Keine Erlösung für Jedermann

Von Michaela Preiner

„jedermann (stirbt)“ im Burgtheater Wien (Foto: Georg Soulek/Burgtheater)
24.
Februar 2018
Als der Vorhang aufgeht, überrascht das Bühnenbild mit einer Ästhetik, die man so nicht einmal im Museum antrifft.
Über der Bühne schweben Gestalten, eng aneinandergepresst in fleischfarbenen Bodysuits inmitten eines schwarzen Kreises. Bewegungslos, aber höchst anmutig erweckt dieses eingefrorene Tableau auf der Bühne von „jedermann (stirbt)“, das im Burgtheater uraufgeführt wurde, sofort Assoziationen an griechisch-römische Menschen-Darstellungen, wie sie auf Gemmen und Kameen zu finden sind.
Die goldene Wandfläche, die sich rund um die schwarze Trommel erstreckt, in der sich das Ensemble befindet, dehnt sich nach links und rechts, oben und unten auf der prämierungswürdigen Bühne von Olaf Altmann aus. Sie schiebt die Schauspielerinnen und Schauspieler, die nicht gerade in luftiger Höhe agieren, auf das schmale Proszenium. Folgerichtig zählen dort expressives Gestenspiel und kunstvolle Sprechkunst mehr als raumgreifende Aktionen.

Auf diese Weise verdichtet der Regisseur Stefan Bachmann visuell den Text von Ferdinand Schmalz (geb. 1985 in Graz als Matthias Schweiger) und verleiht ihm eine adäquate Umsetzung. Schmalz, mittlerweile bereits vielfach literarisch dekortiert, hat in der Burg mit dieser Aufführung seine Präsenz – zuvor waren Stücke von ihm schon im Vestibül und im Akademietheater zu sehen – verstärkt. Die Antwort des Autors zum Auftrag des Burgtheaters, eine Neufassung des Jedermann zu erarbeiten, ist eine Über-, Neu- und Fortschreibung des Textes von Hugo von Hofmannsthal, der seinerseits auch auf historische Vorbilder zurückgriff. Und eigentlich war – wie nach dem Premierenabend festzustellen ist – die Neubearbeitung des jahrhundertealten Stoffes rund um das Sterben eines reichen Mannes, längst überfällig. In seiner Version hält Schmalz dem Publikum einen gesellschaftlich-zeitgeistigen Spiegel vor, ohne jedoch das Thema respektlos zu übergehen, auf die Seite zu schieben oder unkenntlich zu machen.

In einem gelungenen Gesamtpaket von Text, Regie, Bühnenbild und Kostümen, präsentiert sich „jedermann (stirbt)“ trotz mannigfaltiger Gegenwartsbezüge nicht als abgeschmackte Raubkopie oder umstürzlerisches Theater-Manifest. Vielmehr legen alle Beteiligten – und dabei verdient die Regie von Stefan Bachmann ein lautes „Chapeau“ – den Fokus auf die Wiedergabe dieses Themas quer durch die Jahrtausende der menschlichen Existenz.

jedermann stirbt 119s
„jedermann (stirbt)“ im Burgtheater Wien (Foto: Georg Soulek/Burgtheater)
Da darf Markus Hering, der den Jedermann verkörpert, an einer Stelle in einem eindringlichen Evolutionsgalopp die Entwicklung des Homo sapiens nach der Darwin`schen Theorie sichtbar machen. Vom Vierbeiner zum aufrechten Gang dauert es in der sich drehenden, schwarzen Trommel nicht lange, aber der anfangs gemütliche Menschen-Schritt wird zusehends hektischer, bis schließlich ein Dauerlauf im Hamsterrad Jedermann dort ankommen lässt, wo sich viele Menschen heutzutage wider Willen befinden: In einem Status des atemlosen Getriebenseins, aus dem es offenbar kein Entrinnen gibt. Den passenden, musikalischen Teppich dazu bildet kein geringeres Zitatschnipsel als Philipp Glass` Koyaanisquatsi, mit dem er im gleichnamigen Film die rasende Zerstörung unserer Welt durch die voranschreitende Industrialisierung auditiv illustrierte.

Die Teufelsbrut – die bei Schmalz als „(teuflisch) gute Gesellschaft“ ausgewiesen ist, lacht sich in den ersten Szenen krumm und schief ob der göttlichen Idee des „armen nachbar gott“ (Oliver Stokowski), Jedermann vor seinem Tod noch zu einem Perspektivenwechsel seines Lebens, das rein materiell ausgerichtet ist, zu bekehren. Das mitgelieferte Bild erinnert an Darstellungen auf mittelalterlichen Altarbildern. Wie das Ensemble da vor der goldenen Wand hockt, seine blutroten Zungen herausstreckt, wie sie es mit seinen Händen kleine Teufelshörner imitiert und sich durch Verrenkungen einer mehr tierischen als menschlichen Existenz verspflichtet fühlt, macht beim Zuschauen richtig Spaß. Der Tod – als „buhlschaft tod“ (Barbara Petritsch) von Schmalz deklariert – hingegen trägt eine schwarze Trachtentrauerkleidung wie sie ähnlich auch im 19. Jahrhundert anzutreffen war und tritt mit seiner obligatorischen Sense auf. Die historischen Kostümverweise ziehen sich durch die Verwendung von modischen Dirndl-Adaptionen bis herauf in die Gegenwart.

Mit diesem Kostümverweis schafft Esther Geremus eine wunderbare Klammer zu Salzburg, das jedes Jahr bei den Jedermann-Aufführungen mit Festspieltrachten-Défilees aufwartet. In den unterschiedlichsten Gold-Abstufungen feiert Jedermann und seine Entourage sein letztes Fest, bei dem sogar die Lederhosen gülden glänzen dürfen.

Schmalz` Jedermann ist einer, der nicht nur alle Börsentricks draufhat und selbst in der Krise einer sich anbahnenden Baisse völlig ruhig bleibt. Er steht an der Spitze der Wirtschafts-Weltherrschaft und ist sich bewusst, dass, egal was kommt, sein angehäuftes Kapital gesichert ist. Die Verweigerung, seinem Nachbarn finanziell so zu helfen, dass dieser wieder auf die Beine kommt und die Verknüpfung von Zahlungen an menschenverachtende Bedingungen an seine Vettern, die in der Politik angekommen sind und für ihre Kampagnen mehr Geld brauchen, machen deutlich, dass Jedermann alles andere als philanthropisch ist. Und tatsächlich ist es ein langes Kapitalismus-Sieger-Plädoyer, dass ihn als eiskalten Geschäftsmann entlarvt. Die guten Taten, Hauptmotiv zur Seelenerlösung in den historischen Jedermann-Vorlagen, treten als exaltierte Charity-Lady (Mavie Hörbiger) auf. Dass sie dabei die Publikumslacher auf ihrer Seite hat, zeigt, wie sehr der Autor mit dieser Figur den Nerv der Zeit getroffen hat. Als Mammon wiederum rechtfertigt Hörbiger das Gebaren der Finanzwelt mit der „Zeugungskraft“ des Geldes, das in den Taschen der anderen fickt und wieder Geld gebiert.

Jedermann stirbt 40s
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Jedermann stirbt 28s
„jedermann (stirbt)“ im Burgtheater Wien (Fotos: Georg Soulek/Burgtheater)
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„jedermann (stirbt)“ im Burgtheater Wien (Fotos: Georg Soulek/Burgtheater)
Den größten Turnaround des Abends jedoch schafft nicht die intelligente Regie, die den Text der „(teuflisch) guten Gesellschaft“ unter allen Ensemblemitgliedern verteilt und zum Teil auch chorisch deklamieren lässt. Er liegt auch nicht in den kapitalismuskritischen Passagen oder den eingeschobenen Moritat-ähnlichen Gesängen, die von Sven Kaiser bzw. Béla Fischer jr. live am Klavier und den Electronics begleitet werden. Die wichtigste, neue Interpretation liegt in der Loslösung der mittlerweile moralinsaurer gewordenen Guten-Taten-Idee und der Rolle des Glaubens, die Schmalz links liegen lässt. Sein Jedermann erfährt am Ende keine göttliche Absolution. Ganz im Gegenteil. Die Religion, längst dem wirtschaftlichen, goldenen Kalb geopfert, bietet niemandem mehr Trost und damit auch keine Aussicht auf ein Leben nach dem Tod. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Markus Hering stehend nackt aufgebahrt den verstorbenen Reichen vorführt, löst er sich aus seiner Todesstarre und verlässt die Bühne mit dem Hinweis, dass er es satthabe, stellvertretend als Erlöser für andere zu fungieren.

Die zeitgeistige Sicht auf das Ableben von reichen Menschen wird letztlich in einer knappen Aussage der Trauergemeinde, die sich über das bevorstehende Erbe bereits freut, auf den Punkt gebracht: „der tod kann auch etwas nützliches sein – wenn er nicht einen selber trifft.“ (Original-Schreibweise Ferdinand Schmalz) Langanhaltender Applaus zeigte, dass das Wiener Publikum diese Uraufführung mit großer Zustimmung aufnahm. Diese Inszenierung würde auch Salzburg gut zu Gesicht stehen.

In weiteren Rollen, spielfreudig und höchst bühnenpräsent:
Katharina Lorenz (jedermanns frau)
Elisabeth Augustin (jedermanns mutter)
Markus Meyer (dicker vetter)
Sebastian Wendelin (dünner vetter)

Weitere Termine auf der Homepage des Burgtheaters.

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