, welche das industrielle Vorbild erst zum Kunstwerk mutieren lassen. Aus Kunststoff gefertigt weisen seine Wellenbrecher nur einen Bruchteil des tonnenschweren Gewichtes ihrer funktionalen Strandgenossen auf und auch die gegenseitige Verkettung mit polierten Aluminiumringen und -ketten ist ein Eingriff des Künstlers. Dort, wo die drei zylindrischen Formen sich treffen, hat Weigand keine glatten Verbindungen geschaffen, sondern verlieh gerade dieser Zone ein organisches Aussehen. Kleine, wie von PU-Schaum gekräuselte Partien wecken in Zusammenschau mit den abstrahierten humanen Formen Assoziationen zu menschlichen Torsi mit der Betonung auf deren unspezifische Geschlechtlichkeit. Nicht Mann, nicht Frau, aber immerhin aneinandergekettet, zum Teil miteinander verbunden, kippen die Wellenbrecher in eine soziale Formation von Menschenleibern, die inmitten der modernen, cleanen Architektur einen gewichtigen Gegenpol zur Kühle und Strenge der Häuser darstellen. Das, was sich in den Bürokomplexen bewegt, ihnen erst Leben verleiht, zerrt Weigand künstlerisch transformiert schonungslos nach außen. Dabei zeigt er Körperlichkeiten, zugleich aber auch gegenseitige Abhängigkeiten. Zumindest all jenen, die diese Interpretation wahrnehmen möchten. Eine gewichtige und interessante Arbeit, die neben ihrer speziellen Ästhetik vor allem aber auch wegen ihres multiplen Interpretationsansatzes besticht.

In Blickweite, auf dem gegenüberliegenden Seeufer ist der „Copper Hopper“ von Stephanie Taylor zu sehen. Den Kopf leicht nach rechts gedreht, die großen Ohren lauschend aufgestellt, thront er auf einem weißen, hohen Sockel auf der Spitze eines kleinen begrünten Hügels. Inmitten der artifiziell angelegten grünen Oase macht er – konsequent in seiner eigenen Künstlichkeit – auf eine Fauna aufmerksam, die in Wien tatsächlich noch an vielen unbebauten Orten zu finden ist. Aus dem Viertel Zwei werden sich seine lebenden Artgenossen verabschiedet haben, im benachbarten Prater jedoch wimmelt es noch davon. Dass Taylors Hase als Weiterentwicklung jener bunten sitzenden Hasenschar von Ottmar Hörl gesehen kann, welche die Museumsshops erobert haben, liegt auf der Hand. Und nicht zuletzt schlägt die Künstlerin damit wiederum einen großen Bogen zum eigentlichen Urahn – jenem Hasen von Albrecht Dürer, der wohlverwahrt in der Albertina als nationales Kulturgut die Grenzen Österreichs nicht verlassen darf. Schräg gegenüber wiederum hat sich ein zitronengelbes Ei niedergelassen. Ein Ei – oder so etwas Ähnliches wie ein Ei – mit Einblick, das Barbara Mungenast auf Anregung von Michael Griesmayr schuf. Ursprünglich war die Skulptur nur in kleinem Format von ihr ausgeführt worden. Hier, auf dem Steg über dem Wasser, angrenzend an das Backsteingebäude, zieht es schon alleine aufgrund seiner extremen Farbigkeit und ansprechenden Form die Blicke auch von weit weg auf sich. Der kleine Schönheitsfehler, welcher der Skulptur anhaftet, ist nur dann erkennbar, wenn man direkt neben ihr steht und in sie hineinblickt. Es sind die ästhetisch wenig befriedigenden Verankerungsschrauben, welche dafür sorgen, dass Mungenasts Arbeit keine „Füße“ bekommt. In der Fernsicht jedoch hinterlässt die Arbeit einen poppigen, passablen Eindruck und oszilliert geschickt zwischen den Polen Design und Kunst.

Mit der Arbeit von Elfie Semotan, die sich als Paneel vor den Eingangsbereich des einzigen historischen Gebäudes am Gelände geschoben hat, schließt sich in gewisser Weise der Skulpturenkreis, der bei Kippenbergers Fahne seinen Betrachtungsausgangspunkt fand. Semotan, die mit Kippenberger verheiratet war, hat einerseits dazu beigetragen, dass Kippenbergers Werk im Viertel Zwei Aufstellung gefunden hat. Andererseits ist sie für ein Jahr lang selbst mit einer Arbeit vertreten. Ausgangspunkt dafür war eine Aufnahme von Industriepaletten, die von der Fotografin in einem Industriegebäude gefunden worden waren. Übereinandergestapelt und auf 9 Meter Höhe vergrößert, stehen sie nun im permanenten ästhetischen Austausch mit den Backsteinwänden des Gebäudes der IC Projektentwicklung. Man könnte Semotans Foto durchaus als „erweitertes objét trouvé“ bezeichnen, denn es waren zwei Eingriffe, welche von ihr durchgeführt worden waren, um die Transporthilfsmittel fotografisch in Szene zu setzen. Um die Höhe dieses Palettenturmes zu erreichen, veranlasste sie einen Staplerfahrer zu dieser gewagten Aufstellung und bestimmte zugleich – dem künstlerisch geschulten Auge geschuldet – an welchen Stellen die bunten Markierungen sichtbar werden sollten, welche einzelne Paletten kennzeichnen. „Die Farbspuren auf den Paletten waren schon vorhanden und sind nicht von mir angebracht worden. Sie sind nichts anderes als eine Besitzkennzeichnung. Einige Unternehmen markieren ihre Transportbehelfe mit einer eigenen Farbe, um sie von anderen unterscheiden zu können“. So erläutert Elfie Semotan selbst gänzlich prosaisch jene Farbaufträge, welche dem Foto seine eigene Qualität verleihen. Gedacht war die Aufnahme zum Zeitpunkt seines Entstehens in keiner Weise für den jetzigen Einsatz vor dem Gebäude. Vielmehr war auch das eine Idee von Michael Griesmayr. „Der Eingangsbereich des Gebäudes war immer schon mit unterschiedlichen Schriftbändern markiert worden. Nun aber ist es das erste Mal, dass an deren Stelle ein Kunstwerk übertragen wurde“ , so O-Ton Griesmayr. Der kunstaffine Immobilienentwickler für den „Ästhetik etwas Unabdingbares“ ist, plant, zukünftig das Eingangspaneel jährlich zu wechseln. Dass dies nicht der letzte Coup sein wird, der Kunst einem öffentlichen Publikum zugängig macht, dafür ist bereits gesorgt. Die Erweiterung des Areals mit dem bezeichnenden Titel „Viertel Zwei plus“ steht in den Startlöchern. Und dies bedeutet auf alle Fälle jede Menge neue Architektur und – zu hoffen ist es – auch jede Menge neue Kunst.

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