Wo Ivo Dimchev draufsteht, ist pure Unterhaltung drin

Wo Ivo Dimchev draufsteht, ist pure Unterhaltung drin

Michaela Preiner

Foto: (Krasimir Stoichkov )

7.

August 2022

Ivo Dimchev war zum 15. Mal infolge Gast bei Impulstanz. Zurecht. Denn jede seiner Shows ist und war ein Erlebnis. Zwar verfügt er über einen guten, erkennbaren USP, dennoch widmet sich der Künstler immer neuen Themengebieten. Dabei scheint er mit einer schier unerschöpflichen Kreativität ausgestattet zu sein.

Wer den Performer Ivo Dimchev einmal gesehen hat, weiß, dass Unterhaltung in all seinen Produktionen garantiert ist. Aber auch, dass diese – mag sie auf den ersten Blick flach erscheinen – einen enormen Tiefgang aufweist. Das führt dazu, dass man sich in seinen Shows amüsieren kann, um manches Mal erst danach auf so manch versteckte Gesellschaftskritik zu kommen.

„In Hell with Jesus“ ist seine neueste Arbeit, in der er mit 6 weiteren Performenden auf der Bühne steht. Dabei tut er etwas, wozu eine große Portion Mut gehört. Er präsentiert sich selbst als alternde Showdiva männlichen Geschlechts mit explizit homoerotischen Neigungen. Das Setting zeigt ihn beim Casting für seine kommende Show mit dem blumigen Titel „In Hell with Jesus“. Sowohl die sich bewerbenden Männer als auch die Frauen müssen verschiedene Fragen beantworten und je zwei selbst gewählte Songs von Dimchev singen. Von Beginn an spielt er auf großartige Weise mit der selbst gebastelten Machtposition und schafft es, das Publikum mit einem durchgeknallten Fragenkatalog aufs Beste zu unterhalten.

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„In Hell with Jesus“ (Foto: Krasimir Stoichkov)

Sein Outfit mit goldigst verlängerten Wimpern – ergänzt durch kurze Shorts und ein kariertes Hemd, zeigt schon seine unantastbare, modische Treffsicherheit – ‚ironic off‘. Die aufgemalten Tätowierungen finden sich im optischen Widerhall auch bei seinem Ensemble. Ein kleines Notizbuch leistet ihm Hilfe, wenn ihm die zu stellenden Fragen ad hoc nicht mehr einfallen. Die Antworten, die er erhält, werden ebendort penibelst eingetragen und manches Mal möchte er auch vom Publikum wissen, wie es entschieden hätte, und fordert es auf, mit Handzeichen abzustimmen.

Man muss sich den Kopf zerbrechen, ob man lieber Sex mit Putin oder dem Dalai Lama hätte, ob man lieber reich in Russland oder berühmt in China wäre, oder ob man lieber von einem Soldaten oder dem Premierminister vergewaltigt werden möchte. Nichts, aber auch schon rein gar nichts, was Dimchev von sich gibt, ist politisch korrekt. Jeder einzelne Satz sprengt gesellschaftlich akzeptierte Grenzen. Aber zu jeder Aufreger-Ansage hat er eine humoristische Beruhigungs-Pille parat. In seinem langen Fragenkatalog gibt es wenige Beispiele, die nicht in irgendeiner Form mit Sex zu tun haben. Aber wer schon einmal in einer seiner Vorstellungen war weiß, dass dies so etwas wie sein USP auf der Bühne ist.

Bei der Befragung seiner Casts lässt er jedes Mal auch wissen, wie viele sich schon vor ihnen für die jeweilige Rolle beworben haben. Einmal sind es 135, dann wieder 545 und mit Stöhnen muss er feststellen, dass er noch lange nicht am Ende der Anhörungen angelangt ist. Mit brachialer Subtilität legt er dabei die offensichtlichen Machtverhältnisse im Showgeschäft offen. Zeigt, wozu sich die Bewerbenden hergeben, vergisst aber nicht, mit ihnen auch ein Selfie für Instagram zu machen.

Am meisten Spaß hat er aber, wenn er mit den Kandidatinnen und Kandidaten einen seiner Songs interpretiert. Verflossene Liebe ist dabei eines seiner Hauptthemen, Sexpraktiken ein anderes. Stets begleitet er sich selbst mit einem kleinen Keyboard – dieses Mal mit Gitarrensound und immer, immer sieht man ihm in diesen Momenten an, dass er gerade das tut, was er am liebsten tut: Singen. Neben seiner gelungenen Moderation sind es hauptsächlich diese Momente, die berühren und schließlich in seinem Halal-Song und einem Vodka-Trinklied ihren Höhepunkt finden und das Publikum mitreißen.

Die Mitglieder seines Ensembles, Maria Tepavicharova, Lora Nedialkova, Yordanka Pavlova, Teodor Koychinov, Steven Achikor und Roburt Iliev zeichnen sich durch eine hohe Musikalität und gute Stimmen aus. Ihre professionell gespielte Mischung aus devotem Verhalten und dem Versuch, ihre eigene Persönlichkeit nicht gänzlich aufzugeben, schafft eine Verbindung zum Publikum, das mitleidet und froh ist, nicht selbst an diesem verrückten Casting teilnehmen zu müssen. Wenn der aus Bulgarien stammende Performer, Musiker, Tänzer und Choreograf den einen oder die andere schon lange nach dem jeweiligen Casting von der Bühne aus wieder zu sich ruft, wischt er locker und flockig die Idee weg, einem tatsächlich stattfindenden Casting beizuwohnen. Der Verweis auf das Spiel im Spiel gelingt ihm damit vorbildlich.

Ivo Dimchev besticht „In Hell with Jesus“ mit der Karikierung von bestimmten Mechanismen des Showgeschäftes, aber auch mit der offen zur Schau gestellten, menschlichen Unzulänglichkeit, die zwangsläufig damit einhergehen muss. Was für gewöhnlich geschönt und verborgen wird, mit Glitzer bestäubt und gestreamlint, wird hier gnadenlos aufgedeckt. Dennoch ist die Verpackung derart humorvoll und intelligent, dass man nicht anders kann, als sich bestens zu unterhalten. Dimchev überzeugt in jeder seiner Shows immer wieder aufs Neue. Bewundernswert.

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