Io sono – je suis – ich binIo sono – je suis – ich bin

Io sono – je suis – ich binIo sono – je suis – ich bin

Michaela Preiner

Foto: ( )

9.

Februar 2011

Kein Wunder, dass man das Wieder-Eintreten in jene unsägliche Welt, in der Zwang und Norm das vorherrschende Element darstellt, gar nicht wahrhaben möchte. Zwar ist der Mensch nun gereinigt, die Nachhaltigkeit jedoch, die Dauer der Purifikation währt nur kurz. Zuerst unmerklich, dann aber immer deutlicher, wird der Bachchoral verfremdet, verzerrt, bis er schließlich ganz in […]

Kein Wunder, dass man das Wieder-Eintreten in jene unsägliche Welt, in der Zwang und Norm das vorherrschende Element darstellt, gar nicht wahrhaben möchte. Zwar ist der Mensch nun gereinigt, die Nachhaltigkeit jedoch, die Dauer der Purifikation währt nur kurz. Zuerst unmerklich, dann aber immer deutlicher, wird der Bachchoral verfremdet, verzerrt, bis er schließlich ganz in einem Soundknäuel untergeht, das nichts mehr mit Göttlichkeit zu tun hat. Wie im Zeitraffer durchläuft der nur mit einem Zingulum bekleidete Tänzer alle Entwicklungsstufen des Menschen, vom Kleinstkind bis zum alten Mann. Dabei verwendet er so einfache Utensilien wie Plastikschüsseln, mit welchen er den Hör-, Seh- oder Geruchssinn veranschaulicht und mit diesem skurrilen Aussehen sogar kurzzeitig ins Reich der Insekten eintaucht.  Als er schließlich im Bühnenhintergrund unter dem Wandelgang zu stehen kommt, wird er von seinem Alter Ego, welches sich darauf befindet, ganz zart über und über mit weißem Staub bedeckt. Seine dunkle Haare färben sich weiß, aber es ist keine Trauer, die ihn befällt ob seines raschen Alterns. Vielmehr drückt sein Tanz unter dem weißen, sanft zu Boden gleitenden Staub Freude aus, so als würde er von etwas bedeckt werden, das Heilung mit sich bringt. Etwas, das Leben spendet und nicht Leben nimmt. Moriti – moriti – tönt es dabei singend aus den Lautsprechern. „Stirb, stirb!“, als lustvolle Aufforderung, welche die Freude am Lebensende betont. An diesem Kulminationspunkt stellen sich Fragen über Fragen: Sollen wir jener Aufforderung folgen, unser Sterben als etwas zu erkennen, das lustvoll sein kann? Heilt die Zeit tatsächlich alle Wunden, oder bringt sie uns einfach einer Heilung, der alles heilenden Heilung, die wir auch Tod oder Erlösung nennen, näher? Ist der weiße Staub zerstörend oder befruchtend oder gar beides? Teddes Alter Ego, das im Stück mehrfach über die Bühne geht, manches Mal unheimlich, manches Mal, wie in diesem Auftritt, segensbringend, war zu Beginn mit einem weißen Imkerhut bekleidet. „Wenn ein Imker zwei Bienenvölker zusammenlegen muss, um beide zu retten, da sie alleine nicht überlebensfähig wären, verwendet er Mehl, das er mit Wasser auf die Insekten sprüht. Vereint im Überlebenskampf, den sie nur dadurch gewinnen können, indem sie sich gegenseitig von dieser Bedrohung reinigen, finden die Bienen so zueinander und wachsen zu einer Familie zusammen“ – auch das erfuhren Interessierte von Tedde im moderierten Gespräch im Anschluss an die Aufführung. Gewiss, das Imkerutensil und die Mehl-Szene wird durch diese Erklärung deutbar. Die individuelle Auslegung dieser beeindruckenden Szene bleibt für mich jedoch aufrecht. Und das tut gut – denn nichts ist schmerzvoller, als eine entzauberte Vorstellung. Tatsächlich gelingt es dem Künstler jedoch, mit seiner mündlichen Erklärung dem Stück noch weitere Dimensionen hinzuzufügen als jene, die man beim Zusehen intuitiv selbst erfassen kann. Das Bild des Bienenvölker rettenden Imkers verweist ja auch auf jene übergeordnete Macht, die Menschen immer dann zusammenrücken lässt, wenn sie von außen Bedrohung erfahren. Egal, ob in einer Familie oder auch in größeren gesellschaftlichen Verbindungen bis hin zu ganzen Völkern, das Prinzip der gegenseitigen Hilfestellung – aus dem Tierreich entnommen – bleibt auch bei den Menschen dasselbe. Je nach eigener Deutungspräferenz kann man an dieser Stelle auch darüber nachdenken, ob dies aufgrund eines Schicksals passiert, das man göttlich determiniert nennen könnte. Oder aber man greift zu Erklärungen, welche jene biologischen oder soziologischen Verhaltensmuster in den Vordergrund stellen, auf welche die Menschen in Notsituationen ganz intuitiv zurückgreifen, ohne viel zu überlegen. Hilfe zur Arterhaltung, um es ganz prosaisch auszudrücken.

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