Die blöde Idee mit dem Riesenrad

Von Michaela Preiner

Werbung Liebe Zuckerwatte (Foto Christian Mair)
11.
August 2017
Kasimir und Karoline waren einmal. Franz und Marie heißen sie heute und winken Ödön von Horváth kräftig zu.

Sie vergnügen sich nicht auf irgendeinem Rummelplatz, sondern buchen eine Romantikgondel im Riesenrad. Die selbst aufgelegte Wurstplatte und die kleinen Plastikspieltiere, die schon in den ersten Filmszenen zu sehen sind, machen klar: Das, was hier gezeigt wird, ist schräg. Ein wenig aus dem Lot gerutscht. Ein wenig abseits der Norm.

Werbung Liebe Zuckerwatte“ nennt sich das erste Theaterstück des jungen Autors Mario Wurmitzer, das am Thalhof unter der Regie von Thalhof-Intendantin Anna Maria Krassnigg Premiere hatte. Dabei griff Krassnigg abermals auf ein Stilmittel zurück, das bereits ihre letzten Inszenierungen kräftig belebte: Filmsequenzen verbinden sich mit Liveszenen auf der Bühne und verschränken damit vergangenes mit aktuellem Geschehen.

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Gioia Osthoff und Daniel F. Kamen (Foto: Christian Mair)

Terror im Prater

Die Bühne – ein locker, flockiges Jahrmarkts-Surrounding, ganz in hellen Pastellfarben gehalten (Lydia Hoffmann) – zeigt Drachen, Bomben und überdimensionale Essiggurkerl-Gläser und bietet Platz für vier Barhocker. Auf ihnen sitzen Franz, Marie, ein Parteivorsitzender und eine Polizistin. Sie haben sich zu einem Brainstorming eingefunden, um die Vorgehensweise gegenüber einer anstehenden Untersuchung zu akkordieren, die einen Terroranschlag im Prater aufklären soll.

Nach und nach entwickelt Wurmitzer die einzelnen Charaktere, gibt ihnen Konturen und erklärt ihre Beziehungen zueinander. Franz (Daniel F. Kamen), unsterblich in Marie (Gioia Osthoff) verliebt, ist ein verkappter Choleriker, wenn nicht sogar Amokläufer. Seinen Traum, Polizist zu werden, musste er wegen des nicht bestandenen Deutschtestes begraben. Weltfremd richtet er sich sein Weltbild so ein, dass er es sich darin bequem machen kann und blendet aus, was dort für ihn nicht hineinpasst. Um seine Werbung um Marie mit größtem Erfolg auszustatten, nimmt er sie auf eine Gondelfahrt hoch über die Dächer von Wien mit. Dies tut er hauptsächlich, um ihr dabei keine „Fluchtmöglichkeit, sondern nur eine Franzmöglichkeit“ anzubieten.

„Ein „BWL-Handbuch und eines für Medientheorie“ reichen völlig als notwendige Wissensunterfütterung der Machtausübung“

Nachvollziehbare Charaktere

Marie ist das ganze Gegenteil von ihm. Sie denkt höchst analytisch, hinterfragt alles, womit sie neu in Berührung kommt und hasst Tatenlosigkeit. Träume haben in ihrem Dasein wenig Platz. Ihren Lebensunterhalt verdient sie mit der Produktion von Katzenvideos, die sie für Marketingzwecke einsetzt. Die Polizistin (Maxi Blaha) steht in einem höchst ambivalenten Verhältnis zu einem Parteivorsitzenden (Martin Schwanda). Sie, die diesen skurrilen Egomanen einst ein wenig geliebt hat, hat alle Hände voll zu tun, sich nun diesen Mann vom Leib zu halten. Dieser beschloss schon im Kindesalter, sein Leben der Politik zu widmen und kann sich überhaupt keine Alternative dazu vorstellen. Ohne einen universitären Abschluss vorweisen zu können, hat er es in Windeseile an die Parteispitze geschafft. Ein „BWL-Handbuch und eines für Medientheorie“ reichen ihm völlig als notwendige Wissensunterfütterung seiner Machtausübung.

Eine Terrorbedrohung im Prater vereint die vier Charaktere auf höchst undurchsichtige Weise schließlich in der Romantikgondel. Darin versucht der Parteivorsitzende sich auf Lebenszeit die Stimmen von Franz und Marie zu erkaufen und bietet ihnen dafür seine starke Brust an. Er versteht sich als „Retter der politischen Landschaft“ und hat keinerlei Bedenken, dass das Terrorgeschehen am Fuße des Riesenrades für ihn lebensbedrohlich sein könnte. Im Laufe des Geschehens wird sich herausstellen, dass er die Anschlagsbedrohung als „ultimative Werbeaktion“ geplant und initiiert hat. Die Polizistin – ebenso unerklärlich in die hoch über der Luft schwebenden Gondel gelangt wie er – muss ihm jedoch berichten, dass die gedungenen Schauspieler von der Polizei verhaftet wurden, was für ihn das Ende seiner Politkarriere bedeuten könne.

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Mario Wurmitzer: „Werbung Liebe Zuckerwatte“ (Fotos: Christian Mair)
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Fake-News und Geschichtsglättung

Die erkaufte Abhängigkeit von Franz und Marie und die bis zum Schluss nicht ganz durchsichtige Beziehung zur Polizistin, bringt den Parteivorsitzenden schließlich in eine bequeme Lage: Als Untersuchungen den Vorfall näher durchleuchten sollen, hat er Getreue um sich, mit denen er gemeinsame Sache machen kann. Dabei verkündet er, dass „die Wahrheit kein gutes PR-Konzept ist“ und dass Worte wie Wahrheit und Seele aus heutiger Sicht eigentlich nicht mehr zu gebrauchen sind. Als Ausweg aus der Misere wird schließlich die Flucht nach vorne vorgeschlagen. Nicht mehr zurückschauen, sondern nur in die hoffnungsreiche Zukunft, denn schließlich ist ein Politiker ein Hoffnungsträger, der Hoffnung aber nur gemeinsam mit seinen Getreuen tragen kann.

Wurmitzers Text ist so absurd, dass er an Realitätsbezug schon kaum mehr zu übertreffen ist. Vor rund zwei Jahren geschrieben und mehrfach an aktuelles Geschehen adaptiert, spiegelt sich in ihm so manch aktuelles Politikereignis. Mr. Trumps „fake-news“-Geheule ist darin genauso zu erkennen wie M. Macrons just heute (11.8.2017) kolportierter Einfall, sich nicht mehr selbst der Journaille zu stellen, sondern dies von einer PR-Agentur durchführen zu lassen. Die Biographie des Parteivorsitzenden ähnelt verblüffend jener, die ein ebensolcher bereits „langgedienter“ Jungpolitiker in Österreich vorzuweisen hat und die angedachte Geschichtsglättung bzw. Umschreibung ist so alt, wie die Geschichtsschreibung selbst.

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Mario Wurmitzer: „Werbung Liebe Zuckerwatte“ (Foto: Christian Mair)

Anton Karas lässt grüßen

Der Irrwitz des Geschehens, angesiedelt zwischen Lächerlichkeit, tiefstem Ernst, Humor und Depression erhält durch die Inszenierung, pendelnd zwischen der Riesenradgondel und dem eleganten Saal am Thalhof, ein passendes Äquivalent. Die musikalische Unterfütterung (Christian Mair) erinnert sicherlich nicht von ungefähr an Anton Karas berühmtes Thema, das er für den Film „Der dritte Mann“ komponierte. Mairs Zither- und Gitarrenklänge verwienern den Text zusätzlich und laden diese scharfe Politsatire, angereichert mit einer melancholischen Gesellschaftsbeschreibung, höchst cineastisch-atmosphärisch auf.

Das Spiel des Ensembles weist die für Krassnigg-Inszenierungen so typische Seelenschau auf. Mit einer herrlich übertriebenen, doch nie als künstlich wahrnehmbaren Charakteranalyse lassen alle Beteiligten tief in das Herz ihrer jeweiligen Persönlichkeit blicken. Dadurch ergibt sich auch in keinem einzigen Fall eine eindeutige Schwarz- oder Weißzuordnung. Else Lasker-Schüler, die bei Wurmitzer an einer Stelle mit ihrem“ blauen Klavier“ zitiert wird, formulierte es trefflich: „Der Mensch, das sonderbare Wesen: Mit den Füßen im Schlamm, mit dem Kopf in den Sternen.“ Dieser Mensch findet sich in „Werbung Liebe Zuckerwatte“ in mannigfacher Form.

Eine erneute Demonstration, dass Sommertheater wesentlich mehr sein kann als flache Schenkelklopfunterhaltung. Sie zeigt auch exemplarisch Krassniggs Theater-Idee: Die theatralische Aufbereitung aktueller Stoffe für intelligente Menschen.

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