Nichts für schwache Nerven

Nichts für schwache Nerven

Michaela Preiner

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2.

Juni 2022

Blut will Blut. Diesen Satz aus „Macbeth. Nach William Shakespeare“ von Heiner Müller hat der Regisseur Stephan Rottkamp mehr als wörtlich genommen. Die Inszenierung des Stückes im Grazer Schauspielhaus beginnt blutig und endet blutig. Dazwischen: Blut kübelweise.

Heiner Müller hat Shakespeares Drama in den 70er-Jahren neu übersetzt, blieb dabei aber sehr eng an der Geschichte selbst. Der große Unterschied besteht nicht nur in der Sprache, in die man sich bei Müller – genauso wie bei Shakespeare – erst einmal einhören muss. Müller kürzt die Geschichte rund um die Erlangung der Königskrone von Schottland und schafft dadurch einen stärkeren Fokus auf das Grauen des Geschehens an sich. Zugleich führt er aber auch eine weitere Personenebene ein und verweist auf die Leibeigenschaft der Bauern, deren Abhängigkeit von ihren Herren, aber auch auf deren Brutalität, die sich in nichts von jener der Obrigkeit unterscheidet.

Stephan Rottkamp verfährt in seiner Bühnenfassung ähnlich. Er spart ebenfalls Charaktere ein, was eine abermalige Verdichtung bedeutet und lässt zu Beginn Nebel aus dem Kühlhaus eines Schlachthofes wallen. Schon die erste Person, ein Soldat, der aus der Schlacht kommt und über diese berichtet, lässt er nackt und blutig auftreten. Die Verstörung, die er damit bewirkt, ist jedoch nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was noch kommen wird.

Obwohl Schottlands Herrscher, König Duncan, in feines Tuch gewandet ist, erkennt man auch an seinen Beinen und Armen Blutspuren und beginnt zu verstehen: Er, der an Schlachten nicht mehr teilnehmen muss und vom Ausgang der Kämpfe nur mehr von Boten erfährt, hat seine Macht genauso mit Mord- und Totschlag aufgebaut wie jene, die nach ihm folgen werden. (Kostüme Esther Geremus)

Mit einer abstrakten, aber effektiven und sehr ästhetischen Bühnenausstattung (Robert Schweer) gelingt es in wenigen Augenblicken, das Geschehen von Duncans Königshof in die Burg von Macbeth zu transferieren. Große, weiße Quader, die sich quer über die Bühne spannen, werden dazu auf- und abgezogen und rhythmisieren so aufs immer Neue den Raum.

Die Besetzung von Macbeth durch Florian Köhler und Lady Macbeth, Sarah Sophia Meyer, erzeugt schon rein optisch ein charakterliches Gegenpaar, das sich dennoch todbringend bestens ergänzt. Meyer gelingt es ohne groß erkennbare Emotion, viele Charakter-Register zu ziehen. Sie spannt den Bogen von der machtbesessenen Todes-Einflüsterin, bis hin zur erschrockenen und zurückweichenden Gemahlin, die sich vor ihrem eigenen Mann zu fürchten beginnt.

Florian Köhlers Macbeth ist weder ein einfacher Charakter noch ein eindimensionaler Mörder. Er schwankt zwischen einem zögerlichen, nachdenklichen Mann, der von seiner Frau zur Ermordung des Königs gedrängt wird und einem machtbesessenen Charakter, der nicht davor zurückschreckt, Freunde, aber auch Frauen und Kinder morden zu lassen. Je weiter das Spiel voranschreitet, je öfter er mordet und morden lässt, umso skrupelloser wird er. Besonders beeindruckt dabei die Durchlässigkeit von Köhlers Spiel. In einer Szene, in welcher er seinen ehemaligen Freund Banquo wie einen ihn weit Untergebenen behandelt, verspürt man bei Köhler alias Macbeth viel Menschliches: Lust und Freude am Spiel einerseits, aber auch Lust und Freude an einer besonderen Art von Demütigung. Dass Macbeth auch abseits des Schlachtfeldes zu Gräueltaten fähig ist, wird kurz nach Beginn des Stückes klar. Da foltert er – mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau, einen Bauern, der seine Abgaben nicht bezahlen kann. Es ist eine der brutalsten Szenen der Inszenierung, für die man gute Nerven braucht, oder die Augen so lange verschießt, bis die Schreie des Gepeinigten verstummen. Diese realitätsgetreue Wiedergabe, diese blutrünstige Darstellung von äußerster Brutalität ist es, die einem den Atem stocken lässt. Aber auch Bilder wie jene von Macbeth, der als strauchelnder König, in Blut watend, sein Gleichgewicht verliert und mit seinem überdimensionierten Hermelinumhang schlitternd und wankend immer wieder zu Boden fällt. Hier kippt bei den Zusehenden die Emotion von Abscheu in Mitleid, von Hass in Empathie, was einer emotionalen Achterbahn entspricht.

Untermalt wird das Geschehen – bis auf den allerletzten Akt – durchgehend von Sound- und Musikeinspielungen. (Nikolas Neecke). Das Theater hat in den letzten Jahren viel vom Film dazugelernt und Rottkamp nutzt diese zusätzliche Ebene gekonnt, um das Gezeigte damit emotional noch zusätzlich subtil zu verstärken. Mit einem Klassiker der Popgeschichte – „Stuck in the middle with you“ der britischen Pop-Band Stealers Wheel aus den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts – erhält die Darstellung von Macbeth, seine Angst um den Erhalt seines zu Unrecht erworbenen Throns, einen neuen Drive. „I’m so scared in case I fall off my chair and I’m wondering how I’ll get down the stairs” ist eine der Textzeilen daraus. Nicht nur, dass die Lyrics wie für Macbeth geschrieben scheinen, auch dramaturgisch ist der musikalisch-witzige Einschub gut gesetzt. Entlastet er doch für kurze Zeit das Publikum von der Schwere der blutgetränkten Geschichte und erlaubt eine Verschnaufpause, bevor die nächsten Morde von den beiden Gedungenen, die mit ihrem König noch fröhlich zur Musik tanzen, ausgeführt werden.

Dass das Ende von Macbeth und seiner Frau ohne Soundbegleitung gezeigt wird, bewirkt eine letzte, jedoch umso heftigere Irritation. Kommt dabei doch das Gefühl auf, dass die Realität nun das Spiel zu überholen beginnt. Der Tod von Lady Macbeth wird mit einem starken Bild begleitet – mit blutbesudeltem Gesicht fällt sie lautlos zu Boden. Aber auch der spektakulär-unspektakuläre Abgang des Königs selbst gestaltet sich genauso unerwartet wie unkonventionell.

Dass wir heute im realen politischen Weltgeschehen derart viele Parallelen vorfinden, schmerzt extrem. Eine ähnliche Erfahrung beschrieb der Theaterkritiker und Dramaturg Martin Linzer 1983 in einem Heft von ‚Theater in der Zeit‘. „Zehn Jahre nach der Niederschrift des Textes (Anmerkung – es ist der Text von Heiner Müller gemeint) brennt die Welt an vielen Ecken, geschehen vor den Augen der Welt die Massaker in Beirut, ist die Menschheit vom Wahnsinn atomarer Hochrüstung bedroht.“ Und auch ein Teil aus dem sehr lesenswerten Interview mit Stephan Rottkamp, abgedruckt im Programmheft, soll hier zitiert werden: „Despoten haben wir genug, die mit einer kleinen Clique die Macht an sich gerissen haben und rücksichtslos die eigenen Ziele verfolgen. Das wird so natürlich nicht „eins zu eins“ auf der Bühne zu sehen sein. Aber Assad, Orbán, Trump, solche Namen fallen natürlich in den Gesprächen auf der Probe. Das Stück ist insofern sehr aktuell, als dass es diese Machtmechanismen aufdeckt. Die galten zu Lebzeiten Macbeths im Mittelalter genau wie zur Shakespearezeit Anfang des 17. Jahrhunderts. Und sie gelten auch heute noch; das geht immer weiter und weiter. Deshalb ist es eine vornehme Pflicht, das auch heute auf der Bühne zu zeigen.“
Zwar ist es keine Pflicht, das Stück anzusehen, aber wenn, dann ist es unumgänglich, darüber zu sprechen und es so vielen Menschen wie möglich ans Herz zu legen. Emotionaler und zugleich intelligenter, widersprüchlicher und zugleich kohärenter, bildmächtiger und soundgewaltiger wird man so schnell keinen Macbeth auf einer deutschsprachigen Bühne mehr sehen können.

Die Besetzung: DUNCAN, MACDUFF Alexej Lochmann, SOLDAT Oliver Chomik,LENNOX, 2. MÖRDER*IN Henriette Blumenau MALCOLM, 1. MÖRDER*IN, HEXE Nanette Waidmann FLEANCE, LORD, HEXE Daria von Loewenich, ROSSE, SOLDAT, HEXE Frieder Langenberger

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