Eine geballte Ladung zeitgenössisches Musiktheater in Graz

Eine geballte Ladung zeitgenössisches Musiktheater in Graz

Michaela Preiner

Foto: ( )

27.

Mai 2022

Wer sich in Graz für zeitgenössisches Musiktheater interessiert, dem seien die Koproduktionen der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz mit der Oper Graz sehr empfohlen. Im Abstand von einigen Monaten sind in auf der Studiobühne Inszenierungen von beeindruckender Qualität zu sehen.

„Zeit. Vergänglich“ – Opern der Zukunft 2022 – so nannte sich der Generaltitel des Abends, an welchem vier Kurzopern zur Aufführung kamen. Der Titel bot eine kluge thematische Klammer für die Arbeiten, die sich allesamt nicht in die Verordnung einer bestimmten Zeit fügten.

Morgen 6:58

„Morgen 6:58“ von der Komponistin Jeeyoung Yoo (Absolventin von Beat Furrer & Franck Bedrossian) und der Librettistin Sanghwa Park führte drei unterschiedliche Charaktere vor, die jedoch genauso drei innere Stimmen ein- und derselben Person sein können. „Ge“, gesungen von Melis Demiray, versprühte dabei einen ausufernden Optimismus und verkörperte die Lebenslust eines jungen Mädchens, das trotz widriger Umstände das Leben ausschließlich positiv annimmt.

Justina Vaitkute hingegen personifizierte als „Bu“ genau das Gegenteil. Unfähig, aus dem Bett zu kommen, lamentierte sie über die Schwere des Lebens und verfiel dabei in beinahe eselsgleiche Schmerzensrufe.

Harald Hieronymus Hein hingegen als „Mu“ gab einen jungen Menschen mit neutraler Lebenseinstellung nach dem Motto: Nicht zu viel hoffen, nichts erwarten, alles nehmen, wie es kommt.

Die musikalische Umsetzung begann und endete mit Luftgeräuschen der Blasinstrumente, die wie ein kurzer, musikalischer Prolog und Epilog wirkten. Der Stimmeneinsatz zeichnete sich über weite Strecken durch Sprechgesänge aus, die zum Teil kunstvoll denselben Text leicht versetzt rezitierten. Die unterschiedlichen Stimmlagen wurden von Instrumenten unaufdringlich unterstützt. Flöten und Geigen waren bei Melis Demiray vorherrschend, dunkle Bläser bei Justina Vaitkute und Posaunen begleiteten Harald Hieronymus Hein. Das Bühnenbild – drei nebeneinanderstehende Kingsize-Betten in unterschiedlichen Farben, unterstützte einen beinahe eingefrorenen Zeitmoment, eingefangen zwischen schlafender Inaktivität und morgendlicher Aufwachphase und einer Uhr, bei der sich der Zeiger im Laufe der Kurzoper nur um 1 Minute weiterbewegte.

The Patron Saint of Liars

Für „The Patron Saint of Liars“, einem musikalischen Satyrspiel von Sinan Samanli (Student von Beat Furrer) sang das Ensemble in türkischer und englischer Sprache. Dafür verwendete der Komponist Textstellen aus dem Roman „Das Uhrenstellinstitut“ von Ahmet Hamdi.

Die Geschichte zeigt die Entstehung und Verbreitung von sogenannten „Fake News“ auf, die schließlich nicht nur von jenen geglaubt werden, für welche sie gemacht wurden, sondern letztlich sogar jenen logisch erscheinen, die sie produzieren. Mit einer völlig surrealen Komponente kippt die Erzählung in ein Ende, in welchem ein Bild erzeugt wird, das an das letzte Abendmahl erinnert. Vibeke Andersen schuf für alle vier Kurzopern die Bühnenbilder. Hier gestaltete sie ein altmodisches Büro mit einzelnen Arbeitstischen, bevölkert von grauen Arbeitskräften (Kostüme Mareile von Stritzky, ebenfalls für die Ausstattung des Abends zuständig), die stupiden Arbeiten nachgehen müssen; solange, bis der Institutsleiter Hayri von Zweifeln über das eigene Tun geplagt wird.

Felix Heuser  überzeugt in der Rolle sowohl stimmlich als auch mit einer ausgeprägten, schauspielerischen Leistung und bietet seinem Vorgesetzten Halit – Thomas Essl, einen scharfen Widerpart. Ana Caseiro Vieira, Ellen Kelly, Johannes Wieners und Harald Hieronymus Hein haben sowohl klanglich sehr interessante Chorpassagen als zum Teil auch solistische Aufgaben zu meistern. Die sehr komplex gesetzte Partitur erfordert exakteste Stimm- und Instrumentaleinsätze. Eine herausragend gemeisterte Aufgabe von Leonhard Garms, der das PPCM-Ensemble – die Masterklasse des Klangforum Wien an der KUG – leitete.

 

Solus – Bild einer gebrochenen Frau

Das dritte Stück des Abends „Solus“ – Bild einer gebrochenen Frau – komponiert von Ármin Cservenák (Student von Beat Furrer), hielt den Sängerinnen Corina Koller, Samantha Baran und Justina Vaitkute höchst anspruchsvolle Aufgaben bereit. Das Libretto ist aus Gedichten von Rilke und Nietzsche zusammengestellt, für das letzte Bild steuerte Cservenák selbst den Text bei.

Die drei Frauen, die letztlich einen einzigen Charakter wiedergeben, erzählen und singen von den Schmerzen einer unerfüllten Liebe, die am Schluss in den Wahnsinn kippt. Dabei glänzte Corina Koller mit einem unglaublich fülligen, zugleich aber hoch lyrischen Sopran, den man ohne Übertreibung als atemberaubend bezeichnen kann. Stille Augenblicke, in welchen das musikalische Geschehen beinahe zum Erliegen kommt, wechseln sich mit furiosen ab, in welchen das Orchester förmlich tobt. In lange, flirrende Instrumentalpassagen wiederum brechen die Stimmen laut und brachial ein. Ganz im Gegensatz zu einem wunderbaren Terzett, in dem Cservenák die Stimmen kunstvoll miteinander verschränkt.

Glücklich, die wissen, dass hinter allen Sprachen das Unsägliche steht

„Glücklich, die wissen, dass hinter allen Sprachen das Unsägliche steht“ – ein Operncinema von Joan Gómez Alemany (Absolvent von Clemens Gadenstätter & Franck Bedrossian) bildete den fulminanten Abschluss der Kurzopernserie. Neben der cineastischen Verschränkung des Geschehens mit jenem auf der Bühne ist ein breit angelegter Instrumentaleinsatz für das Werk charakteristisch. Eine Gruppe von schwarz gekleideten Menschen hat sich offenbar zu einer Trauerfeier zusammengefunden.

Die Videoeinspielungen einer alten Frau in einem kleinen Haus in Spanien, bei der man sie sowohl beim Kochen, Nähen an einer Nähmaschine als auch beim Beten sieht, legen den Schluss nahe, dass die Menschen sich zu ihrem Begräbnis zusammengefunden haben. Bilder von Kircheninneren, aber auch Aufnahmen von kommunistischen Soldaten, die lachend Köpfe von geschändeten Kruzifixen in der Hand halten, vermitteln ein breites Spannungsfeld, das auch musikalisch hörbar wird. Tonmaterial, das – wie in einem Fall – die alte, mechanisch betriebene Nähmaschine hörbar macht, wechselt mit auffallenden Harmonien – just in dem Moment, in welchem auch das Wort „Harmonien“ im Text verwendet wird. Eine lange Klavierpassage mit romantisch angelegten, breiten Läufen steht im krassen Gegensatz zu wilden Tanzrhythmen und scharfen Fanfaren.

Die Texte stammen von Fernando de Rojas, Angelus Silesius, Rainer Maria Rilke – der im Moment wieder eine neue Blüte erlebt – Novalis, Friedrich Hölderlin, acht Namen von Komponisten, neun Worten der christlichen Liturgie, drei erfundenen Wörtern und einem Satz von Bertolt Brecht. Das Gesangsensemble mit Ana Caseiro Vieira, Samantha Baran, Felix Heuser und Harald Hieronymus Hein – alle schon in vorangegangenen Kurzopern im Einsatz – überzeugte sowohl stimmlich als auch schauspielerisch.

Diese Art, Komponierende mit kurzen Werken zu präsentieren, fördert ein über den Abend hinaus anhaltendes Interesse an ihnen. Für die Studiobühne wäre der Einbau eines Belüftungs- oder Klimasystems sehr wünschenswert. Nicht nur für die Musizierenden, sondern auch für das Publikum.

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