Du kannst alles heilen!

Du kannst alles heilen!

Michaela Preiner

Foto: ( )

15.

August 2016

Ivo Dimchev präsentierte seine Performance I-cure beim ImpulsTanz Festival.

In der derzeitigen Esoterikwelle schwappt oft auch der Gedanke an Land, Kraft einer übersinnlichen Macht Heilungen jeglicher Art durchführen zu können. Ivo Dimchev, bulgarischer Ausnahme-Performer und in Wien beim diesjährigen ImpulsTanz Festival mit mehreren Produktionen vertreten, nahm sich in seiner ihm ganz eigenen Art des Themas an.

I-cure reloaded

Seine Vorstellung „I-cure“, eine überarbeitete Version jener Produktion, die er bereits 2014 in Wien gezeigt hatte, spielt nicht nur mit den gängigen Klischees von Heilsversprechen. Er legt bei dieser „most healing performance on earth“ aber auch seine Finger in eine gesellschaftliche Wunde, für die es bislang kein Heilmittel gibt, das dafür verwendet werden könnte.

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Ivo Dimchev I-CURE (c) Ivo Dimchev

Dimchev schlüpft dafür in die Rolle einer Showmoderatorin, die mit Heilkräften ausgestattet ist. Eine Perücke aus langen blonden Haaren, rot geschminkte Lippen und ein laszives Gehabe bestimmen seine weibliche Erscheinung am Beginn. Dramaturgisch wunderbar durchdacht, verliert er im Laufe des Abends dieses Glamour-Aussehen, um zum Schluss als verweintes Elendshäuflein, bar jeder Haarpracht und weiblichen Attitüde vor dem Publikum zu stehen.

Dieses darf gleich zu Beginn auf kleinen Kärtchen, die auf den Sitzen platziert sind, seine Heilswünsche aufschreiben – mit dem Hinweis, dass diese und noch viel mehr an diesem Abend sicherlich erfüllt würden. Und so wird kollektiv, ausgestattet mit bereit gelegten Kugelschreibern, in der eigenen Biographie gewühlt um Familie, Beruf, Geld oder Gesundheit nach etwaigem Verbesserungspotential zu durchsuchen. Dimchev lässt auf einem TV-Bildschirm einen Wasserfall projizieren, Sinnbild für eine reinigende Kraft, die bei der Heilung Unterstützung bietet.

Die Heilkraft der sexuellen Befriedigung

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Ivo Dimchev I-Cure (c) Ivo Dimchev

Von der rein suggestiv beschreibenden Heilsfähigkeit, die mit übertriebenen Gesten und Worten in das Geschehen einstimmen sollen, geht der Performer langsam über zu einer körperbezogenen – die hauptsächlich seinen Körper wieder in Einklang mit dem Universum bringen soll. Dazu gehören eine Massage genauso wie ein auf der Bühne wohl gefakter Blow-Job und ein zwischen ihm und einem jungen Schauspieler imitierter Geschlechtsakt. Wenn schon, denn schon – so eine Heilung muss schließlich an den Wurzeln des menschlichen Daseins begonnen werden.

Wie auch in anderen seiner Performances verwendet Dimchev selbst komponierte Songs, die er geschickt zwischen die einzelnen Szenen überleitend einbaut. „Cure, cure, cure“ ist einer davon, in dem es – wie sollte es anders sein – um Heilung geht.

Der Kothaufen, der auf dem Bildschirm bald danach zu sehen ist, sollte stutzig machen und tatsächlich ist er ein milder Vorbote eines Fotos, auf dem eine erschossene Frau mit ihren beiden Kindern zu sehen ist. Offensichtlich aufgenommen in einem der derzeitigen nah-östlichen Krisengebiete, verbreitet es keine Heilungs-Stimmung, ist nicht als metaphorische Idee eines Göttlichen zu interpretieren. Das Abbild einer brutalen Wirklichkeit, die uns alle umgibt, die aber niemand von uns wirklich sehen will, bleibt unbarmherzig stehen. Dimchev ist dieser Realität nicht gewachsen, wendet sich ab, verdeckt den Blick auf den Schirm. Seine Publikumsbeschwörung doch die „healing cards“ zu verwenden, sie trifft in diesem Moment das Getriebe jener Illusionsdoktrin, der sich so viele Menschen freiwillig unterwerfen. Das Krachen und Bersten des bis dahin mühsam zurechtgezimmerten Weltbildes, in dem man sich nur kraft seiner Gedanken ein besseres Dasein bauen kann, in diesem Moment ist es im Saal überdeutlich zu hören, wenn auch nur in den Köpfen der Zusehenden. Da mag Dimchev noch so jammern, noch eine neue Argumentationsschleife nach der anderen bemühen, das Kartenhaus ist in sich zusammengefallen. „The healing process“ wurde als ein frommes Wunschdenken aufgedeckt, dass den Grausamkeiten des Lebens nichts entgegenzusetzen hat.

I-cure hat das Zeug zum Performance-Klassiker

Dimchevs Wandlung von einer Diva hin zu einem zutiefst verletzbaren Menschen hat große Klasse. Nicht nur schauspielerisch agiert der Hüne mit einer unschlagbaren Präsenz. Auch die Idee der Performance selbst, sowie das desillusionierende Ende muss ihm erst einmal jemand nachmachen. Die hohe Emotionalität, die in jeder einzelnen Szene mitschwingt, die grandiose Musikalität, die das Geschehen zusammenhält und eine außerordentliche Rollenintensität, die Dimchev präsentiert, all das sind Erfolgsbausteine zu einem Werk, welches das Zeug zu einem wahren Klassiker hat.

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