Aufstieg und Fall eines Kokovoren

Einmal ganz weit weg ziehen. Am besten auf eine Insel. Einmal sein eigener Herr sein und ein Imperium aufbauen. Am besten mit gesunden Lebensmitteln. Und wenn`s nicht funktioniert? Dann kann man immer noch als Eremit weitermachen.

Es ist ein sonderbar humoriges Spiel, in dem das Leben von August Engelhardt auf der Bühne des Schauspielhauses Wien nachgezeichnet wird. Dieser schiffte sich 1902, 27-jährig, auf dem deutschen Reichspostdampfer „Prinz Waldemar“ ein, um in „Neupommern“, einer deutschen Kolonie in Neu-Guinea, ein neues Leben zu beginnen. Anhand der Geschichte des Vegetariers, der sich mit Fortschreiten des Geschehens zum reinen Kokos-Esser wandelt, lässt sich gut nachvollziehen, zu welch seelischen Deformationen die Besitzstandswahrung eines Außenseitertums führen kann.

Sebastian Schindegger verkörpert Engelhardt zu Beginn noch unterwürfig, ja beinahe regungslos, dem Gespött aller anderen ausgeliefert, die sich, wie er, auf dem Schiff in die neue Kolonie befinden. Vegetarier zu sein war zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesellschaftlich geächtet und mit dementsprechenden sozialen Ausgrenzungen verbunden. Mit Zunahme seines Einflussbereiches und seiner Machtausübung ändert sich das Selbstverständnis von Engelhardt jedoch vehement. Der Kokosnussfarmer, der sich das große Geschäft mit der gesunden Frucht erhofft, lässt zu Beginn seines Aufenthaltes auf der von ihm gekauften Insel, bis auf Makeli, einen Jungen, niemanden wirklich an sich heran. Diesem versucht er anhand der Faust-Lektüre Deutsch zu lernen.

Beinahe unmerklich rutscht Engelhardt nach und nach in die Rolle eines Gurus, der sich ganz der reinen Nahrung verschrieben hat, die er in der Kokosfrucht erkennt. Als er bemerkt, dass er mit seinem Sendungsbewusstsein Menschen in seinen Bann ziehen kann, zeigt sein Persönlichkeitsprofil andere Züge. Wie sozial unverträglich er agiert, wird aber klar, als er von Heinrich aus Helgoland aufgesucht wird, der von seinem Unternehmen gehört hat und unbedingt an seiner Seite leben möchte. Dass es sein homoerotischer Antrieb ist, der ihn zu Engelhardt führte, wird dem Mann schließlich zum Verhängnis.

Immer stärker verdichtet sich das Geschehen hin zu seinem Höhepunkt, an dem Freiwillige aus dem Publikum auf die Bühne geholt werden. Sie dürfen sich so lange an Snacks laben, bis Engelhardts Laune kippt und er alle rüde zurück auf die Plätze verweist. Spätestens in diesem Moment ist klar, dass dieser Mann nicht geeignet ist, ein Imperium aufzubauen. Der endgültige Absturz wird schließlich durch neue Machtstrukturen auf der Insel beschleunigt, die den Farmer enteignen und zum Eremiten verkommen lassen.

Jan-Christoph Gockel, der mit Tobias Schuster für die Bühnenfassung verantwortlich ist, führte Regie. Dabei sind, bis auf Sebastian Schindegger, der den bärtigen Engelhardt gibt, alle anderen Schauspieler in Mehrfachrollen zu sehen. Die Besatzung des Schiffes, der Gouverneur von Neu-Guinea, die Unternehmerin „Queen Emma“ genannt, der Helgoländer Heinrich Aueckens, der Musiker Max Lützow oder Makeli erhalten durch Kostümänderungen und Perückeneinsatz ihre Konturen. Oliver Mathias Kratochwill sorgt live für die musikalische Untermalung. Steffen Link, Simon Bauer und Jacob Suske sind ebenfalls mit von der Partie.

Die Inszenierung schillert durch die raschen Orts- und Zeitwechsel, sowie durch die vielen Kostüm- und Stimmungsänderungen. Zugleich wirkt sie, auch aufgrund des spartanischen Bühnenbildes, bei dem zum großen Teil die Lichtregie und Projektionen auf die Stirnwand (ebenfalls von Kratochwill) für die unterschiedlichen Raumwahrnehmungen sorgt, wie aus einem groben Holzstamm gehauen. Dies passt allerdings gut zum Stück selbst, in dem die Hauptfigur von Beginn an auf der Suche nach dem Ursprünglichen und Ungekünstelten ist. Die zeitgeistige Umsetzung des historischen Geschehens, das man tatsächlich nur anhand einiger Eckdaten zum Teil nachempfinden kann, ist dabei höchst gelungen. Versteckt wird nichts, umgezogen wird coram publico, die kleinen Umbauten, so notwendig, werden ebenfalls sichtbar durchgeführt. Die Gewaltszenen sind dramaturgisch äußerst clever aufgebaut, sodass man, zumindest bei Engelhardts Mord an Heinrich, seinen Beweggrund nachvollziehen kann.

Der theatralische Exkurs in eine Zeit, in der die Welt begann, sich neu zu ordnen, bringt nicht nur jede Menge neuer historischer Informationen, die einem wissbegierigen Bildungsbürgertum Freude bereiten. Er präsentiert das Theater von einer höchst ursprünglichen Seite. Nämlich jener der Unterhaltung.

Die Erschaffung von einem „Imperium“, von dem Engelhardt träumte, blieb diesem versagt. Mit dem kleinen Hinweis auf Coca Cola am Ende des Stückes wird klar, dass Engelhardt nicht der erste war, der die Idee hatte, ein Produkt in großem Stile zu vertreiben. Schade, dass das Spiel schon am 19. März sein Ende in dieser Saison findet.

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