Tanz kann uns ganz, ganz tief berühren
07. Oktober 2015
Mit „Körper“ habe ich begonnen, sehr skulptural zu arbeiten. Darin gibt es unterschiedliche Konstellationen, in denen ich die Zeit einfriere und die Körper fast das Materielle des Fleisches verlassen.
Michaela Preiner
Sasha Waltz © FELIX BROEDE
Foto: ()

Das Stück „Körper“ der Choreografin Sasha Waltz erlebt am 15. Oktober 2015 im Tanzquartier in Wien seine Österreich-Premiere. Wir hatten die Gelegenheit, mit der Künstlerin vorab ein Gespräch zu führen. Darin erzählt sie über das Stück selbst, aber auch ihre künstlerische Entwicklung und was den Tanz von anderen Künsten unterscheidet.

Frau Waltz, Ihr Stück „Körper“, das im Tanzquartier im Oktober seine Österreich-Premiere hat, ist so etwas wie ein Dauerbrenner Ihrer Companie, es wird ja seit 15 Jahren getanzt. Wie stehen Sie heute dazu?

Wenn ein Stück heraußen ist, dann wird zu Beginn vielleicht noch nachgearbeitet, aber irgendwann steht es dann. Jetzt wird es aber wieder wegen eines anderen Aspektes für mich interessant. Das Stück heißt ja „Körper“ und es ist eine Untersuchung des menschlichen Körpers, unserer Anatomie aber auch von philosophischen Themen. Dadurch, dass das Stück fast noch seine Originalbesetzung hat, hat es sich mit seinen Tänzern verändert, weil die Tänzer älter geworden sind. Der Reifungs- oder auch Alterungsprozess macht sich ablesbar an den Körpern. Das finde ich eine spannende Entwicklung. Diesen Aspekt, den ich damals noch gar nicht mitgedacht hatte, der ist jetzt neu dazugekommen. Insofern ist es spannend, wie das Stück nun noch einmal eine andere Perspektive einnimmt.

Hat dieses Stück  in den Tänzerinnen und Tänzern über die lange Zeit hinweg auch etwas bewirkt?

Eine Tänzerin hat mir einmal gesagt, dass man sie in der Nacht aufwecken könnte und sie könnte das Stück sofort spielen, so nahe ist ihr das gekommen. Ich denke, dass das Stück eine große Intimität auch in der Gruppe erzeugt hat. Es war das erste Stück, das ich für die Schaubühne gemacht habe und ich habe auch das Ensemble zum ersten Mal dafür zusammengesetzt. Insofern hatte das eine sehr starke Gruppendynamik. Es war auch in meiner Arbeit ein Neuanfang, weil ich bis dahin eher sozial-realistische, theatrale Stücke entwickelt habe, mit naturalistischen Bühnenbildern. Ab diesem Stück wurde es sehr viel abstrakter, sowohl die Bühne als auch die gesamte Konzeption. Die Tänzer sind diesen Weg mit mir mitgegangen. Viele Tänzer, die vorher mit mir in den Stücken waren, sind auch in dieser Gruppe und auch diese Veränderung hat sehr viel bei ihnen ausgelöst. Erstmal waren sie eher kritisch, sind dann aber mit mir in diese neue künstlerische Phase eingetaucht und haben sie mitgetragen. Insofern glaube ich, dass dieses Stück viel bei den Tänzern ausgelöst hat.

Warum glauben Sie, kommt dieses Stück nach wie vor so gut beim Publikum an? Was sind die Haupttopics, die so dermaßen interessant sind?

Ob es gut ankommt, kann ich gar nicht so sagen. Es sind Themen, die nichts Modisches an sich haben. Es sind Themen, mit denen wir uns als Menschen auseinandersetzen: Wie, was und wer sind wir? Es beinhaltet eine Untersuchung der Anatomie, die ich das Körpersystem nenne, oder Untersuchungen des Nervensystems, des Skeletts, aber auch Fragen zu Manipulationen am Körper und Körperkult. Zum Zeitpunkt der Entstehung hatte ich eine Geburt hinter mir. Mein Sohn war drei Jahr alt und ich hatte die ganze Schwangerschaft, die unterschiedlichen Arztbesuche erlebt. Die Gedanken, die man sich dabei  über den Körper macht, über Eingriffe, über pränatale Diagnose oder auch Eingriffe in das genetische Material – das waren und sind nach wie vor Ideen, mit denen wir uns stark befassen. Wenn ich mir überlege, dass es jetzt schon 16-jährige Mädchen sind, die sich Schönheitsoperationen unterziehen, weil sie dem Schönheitsideal nicht entsprechen, das ihnen irgendwo vorgegaukelt wird, dann sind das absolut Themen, mit denen wir uns zutiefst auseinandersetzen müssen.

Sind Sie ein künstlerischer Mensch, der den Körper auch als etwas Plastisches versteht?

Mit „Körper“ habe ich begonnen, sehr skulptural zu arbeiten. Darin gibt es unterschiedliche Konstellationen, in denen ich die Zeit einfriere und die Körper dabei fast das Materielle des Fleisches verlassen. Das kommt vor allem dadurch, dass ich diesen Zeitfaktor auflöse, wenn auch nur für ein paar Sekunden. Aber den Körper unter den Aspekten der Skulptur zu untersuchen, hat mich fasziniert und von da ab immer weiter beschäftigt.

Finden Sie, dass Ihre Werke eine starke Nähe zur bildenden Kunst aufweisen?

Ich habe im ZKM eine Ausstellung gemacht, in der ich genau diese Befragung meiner Arbeit vorgenommen habe. Dabei wurden bestimmte Bilder wie Ikonen aus den Stücken herausgefiltert, die ich als Installationen in den Raum setzte. Da ist mir ganz stark bewusst geworden, dass es sehr, sehr viel bildnerische und installative Elemente in meinen Stücken gibt. Die Frage würde ich auf jeden Fall mit „ja“ beantworten.

Sie haben in Ihrer Arbeit immer wieder neue Wege beschritten, Neues ausgelotet. Ihre letzten Arbeiten sind im Bereich der Oper entstanden. Was hat Sie daran gereizt?

In der Oper habe ich die Möglichkeit, mit dem Orchester, den Sängern, dem Chor zu arbeiten und eine Einheit mit Bühne, Licht und Tanz zu finden. Das war für mich sehr spannend, weil meine Arbeit von Anfang an sehr interdisziplinär war und die Oper das ideale Medium dafür ist. Ich habe die Oper unter dem Aspekt der Choreografie untersucht und nenne das auch choreografische Oper.

Könnten Sie uns Ihren kreativen Prozess ein wenig näher beschreiben? Wenn Sie etwas erarbeitet haben, haken Sie dann die Arbeit ab und suchen Sie neue Herausforderungen, oder werden solche auch an Sie herangetragen?

Abhaken kann man nicht sagen. „Körper“ ist der erste Teil einer Trilogie, danach kamen noch „S“ und „noBody“, weil ich gemerkt habe, wie sich vor mir mit dieser neuen künstlerischen Herangehensweise eine ganze Welt öffnet. Zur Oper kam ich tatsächlich über Anfragen, als ich an der Schaubühne gearbeitet habe und meine Stücke sehr viel großformatiger wurden und ich auch mit großem Ensemble gearbeitet habe. Da wurde ich gefragt, was ich denn gerne machen würde und ich habe mich entschieden, Dido und Aeneas von Purcell zu inszenieren. Das hat mich so fasziniert und es war so eine Bereicherung mit dem Orchester, den Chor und den Sängern zu arbeiten, es war so eine unglaublich schöne Erfahrung, dass ich einfach Lust hatte, da weiterzuarbeiten. Künstlerisch nehme ich die Erfahrungen, die ich vorher gemacht habe, ja mit in eine neue Herausforderung. Ich habe viele Jahre über abwechselnd musikalisch und choreografisch gearbeitet, aber Live-Musik mit Orchestern und Sängern wurde tatsächlich immer stärker. Ich habe dann auch die Form der Zusammenarbeit verändert. Ich habe dann musikalische, choreografische Konzerte gemacht. Nicht mehr Opern, weil es für mich spannend war, die Musik zu choreografieren und mit den Musikern zu arbeiten. Jeder Schritt den man geht, hat Auswirkungen auf das Nächste, was man tut. Das ist ja mit unserem Leben auch so. Wenn wir jemanden kennenlernen, dann öffnet der einem möglicherweise wieder eine neue Tür und so ändert sich, je nachdem welche Entscheidung wir fällen, auch unser Weg. Der Prozess ist eine Mischform zwischen einer persönlichen Entscheidung und dem, was einem von außen vorgeschlagen wird. Aber da wählt man ja auch aus, also insofern ist es immer Entscheidung.

Woran arbeiten Sie im Moment?

Ich bereite gerade mein nächstes Jahr vor. Es sind unterschiedliche Projekte, möglicherweise möchte ich etwas mit Film machen, weil das für mich spannend ist und ich das noch nie intensiv untersucht habe. Ich hab zwar auch bei meinen eigenen Stücken Regie geführt, aber wirklich Regie für einen Film habe ich noch nie gemacht. Insofern finde ich das ein spannendes Sujet.

Sind sie ein Mensch, der sich in den verschiedenen Metiers keine Grenzen setzt und auch ohne Scheu darangeht, etwas Neues zu probieren, oder gibt es auch Bauchweh-Momente?

Es gibt natürlich sehr viele Bauchweh-Momente. Wenn man Herausforderungen annimmt, gibt es viele Möglichkeiten, auch viele Konfliktmöglichkeiten. Gerade wenn man in einem anderen, neuen Bereich arbeitet, auch mit vielen Entscheidungsträgern, muss man auch oft Kompromisse eingehen. Das ist alles nicht so leicht. Grenzen finden ist ein absolut essenzielles Thema. Nicht unbedingt künstlerisch, da soll man aus meiner Sicht möglichst frei denken. Aber man muss lernen, sich zu beschränken, weil einfach die Kräfte beschränkt sind. Grenzen ziehen ist ein Thema, mit dem ich mich immer befasse. Nein-Sagen gehört zum Kostbarsten überhaupt. Das muss man auch lernen. Erst mal ist man begeistert und möchte alles machen, aber dann sieht man, dass man auch nur ein Mensch ist mit so und soviel Zeit am Tag.

Was ist für Sie das Interessante am zeitgenössischen Tanz schlechthin? Was ist es, warum Sie sich mit diesem Medium beschäftigen und nicht mit einem anderen?

Der Tanz hat für mich nach wie vor eine Dimension, die den Menschen  über das Wort hinaus erreicht. Er hat etwas, was uns ganz, ganz tief berührt, auch zu unserem Unterbewussten spricht; auch zu dem Geheimnis der Seele spricht. Wir spüren in den Aufführungen, wenn sie gelingen, dass etwas an Erinnerung, an Wahrnehmung, vielleicht auch an Bewusstsein in Gang gesetzt wird . Das kann ich vielleicht vergleichen mit der Musik, denn für mich sind Musik und Tanz wie Bruder und Schwester. Auch in der Musik öffnen wir uns und es ist, als ob die Seele angesprochen wird. Diese Ebene hat der Tanz. Dazu kommt noch die visuelle Ebene, weil der Körper da ist. Tanz kann uns ganz, ganz tief berühren, noch mal anders als bildende Kunst, bei der unsere Sinneswahrnehmungen und unser Intellekt stark stimuliert werden. Das heißt nicht, dass wir nicht im Tanz auch intellektuell gefordert sind. Natürlich, diese Ebene gibt es auch. Ich glaube aber, dass unsere seelische Berührung oder auch unser emotionaler Zugang zum Tanz sich ganz, ganz stark von anderen Künsten unterscheidet.

Links: Homepage Sasha Waltz & Guests

Tanzquartier, Aufführung „Körper“

Pin It on Pinterest