Mütze ab, Wagner ist`s!

Gibt es eine Möglichkeit, Wagners Weihespiel in eine zeitgenössische Bühnensprache zu übersetzen? Kann man dafür ein Publikum begeistern, dass mit Wagner eigentlich nichts am Hut hat oder auch haben will? Man kann.

Die Wiener Festwochen fokussieren unter der ersten Intendanz von Thomas Zierhofer-Kin bei ihren großen theatralen Koproduktionen und Produktionen auf völlig neue Blicke. Blicke, die entweder außereuropäische Kulturen auf europäisches Kulturgut einbringen, aber auch Blicke, die sich einzelne Künstler von ihrer ganz subjektiven Weltauffassung auf historische Theater- und Opernstoffe erlauben dürfen.

Ein Parsifal vom Mond

Letzteres geschah in der Inszenierung von „Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz). Einer musikalischen „Überschreibung“ bei welcher Bernhard Lang sich, was die Opulenz und Dauer seiner Komposition betrifft, durchaus am Wagner´schen Original orientierte. 4,25 Stunden inklusive 2 Pausen geben ihm dabei reichlich Gelegenheit, seine musikalische Idee des „Mondparsifal“ zu präsentieren. Lang hat sich aber auch um das Libretto selbst gekümmert, Striche gesetzt, neue Wortschöpfungen eingereicht. Dennoch blieb er – das ist erstaunlich – zumindest bis zum letzten Akt nahe an der Originalaussage.
Jonathan Meese steuerte nicht nur das Bühnenbild hinzu und agierte als Regisseur und Kostümbildner, er schuf mit seinen Libretto-Untertiteln die sich in Rot vom weißen, gesungenen Text abhoben, einen doppelten Deutungsboden.

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Jonathan Meese Mondparsifal bei den Festwochen Wien ( Foto: Jan Bauer)

Eine Metaebene, in der seine Idee von Kunst, nicht nur in Bezug auf den Mondparsifal, mehr als deutlich wird. Das beginnt schon beim allerersten Leuchtschrift-Satz: „Mütze ab, Wagner ist`s!“, mit dem er gekonnt ironisch vom Publikum Ehrfurcht für das kommende Spektakel einfordert. Es geht weiter mit der Benennung unterschiedlichster Leitmotive – „Leitmotiv Heilkräuter“, „Leitmotiv Herzblut“ oder der Feststellung „Richard Wagner ist Totalstchef“. Am häufigsten postuliert Meese jedoch seine Sicht auf die Vorherrschaft der Kunst über jegliche andere, soziale Ausdrucksform. „Vita brevis, ars longa“ diese Weisheit wird Hippokrates zugeschrieben – und Messe deutet dies sinngemäß folgendermaßen um: Nichts bleibt, hat Bestand, schon gar nichts Politisches, nur die Kunst hat Ewigkeitsanspruch.

Parsifal als ewiges Kind

Es sind drei von Meese eingebrachte Komponenten, die diesen Abend so interessant machen. Einerseits sein radikaler Zugang zu Parsifal. Auch nach Kundrys Verführungskünsten bleibt er ein kindlicher Tor und verweigert – nach einem kurzen Intermezzo – jegliche Erleuchtung, jegliches Erwachsenwerden. Ein Anflug davon wird von Kundry im Keim erstickt, als diese ihm in Mutterrolle eine richtige Standpauke hält. Parsifals – Mondparsifals – Gemüt ist nicht von dieser Welt. Das zeigt Meese gleich zu Beginn mit einer kahlen Mondlandschaft, auf der – wie bei Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ eine männliche Figur dieselbe Haltung einnimmt. Sie entpuppt sich rasch als eine Allegorie auf Richard Wagner. Eine sehr intelligente Verschränkung von bildender Kunst und Musik, in der man auch die Bildinterpretation durchzuschimmern vermeint, der Friedrichs Wanderer als Verkörperung eines deutschen Patrioten nachgesagt wird. Dass Meeses Mondparsifal am Ende doch noch als vergoldeter Ritter nicht die Krone erhält, ist in seiner Logik völlig schlüssig. Macht korrumpiert und wer der Kunst verfallen ist, wer sich zumindest den kindlichen Blick bewahrt hat, wird den Teufel tun und sich an die Spitze eines hierarchischen Machtgefüges setzen.

Regie, Bühnenbild und Kostüme aus einem Guss

Die zweite Komponente betrifft das Bühnenbild und die Kostüme. Diese tragen die Meese`sche Handschrift vom ersten bis zum letzten Akt und beeindrucken durch ihr kompromissloses, künstlerisches Statement. Dabei wird zusammengepuzzelt, was das Zeug hält. Höchst einfach und doch in der Ausführung komplexe Objekte wie der riesige Kühlschrank im ersten Bild, voll mit Fisch, Schinken und Wurst, sind ein Beispiel dafür. Aus ihm lugt der großartige Wolfgang Bankl, alias Gurnemanz, alias Wolfgang Meese schon bald nach Beginn heraus. Oder das Holzhaus, Rückzugsort des sexbesessenen Klingsor (Martin Winkler), das am Ende der Szene mit Kundry alias Barbarella (in Darstellung und musikalischen Ausdruck erhält Magdalena Anna Hofmann dafür eine Bestnote) in lodernden Projektionsflammen aufgeht. Oder die Villa Wahnfried, begrenzt durch überdimensionierte Eierbecher auf der einen Seite und einem ebenso riesigen Pappzylinder, wie man ihn von Klopapier- oder Küchenrollen her kennt, auf der anderen. Wo es möglich ist, setzt Meese auf Schriften, die Orte oder Personen erklären. Wie zum Beispiel „Hagen V Tronje“, die auf Bankls zweites Kostüm aufgepinselt ist, sodass auch die letzte Reihe am obersten Rang die Figur richtig deuten kann.

Spannend gestaltet sich auch der Live-Einsatz, bei welchem Meese an zwei Stellen aus der ersten Loge rechts heraus agiert, in dem sein Zeichnen und sein Ordnen von Zeitschriftenmaterial direkt von einer Kamera über ihm auf die Bühne projiziert wird. Wird beim ersten Mal klar, dass es dem Allroundkünstler darum geht, die bildende Kunst nach seinen Vorstellungen und seinen Möglichkeiten in diese Opernproduktion einzubringen, erklären im zweiten Fall die gezeigten Zeitschriften all jene Einflüsse, die sich im Bühnengeschehen wiederspiegeln. James Bond, Stanley Kubrick, Terence Hill, Star Treck, Caligula oder Mad Max, um nur einige davon zu nennen, finden sich kostümtechnisch im Geschehen tatsächlich wieder. Und dies verleiht den Charakteren selbst natürlich auch völlig andere Bedeutungsebenen. Am Auffälligsten kommt dies in der Ausstattung des Mondparsifals zum Tragen – mit überkniehohen Stiefeln und rotem, glänzenden Lederslip, festgezurrt an ebensolchen Hosenträgern. Es ist eine 1:1- Übernahme der Figur Zardoz aus dem gleichnamigen Science-Fiction Film von John Boorman aus dem Jahr 1974. Selten hat man eine persifliertere, männliche Figur sehen dürfen, die trotz aller nach außen zur Schau getragenen Männlichkeit nichts davon in ihrem Inneren aufweist.

Das Bühnenbild und die Kostüme zeigen überdeutlich, dass Meese eine komplett unverkrampfte Herangehensweise an den Stoff durchzieht – wahrscheinlich sehr zum Graus aller eingefleischten Wagnerianer. Aber sehr zum Gefallen des am zweiten Vorstellungsabend größtenteils jungen Publikums, das mit viel Zwischenapplaus seine Begeisterung bekundete.

Eine zusätzliche Filmhaut

Die dritte Komponente zeigte sich kurz vor Schluss in einer höchst beeindruckenden Einspielung von Szenen aus Fritz Langs filmischem „Nibelungen“-Epos. Sowohl Siegfrieds Tod als auch Kriemhilds Rache werden dabei thematisiert und legen sich wie eine zweite Haut über das Parsifal-Geschehen, das in den letzten Szenen höchst unkonventionell außer Rand und Band zu geraten scheint. Dennoch macht gerade diese Doppelbödigkeit Sinn – zeigt sie doch die große Diskrepanz zwischen der nach wie vor von vielen Opernfreaks hoch gehaltenen Nibelungensage – der deutschesten aller deutschen Sagen schlechthin – und der lustvoll ummodellierten Parsifaldeutung, die mit allen Konventionen bricht.

Vielfärbig die Musik

Bernhard Lang schuf ein höchst vielfärbiges, musikalisches Ganzes. In diesem gibt es zahlreiche Originalzitate – wenngleich auch nur wie kleine Strohfeuerchen aufglimmend. Ein Hauptcharakteristikum stellen jene Wiederholungen von extrem kurzen Phrasen dar, die wie Sprünge in Schallplatten wahrgenommen werden. Immer und immer wieder müssen die Sängerinnen und Sänger dabei einzelne Silben wiederholen und geben ihnen dadurch zugleich auch zusätzliches Gewicht. Dies ist ein bekanntes Stilmittel des Komponisten, das in diesem Fall aber auch als Idee einer zu Recht mit Bruchstellen versehenen Wagner-Rezeption aufgefasst werden kann. Dagegen stellt Lang einige höchst harmonisch ausformulierte Chorszenen, wie zu Beginn und in der letzten Szene, die Lust auf mehr, auf vielmehr evozieren. (auch nicht von dieser Welt, so gigantisch präzise und zugleich höchst feinsinnig der Arnold Schönberg Chor). Jazzige Elemente, wie der Einsatz eines Saxophons auf dem Weg zu einer Free-Jazz-Session wiederum brechen komplett mit der Vorgabe von Wagner.

Die schwerste Partie hat Parsifal zu absolvieren. Daniel Gloger meistert diese Countertenorherausforderung mit beinahe übermenschlicher Kraft. Die Stelle, an welcher er seine eigene Schuld wahrnimmt und in den Irrsinn abzugleiten droht, erfordert einen stimmlichen Kraftakt der Sonderklasse. Mehr geschrien als gesungen, in ganz und gar nicht wohlklingenden Tönen, durchbricht er dabei jede bis dahin von der Gattung Oper aufoktroyierte Stimmbehandlung. Das hat seinen Preis. Im darauffolgenden Akt merkt man die zuvor stattgefundene Überbeanspruchung deutlich. Aber in der Wandlung vom Erwachsenenverweigerer zum von Kopf bis Fuß vergoldeten Ritter macht sogar das Sinn. Dort, wo die kindliche Emotion ausgeträumt ist und der Ritteralltag eintritt, darf auch die Stimme seine Kraft und Brillanz verlieren.

Einmal ist Schluss mit Mutter

Zu guter Letzt kommt auch Jonathan Meeses kolportiere und von ihm medienwirksam gepflegte Mutterfixierung zur Sprache. Und das höchst direkt. Denn ausgestattet mit einem überdimensionalen Eierkopf, wie einst Humpty-Dumpty, darf ihr Konterfei, das gesamte Stück lang am rechten Bühnenrand platziert, prüfend ins Publikum blicken. Die Beschriftung, die auf ihrem kleinen Körper zu sehen ist „Na siehste!“ kann mehrdeutig aufgefasst werden. Zumindest schwingt in ihr aber Meeses Triumph über die Festspielverantwortlichen am Grünen Hügel mit, die ihm unter großem Getöse eine bereits zugesagte Parsifal-Inszenierung kurzerhand strichen. Die fade Ausrede der Unfinanzierbarkeit wurde nun von den Festwochen Lügen gestraft. Noch dazu, wo Bernhard Lang für die Komposition zusätzlich verpflichtet und bezahlt werden musste. Bravo Wien! Die finale Geste von Gurnemanz, mit der er die allegorisierte Muttergestalt schließlich zu Fall bringt, ist eine von Erlösung getragene. Endlich gibt sie nun Ruhe, die Alte! Vorgenommen jedoch ohne jegliche Musik, dafür aber unter schallendem Publikumsgelächter und viel Applaus.

„Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz) unter der souveränen, musikalischen Leitung von Simone Young, die das Klangforum Wien zu einer absoluten Höchstleistung animierte, kann als Vorzeigebeispiel herhalten. Als Referenzprojekt, in dem die Grenzüberschreitung von Künstlern wie Jonathan Meese und Bernhard Lang ein Genre wiederbeleben, das auch für die Generation „Oper braucht kein Mensch mehr“ interessant ist.

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