Jiddische Musik auf dem globalen Trip

World-music, mittlerweile ein manches Mal schon abgedroschener Begriff, der zu fassen versucht, was in keine regionale oder nationale Schublade passt, kann treffender nicht jene Musik bezeichnen, die anlässlich des Jiddischen Herbstes von Emil Aybinder und Vira Lozinsky im Odeon gespielt wurde. Begleitet wurden sie von Aliosha Biz (Violine), Vlado Blum (Gitarre) und Lango Lakatos (Kontrabass).

Emil Aybinder, ein weltweit bekannter Virtuose,  dem das Akkordeon neben seinem Herz und seiner Lunge, so scheint es, wohl als weiteres Organ mit auf seinen Lebensweg gegeben wurde, agierte bei dieser Formation als “Art-director” und zeichnete auch für alle Arrangments verantwortlich. Der hagere, bebrillte Mann mit krempigem Hut spielt dieses schwierige mehrregistrige Konzertinstrument, als gäbe es für ihn nichts Einfacheres. Um sein Publikum davon auch noch intensiver zu überzeugen, steht er während des Konzertes ab und zu auf um nahe an die Zuseherinnen und Zuseher heranzutreten und ihnen sozusagen hautnah sein Können vorzuzeigen. Tatsächlich ist es aber nicht nur seine Virtuosität, die beeindruckt, sondern seine immense Musikalität und sein Feuer im Blut, das zwischendurch immer wieder in lauten „Hej“ – Rufen aus ihm heraus lodert. Ganz besonders dann, wenn es sich um Weisen handelt, die seiner osteuropäischen Heimat entspringen. Aber auch eine jugoslawische musikalische Erzählung oder argentinische Tangos entlockten dem sonst so stoisch Wirkenden immer wieder Ausrufe der musikalischen Lebenslust. Ihm ebenbürtig in der Formation steht der junge Geiger Aliosha Biz zur Seite, der mit seiner „Fidel“ dieselbe Faszination ins Publikum trägt, die er wohl selbst für die Musik empfindet. Es gibt keine Stelle, an der er nicht Präsenz zeigte. Ob bei einem kleinen Duett mit dem Akkorden oder bei einem furioses Solo, nach dem man ihm alles auf dem Instrument zutraut, was nur spielbar ist.

Einen ruhenden Gegenpol dazu – so kurios dies auch klingen mag – bildete Vira Lozinsky, eine der wichtigsten, zeitgenössischen Interpretinnen von jiddischen Liedern. Ihre langen, roten Haare, ihre samtweiche Stimme und die von ihr sparsam eingesetzten Gesten konzentrierten die Aufmerksamkeit tatsächlich auf den Inhalt der von ihr gesungenen Lieder. Und der reichte von Liebeserklärungen an Menschen und Orte bis hin zu feurigen Tanzanleitungen. Egal, aus welcher Ecke dieser Welt die Melodien auch stammten – mit ihrer Interpretation erhielten sie alle einen starken Bezug zur osteuropäischen Gesangtradition. Genau diese Mischung machte den Abend im Odeon aber auch so interessant und reizvoll. Klänge aus Moldawien, Polen, Russland vermischten sich mit jiddischer Klezmermusik und argentinischen Tangorhythmen – und manchesmal hatte es den Eindruck, als vereinigten sich all diese Einflüsse sogar in einem einzigen Stück. Besonders berührte die musikalische Liebeserklärung “In der Finster”, bei der sie nur Vlado Blum zart an der Gitarre begleitete. Eine kleine, pathosfreie Ode and die Zartheit eines Geliebten, die sich besonders in der dunklen Nacht zum Erkennen gibt.

Michael Felsenbaum, der Vater von Vira Lozinsky, steuerte die Texte vieler Lieder bei und eine enthusiasmierte Fangemeinde im Saal sorgte für beste Akklamationsstimmung. Wie auf einer imaginären Reise in einem tief fliegenden Luftschiff über weite Länder, tiefe Täler, kleine Städtel, flache Küstenstreifen und rauchgeschwängerte Tanzlokale folgte das Publikum dem musikalischen Wunderweg.  Einem  “wondrous way” der nicht nach Herkunft fragt sondern alle Menschen in der Freude an der Musik vereint. Die charmante und herzliche Angelica Schütz begleitete die Interpreten und Vira Lozinsky einfühlsam mit kurzen, erhellenden Kommentaren und trug als Vermittlerin zwischen den vielen Welten maßgeblich zum Gelingen der Reise bei.

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