Sengl sitzt

Das Untergeschoß des Leopold Museums ist bis Februar 2016 mit einer One-man-Schau bestückt. „Sengl malt“ ist an der Wand in roten Lettern als Titel zu lesen. Und kleiner darunter: Eine Retrospektive. Sowohl die Headline als auch der Untertitel stimmen nicht ganz.

Denn erstens malt Peter Sengl im Museum selbst nicht, was man vielleicht mit der Aussage assoziieren könnte und zweitens ist die Schau nicht nur eine Retrospektive. Sie zeigt auch sieben neue Arbeiten, die allesamt in einer Auseinandersetzung mit wichtigen Werken der Sammlung Leopold entstanden sind.

Peter Sengl, Jahrgang 45, ist Maler und Zeichner und vereint diese beiden Grundaussagen der bildenden Kunst meist in ein und demselben Blatt oder auf ein und derselben Leinwand. Das grafische und das malerische Element bedingen sich bei ihm. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar.

Die Bilder des Künstlers sind, und das ist im heutigen Kunstbetrieb wahrlich schon eine Ausnahme, auf den ersten Blick als von seiner Hand erkennbar. Somit hätte Sengl jenes Kriterium erfüllt, das einen Künstler dazu befähigt, mit höheren Weihen ausgezeichnet zu werden, als da allen voran der internationale Kunstmarkt wäre. Das ist ihm aber bislang versagt geblieben. Schuld daran sind zwei Umstände. Sengl begann in einer Zeit mit seiner Malerei, als diese gerade ganz und gar nicht en vogue war. Seit den späten 60er Jahren herrschte Aufbruchstimmung in den Ateliers weltweit – weg von der Malerei, hin zu Objekten, Konzepten und Medienkunst. Dass der Künstler Österreicher ist, kann man als zweiten Hemmschuh für eine internationale Karriere betrachten. Denn wäre er in Großbritannien oder den USA tätig und auch in derselben Weise mit Galerien verbunden wie dies in Österreich der Fall ist, Sengl hätte gewiss einen Bekanntheitssprung nach oben erleben dürfen. Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden.

Denn das, was Sengl zeigt, entspringt einer ganz eigenen Bilderwelt. Wesen, Hybride zwischen Mensch und Maschine, eingespannt in Sachzwänge im wahrsten Sinne des Wortes, bevölkern die Malgründe in den unterschiedlichsten Konstellationen. Männer, Frauen, Kinder, Gerippe, Tiere, Maschinenwesen und alles dazwischen scheinen einer eigenen Sengel´schen Kompositionsregie entsprungen. Bunt, figurativ, lesbar und doch nicht zu enträtseln sind seine Arbeiten. Titel wie „Katzverbesserte-Karo-Hutterz“ oder „Sackaufbläser im Blumenkranz“ wären es wert, von Kolleginnen und Kollegen der Literaturwissenschaft näher unter die Lupe genommen zu werden. Andere wieder, wie „Die 2 FRIDASFRIDAPUPPENHALTUNG“ ergänzen und erweitern die Darstellung, auf der Sengl tatsächlich Frida Kahlo in zwei verschiedenen Varianten präsentiert. Es wäre nicht richtig, Sengl als Surrealisten zu bezeichnen, denn sein Universum ist aus mannigfachen Impulsen, die er nicht nur seiner Fantasie, sondern zu großen Teilen der Realität abringt, geschaffen. Die Freude am Fabulieren, am Zeichnen und am Malen, daran, wilde Farbkombinationen auszutesten, die niemanden ruhig lassen, scheint Sengl besonders wichtig. Immer wieder blitzen Zitate anderer Künstlerkollegen auf. Wie im Bild „Ursprünglicher Hochmützenmasochist“, das eine deutliche Anspielung auf die Papstbilder von Francis Bacon beinhaltet. Oder „Mit neunzylindrischer Aufhellung“ – der Titel eines Werkes, in dem Peter Sengl Egon Schiele in jener berühmten Position wiedergibt,  in der ihn Josef Trčka fotografierte. Wobei er damit diese Fotoserie als gleichwertig mit dem malerischen Werk Schieles apostrophiert. Nicht zu Unrecht. Das über Egon Schiele sich drohend aufgeschraubte Gerippe kündet von einem nahen Tod, den dieser selbst offenbar noch nicht wahrzunehmen imstande ist.

Die neuesten Bilder sind ebenfalls intensive Auseinandersetzungen mit Künstlerkollegen, wenngleich in einem ganz anderen Geist. Sengl nimmt sich dabei Ikonen der Sammlung Leopold vor, Egger-Lienz, Klimt, aber auch Richard Gerstl oder Oskar Kokoschka. Ohne jegliche Berührungsängste kopierte Sengl die Werke, um sich dann zusätzlich stets in derselben Pose, sitzend, auf ihnen einzuschreiben. Es ist jene Pose, in welcher er von seiner Frau Susanne Lacomb-Sengl fotografiert wurde. Nachdenklich, den Kopf in beide Hände gestützt, sieht er die Betrachtenden mit offenem Blick an. Und doch in sich gekehrt. Mal mit kariertem Anzug und gestreifter Krawatte, demselben Outfit, das Sengl anlässlich der Pressekonferenz trug, dann wieder ganz in Schwarz, mit weißem Hemd. Stets blitzen seine Maßschuhe vor Sauberkeit. Erwin Wurm schuf in seinen „50 Philosophenportraits“ eine Parallele, in welcher der Künstler stets in nachdenklicher Haltung gezeichnet, über einen bestimmten Philosophen reflektiert. Sind bei Wurm diese nicht sichtbar, sondern nur im Titel zu erahnen, agiert Sengl mit der kompletten Wiedergabe der Werke. Seine darauf angebrachten Selbstportraits fungieren zugleich als Signatur, die keinen Zweifel lässt, dass es sich bei diesen Arbeiten nicht um Kopien handelt, die man dem Kunstmarkt unterjubeln könnte. Mit seinem Abbild drückt er jedem einzelnen der Bilder einen zusätzlichen Stempel auf und dokumentiert damit gleichzeitig, dass sein künstlerisches Selbstbewusstsein ordentlich ausgeprägt ist. Die formale Einschreibung seiner Person erfolgt stets in Übereinstimmung mit der schon vorhandenen Farbpalette. Braun-orange bei Egger-Lienz, blau bei Walde, weiß bei Kokoschka – wobei hier auch der Titel erahnen lässt, mit welchen Gedanken Sengl rang, als er sich an diese Arbeit machte. „Die Vielfarbigkeit des OK weiss aussitzen.“ „Kokoschka war für mich am schwersten“, so Sengl, was auch damit zusammenhängt, dass ihn dieser Maler bislang am allerwenigsten berührte und nahestand. Interessant, dass ein und das selbe Motiv, das Selbstportrait des Malers, je nach Kontext des Vorbildwerkes, zum Nachdenken, Grübeln oder auch Lachen anregt. Wie zum Beispiel in der Arbeit „Die Zukunft merkt man sich besser als die Vergangenheit“, in der ganz in der Manier von August Walla zusätzliche fantastische Beschriftungen, aber auch die Sengel´sche Pose mit Teufelshörnchen der Abbildung einen Extra-Kick verleihen. Die Referenz an den Gugging-Künstler erlaubt hier eine augenzwinkernde Abwandlung der sonst so strengen Sitzhaltung. Oder auch das Zitat jenes Bildes von Alfons Walde, in dem dessen Sonntagsbäuerinnen ihren Blick förmlich belustigt auf den im Schnee sitzenden Sengl richten. Wobei das Sitzen mehr einem Art Schwebezustand gleicht, denn es sind Gestänge oder auch Kluppen, die den Künstler in der jeweiligen Position hilfreich verharren lassen. Auch hier, sogar bei sich selbst, schlägt sein unerbittlicher Sachzwang zu.

Bewundernswert, wie es ihm gelang, mit dieser Serie – beinahe trickreich – eine zusätzliche Bedeutungsebene zu schaffen. Bei zukünftigen Studien der Originale wird man mit Vehemenz Sengls Interpretation aus dem Kopf verbannen müssen.

Obwohl sein Werk mehrere Tausend Papierarbeiten umfasst, wurde das Hauptaugenmerk der Ausstellung auf Gemälde gelegt. Carl Aigner, der für die Auswahl verantwortlich ist, konnte aus dem Vollen schöpfen und Werke aus dem Besitz des Künstlers mit Leihgaben ergänzen. Mit „Sengl malt“ wird dem aus der Steiermark gebürtigen Künstler alleine schon aufgrund des musealen Umfeldes, das Elisabeth Leopold mit einem „Museum des Expressiven“ beschrieb, eine Zuschreibung zuteil, die gerechtfertigt ist. Vielleicht verschaffen die internationalen Kontakte der Ausstellungsverantwortlichen Peter Sengl jenen Schub nach außen, der längst notwendig und fällig ist.

Weitere Informationen auf der Website des Leopoldmuseums.

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