Martin Kippenberger dankt der Putzfrau

Ich war – um es ganz salopp auszudrücken – nach dieser Erzählung der Lehrerin von den Socken. Nicht ob des kunsthistorischen Wissens meines Sohnes, sondern vielmehr weil er für eine künstlerische Position Partei ergriffen hatte, von der er zuvor wenig oder gar keine Ahnung gehabt hatte. Ich war berührt, dass er sich für den Künstler hinter dem Kunstwerk eingesetzt hatte. Dass er verbal für jemanden eintrat, der zu seiner Zeit anders dachte als der Großteil der Menschen und dieses andere Denken auch künstlerisch ausdrückte. Mein Sohn hatte also, ohne darüber groß nachzudenken, Partei für die Meinungsäußerung und Ideenvielfalt ergriffen, die – gerade was die Kunst betrifft – auch noch heute vom Großteil der Bevölkerung mit den Füßen getreten wird.

Denn Aussagen wie „Das soll Kunst sein“, „Das gehört ja verboten“, „Das ist ja unglaublich, dass das auch nur einen Euro kostet“ usw. usw. schränken genau diese Meinungsfreiheit, das Recht eine ganz persönliche Position zu beziehen, massiv ein und untergraben sie. Wenn man auf der Straße eine Befragung startete, würde die Mehrheit dafür plädieren, Kunst wie jene von Martin Kippenberger nicht im Museum auszustellen. Für diese Aussage braucht man kein Hellseher sein.

Aber ich möchte etwas genauer hinsehen. Denn, blickt man hinter die Kunst ablehnenden Aussagen, so wird rasch klar, dass sich hinter diesen Beschwerden ja noch eine ganz andere Bedeutungsebene versteckt liegt. Den meisten Nörglern geht es gar nicht darum, ob ein bestimmtes Werk nun Kunst ist oder nicht. Es geht nicht darum, ob bestimmten Objekten dieser Status zugebilligt werden kann oder nicht, sondern vielmehr um die Künstlerinnen und Künstler hinter dem Kunstwerk selbst. Es geht um jene Menschen, die Kunst machen, mit ihr in einen sozialen Dialog treten wollen und – wenn sie Glück haben – von ihrer Arbeit auch leben können. In den meisten Fällen sei hier noch kurz angemerkt, ohnehin mehr schlecht als recht. Es geht darum, dass den Kreativen nicht nur ihre Arbeit mit einem Federstreich unreflektiert mies geredet wird, sondern im Grunde genommen wird ihnen genau diese Tätigkeit, das Arbeiten an und mit der Kunst, geneidet. Ideen ihren freien Lauf zu lassen und umzusetzen, das ist es ja, was jede und jeder von uns gerne möchte, aufgrund persönlicher Befindlichkeiten und Umstände jedoch die wenigsten können. Der Großteil der westeuropäischen Bevölkerung ist mit seinem beruflichen Schicksal, wie aktuelle Untersuchungen zeigen, unzufrieden. Und Unzufriedenheit schürt Neid. Wenn dann, wie im Fall Kippenberger, auch noch Summen kolportiert werden, von denen der Großteil der Menschen nur träumen kann, dann schlägt dieser Neid auch schnell in Hass um, der sich dann in den schon zitierten Aussagen Luft macht. Dann darf auch das Totschlagargument der Steuergelder nicht fehlen, die ja „von uns allen bezahlt werden“ und so nicht vergeudet werden dürften, handelt es sich um eine Ausstellung, die von öffentlicher Hand bezahlt wird. Dieses – man muss es laut aussprechen – extrem dumme Argument kommt immer, wie das Amen im Gebet. Was es mit der Umwegrentabilität auf sich hat, die einen Teil des Kunstbetriebes erst möglich macht, habe ich bereits in einem anderen Artikel versucht klar, zu machen. Aus diesem Grund soll hier nur die Anmerkung gemacht werden, dass das durch unsere Steuern erwirtschaftete Geld, das in Kunstsubventionen ausgegeben wird, Menschen und nicht Objekten zugutekommt. Es soll darauf hingewiesen werden, dass es in die Wirtschaft wieder zurückfließt und dort wiederum vielen Menschen ihre Arbeitsplätze sichert.

Die wenigsten von uns sprechen der werktätigen Bevölkerung, die in der Konsumgüterproduktion, der Verwaltung, der Politik oder zum Beispiel in der chemischen Industrie arbeitet – um nur willkürlich einige Bereiche unseres Lebens herauszugreifen – ihr Recht auf Arbeit ab bzw. hinterfragt die Sinnhaftigkeit derselben. Obwohl, wie wir alle wissen, vieles von dem, was Menschen tun schlichtweg hirnrissig ist oder für die Gemeinschaft, wie sich oft später erst herausstellt, sogar eine große Gefahr darstellt. Hier ist es aber die Masse der Menschen, die dieses Tun rechtfertigt und vor allem das System, in das ihr Handeln eingebunden ist. Hinterfragt wird dies genauso nur von einer kleinen Minderheit, wie sich auch nur eine kleine Minderheit für zeitgenössische Kunst interessiert. Wobei es sich hier keinesfalls um eine gemeinsame Interessengemeinschaft handeln muss, im Fall von Künstlerinnen und Künstlern dies jedoch oftmals dennoch der Fall ist. Alltägliches wird vom Großteil der Bevölkerung nicht hinterfragt, ganz nach dem Motto –  was ich und mein Nachbar tue, das kann ja nicht falsch sein! Finanzkrisen, Bohrinselkatastrophen, Reaktorunfälle, verseuchtes Grundwasser aber auch schon kleine regional- und nationalpolitische Fehlentscheidungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Für sie alle ist eine große Menge von Menschen verantwortlich, die fleißig daran mitgearbeitet hat, dass diese Unglücke überhaupt eintreten konnten. Ihnen wird aber in keiner Weise ihr Tun vorgeworfen, ihnen neidet man nicht ihr meist monatlich regelmäßiges Einkommen, ihren gesetzlich geregelten Urlaub, die Möglichkeit in Krankenstand zu gehen und ab einem Zeitpunkt x in Pension. Künstlerinnen und Künstler, die mit ihrer Arbeit reüssieren, sehen sich hingegen häufig in der Situation, das erwirtschaftete Geld zu rechtfertigen. Ist das nicht mehr als eigenartig? Ich zumindest kann mich beim besten Willen an keinen einzigen Fall erinnern, der durch Künstlerinnen oder Künstler ausgelöst worden wäre, an dem die Gemeinschaft Schaden erlitten hätte. Meistens ist es genau umgekehrt. Die Gesellschaft erleidet durch Kunst keinen Schaden sondern im besten Fall einen Mehrwert, der sich dann auch noch als nachhaltig erweist, wenn zum Beispiel ein Kunstwerk ins Museum kommt und dort von vielen Menschen betrachtet werden kann, die daraus wieder ihre Schlüsse und Erkenntnisse ziehen. Warum also ist es ausgerechnet die Kunstszene, die sich für ihr Tun ständig rechtfertigen muss? Ist sie vielleicht ein willkommenes Ventil, mit dessen Hilfe sich so manch aufgestauter Frust loswerden lässt? Dient sie als Prellbock für all jene Frustrierten, die sich ihre Wünsche und Begierden im Leben nie erfüllen können und eine solche Erfüllung allen neiden, die dazu gelangen könnten?

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