Meine, deine, unsere Familie

Meine, deine, unsere Familie

Michaela Preiner

Foto: ( )

7.

April 2016

Die schönsten Momente des Abends sind jene, in denen die Tänzer gemeinsam auftreten. Omar Rajeh zeigte im Tanzquartier, wie Multikulti lebbar sein kann.

Es riecht nach Essen. Nach Zwiebeln, nach Kräutern. Der meterlange Tisch steht inmitten des Raumes, vollbepackt mit großen Schüsseln, Gemüse, Messern, Schneidbrettern, Ölflaschen. Offenbar wird gekocht werden. In der Halle G, die das Tanzquartier nutzt. Eine Kochshow?
Mitnichten.

Omar Rajeh, Leiter des Maqamat Dance Theatre aus dem Libanon war zu Gast in Wien. Rajeh, einer der Vorreiter und Hauptproponenten des zeitgenössischen Tanzes im Libanon, kam aber nicht alleine. Zu seiner Inszenierung „Beynta“ our home brachte er das Trio Joubran aus Palästina mit und lud in Wien drei weitere Tänzer und Choreografen ein. Keine geringen.

Koen Augustijnen, der eng mit „Les ballets C de la B“ zusammenarbeitet, Anani Dodji Sanouvi aus Togo, dessen Kompagnie in Amsterdam ansässig ist, sowie den charismatischen Hiroaki Umeda aus Japan, der mit seiner eigenen Körperarbeit ein ganz spezielles Bewegungsvokabular kreierte.

Inmitten all der Männer steht eine ältere Frau mit kurzen, schwarzen Haaren und langem Rock, eine Plastikschürze umgebunden. Sie beginnt ruhig, ohne zu sprechen, Gemüse zu schnippeln. Die Mutter von Omar Rajeh zeigt den Männern vor, wie sie das Gemüse zu schneiden haben. Die Berge von Lebensmitteln, die sich in den Schüsseln türmen, müssen schließlich bewältigt werden. „Beynta“ bedeutet frei übersetzt eine Einladung in ein Zuhause. Ein Zuhause, in dem man sich trifft, um einen Tisch schart, zusammen redet, feiert, isst.

„Früher haben wir uns jedes Wochenende bei meinem Großvater und meinen Onkeln getroffen. Die ganze Familie, das waren dann auch schon 30, 40 Leute“, erzählte Rajeh bei einem Interview. Dieses Feiern mit der Großfamilie hat sich aufgehört. Nur noch selten treffen alle zusammen. Die Sehnsucht nach einem Zuhause, in dem man sich verstanden fühlt, ist aber bei dem Tänzer geblieben. Für ihn ist die Einladung an den großen Tisch auf der Bühne nichts anderes als eine zeitgemäße Form gemeinsam zu feiern. Gemeinsam zu kommunizieren, sich auszutauschen, aber auch die Unterschiedlichkeiten festzustellen und diese auch als Unterschiedlichkeiten stehen zu lassen. Mit einer Familie, die nicht aufgrund von Erbgut zusammengehört, sondern mit einer Familie, die sich Rajeh selbst ausgesucht hat.

BEYTNA (c) TONY ELIEH

BEYTNA (c) TONY ELIEH

Seine Kollegen, die wie er tanzen und choreografieren, die Musiker mit denen er auftritt, die Menschen rings um die Produktion, jene die sich für seine Arbeit interessieren, das ist jetzt seine Familie. Seine selbst gewählte. Aber bis am Ende der Vorstellung tatsächlich gemeinsam gegessen und gefeiert wird, bieten Omar Rajeh und seine Freunde noch reichlich Tanz- und Musikfutter. Die drei Joubran-Brüder und ihr rhythmischer Begleiter Youssef Hbaisch stammen aus Palästina. Sie spielen jeder auf einer Oud, die sie mit ihrem Vater gemeinsam selbst gebaut haben. In der vierten Generation sind sie bereits Musiker und touren durch die ganze Welt. Der Sound, den sie an diesem Abend liefern, ist an die traditionelle Musik ihrer Heimat angelehnt, schwenkt aber während der einzelnen Darbietungen wie bei jener des Japaners Umeda auch in die asiatische Pentatonik und Klangmelodik. Das Oszillieren, der Austausch zwischen den Kulturen passiert auch im Tanz selbst, wobei jeder einzelne der Tänzer sich dabei seinem eigenen Tanzstil treu bleibt.

Sanouvi eröffnet dabei mit einer Choreografie, die stark an die Nachahmung eines großen Vogels erinnert. Wie Rajeh greift er dabei auf die genuine Tanzkultur seiner Heimat zurück, ohne jedoch diese nur zu kopieren. Sein Merkmal an diesem Abend ist jene Bewegung, die seinen Körper vom Kopf bis zu den Beinen durchschütteln lässt. Dabei hat es den Eindruck, als ob sich Sanouvi in eine Art Trance schüttelt, aus der er jeweils nur langsam wieder entweichen kann. Bei Rajeh sind es immer wieder Schrittfolgen aus dem traditionellen libanesischen Dabke, bei dem in rascher Folge Schritte mehr gestampft als getanzt werden, die er in sein Repertoire mit aufnimmt. Aber auch Gesten der Hände, die an jene der Frauen erinnert, die den arabischen Tanz pflegen, sind zu erkennen. Oft nimmt er beinahe Anlauf, um den Raum in der Diagonale zu durchqueren und abrupt wieder innezuhalten um in kleinteilige Schrittabläufe zurückzufallen. Umeda zeigt, wie man, ohne sich von der Stelle zu rühren, so bewegen kann, als gäbe es keine natürlichen Gesetze, die einem der Knochenbau eines Körpers vorgibt. Gegengleich verschieben sich bei ihm die Hüften, die Schultern und der Kopf und beugt dabei noch seine Knie. Der Belgier Augustijnen zelebriert den Ausdruckstanz mit verständlichen Gesten und kreiert einen neuen „Säbeltanz“ bei dem die Bedrohung mit einem Messer gegen sich selbst gerichtet ist.

Die schönsten Momente des Abends sind jene, in denen die Tänzer gemeinsam auftreten. In Zweier- oder wie am Schluss in einer Viererkonstellation. Wie sie sich in ihrem eigenen Ausdruck treu bleiben, zugleich aber auf die anderen eingehen, wie sich ihre Energien bündeln und ein neues, schillerndes Ganzes erzeugen ist nicht nur toll anzusehen, sondern macht auch Hoffnung.

BEYTNA (c) TONY ELIEH

BEYTNA (c) TONY ELIEH

Der Libanon ist ein Land, in dem sich viele Völker miteinander vermischen. Rajeh, der ein Stipendium an der Amerikanischen Universität in Beirut sausen ließ, um in London Tanz zu studieren, ist in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Multikulturalität die Norm ist. Angesprochen auf die Flüchtlingsproblematik antwortete er völlig unprätentiös: „Wir haben so viele Flüchtlinge in unserem Land, dass ihre Zahl ein Drittel unserer Bevölkerung ausmacht. Aber was sollen wir tun? Niemand von ihnen kommt freiwillig, niemand wohnt freiwillig in Camps in einem Zelt. Das sind Menschen, denen müssen wir helfen.“ Als Europäerin ist man beschämt, ob dieser Aussage, wenn man daran denkt, welche Aufstände die Menschen hierzulande machen, welche Ausgrenzungen vonstattengehen, welche Abschottungen getroffen werden. Rajeh fährt die absolute Gegenstrategie. Man kann ihn ohne Weiteres als Pionier des zeitgenössischen Tanzes im Libanon bezeichnen, denn nach seinem Studium in London begann er die Tanzlandschaft in seinem Heimatland sukzessive aufzubauen. Mit bipod, einem internationalen Tanzfestival, das er auf die Beine gestellt hat – und das ohne öffentliche Förderung – ist er auch in der internationalen Wahrnehmung angekommen. Mit seinem Abend zeigt er, dass es möglich ist, auch extreme Individualisten, wie es Choreografen, ja alle kreativen Menschen zwangsläufig sind, unter einen Hut zu bringen.

Während das große Finale getanzt wird, ganz nah am Publikum, schweißtreibend und aufregend, weil jeder der vier Männer eine Persönlichkeit für sich ist, weil man jedem auch alleine gerne zusieht, arbeitet Rajehs Mutter am großen Tisch im Hintergrund. Sie bäckt frische Brotfladen, die im Libanon das Gericht namens „Fatouch“ begleiten. Frisch werden sie dem Ensemble und dem Publikum mit dem großen Salat serviert werden. Um zu demonstrieren, dass die Vielfalt eine große Spange hat, die alles zusammenhält. „Convivialité“ nennen die Franzosen das Zusammenkommen, das Teilen und Feiern unter Freunden. „Beynta“ nennen es die Libanesen. Müssen wir im deutschen Sprachraum dafür erst einen Begriff erfinden?

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