Ich habe so etwas wie professionelle Kinderaugen
17. September 2015
Wies Merkx ist eine holländische Choreografin mit einer etwas anderen Aufgabe. Ihre Stücke werden zwar von Erwachsenen getanzt, sind aber für Kinder gedacht.
Elisabeth Ritonja
Die Choreografin Wies Merkx (c) Dschungel Wien
Foto: ()

Wies Merkx ist eine holländische Choreografin mit einer etwas anderen Aufgabe. Ihre Stücke werden zwar von Erwachsenen getanzt, sind aber für Kinder gedacht. Anlässlich der Premiere von „Kind im Wirbelwind“ im Dschungel Wien führte Michaela Preiner mit ihr ein Gespräch.

Merkx arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Choreografin und hat sich keine geringere Aufgabe gestellt, als „Kindern jenen Tanz zu bieten, den sie verdienen.“ Bis vor 2 Jahren leitete sie „De Dansers“ in Utrecht, die sie an die jüngere Generation übergeben hat.

„Meine Hauptarbeit besteht darin, den Tanz für die Kinder mit professionellen Tänzern verständlich zu machen, die Kinder tanzen dabei aber nicht mit. Manches Mal kommen die Kinder danach auf die Bühne oder drücken sich auch später in ihrer eigenen Art und Weise aus. Wir helfen Lehrern auch in der Schule, wenn sich Kinder mit Bewegungen ausdrücken möchten.

Sie haben Ihre eigene Compagnie abgegeben?

„Ja, aber ich bin aber dort gewissermaßen noch präsent, da meine Stücke nach wie vor gespielt werden. Aber ich habe damit nichts mehr zu tun, was mir die Möglichkeit gibt, jetzt mit anderen Compagnien zu arbeiten. Die beiden weiblichen Tänzerinnen, die jetzt in Wien auftreten, sind Tänzerinnen aus meiner alten Compagnie. (Steffi Jöris, Maartje Pasman) Sie waren so gut und so gut ausgebildet, dass sie gebeten wurden, nach Wien zu kommen.“

Dann war das also Ihre Schuld?!

Ja, ich habe sie offenbar zu gut ausgebildet! (Wies Merkx lacht dabei herzlich)

Wie viele Produktionen haben Sie für Kinder gemacht?

Ungefähr 40, wobei 3 davon noch immer aufgeführt werden. Das sind wirklich große Stücke, die ich mit den Leuten erarbeitet habe, die sie jetzt tanzen. Dabei gibt es auch eine Live-Musik. Vor fünf Jahren habe ich angefangen, mit Live-Musikern zu arbeiten. Mit einer Pop-Band und Singer-Songwritern. Das haben wir mit einem aufregenden Tanz für 15 bis 16-Jährige kombiniert. Es gibt aber auch ein Stück für kleinere Kinder mit einer Live-Band. Ein Stück davon wurde für Berlin erarbeitet. Das war eine internationale Produktion. (Anmerkung: Titel – „Roses – einsam.gemeinsam“ wurde mit dem IKARUS Theaterpreis 2013 ausgezeichnet und war in Wien 2014 im Rahmen von Szene Bunte Wähne im WUK zu Gast.)

Wie kommen Sie zu den Ideen für Ihre Stücke?

Jetzt ist das viel leichter, weil ich mich nicht mehr um alles kümmern muss. Jetzt kann ich machen, was ich will. Was mir immer wieder in den Sinn kommt und worüber ich viel nachdenke ist, dass Kinder manches Mal mit etwas überfordert werden. Zum Beispiel fliegen Kinder heutzutage um die ganze Welt oder auch das Thema Flüchtlingskinder. Diese Kinder haben Probleme, die für sie schlicht zu groß sind. Kinder sind sehr stark und sehr flexibel, aber manches Mal ist die Herausforderung übermächtig, damit können sie dann nicht umgehen. Das ist sehr schmerzlich. Als ich darüber nachdachte, hatte ich das Gefühl, dass ich die Thematik ganz leicht in die Körper der Tänzer übersetzen konnte. Für mich formte sich ein Bild, das gut in Tanz übersetzt werden kann. So habe ich mir eine Situation ausgedacht, in welcher der Tänzer seinen Körper nicht mehr komplett kontrollieren kann, nicht mehr Herr seiner Bewegungen ist. Vielmehr sind die Tanzenden bei der Choreografie in Gefahr und müssen einfach darauf vertrauen, dass es schon gut gehen wird, sonst würden sie fallen. Ich habe die Tänzer gebeten, sich ganz der Bewegung hinzugeben, das ist das Material für „Kind im Wirbelwind“.

Wenn ich ein Thema finde, dann weiß ich, dass ich die Übersetzung mit den Körpern von Tänzern durchführen kann. Ich mache es mit Tanz anstelle von Worten, Film oder Fotos. Das Thema, die Übersetzung in den Tanz und viele kleine Bilder, die ich dabei im Kopf habe, wie zum Beispiel Momente, an die ich mich aus der eigenen Kindheit erinnern kann, all das zusammen lässt dann ein Stück entstehen.

Sie sprechen mit Kindern auch über die Stücke. Wie ist Ihre Erfahrung? Verstehen die Kinder immer, was Sie ihnen sagen und zeigen wollen?

Ich spreche nie über das Verstehen. Ich würde niemals fragen: „Habt ihr das verstanden?“ Ich verstehe vieles selbst kaum. Was ich zeigen will, ist oft schmerzhaft, oder auch sehr schön. Es kommen Momente vor in denen man denkt, dass man verloren ist, aber tatsächlich ist dann doch jemand da. Es gibt Augenblicke, die auch für mich ganz schwer zu erklären sind. Von meiner Seite aus sind das sehr gefühlsbetonte und auch assoziative Momente. Da würde ich die Kinder nie fragen, ob sie das verstanden haben. Ich spreche mit ihnen auf einem sehr einfachen Level. Das kann dann sein: „Oh, das muss ja sehr weh tun“, oder auch: „Ich glaube, sie ist zu müde, um hier weiterzumachen.“ Diese Momente, die sich aus der Situation ergeben, sollten für die Kinder ganz klar erkennbar sein. Und das ist mehr als das Fragen nach: „Wer sind sie, wo sind sie, warum sind sie, was ist das für ein Stück?“ Ich präsentiere Situationen, die klar und deutlich sind. Für ein Kind kann eine Situation Angst einflößen, andere wiederum lachen, weil sie es lustig finden. Andere sagen: „Wow, das ist wie ich und mein Fahrrad oder wie ich und meine Mutter oder mein Bruder.“ Jedes Kind hat seine eigenen Assoziationen.

Es gibt nicht viele Choreografinnen oder Choreografen, die ausschließlich für Kinder Stücke machen. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich hatte davor eine Compagnie für Erwachsene und dann sagte mir jemand, ich glaube, du kannst was für Kinder machen. Und plötzlich wusste ich, dass das mein eigenes Ding ist, das ich sehr liebe. Zu Beginn war es sehr einfach. Denn ich wusste, wenn ich mich langweile, dann langweilt sich auch ein Kind. Jetzt habe ich so etwas wie professionelle Kinderaugen. Ich fühle schnell, wenn etwas zu kompliziert ist. Ich möchte es einfach, schön und pur. Ich kann die Kinder richtig hinter meinem Rücken spüren, deswegen ist das sehr leicht für mich. Vielleicht sagt das auch etwas über mich selbst aus.

Glauben Sie, dass die Stücke bei den Kindern etwas bewirken, dass sie einen Einfluss auf die Kinder haben?

Heute Nachmittag hatten wir eine Vorstellung, die mein Sohn gemacht hat. Im Hof eines Kinderhauses. Dort sind schwierige Kinder, die keiner haben will. Die sahen das Stück mit den Tänzern und man konnte sehen, wie der Tanz sie beeinflusste und Respekt bei ihnen hervorrief. Das machte sie glücklich, respektvoll und sie hatten den Drang, sich danach auch selbst zu bewegen. Dabei hat sie ein Tänzer in die Höhe gehoben, was sie unglaublich stolz gemacht hat. Sie wollten danach mit ihm auf einem Foto sein. Dabei spürt man, wie positiv das für die Kinder ist. Diese Kinder befinden sich in schwierigen Situationen, haben Gewalt erlebt. Und plötzlich erhebt sich die Situation in der sie sich befinden und sie fühlen Vertrauen, Glück, Bewegung, Freude am Spiel. An diesem Nachmittag habe ich wieder gesehen, dass gute, einfache Bewegungen Kindern viel Positives bringt. Es war ein Hin- und Her zwischen – „ihr wart ein gutes Publikum“ und „nein, wir wollen uns bei euch bedanken.“ Es entsteht eine sehr positive Energie in so einem Fall. Das ist das, was ich bei allen Aufführungen spüre. Wir geben viel Energie, aber wir bekommen diese Energie auch wieder zurück. Die Kinder sind so glücklich, dass sie einen danach förmlich auffressen möchten. Man kann auch sehen, dass Kinder nach einer solchen Aufführung sich regelrecht erleichtert fühlen.

Die Reaktionen von jungem Publikum sind direkter, purer.

Ja, aber auch stark physisch. Nach 20 Jahren in meinem Beruf habe ich beschlossen, rein physisch zu arbeiten. Davor war ich auch an Literatur interessiert, an Gedichten. Auf der Bühne arbeitete ich aber nur mit der physischen Komponente. Wenn man fällt, dann fällt man und das tut weh. Eine Umarmung ist eine Umarmung, weich ist weich und hart ist hart. Ich wollte erforschen, was diese puren Momente wirklich sind, tiefer in sie eintauchen und schauen, was man mit ihnen machen kann.

Wenn Sie ein Stück fertig haben, sind Sie sich sicher, dass es auch funktioniert? Vielleicht allein schon aus Ihrer großen Erfahrung heraus?

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich weiß, wie man es so pur machen kann, dass es zumindest wenigstens echt rüberkommt. Ich glaube zumindest, dass die Kinder mit der Vorstellung mitgehen. Und ich fühle auch, wenn ein Stück für mich sehr aufregend ist. Und da bin ich mir ziemlich sicher, dass auch die Kinder das fühlen. Es gibt auch Dinge in einem Stück, die ich machen will. Dinge, die nicht einfach zu beschreiben sind. Aber in meinem Herzen bin ich doch sicher, dass es funktioniert. Aber sicher sein kann man sich ja nie. Es kann ja auch etwas mit den Tänzern sein. Sie können unsicher sein. Was heute gut ist, kann morgen schon ganz anders sein. Wenn sich die Tänzer nicht gut fühlen, schaut alles ganz anders aus. Dann kann der Zauber weg sein, und alles ist verloren. Das ist Arbeit mit Menschen, das sind keine Maschinen bei denen man auf den Knopf drückt und es kommt immer das selbe raus.

Gab es auch unerwartete Reaktionen bei den Stücken?

Ja, klar. Vor allem viel Positives, auch von Erwachsenen. Manche weinten zum Beispiel.

Denken Sie bei der Erarbeitung einer Choreografie auch daran, dass Erwachsene im Publikum sitzen?

Ja, weil ich weiß, dass die Stücke auch für Erwachsene funktionieren müssen. Auch für die Lehrer in den Schulen zum Beispiel. Ich habe auch erlebt, dass kleine Kinder einschlafen wollten und die Mütter sagten: “ Pssst, ich möchte gerne die Vorstellung sehen!“ Ich mag es, wenn Kinder und Erwachsene gemeinsam bei der Sache sind. Jedes Stück sollte auch für Erwachsene nett sein.

Sie kaufen ja auch die Karten!

Ja genau. Ich mache es aber nicht mit dieser Absicht. Aber ich denke, ein nettes, einfaches Kinderbuch macht auch einer Mutter Freude, wenn sie es vorliest. Da liebt man die Worte, wie sie ausgesucht wurden, die Geschichte, da denkt man, das ist eine Geschichte, die ist für alle von uns. Wenn es pur und einfach geschrieben ist, dann denkt man sich, ja, das ist eigentlich eine Geschichte über uns.

Warum sollte sich das Publikum Ihre Stücke ansehen?

Wenn die Menschen bewegte Körper lieben, wenn sie gerne nahe an der Bewegung sein möchten, wenn sie Körper, Tanz, das Physische, auch das Gemeinsame erleben möchten, wenn sie erleben möchten, dass Menschen einem etwas erzählen, von dem man berührt wird, dann sollten sie kommen. Und wenn die Leute, die das lieben kommen, dann wäre ich auch rundum glücklich.

Link zu „Kind im Wirbelwind“ im Dschungel Wien hier

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