Nackte Tatsachen

Nackte Tatsachen

Michaela Preiner

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8.

August 2013

Da verblasst so manch junges, make-up-gestiltes Modepüppchen, ganz zu schweigen von den blutlosen Möchte-Gern-Models, die in diversen Fernsehshows einem pseudo-fröhlichen Körperkult huldigen.

Die Bühne ist puristischer als puristisch. Auf ihr befindet sich nichts als ein Mischpult, an dem Doris Uhlich herself wirkt. Mit knöchelhohen Schuhen und einer silbrig glänzenden Jacke, welche die Tänzerin und Choreografin aber über lange Strecken beiseitegelegt hat, werkt sie an den Reglern. Mit einer langen Passage Discomusik lässt Uhlich die 20köpfige Tanzgruppe – gänzlich nackt – erst einmal aufwärmen. Langsam ergreift die Musik von den durchtrainierten Körpern der jungen Männer und Frauen Besitz. Zu diesem Zeitpunkt ist das voyeuristische Moment, das man beim Publikum angesichts dieser vielen nackten Tatsachen erwartet, tatsächlich auch noch präsent. Noch halten die Tanzenden Abstand voneinander, sind mit der Einstimmung auf den Abend beschäftigt, doch nach wenigen Augenblicken ändert sich das Szenario. Was nun zu sehen ist, wird sich während der ganzen Vorstellung hindurch in Abwandlungen wiederholen. Es ist nicht die Präsentation von Spannung, Kraft und muskelgestählten Körpern. Ganz im Gegenteil. Selbstverliebt beginnen die Akteure und Akteurinnen einzelne Teile ihres eigenen Leibs zu entdecken und jene Partien in Schwingung zu versetzen, die beim Tanz sonst diszipliniert angespannt werden müssen. Da wackeln Busen und Hinterteile, Waden und Oberschenkel. Da wird an Wangen gezerrt und Unterschenkel in Wellenbewegungen gesetzt. „Fetttanztechnik“ bezeichnet Uhlich selbst den von ihr kreierten Stil, bei dem es darauf ankommt, all das in Schwingung zu versetzen, was in Schwingung versetzt werden kann. Im Körper selbst würden sich Informationen wie Denkweisen oder Gesellschaftsstrukturen sammeln und festsetzen und durch das Beuteln und Schütteln würden diese gelockert und in Bewegung gesetzt werden. Das ist der theoretische Hinterbau, der von Wilhelm Reichs Ideen stark beeinflusst scheint, dieser speziellen Art von Choreografie.

"More than naked" Uraufführung ImPulsTanz

ImPulsTanz Festival in Wien zeigt die Uraufführung des Stückes „more than naked“ von Doris Uhlich (Foto: Andrea Salzmann)

So trocken das vielleicht auch klingen mag – auf der Bühne selbst generiert sich die Beschäftigung mit dem puren Fleisch extrem lustig. Vor allem in jenen Passagen, in welchen die Tänzerinnen und Tänzer einzelne Muskeln gegenseitig in Schwingung versetzen. Und genau in dem Moment ist auch der Publikumsbann gebrochen. Lautes Gelächter aus einzelnen Reihen machen klar: Von einem Spannereffekt kann hier nicht mehr die Rede sein. Aber nicht nur das Publikum hat Spaß an den unterschiedlichen Bewegungskombinationen, bei denen sich bis zu 5 Menschen miteinander vereinigen, um wackeln zu lassen, was das Zeug hält. Auch die Tanzenden haben sichtlich Spaß an dem ungewöhnlichen Geschehen. Abseits jeglicher Konnotation, die auf sexuelle Aktivitäten schließen lässt, reiben sie ihre Bäuche und Rücken, Beine und Arme aneinander und entwickeln immer absurder werdende Bewegungsmuster. Eine abwechslungsreiche Musikmischung von Heavy-Metal bis hin zu barocken Festklängen bestimmt die Geschwindigkeit und Intensität der Choreografie – bis hin zur gänzlichen Verweigerung. Als Barockmusik erklingt, bleibt die Truppe dem Publikum abgewandt, in einer Reihe regungslos stehen – eine schöne Metapher für die so restriktive Körperlichkeit der damaligen Zeit, für die – zumindest bei Hofe – ein Abweichen einer Norm nicht möglich war. Nicht nur Tanz unterlag strikten Regeln, sondern auch die Annäherung zwischen den Menschen und Geschlechtern waren in ein Korsett gepresst, das keinen individuellen Ausdruck zuließ.

Was Fetttanzen wirklich heißt, zeigt Uhlich schließlich in einer Soloperformance. Dabei pfeift sie auf Schönheitsideale und macht deutlich, was pure Lust am eigenen Körper bedeutet. Ihre Fettpölsterchen schwingen, ihr Busen hüpft vergnüglich und ihr Po wird ordentlich durchgeschüttelt. Wer wissen will, wie weit Emanzipation gehen kann – vielleicht sogar muss, um ihrem Namen tatsächlich gerecht zu werden, dem sei diese Performance ans Herz gelegt. Da verblasst so manch junges, make-up-gestiltes Modepüppchen, ganz zu schweigen von den blutlosen Möchte-Gern-Models, die in diversen Fernsehshows einem pseudo-fröhlichen Körperkult huldigen. Die Akzeptanz des eigenen körperlichen Seins steht bei Doris Uhlich im Vordergrund und die Aufforderung, diesen als lustvollen Ort abseits jeglicher gesellschaftlicher Normen und Vorgaben zu begreifen. Von der Selbstwahrnehmung bis hin zu Begegnungen im sexuellen Bereich reicht das Spektrum, das unter diesem Blickwinkel neu definiert werden kann. Alles was es dazu braucht, ist Mut, davon aber jede Menge.

Links:

ImPulsTanz Festival Wien
ImPulsTanz bei European Cultural News
Webseite von Doris Uhlich

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