Das Elend kommt beim Nachdenken

Das Elend kommt beim Nachdenken

Michaela Preiner

Foto: ( Lex Karelly )

21.

Januar 2023

Schrill, laut, trashig. Tiefgründig, leise, hochemotional. All das trifft auf die Inszenierung „Moby Dick“ nach Herman Melville im Schauspielhaus in Graz zu. Das muss man erst einmal zusammenbringen.

In einer Kooperation mit Institut für Schauspiel der Kunstuniverstität Graz treten neun Studierende den Beweis an, dass sich das Verfassen von Texten und ‚auf der Bühne -Stehen‘ nicht ausschließen. Dies aber nicht in einem postdramatischen Konstrukt, sondern vielmehr mit einem literarisch weltberühmten Textgerüst, das von den Mitwirkenden auf und hinter der Bühne ergänzt und damit auch umgestaltet wurde.

Unter der Regie von Lorenz Nolting spielt das junge Ensemble eine Crew auf einem Walfangboot schlicht so, als ob es ums Überleben ginge. Und tatsächlich ist dies auch das Haupttopos der Inszenierung. Die Jagd nach dem weißen Wal, der als Metapher unserer beschädigten Natur gesehen werden kann, ist der Ausgangspunkt eines aberwitzigen Wahnsinnsrittes durch Zeit und Raum. Dabei werden nicht nur Assoziationen zum Walfang freien Lauf gelassen, sondern zum Leben auf unserem Planeten an sich, das vielen nur mehr absurd und monströs erscheint.

Ganz ihrer Generation verpflichtet, aufgewachsen mit Computerspielen und großen Fernsehbildschirmen, mangelt es auch nicht an Visualisierung von fiktiven Flügen durch das All, Seite an Seite mit Elon Musk, vorbei an einer in Trümmern liegenden Welt, die man hinter sich gelassen hat. Die Sprachkaskaden lösen sich in einem rhythmisch kurz getakteten Staccato ab. Was man nicht sofort gedanklich erfasst, fliegt vorbei und hinterlässt dennoch keine Lücke. Zu dicht ist das Netz aus Text, Geräuschen und Musik gewebt, als dass man zum langen Nach-Denken kommt. Zu intensiv ist das abwechslungsreiche Geschehen zwischen der Jagd nach dem Wal, dem kollektiven Sturz aus einem 40-stöckigen Hochhaus und dem Schweben in der Schwerelosigkeit zu den Klängen des Donauwalzers.

Neben all den furiosen und oft mit grandiosem Spielhumor gespickten Szenen kommt dennoch eine heftige Portion Schwermut auf. Steht doch eine Generation auf der Bühne, die ein Leben vor sich hat, um das sie niemand beneidet, der auch nur alle fünf Tassen im Schrank hat. Die Zerstörung der ökologischen Systeme, die Sinnlosigkeit des Spätkapitalismus, die unstillbare Gier nach Ressourcen, die schon lange geschützt werden müssten – all das wird direkt oder indirekt angesprochen. Und all das liegt unter all dem Klamauk wie ein bleischweres Gedankengewicht, das nicht weggeschoben werden kann.

Dazu kommt, dass kurz vor dem Finale die Komposition von Philipp Glass für den Film „Koyaanisqatsi“ unter anderen Soundlayern herauszuhören ist. In diesem 1982 uraufgeführten Streifen wird die ökologische Zerstörung unserer Welt nur durch Bilder und dazu komponierter Musik im raschen Schnittwechsel gezeigt. Ein klein wenig Hoffnung erzeugt die Idee der Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing, die den japanischen Matsutake-Pilz als Sinnbild für eine neue Idee des Zusammenlebens postuliert. Das Verständnis, das alles mit allem zusammenhängt, sollte kommenden Generationen helfen, diese Welt weiter bevölkern zu können.

Lorenz Nolting hat mit dieser Arbeit eine fulminante Regie vorgelegt. Immer wieder lässt er das Ensemble dabei auch humorvoll die eigene Ausbildung reflektieren. Wie sie über ihre persönlichen Befindlichkeiten sprechen und dabei eine sichtbar gespielte Betroffenheit bei ihren Kolleginnen und Kollegen hervorrufen, erheitert sehr. Es ist gerade diese Balance zwischen kurzen Szenen, in welchen herrlicher Humor aufblitzt und solchen von tiefem Pessimismus, die das Stück so interessant macht. „Das Elend kommt beim Nachdenken“, ein Satz, der kurz nach Beginn fällt, dieses Elend wird dadurch glücklicherweise gemindert.

Albert Frühstück sorgte mit einem klugen, reduzierten und dennoch wandelbaren Bühnenbild und Videos für nachvollziehbare Seegänge gleichermaßen wie für spacige Flugabenteuer. Die farbästhetisch fein zusammengestellten Kostüme von Ida Bekič verdeutlichten den Wandel der Geschichte vom 19. Jahrhundert, in dem Moby Dick geschrieben wurde, in die Gegenwart.

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„Moby Dick“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Cornelia Mercedes Dexl, Flora Udochi Egbonu, Kathrin Gast, Lilian Heeb, Hardy Emilian Jürgens,,  Lena Elsa Kolle, Fabian Reichenbach, Johanna Schwaiger, Chen Emilie Yan erhielten bei der Premiere zu Recht enthusiastischen und langanhaltenden Applaus. Es wäre erfreulich, wenn künftig häufig Kooperationen dieser Art zustande kämen. Zum Nutzen der Studierenden, aber auch des Publikums.

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