Eulen an Lerchen, Eulen an Lerchen!

Nachts, wenn alles schläft, schläft nicht alles. Das ist die Erkenntnis von „Nachtschicht“, der ersten Premiere unter der neuen Leitung von Anna Badora im ehemaligen Hundsturm, nun Volxs/Margarethen betitelt. Jessica Glause ist eine preisgekrönte, junge Regisseurin, die schon mehrfach partizipative Theaterprojekte erarbeitete. Sie recherchierte das Thema Nachtarbeit in Wien und fand sieben Menschen, die auf der Bühne über ihr eigenes Berufsleben erzählten.

Ein Kellner, eine Astronomin, eine Biologin, ein OP-Gehilfe, ein Sicherheitsbeauftragter, eine Frau, die bei der AUA nachts Frachten abfertigte, ein Libyer, der viele Berufe kennenlernte, die nachts zu erledigen sind. Sie alle gestalteten einen kurzweiligen Abend, der eine Menge Informationen für das Publikum bereithielt. Wie zum Beispiel, dass im OP so gut wie nie gestorben wird, oder dass mit der Abkürzung Hugo ein Leichentransport per Flugzeug gemeint ist. Man lernte, dass es eine Lichtverschmutzung gibt und Fledermäuse gezählt werden müssen. Ganz so wie am Stammtisch waren jene Geschichten die interessantesten, bei denen man tief in die Abgründe des menschlichen Seins blicken durfte. Wie zum Beispiel an jener Stelle, an der der OP-Gehilfe vom „Ausboandl“ eines hirntoten Menschen erzählte.

Glause lässt in kurzen Sequenzen verschiedene Themen anreißen, ähnlich wie dies auch in einer geselligen Runde passiert. Mal weiß die eine was zu erzählen, dann wieder der andere. Mal ist man erstaunt, dann wieder erschrocken oder auch belustigt. Nachtarbeit ist krebserregend und dennoch hat es für viele unterschiedliche Reize. Die Ruhe der Nacht, ein selbstbestimmterer Umgang im Job, ein um 30% höherer Lohn als am Tag. Da nimmt man einiges dafür in Kauf. Viele haben keine große Familie, wenn überhaupt eine. Sie alle erzählen davon, dass sich die sozialen Kontakte auf ein Minimum beschränken. Man kann weder vor- noch nachschlafen und hat das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören, zu dieser Gesellschaft, die doch ohne nachtarbeitende Menschen nicht auskommt.

„Die nächtliche Dunkelheit ist ein schützenswertes Kulturgut“ oder „schlimm ist es, wenn man nix findet, dann hat man umsonst aufgeschnitten“, Sätze wie diese lassen aufhorchen. „Um 5 Uhr morgens dreh ich das Licht auf, da sehen dann alle aus wie Vampire“, der Kellner aus dem Café Europa erzählt aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz und dass ihn Leute in der U-Bahn für einen Alkoholiker halten, obwohl er nach seiner Schicht nur einen Absacker trinkt. Der Türsteher hat die Lacher auf seiner Seite als er berichtet, dass jene Lokale besonders schlimm sind, in denen Studenten verkehren.

Hinter all den verschiedenen Berufen verstecken sich Lebensentwürfe, die einander nicht unähnlich sind. Als Eulen bezeichnen sich die Nachtarbeiterinnen und –arbeiter selbst und rufen aus dem Dunkel zu den Lerchen, mit denen sie wenig verbindet. Der Abend ist eine Mischung aus Doku, Kabarett und, aufgrund der musikalischen Einlagen, eine kleine, kurzweilige Revue. Die Darstellerinnen und Darsteller werden im Laufe des Abends erst richtig warm. Eine kluge Regie, die am Beginn vieles hinter Stoffpaneelen deklamieren lässt, hilft bei der Aufwärmphase. Die Truppe findet, je länger die Vorstellung dauert, immer mehr zusammen, bildet am Ende so etwas wie eine eingeschworene Gemeinschaft. Ein Gefühl, dass die meisten von ihnen so noch nicht erlebt haben dürften. Die Stärke der Produktion liegt darin, dass man den Prozess spüren und nachvollziehen kann, durch den die Laien mit der Regisseurin gingen, vom Einzelgänger zum Teamplayer. Das Gemeinschaftsgefühl, das am Ende beim Ensemble spürbar ist, fühlt sich besser an als das Versteckspiel zu Beginn der Vorstellung. Glause zeigt damit anschaulich, dass mit Intelligenz und Kreativität Kommunikationsbarrieren gesprengt werden können – von Eulen zu Eulen, aber auch von Eulen zu Lerchen.

Link Volkstheater, Produktion Nachtschicht hier

Link Biographie Jessica Glause hier

 

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