Hüpfen bis Arzt kommt

Hüpfen bis Arzt kommt

Michaela Preiner

Foto: ( )

6.

April 2016

Jan Martens Truppe gastierte mit "The dog days are over" im Tanzquartier. Schweißtreibend, muskelstählend und unfassbar.

8 Paar Turnschuhe stehen fein sauber aufgereiht am vorderen Bühnenrand. 8 junge Menschen wärmen sich vor dem Bühnenprospekt der Halle G im Tanzquartier auf. Bewegen ihren Kopf von links nach rechts, schütteln ihre Beine aus. Auf ein unhörbares Kommando formieren sie sich, schreiten nach vor in die Bühnenmitte, zu den Schuhen, ziehen Socken und danach die Turnschuhe an und stehen in Reih und Glied eine ganze Weile unbeweglich. Wie bei einer Musterung. Wie, um sich zu taxieren und miteinander vergleichen zu lassen.

Dann, langsam und kaum merklich wippen sie in den Knien und beginnen, mit beiden Beinen zu hüpfen. Im selben Rhythmus, 1,2,1,2,1,2. Diese schweißtreibende Bewegung wird ungefähr 45 Minuten lang penibel von Piet Defrancq, Julien Josse, Steven Michel, Cherish Menzo, Laura Vanborm, Nelle Hens, Naomi Gibson und Ilse Ghekiere eingehalten werden. Sie hüpfen nebeneinander, wechseln ab und zu dabei langsam die Plätze, hüpfend, versteht sich, formieren sich zu einem sich drehenden Kreisradius. Die Arme leicht abgewinkelt, hüpfen und hüpfen sie, als ob sie von einem Mechanismus aufgezogen wären. Hüpfen und hüpfen, bis man an einem gewissen Punkt versteht, dass diese körperliche Ertüchtigung zur Sucht werden kann. Den Körper aufs Äußerste zu fordern und dabei den Kopf abzuschalten – das tun Millionen Menschen rund um den Globus. Gemeinsam meist in Fitness-Studios, aber viele auch für sich alleine.

Ab und zu gibt es ein laut gebrülltes Kommando, eine laut gebrüllte Zahl, dann wieder wird still weiter gehüpft. Schweißtreibend, wie man nach ca. 30 Minuten an den nassen Oberkörpern sehen kann. Jan Martens Truppe gastierte im Wiener Tanzquartier mit der Produktion „The dog days are over“, was nicht ganz der Wahrheit entspricht. Denn so lange die Truppe auf Tournee ist, sind sie in „dog days“ eingespannt, hüpfen sagenhafte 70 Minuten im Gleichklang, auf lange Strecken sogar in Reih und Glied. Je länger die Vorführung anhält, umso variabler werden die Bewegungen. Als ob unsichtbare Vorturnerinnen oder Vorturner ein Kommando übernommen hätten, geht es weiter ich Laufschritt am Stand. Dabei werden einzelne Körperteile gebeugt , die Hände auf die Oberschenkel geklatscht. Erst nach ca. 45 Minuten dürfen die drei Männer und fünf Frauen für einige Minuten stillstehen. Man atmet tief mit ihnen durch, um fast zu verzweifeln, als die Aerobic-Übungen wieder weitergeführt werden.

In der Mitte der Vorführung lässt Martens, der sich in der Wiener Aufführungswoche einer Knieoperation unterziehen musste, ein klassisches Gitarrenstück erklingen. Während die Hüpfwütigen unbeirrt weiterspringen, darf man dieser extrem kunstfertig interpretierten Musik lauschen. Hier steht die Leistung eines Einzelnen im krassen Kontrast zu einer im Pulk durchgeführten, stupiden Dauerbewegung, die es nicht zulässt, das Schöne, Poetische der Musik auch nur im Ansatz wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil, je lauter die Musik, umso lauter werden die Kommandos gebrüllt.

„Was tut ihr hier, liebe Leute!“, möchte man mehrfach aufstehen und auf die Bühne schreien. Erkennt ihr die Uniformität eurer Bewegungen nicht einmal im Ansatz? Seid ihr so auf euer Äußeres fixiert, dass ihr euch dafür schindet, bis zur völligen Erschöpfung? Wann habt ihr das letzte Mal einfach nur so dagesessen, ein Buch gelesen, Musik gehört? Wann habt ihr selbst versucht, Musik zu machen? Die Social Media sind voll von Selfies auf denen sich Menschen rund um den Erdball in Badeoutfits fotografieren. Vor dem Schlafzimmerspiegel mit Vorliebe. Schaut, wie toll ich durchtrainiert bin! Das ist doch ein Grund zum Herzeigen, oder?

Was ihnen allen, die sich derart schinden meist entgeht, ist, dass diese Beschäftigung, der sie nachgehen, eine völlig unkommunikative ist. Denn hüpfen und springen, auf einer Hantelbank agieren oder das Laufband zu frequentieren – das alles sind Betätigungen, die man alleine ausführen muss und während derer man sich nicht auch noch mit jemandem unterhalten kann. Wie Soldatinnen und Soldaten folgt Martens Truppe den gebrüllten Kommandos und macht unverdrossen und ununterbrochen weiter.

Die quietschenden Turnschuhe und nach einer gewissen Zeit auch der Schweißgeruch, den die acht auf der Bühne verströmen, versetzen einen unwillkürlich in einen Trainingssaal. Und dennoch hat die Performance auch eine ästhetische und poetische Komponente. Die Figuren, die im Gleichklang gehüpft werden, das Auseinanderbrechen und Wiederzusammenfinden folgen nach einem ausgeklügelten Prinzip. Der Klang der auf dem Boden Aufkommenden, auch er kann sich, je nach Betonung des Taktes, verändern und eine Art von Musikalität entwickeln, die man sich im eigenen Kopf zusammenbauen kann.

Im Programmheft ist zu lesen, dass ein Mann aus dem Publikum bei einer Aufführung in Paris gerufen hätte „das ist Folter“ – womit er nicht unrecht hat. Der Unterschied ist aber, dass die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne diese Tortur freiwillig auf sich nehmen. Money rules und schließlich ist das ja ihr Job. All jene aber, die damit kein Geld verdienen, sondern es mit ihren monatlichen Mitgliedsbeiträgen in den Fitness-Studios ausgeben, haben eine andere Motivation. Es ist der Drang, wenn nicht sogar die Obsession, sich in einem fitten, gestählten, muskulösen Körper zu befinden, der sich keines Vergleiches schämen muss. Neben des Fitnessaufbaues hat es den Anschein, als ob sich die Männer und Frauen aufs Äußerste rüsten wollten. Für den Kampf außerhalb des Trainingsraumes, für die Competitions, die in der Gesellschaft stattfinden und aus denen sie siegreich hervorgehen möchten. Gesundheitswahn, die Anforderungen im Arbeitsprozess, der zunehmend auch gestählte Körper benötigt, die Suche nach einem Partner oder Partnerin, all dies sind Gründe, warum sich Menschen in Situationen begeben, die ihnen körperlich das Letzte abverlangen. Nicht zu vergessen der Adrenalinausstoß, der immer und immer wieder abgeholt werden muss.

Jan Martens Stück bietet schon während seiner Aufführung reichlich Gelegenheit, über all diese Komponenten nachzudenken. Auch darüber, wie reduziert Körperbewegungen eigentlich sein können, um damit dennoch einen ganzen Abend spannend zu füllen. Im Schlussbild stehen alle wieder unbeweglich in Reih und Glied. Die Lichttechnik macht es möglich, dass es den Anschein hat, als würden sie von den Zehen bis zum Scheitel gescannt werden. Schließlich muss vermessen werden, was an Muskelmasse aufgebaut wurde.

Beim Nachhauseweg probierten wir es selbst und hüpften auf der Straße eine Zeitlang vor uns hin. Untrainiert, wie wir sind, geben wir keine Auskunft über die Anzahl der Sprünge. Nur so viel sei verraten – bis zur Ampel an der Museumsstraße haben wir es immerhin geschafft.

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