Martin Kippenberger dankt der Putzfrau

In den letzten beiden Tagen verbreitete sich eine kurze Nachricht wie ein Lauffeuer in die Print- und Onlineredaktionen dieser Welt, obwohl die Nachricht aus dem Bereich Kultur stammte: Putzfrau scheuert Kunstwerk weg!

Hinter dieser Schlagzeile steht die übereifrige Aktion einer Putzfrau im Ostwall Museum in Dortmund. Dort hat sie Kalkflecken in einer Plastikwanne, die sich unter einem Holzgestell, das mitten im Ausstellungsraum aufgestellt war, einfach weggeputzt. Schmutz im Museum – wo gibt´s denn so was! Das Ungute daran war nur, dass es sich dabei um ein Kunstwerk von Martin Kippenberger gehandelt hatte. Eine Installation im Raum, die genauso, wie sie dort stand, vom Künstler einst konzipiert worden war.

Der Vorfall wird landauf, landab, wie eine kuriose Anekdote gehandelt, die schenkelklopfend weiter erzählt wird und sich wie bei der stillen Post m Lauffeuer verbreitet. Ob im Büro in der Kaffeepause, beim Stammtisch am Abend oder – hier passt sich das Umfeld sogar dem Sujet an  – während, vor oder nach Ausstellungseröffnungen. Martin Kippenbergers Werk „Wenn´s anfängt durch die Decke zu tropfen“ sorgt so völlig unbeabsichtigt global für Furore. Oder doch nicht völlig unbeabsichtigt? Kippenbergers Ursprungsintention kommt der Aktion sicherlich sehr, sehr nahe, denn viele Werke in seinem Schaffen waren darauf angelegt zu provozieren. Provozieren im Sinne der Hinterfragung von Kunst, deren Rezeption und Wert, deren Originalität und deren Absolution durch den Künstler selbst.

Wenn ich mir – gestatten Sie mir diesen Ausflug ganz kurz – eine ideale Gesellschaft vorstelle, dann bedürfte es keiner Argumente und keiner Gegenbeispiele, wenn es darum geht, die Kunst, Künstlerinnen und Künstler zu verteidigen. Denn in dieser, meiner idealen Gesellschaft besäßen die Menschen einfach weniger Neid und Hass, weniger Kurzsichtigkeit und weniger Prinzipientreue, weniger Anhänglichkeit an die gute alte Zeit, in der alles viel besser war. In dieser friedvollen Umgebung  hätten die Menschen mehr Bereitschaft aufeinander zuzugehen, gegenseitig Meinungen auszutauschen, mehr zu fragen und über Antworten auch nachzudenken – mit anderen und viel kürzeren Worten: In meiner Idealwelt wären die Menschen offener und toleranter Andersdenkenden gegenüber.

Allerdings wäre in einer solchen Gesellschaft dieser Artikel gar nicht notwendig. In dieser sozialen Struktur, die getragen ist von Freude am Erfolg der anderen und nicht an deren Misserfolg hätte es gar keinen Sinn gehabt, die unglückliche Putzfrau an die Weltöffentlichkeit zu zerren. Dann wäre ihr Missgeschick eines von abertausenden, das jeden Tag im Zuge von Reinigungsarbeiten vorkommt und damit nicht eines einzigen müden Wortes wert.

Da es diese Idealgesellschaft aber niemals gab und auch niemals geben wird, sind Artikel wie dieser hier notwendig – nicht um einen Graben zu jenen zu bauen, die anders denken als ich. Sondern viel mehr, um aufzuzeigen, dass man diesen Graben getrost zuschütten kann, denn er ist eine Stolperfalle für das alltägliche Miteinander, das auch ganz ohne Parteinahme für oder gegen Kunst nur durch eine große Portion Toleranz möglich ist.

Replik von Duchamps Fountain

Replik von Duchamps Fountain im Musée Maillol, Paris – Foto: (c) Micha L. Rieser

Kehren wir wieder zurück zu Kippenbergers Kunstzugang, der die Provokation nicht ausschloss. Mit dieser bewussten sozialen  Attitüde stand Kippenberger ja bei Weitem nicht am Beginn dieser kunsthistorischen Entwicklung. Der „Fountain“ von Marcel Duchamp markierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Beginn jenes Prozesses, den viele mit dem Verfall der Kunst schlechthin betiteln. Andere wiederum halten diesen als einen der genialsten Einfälle in der Kunstgeschichte. Duchamp ging es darum, die Urheberschaft eines Kunstwerkes komplett neu zu definieren und alles zu einem Kunstwerk zu erklären, was an Objekthaftem auf dieser Welt existiert. Er reichte ein industriell gefertigtes Urinal, das er mit einem pseudonymen Monogramm versah, bei der Society of Independent Artist in N.Y. für eine Ausstellung ein. Mit diesem Akt sowie dem Setzen des  Monogrammes auf dem Objekt im Jahre 1917 gelang Duchamp tatsächlich ein Coup. Obwohl die Ausstellung so illustre Namen wie Brancusi oder Picasso aufwies, ging sie ausgerechnet durch ein Werk in die Kunstgeschichte ein, das dort gar nicht gezeigt wurde. Denn Duchamps Einreichung wurde vom Gremium abgelehnt.

Fragt man in diesem Zusammenhang unbedarfte, soll heißen in der Kunstgeschichte nicht bewanderte Mitmenschen, was sie von Kippenbergers Kunst halten, so erhält man meist dieselbe Antwort, die Duchamp schon bei der Einreichung seines Urinals erhalten hat. „Das soll Kunst sein?!“ Der Akt, ein Objekt wie das Urinal oder die aus „armen“ Materialien hergestellte Installation von Kippenberger  auszustellen, wird zuallererst als reine Provokation empfunden. Als eine Veräppelung, um es noch höflich auszudrücken, des werten Ausstellungspublikums, das ja eigentlich deswegen in eine Ausstellung geht, um sich von schönen Dingen erbauen zu lassen.

„Das gesunde Volksempfinden“ wie es oft so verheerend zitiert wird, unterstellt Kippenberger – bleiben wir beim aktuellen Anlassfall –  dass er ganz bewusst in die Provokationskiste gegriffen hat, um mit seiner Arbeit Aufmerksamkeit und – nicht zu vergessen – Geld zu generieren. Denn, so weiß man in der Zwischenzeit auch, Kippenbergers Arbeit wird mit einem Marktwert von 800.000,– Euro beziffert. Im Wissen um den vermeintlichen Wert des Kunstwerkes fühlen sich die Schlagzeilenkonsumenten gleich zweifach betrogen.  Nicht nur, dass etwas, das für sie völlig unverständlich ist, durch das Ausstellen in einem Museum mit einem Kunstnimbus versehen wird, sondern man kann damit offenbar auch noch Preise erzielen, die so astronomisch sind, dass viele normalbürgerliche Leben gar nicht ausreichen würden, um eine derartige Summe überhaupt zu erwirtschaften. Zugegeben: Diese Erniedrigung, wenn man sie denn als solche empfindet, schmerzt. Zeigt sie doch, dass es offenkundig Menschen, ja Künstler wie Kippenberger gibt, die erstens mehr vom Kunstbetrieb verstehen als die Kunstbanausen selbst und zweitens aus diesem Wissen auch noch richtig Kapital schlagen können. Und das noch dazu mit Dingen, die bei vielen zuhause zumindest als Einzelkomponenten in der Garage oder im Keller stehen. So fragen sich die Menschen also worin der Unterschied zwischen ihrem Gerümpel und jener Installation besteht, die sich im Museum befindet.  Vielmehr, sie fragen sich das nicht wirklich, sie stellen nur fest und greifen sich an den Kopf, warum so etwas überhaupt in einer Ausstellung gezeigt wird.

Aber hier sage ich STOPP: Meine sehr geehrten Damen und Herren, STOPP!

Lassen Sie mich, so emotionsfrei ich es überhaupt nur in der Lage bin zu tun, kurz erklären, was es mit Kunstwerken wie dem „Fountain“ oder „Wenn´s anfängt durch die Decke zu tropfen“ auf sich hat, ohne hier eine große kunsthistorische Abhandlung zu schreiben. Oder besser gesagt: Lassen Sie mich erklären, warum Sie mit ihrer kategorischen Ablehnung gegenüber zeitgenössischer Kunst nicht nur die Gefühle von Menschen verletzen, sondern letztendlich auch demokratiepolitisch mehr als fragwürdig agieren.

Wie Sie sicherlich wissen, gibt es in der Zwischenzeit hunderte, tausende, ja abertausende Kunstwerke, die weltweit in Galerien und Museen gezeigt werden und die von den wenigsten Menschen in irgendeiner Art und Weise auch nur ansatzweise verstanden werden. Und dennoch werden diese Ausstellungen besucht, werden Artikel über diese Kunstwerke geschrieben und kaufen Museen einen – zugegebenermaßen  – winzigen Teil dieser Kunstproduktion auch an. Das bedeutet also dass, wenn Sie auch nur ein klein wenig über die Thematik nachdenken würden, auch wenn Sie gar nichts von Kunst verstehen, zu gewissen logischen Schlüssen kommen müssten. Zum Beispiel zu jenem, dass es sich bei der zeitgenössischen bildenden Kunst offensichtlich um einen Teilbereich unseres sozialen und ökonomischen Lebens handelt, der einen gewissen Wert repräsentiert, obwohl und von dem eben viele überhaupt keine Ahnung haben. Wenn man von etwas überhaupt keine Ahnung hat und damit konfrontiert wird – egal ob es sich um Bildende Kunst, Literatur, Tanz, Musik oder schlichtweg eine neue Idee handelt, die Althergebrachtes von einem neuen Blickwinkel aus betrachtet und auch einmal vom Sockel stoßen kann – gibt es zwei grundsätzliche Reaktionen von Menschen. Die einen lehnen das Neue grundsätzlich ab, stört es doch das bisher so schön Vertraute, den Habitus, den man sich zugelegt hatte, die Erklärungsmodelle, die man kannte! Die anderen hingegen werden neugierig und beginnen zu hinterfragen: Was ist das denn? In welchem Zusammenhang ist denn dieses Neue entstanden? Was war denn die Idee dahinter und warum tue ich mir schwer, dieses Neue hier zu verstehen?

Menschen, die zur zweiten Kategorie gehören, haben es im zeitgenössischen Kunstbetrieb auf alle Fälle viel leichter sich zu orientieren. Denn  ihnen eröffnet sich zumindest die Chance, Neues zu erfahren, dazuzulernen, ihren Horizont zu erweitern. Sie könnten, wenn sie sich auch nur ein klein wenig Mühe geben – um zurückzukehren zu Marcel Duchamp und Martin Kippenberger – zum Beispiel erfahren, dass es nun schon seit beinahe 100 Jahren möglich ist, ein Objekt als Kunstwerk zu definieren auch wenn dieses keinerlei ästhetische Kriterien erfüllt, nicht als Artefakt geschaffen oder schlichtweg auch schon mal als Klamauk angelegt wurde. Um noch ein klein wenig mehr Aufklärungsarbeit hier zu leisten, denn schließlich habe ich mir zum Ziel gesetzt, sie mit diesem Artikel auch ein wenig kunstschlauer zu machen, sei auch noch Joseph Beuys erwähnt, dem es ja ähnlich erging wie Martin Kippenberger. Besser gesagt durften gleich zwei seiner Werke erleben, was es heißt, dem Putzwahn zum Opfer zu fallen.  Doch über den Einsatz von Materialien wie Fett, welche bis dahin in den Kunstbetrieb keine Aufnahme gefunden hatten, fügte Beuys – mehr als 50 Jahre nach Duchamps revolutionärem  Kunstansatz der Kunstgeschichte noch einen weiteren Aspekt hinzu. Nämlich seinen sozial erweiterten Kunstbegriff, in welchem er menschliches Handeln, das im sozialen Umfeld stattfindet, ebenso zur Kunstproduktion zählte wie die Herstellung von Kunstwerken selbst. Nun war plötzlich – was so hier nur verkürzt und ungenau wiedergegeben werden kann – nicht nur jedes Objekt ausstellungswürdig, sondern auch noch jeder Mensch ein Künstler!

Diese beiden herausragenden Künstler – Duchamp und Beuys – hatten mit ihren Ideen maßgeblichen Einfluss auf das Kunstgeschehen nach ihnen. Wobei es ihnen ja vor allem auch darum ging, die Kunst selbst zu hinterfragen. Und gerade daran spießt sich so manche  Publikumszustimmung, handelt es sich bei diesen Ideen ja nicht mehr um etwas, was dinglich fassbar ist, sondern um abstrakte Gedanken, die man erst einmal aufnehmen und selbst durchdenken muss  um sie zu erfassen, ihnen zuzustimmen oder sie abzulehnen. Um Duchamp und Beuys zu verstehen und mit Ihnen einen Großteil des Kunstgeschehens nach dem Zweiten Weltkrieg, muss man sich über sie informieren, muss das eigene Denkvermögen in Anspruch nehmen und erst einmal zumindest versuchen, unvoreingenommen diese Ideen zu analysieren.

Mir muss ein Kunstwerk gefallen, alles andere zählt für mich nicht! Wenn man Kunst nun auch schon erklären muss, dann hört es sich für mich ja ganz auf! Das sind nur zwei von mehreren Aussagen, die Kunstkenner immer wieder zu hören bekommen. Oder auch solche Menschen, die einfach in ein Museum mit zeitgenössischer Kunst gehen und ihre Ohren ein wenig aufsperren. Diese Argumente sind auch im Fall Kippenberger gang und gäbe.

Malewitsch, Kasimir - Schwarzes Quadrat auf weißem Grund

Schwarzes Quadrat auf weißem Grund, 1915 (c) Hungerberg

An dieser Stelle möchte ich eine kleine Begebenheit erzählen, die mich persönlich sehr berührt hat und sehr gut zum Thema passt. Vor 13 Jahren fand in Graz eine groß angelegte Ausstellung mit dem Titel „Die Farbe Schwarz“ statt. In dieser Ausstellung war als kunsthistorisches Highlight das „Schwarze Quadrat auf weißem Grund“ von Kasimir Malewitsch zu sehen. Mein damals  15jähriger Sohn ging aufgrund eines Schulprojektes mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern in diese Ausstellung. Als er nach Hause kam, erzählte er mir, dass er eines der schönsten Bilder gesehen hätte, das ihm je untergekommen sei. Und er schwärmte von Malewitschs Bild. Meine Verwunderung war groß, denn ich hatte meinem Sohn nicht zugetraut, dass ein suprematistisches Werk ihn derart in seinen Bann ziehen würde, hatte ich mit ihm zuvor ja auch noch nie über Malewitsch oder den Suprematismus gesprochen.  Als ich wenige Wochen später bei einer Schulveranstaltung war, kam eine Lehrerin meines Sohnes direkt auf mich zu, um mir Folgendes zu sagen: Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, denn ihr Sohn hat etwas geschafft, das bisher noch niemandem aus dem Lehrkörper gelungen ist. Er habe mit einer unglaublichen Leidenschaft für das Bild „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ Partei ergriffen, als ein Mitschüler sich darüber lustig machte und erklärt hatte, dass er das ja auch gekonnt hätte und dass dieses Bild ja wohl keine Kunst sei! Daraufhin habe sich mein Sohn – völlig unerwartet – vor seinen Schulkameraden gestellt und gefragt, ob er denn überhaupt wisse, welche Art von Kunst in jener Zeit, als das Bild entstanden war,  gerade ihre Hochblüte gefeiert hätte. Es sei der Jugendstil gewesen, der mit seinen überbordenden Formen und Schnörkeln die ganze Welt in Atem hielt und behübschte – und alleine der Gegensatz, den Malewitsch dieser Kunstform mit diesem Bild entgegenbrachte, sei schon eine unglaublich heroische Tat gewesen. Denn er könne sich doch wohl vorstellen, was der Künstler an Hohn und Spott ertragen hätte müssen, als er dieses Werk der Öffentlichkeit präsentierte! Nach dieser leidenschaftlichen Parteinahme hätte der jugendliche Kunstverächter kleinlaut auf dem Absatz kehrt gemacht und in der Gruppe Schutz gesucht, um sich nicht einer weiteren Debatte und Belehrung stellen zu müssen. Aber die junge Aufseherin in dem Saal, eine Kunststudentin, wie sich herausstellte, sei schnurstracks auf meinen Sohn zugegangen, hätte ihm die Hand entgegengestreckt und nun den seinerseits Verblüfften, während sie seine Hand beständig schüttelte, laut erklärt: Ich danke dir für diesen Auftritt, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gut das tut. Weißt du, ich höre diese Argumentation, dass das ja keine Kunst sei und man das ja auch könne am Tage ja x-mal und es tut einfach gut, dass du dich hier zu Wort gemeldet hast.

Ich war – um es ganz salopp auszudrücken – nach dieser Erzählung der Lehrerin von den Socken. Nicht ob des kunsthistorischen Wissens meines Sohnes, sondern vielmehr weil er für eine künstlerische Position Partei ergriffen hatte, von der er zuvor wenig oder gar keine Ahnung gehabt hatte. Ich war berührt, dass er sich für den Künstler hinter dem Kunstwerk eingesetzt hatte. Dass er verbal für jemanden eintrat, der zu seiner Zeit anders dachte als der Großteil der Menschen und dieses andere Denken auch künstlerisch ausdrückte. Mein Sohn hatte also, ohne darüber groß nachzudenken, Partei für die Meinungsäußerung und Ideenvielfalt ergriffen, die – gerade was die Kunst betrifft – auch noch heute vom Großteil der Bevölkerung mit den Füßen getreten wird.

Denn Aussagen wie „Das soll Kunst sein“, „Das gehört ja verboten“, „Das ist ja unglaublich, dass das auch nur einen Euro kostet“ usw. usw. schränken genau diese Meinungsfreiheit, das Recht eine ganz persönliche Position zu beziehen, massiv ein und untergraben sie. Wenn man auf der Straße eine Befragung startete, würde die Mehrheit dafür plädieren, Kunst wie jene von Martin Kippenberger nicht im Museum auszustellen. Für diese Aussage braucht man kein Hellseher sein.

Aber ich möchte etwas genauer hinsehen. Denn, blickt man hinter die Kunst ablehnenden Aussagen, so wird rasch klar, dass sich hinter diesen Beschwerden ja noch eine ganz andere Bedeutungsebene versteckt liegt. Den meisten Nörglern geht es gar nicht darum, ob ein bestimmtes Werk nun Kunst ist oder nicht. Es geht nicht darum, ob bestimmten Objekten dieser Status zugebilligt werden kann oder nicht, sondern vielmehr um die Künstlerinnen und Künstler hinter dem Kunstwerk selbst. Es geht um jene Menschen, die Kunst machen, mit ihr in einen sozialen Dialog treten wollen und – wenn sie Glück haben – von ihrer Arbeit auch leben können. In den meisten Fällen sei hier noch kurz angemerkt, ohnehin mehr schlecht als recht. Es geht darum, dass den Kreativen nicht nur ihre Arbeit mit einem Federstreich unreflektiert mies geredet wird, sondern im Grunde genommen wird ihnen genau diese Tätigkeit, das Arbeiten an und mit der Kunst, geneidet. Ideen ihren freien Lauf zu lassen und umzusetzen, das ist es ja, was jede und jeder von uns gerne möchte, aufgrund persönlicher Befindlichkeiten und Umstände jedoch die wenigsten können. Der Großteil der westeuropäischen Bevölkerung ist mit seinem beruflichen Schicksal, wie aktuelle Untersuchungen zeigen, unzufrieden. Und Unzufriedenheit schürt Neid. Wenn dann, wie im Fall Kippenberger, auch noch Summen kolportiert werden, von denen der Großteil der Menschen nur träumen kann, dann schlägt dieser Neid auch schnell in Hass um, der sich dann in den schon zitierten Aussagen Luft macht. Dann darf auch das Totschlagargument der Steuergelder nicht fehlen, die ja „von uns allen bezahlt werden“ und so nicht vergeudet werden dürften, handelt es sich um eine Ausstellung, die von öffentlicher Hand bezahlt wird. Dieses – man muss es laut aussprechen – extrem dumme Argument kommt immer, wie das Amen im Gebet. Was es mit der Umwegrentabilität auf sich hat, die einen Teil des Kunstbetriebes erst möglich macht, habe ich bereits in einem anderen Artikel versucht klar, zu machen. Aus diesem Grund soll hier nur die Anmerkung gemacht werden, dass das durch unsere Steuern erwirtschaftete Geld, das in Kunstsubventionen ausgegeben wird, Menschen und nicht Objekten zugutekommt. Es soll darauf hingewiesen werden, dass es in die Wirtschaft wieder zurückfließt und dort wiederum vielen Menschen ihre Arbeitsplätze sichert.

Die wenigsten von uns sprechen der werktätigen Bevölkerung, die in der Konsumgüterproduktion, der Verwaltung, der Politik oder zum Beispiel in der chemischen Industrie arbeitet – um nur willkürlich einige Bereiche unseres Lebens herauszugreifen – ihr Recht auf Arbeit ab bzw. hinterfragt die Sinnhaftigkeit derselben. Obwohl, wie wir alle wissen, vieles von dem, was Menschen tun schlichtweg hirnrissig ist oder für die Gemeinschaft, wie sich oft später erst herausstellt, sogar eine große Gefahr darstellt. Hier ist es aber die Masse der Menschen, die dieses Tun rechtfertigt und vor allem das System, in das ihr Handeln eingebunden ist. Hinterfragt wird dies genauso nur von einer kleinen Minderheit, wie sich auch nur eine kleine Minderheit für zeitgenössische Kunst interessiert. Wobei es sich hier keinesfalls um eine gemeinsame Interessengemeinschaft handeln muss, im Fall von Künstlerinnen und Künstlern dies jedoch oftmals dennoch der Fall ist. Alltägliches wird vom Großteil der Bevölkerung nicht hinterfragt, ganz nach dem Motto –  was ich und mein Nachbar tue, das kann ja nicht falsch sein! Finanzkrisen, Bohrinselkatastrophen, Reaktorunfälle, verseuchtes Grundwasser aber auch schon kleine regional- und nationalpolitische Fehlentscheidungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Für sie alle ist eine große Menge von Menschen verantwortlich, die fleißig daran mitgearbeitet hat, dass diese Unglücke überhaupt eintreten konnten. Ihnen wird aber in keiner Weise ihr Tun vorgeworfen, ihnen neidet man nicht ihr meist monatlich regelmäßiges Einkommen, ihren gesetzlich geregelten Urlaub, die Möglichkeit in Krankenstand zu gehen und ab einem Zeitpunkt x in Pension. Künstlerinnen und Künstler, die mit ihrer Arbeit reüssieren, sehen sich hingegen häufig in der Situation, das erwirtschaftete Geld zu rechtfertigen. Ist das nicht mehr als eigenartig? Ich zumindest kann mich beim besten Willen an keinen einzigen Fall erinnern, der durch Künstlerinnen oder Künstler ausgelöst worden wäre, an dem die Gemeinschaft Schaden erlitten hätte. Meistens ist es genau umgekehrt. Die Gesellschaft erleidet durch Kunst keinen Schaden sondern im besten Fall einen Mehrwert, der sich dann auch noch als nachhaltig erweist, wenn zum Beispiel ein Kunstwerk ins Museum kommt und dort von vielen Menschen betrachtet werden kann, die daraus wieder ihre Schlüsse und Erkenntnisse ziehen. Warum also ist es ausgerechnet die Kunstszene, die sich für ihr Tun ständig rechtfertigen muss? Ist sie vielleicht ein willkommenes Ventil, mit dessen Hilfe sich so manch aufgestauter Frust loswerden lässt? Dient sie als Prellbock für all jene Frustrierten, die sich ihre Wünsche und Begierden im Leben nie erfüllen können und eine solche Erfüllung allen neiden, die dazu gelangen könnten?

Wer sich nun verwundert, dass es in diesem Artikel schon seit geraumer Zeit nicht mehr um Kunst geht, der- oder demjenigen sei gesagt, dass ich es mehr als leid bin, Kunst gegen all jene zu verteidigen, die gar nicht willens sind, diese zu verstehen, sich auf sie einzulassen und über sie nachzudenken. Ich bin nun mal ganz einfach auch so präpotent und halte ihnen allen gerade keinen Kunstspiegel entgegen, in dem sie sich ohnehin nicht erkennen würden, sondern ich behaupte  einfach ganz nüchtern, dass sie sich schlichtweg mit ihren Schimpftiraden, Verunglimpfungen oder dem Lächerlichmachen unverstandener Kunst auf sehr dünnem Eis bewegen. Auf einem Eis, in das sie, wenn es jemand aus der Künstlerschaft einmal darauf anlegen würde, mit Krach einbrechen könnten. Denn diese Aussagen widersprechen doch alle samt und sonders jenen Grundsätzen, die in der Deklaration der Menschenrechte festgelegt wurden und somit auch vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingeklagt werden können.

Insbesondere in den Artikeln 18, 19, 23 und 27 ist all das geregelt, wogegen sich das schon zitierte „gesunde Menschenempfinden“ – (eindringlich sei vor jedem und jeder gewarnt, die mit diesem Begriff argumentativ operiert) in Zusammenhang mit zeitgenössischer Kunst, die eben Erklärungen bedarf um sie zu verstehen, verwehrt.

Artikel 18 (auszugsweise)

Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit …

Artikel 19

Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Artikel 23 (auszugsweise)

  1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl…

 

Artikel 27

2. Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.

Diese hier angeführten Rechte gelten, ganz platt gesagt, sowohl für die Kunstkonsumenten als auch für die Kunstproduzenten. Sowohl als auch wohl gemerkt. Jeder hier angeführte Punkt kann, sehen wir die Sache nun von der Seite der Künstlerinnen und Künstler an, sofort als Gegenargument gegen jene Ansagen angeführt werden, die landauf landab so fröhliche Urstände feiern und die zeitgenössische Kunst am liebsten von der Ausstellungsbildfläche verbannen würden.

Um noch einmal auf das Argument der Steuergeldverschwendung einzugehen, so sei hier explizit festgehalten, dass eine Demokratie sich nur dann tatsächlich als Demokratie und nicht als Diktatur erweist, wenn auch die Minderheiten in ihr zu ihrem Recht kommen. Und Kunstschaffende sind nun einmal genauso in der Minderzahl wie deren aktive Befürworter. Für beide Gruppen ist es aber unabdingbar notwendig, sich mit Kunst auseinanderzusetzen, Kunst entweder zu produzieren oder sie anzusehen und über sie nachzudenken. Auch wenn das für viele nicht nachvollziehbar ist. Für mich persönlich gehört die Reflexion über das zeitgenössische Kunstgeschehen, egal welche Kunstgattung es auch immer betrifft, unabdingbar zu einem erfüllten Leben, ja sogar zu meinem persönlichen Lebensglück dazu. Ich weiß definitiv, wovon ich spreche, hatte ich doch auch Zeiten, in denen es mir nicht möglich war, über Kunst nachzudenken und darüber zu schreiben. Zeiten, in denen ich dies als so große Entbehrung empfunden habe, dass ich alle Hebel in Bewegung setzte, um wieder zu dem zu gelangen, was für mich geistige Nahrung bedeutet ohne die es mir nicht wirklich gut geht. Ich bin jedoch und das gebe ich unumwunden zu, ein riesengroßer Sportbanause und habe nicht die geringste Ahnung von Fußball. Für mich bräuchte es keinen einzigen Fußballclub und kein einziges Stadion geben aber ich käme nicht im Traum darauf, mich dagegen auszusprechen und all jene scheel anzusehen, die damit ihr Geld verdienen oder einen Großteil ihrer Freizeit opfern, weil es ihnen Fußball ganz einfach Spaß macht und er für sie wie ein Lebenselixier wirkt.

Was die Sache schlussendlich wahrscheinlich noch ganz im Sinne Kippenbergers ironisch macht ist, dass die ach so lustige Kolportage und die damit verbundene unterschwellige Zustimmung zur Handlung der Putzfrau und zugleich zur Ablehnung des Kunstwerkes – eben dieses weltweit noch wesentlich bekannter macht, als es bis dato gewesen ist. Auch oder nun gerade bei jenen, die bisher mit dem Namen nichts anfangen konnten und vielleicht dachten, Kippenberger sei eine augenzwinkernde amikale Bezeichnung eines notorischen Rauchers. Die Aufmerksamkeit, die diesem Kunstwerk nun entgegengebracht wird, trägt jedoch zu einer Wertsteigerung des Kippenberger´schen Gesamtoeuvres bei, was zumindest seinen Erben bzw. den Besitzern seiner Werke zugute kommt. Warum dies der Fall ist, ist wiederum eine ganz andere Geschichte, aber verzeihen Sie, wenn ich hier an dieser Stelle die Mechanismen des Kunstmarktes nicht auch noch beleuchte.

Eines steht fest: Martin Kippenberger hätte, hätte er den Vorfall und die Publicity um sein Werk noch erlebt, der Putzfrau sicherlich gedankt! Vielleicht hätte er ihr auch eine seiner kleineren Arbeiten geschenkt – mit der diese wiederum, das steht fest – zwar nichts anfangen hätte können. Aber gewiss wäre sie damit sehr, sehr sorgsam umgegangen.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch

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