Der Unterschied zwischen Klang und Geräusch

Der Unterschied zwischen Klang und Geräusch

Michaela Preiner

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5.

November 2012

Die beiden Zitate – aus der Internetenzyklopädie Wikipedia entnommen - lassen sich gut vor eine Besprechung des Konzertes des Talea Ensembles stellen, das im Rahmen von Wien Modern im Konzerthaus einen Abend zum Besten gab, der ausschließlich Werken von Olga Neuwirth gewidmet war.

„Ein Klang (von mittelhochdt.: klanc) ist im Unterschied zum Tongemisch ein Schallsignal mit harmonischen Teilfrequenzen, dem das menschliche Gehör eine Tonhöhe zuordnen kann.“ „Geräusch (von Rauschen) ist ein Sammelbegriff für alle Hörempfindungen, die nicht ausschließlich als Ton oder als Klang bezeichnet werden können. Ursache für ein Geräusch sind Schwingungsvorgänge, die in der Regel nicht periodisch verlaufen und sich in ihrer Struktur zeitlich ändern können.“

Die beiden Zitate – aus der Internetenzyklopädie Wikipedia entnommen – lassen sich gut vor eine Besprechung des Konzertes des Talea Ensembles stellen, das im Rahmen von Wien Modern im Konzerthaus einen Abend zum Besten gab, der ausschließlich Werken von Olga Neuwirth gewidmet war. Geübte Wien-Modern-Besucher wissen, dass Konzerte wie dieses normalerweise immer mit großen Erkenntniswerten gespickt sind, was an diesem Neuwirth-Abend auch tatsächlich der Fall war. Aufgrund der klugen Auswahl der Kompositionen war es möglich, Bezüge, Ähnlichkeiten aber auch Brüche und Divergenzen zwischen den unterschiedlichen Stücken zu erkennen. Dies umso mehr, als sich mit der ersten Komposition „indidendo/fluido für Klavier und Zuspiel-CD und der letzten „torsion: transparent variation für Fagott, Ensemble und Zuspiel-CD“ ein Kreis zu schließen schien.

text olga neuwirth Marion Kalter

Olga Neuwirth (Foto: (c) Marion Kalter)

Beide Kompositionen leben und erhalten quasi einen doppelten Boden durch ihre elektronischen Einspielungsergänzungen, wenngleich auch auf unterschiedliche Art und Weise. Muss beim erstgenannten Stück das Publikum damit kämpfen, seine Aufmerksamkeit zwischen einem monotonen, durch geringe Abweichungen in der Lautstärke und auch Tonhöhe stetig präsenten Ton und dem pianistischen Livegeschehen zu teilen, hat Neuwirth die elektronischen Einspielungen im letzten Stück separat als eigenständige Einschübe zwischen die Live-Performance des Ensembles gesetzt. Beide Varianten ergeben gänzlich andere Sinneswahrnehmungen, die weit über Hörsensationen hinaus gehen. Sam Pluta, der das erste Stück bravourös pianistisch meisterte, oszilliert häufig zwischen einer nervösen Grundstimmung mit vielen, kleinintervalligen Stakkati und langsamen Passagen, in welchen breite Bassakkorde die Stimmung beruhigen. Dennoch ist man ständig irritiert und hat auch das Gefühl, dass der Pianist selbst sich von der Last des nach kurzer Zeit aufkommenden Dauertones gerne befreit sähe. Zwischendurch erhascht man Bruchstücke einer kleinen Glockenmelodie, die von einem alten Karussell eines antiquierten Jahrmarktes zu uns herüber zu wehen scheint. Dieses Nebeneinander verschiedener Klangrealitäten kann als ein spezielles Charakteristikum in Neuwirths Kompositionsweise angesehen werden – es ist bei Weitem nicht das einzige Stück, in dem diese zusätzliche Ebene angewendet wird. Das Parallelgeschehen der Einspielungen und der Live-Performance ist in incidendo/fluido jedoch nicht nur irritierend. Vielmehr regt es zu vielen Gedankenspielen und Fragen an. Wie zum Beispiel wo die Grenze zwischen einer Geräusch- und Klangkulisse verlaufen und ob Geräusche von uns neben einem Klangteppich per se als störend empfunden werden müssen oder vielmehr als Ergänzung angesehen werden können, die neue Klanräume eröffnen. Auch die Frage nach dem Verhältnis und Wert von Kontinuum und Abwechslung stellt sich zwangsläufig und springt automatisch weg vom akustischen Geschehen.

Im Abschlussstück „torsion: transparent variation“, das James Baker minutiös genau dirigierte, fanden sich die elektronischen Einspielungen, wie schon erwähnt, exakt vom übrigen Klanggeschehen abgegrenzt. Die Live-Passagen dieser Komposition überlappen sich nicht mit den Geräuschen und Klänge aus der Dose, kommen sich nicht in die Quere, sondern ergänzen sich aufs Beste. Besonders hervorzuheben ist dabei die Leistung des Fagottisten Adrian Morejon, der streckenweise einen langen Atem zu beweisen hatte. Seine lang gezogenen, klaren Dauertöne sind ein immer wiederkehrendes akustisches Merkmal, das Neuwirth einem dichten Klanggeschehen im Ensemble entgegensetzt. Auf- und absteigende Linien und zwischendurch starke, durch das Schlagwerk unterstützte, Rhythmisierungen beleben die Komposition und lassen sie in vielen unterschiedlichen Klangfarben flirren. Lange Zeit ist man sich nicht sicher, welcher Geräuschkulisse die Einspielungen entnommen sind, erst gegen Ende des Stückes wird verzerrt eine kleine Klezmer-Melodie erkennbar. Und ab diesem Moment bekommt das Stück eine weitere, tiefere Dimension. Historisches verbindet sich mit Zeitgenössischem, das sich wiederum seiner Historie erinnert und damit seine Wurzeln offenlegt. Eine Kompositionsmethode, die Neuwirths Stücke nicht nur klanglich interessant machen, sondern darüber hinaus mit vielerlei zusätzlichen Bedeutungsebenen ausstatten.

Musik ist bei Neuwirth nicht nur Musik, sondern, so hat es den Anschein, oft Mittel zu philosophischen Erkundungsgängen, die immer eine Vielzahl von möglichen Wegen aufzeigen oder zumindest anreißen. Eindimensionales Denken kommt dabei nicht vor – Parallelitäten, Hypertrophien und Gegensätzliches vermischen sich, so wie dies auch in unserem Leben abseits des Konzertsaales tagtäglich vorkommt – ohne dass es von uns zwangsläufig wahrgenommen wird.

Der harte, bissig-brüchige Celloton, der sich mit furiosen Fagottpassagen in „In Nacht und Eis“ vermischt, und mittels Ringmodulator klanglich noch verschärft wird, trägt dazu bei, dass man das Stück nicht nur ob seines Titels als Programmmusik auffassen könnte. „Ad auras…in memoriam H.“ für zwei Violinen und Holztrommel ad lib. stellt dabei zwei ungleich gestimmte Geigen in hohen, feinen Dissonanzpassagen immer wieder gegenüber, lässt Themen wechselseitig aufnehmen oder in einem Echo wiedergeben und von harten Holzschlägen kräftig akzentuieren. „Akroate Hadal“ für Streichquartett schließlich widmete sich weiträumig der Erkundung neuer Klangspektren von Saiteninstrumenten, was als weiteres Neuwirth-Charakteristikum angesehen werden kann. Eine Geige oder Bratsche von ihren Klangmöglichkeiten so zu handhaben, wie wir dies gewohnt sind, kommt bei Neuwirth nicht vor. Exemplarisch kann das Stück für all jene stehen, in welchen sie spannungsgeladen vom Klang zum Geräusch wechselt, so lange, bis im Bestfall diese Geräusche als neuartige Klänge erkennbar werden können. Geräuschsensationen und seien sie beim ersten Hören auch noch so irritierend, verlieren rasch ihre Irritation und verwandeln sich in Passagen, in deren Wiederkehr bald ein Erkennungsmoment liegt.

Und dennoch: Auf dieser Welt ist nichts so, wie es auf den ersten Blick oder Ton zu sein scheint. Olga Neuwirth zeigt dies in einem jeden ihrer Stücke aufs Neue.

Weitere Infos zu den erwähnten Arbeiten liefert Stefan Drees im Katalog von Wien-Modern, die Texte sind jedoch teilweise unter dem Titel „Vom Aufrauhen der Klänge. Notizen zu Olga Neuwirths Kammermusik“ auch auf der Homepage von Olga Neuwirth selbst gut nachzulesen.

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