Der Grenzschützende und die Grenzüberschreitende

Eine Lagerhalle im Nirgendwo. Drinnen eine Asylantin und ein durchgeknallter Soldat. Draußen Polizisten, die in die Halle stürmen wollen. Es dauert zwar ein Weilchen, bis man dieses Setting verstanden hat, aber dann wird`s spannend.

Im VOLX/Margareten wird derzeit in Kooperation mit dem Max Reinhardt Seminar „Isabelle H. (geopfert wird immer) des jungen Oberösterreichers Thomas Köck gezeigt. Erst am Montag hatte sein Stück „Jenseits von Fukuyama“ im Theater in der Drachengasse Premiere. Richtete er den Fokus dabei auf das wirtschaftliche Umfeld, das in Europa derzeit tonangebend ist, gibt er in „Isabelle H.“ den Blick auf zwei Personen frei, die mit ihren Traumatisierungen ganz unterschiedlich umgehen.

Dabei dient ihm die derzeitige Flüchtlingsproblematik als Grundlayer. Daniel, ein aus Afghanistan zurückgekommener junger Soldat (Christoph Rothenbuchner spielt den Charakter glaubwürdig in allen Schattierungen), trifft an einer Autobahnraststation auf „Isabelle Huppert“, wie sich eine junge Frau nennt, die auf der Flucht ist. Wovon genau, darüber lässt der Autor das Publikum selbst urteilen. Ist es ein Verbrechen, das sie begangen hat, oder war ein ein Unfall, bei dem ein Kind zu Tode kam? Ist sie selbst von Schleppern ins Land gebracht worden? Katharina Klar agiert nicht nur als Opfer, sondern als selbstbewusste Frau, die noch dazu zwischen den Welten wandelt. Nicht nur jenen, aus denen sie entkommen und in die anderen, in die sie gerne aufgenommen werden möchte. Alles deutet darauf hin, denn die Sätze, die Köck ihr in den Mund legt, berichten von Sand, von Überfahrten auf dem Meer, vom Robben durch den Wald. Sie erwähnt häufig das Wort Grenze als etwas, das ein Draußen und ein Drinnen markiert. Als etwas, das dennoch nicht zu halten ist.

Klar fungiert als Isabelle H. auch als Bindeglied zwischen dem Theater und der Realität des Publikums. Mehrfach setzt sie ich auf die Treppen des Publikumsranges, spricht, aus der Rolle gefallen, zu den Zusehenden oder verlässt, vor dem Grande Finale, einfach laut schimpfend die Bühne. Thomas Köck hat in ihre Rolle all jene Zweifel eingeschrieben, die ihn offenbar bei seiner Tätigkeit als Theaterautor umtreiben.

Dafür verwendet er auch Einspielungen eines Interviews von Huppert, bei dem durch einfache Filmschnitte der Eindruck erweckt werden soll, als hätte der Autor selbst das Gespräch geführt. Aber nur soll, denn tatsächlich sind die Schnitte sicht-, das Spiel mit dem Spiel spürbar komisch. Darin geht es um die Rolle einer Schauspielerin und um die Identifikationsmöglichkeiten mit verschiedenen Rollen. Explizit gibt Köck bei diesem filmischen Intro dem Publikum auch die Anweisung, sich bei ihm zu melden. Und zwar dann, wenn ein so wichtiger und großer Text wie der kommende, in einer kleinen, unbedeutenden Kellerbühne zur Aufführung gebracht werden sollte. Ein herrliches, selbstironisches Statement, das vielerlei Gedankenspiele hin zum herrschenden Theaterbetrieb eröffnet.

Max Gindorf verkörpert Bastian, einen jungen, eloquenten Arzt, der mit Daniel, dem Soldaten, befreundet ist. Ihm fällt, wie auch allen anderen, auf, dass dieser seit seiner Rückkehr ein seltsames Benehmen an den Tag legt und führt dies auf Erlebnisse in dem Kriegsgebiet zurück. Gindorf mimt neben anderen Figuren aber auch einen Polizisten, der bei einer Überprüfung der Papiere von Daniel getötet wird. Unglaublich, wie wandelfähig der junge Schauspieler in jeder einzelnen Rolle ist, die er an diesem Abend zu spielen hat. Vom introvertierten Nägelbeißer über den coolen Cop, der rasch mitbekommt, dass zwischen der jungen Frau im Auto und dem Soldaten etwas nicht stimmen kann, bis hin zu jenem naiven Polizeikollegen, der sich bei der Erstürmung der Lagerhalle reichlich unbeholfen anstellt – auch für diese Charaktere hat Gindorf einen jeweils anderen Habitus und ein anderes Gesicht parat. Für ihn ist diese Inszenierung aufgrund der Vielseitigkeit seines Einsatzes die beste Visitenkarte für kommende Engagements. Mehr Chamäleon kann man an einem Abend wahrscheinlich nicht sein. Okan Cömert spielt einen herrischen Kommissar, der keine seiner Schlussfolgerungen auf ihre Richtigkeit hin anzweifelt und trotz möglicher Fehlinterpretation das Geschehen mit dem Instinkt eines Spürhundes an seinen richtigen Ort verlagert. Mit Pistolengurt und kleinem Schnauzbart wäre er auch eine filmische Idealbesetzung.

Einer der Stars an diesem Abend kam bei der Voraufführung des Stückes jedoch leider nicht auf die Bühne: Felix Hafner, der für eine exzellente Regie verantwortlich ist. Für ihn hätte es eine riesige Portion Sonderapplaus geben müssen. Er treibt den Krimi mit gefordertem Tempo zwischen Vor- und Rückblenden mit einer extrem tollen Lichtregie beständig voran. Er lässt den Figuren jenen Raum, die sie für die Entwicklung ihres Verständnisses benötigen. Wenige Requisiten, eine kahle Bühne mit Bauplanen und Sandsäcken (Camilla Hägebarth) reichen, um die Situationen verständlich zu machen. Realistische Gewaltszenen – vor allem jene am Schluss, in welcher der Soldat die Frau mit einer Plastikplane, am Boden auf ihr sitzend, erstickt – stehen jenen in Krimiserien um nichts nach. Man ist genötigt, wie das Opfer, seinen Atem anzuhalten und erträgt diese Momente nur schwer. Aber auch Humor blitzt bei Hafner an manchen Stellen wunderbar auf. Wie in jener Szene, in der die befreundete Gruppe, oder ist es die Familie? Daniel nach seinem Kriegseinsatz wiedersieht und seine seelische Deformation erkennt. Sie tragen alle die gleichen Strickpullover, während Peter Alexander sein „Hier ist ein Mensch“ trällert. Die Polizei und die forensischen Mediziner erhalten allesamt bei ihm den Touch von pflichtbewussten, aber nicht gerade sehr intelligenten Menschen. Dies entschärft Situationen, in welchen Köck inhaltlich harten Tobak vermittelt – wie die systematische Erklärung einer Totenstarre in jener Szene, in welcher der Zustand von toten Menschen in einem LKW beschrieben wird.

Näher am Jetzt kann man einen Text schwerlich gestalten und dennoch scheint es im Moment so, als hätte er kein wirkliches Ablaufdatum. Die Sprachgewalt, mit der Köck agiert, die Anspielungen, die er nur so weit ausschmückt, dass man zwar Assoziationen zu tagespolitischem Geschehen hat, aber die dennoch diffus genug bleiben, um auch später einer glaubwürdigen Dramaturgie standzuhalten, zeugen von einer intelligenten Herangehensweise. „Sie kippen ins Selbst hinein, wo nichts mehr ist“, lässt er an einer Stelle den jungen Arzt über seine lang gedienten Kollegen berichten. Psychisch Kranke bezeichnet er als „Kaputtierte“, den ermordeten Polizisten als „Staatsgewaltigen, der umsonst die Pension eingezahlt hat“.

Dass Daniel in Afghanistan mehr erlebt hat als nur Langeweile und ein Catering einer italienischen Firma, wird am Ende in einer eindringlichen, zugleich aber auch höchst kunstvollen Textpassage klar.

Die Mischung zwischen Theater und Aufklärungstext, zwischen Krimi, Lustspiel und Szenen mit hoher Kino Affinität, aber auch sprachliche Hochkarat-Sätze, die im Spiel um Leben und Tod aufblitzen, machen den Abend zu einem Erlebnis.

Toll, dass derzeit junge, österreichische Autoren wie Thomas Köck, aber auch Thomas Arzt oder Ferdinand Schmalz in Wien stark vertreten sind und vor allem auch von der Direktion der großen Häuser gefördert werden.

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