Von der Poesie der Alltagsobjekte

Von der Poesie der Alltagsobjekte

Michaela Preiner

Foto: ( )

12.

Oktober 2015

Teil 1 „Allege“ Unter dem Titel „Public in Private“ wurden gleich zwei Arbeiten des französischen Choreografen Clément Layes im Tanzquartier Wien an einem einzigen Abend gezeigt. „Allege“ – vor fünf Jahren entstanden und das allerneueste Werk „Title“ machten deutlich, dass Layes ein Großmeister der Poesie von Alltagsgegenständen ist. Da wir fanden, dass beide Perfomances einen […]

Teil 1 „Allege“

Unter dem Titel „Public in Private“ wurden gleich zwei Arbeiten des französischen Choreografen Clément Layes im Tanzquartier Wien an einem einzigen Abend gezeigt. „Allege“ – vor fünf Jahren entstanden und das allerneueste Werk „Title“ machten deutlich, dass Layes ein Großmeister der Poesie von Alltagsgegenständen ist. Da wir fanden, dass beide Perfomances einen eigenen Artikel wert sind, lesen Sie hier erst einmal unsere Rezension über „Allege“.

Auf der Bühne ist im Stockdunkel nur ein kleines rotes Lämpchen zu sehen. Als es im Raum heller wird, erkennt man, dass es zu einem ganz gewöhnlichen Wasserkocher gehört, der eingeschaltet ist. Ein Tisch steht auf der Bühne, darauf ein grüner Eimer, eine Schreibtafel, das scheint auch schon die ganze Ausstattung zu sein, die der Choreograf Clément Layes für sein Stück „Allege“ benötigt. Es war seine allererste Arbeit für deren Choreografie er verantwortlich ist. Vergangene Woche erlebte sie ihre Premiere im Tanzquartier in Wien.

Vincent Weber hat sie performt. Nach einigen Augenblicken, in denen der Wasserkocher alleine alle Aufmerksam auf sich gezogen hat, kommt er auf die Bühne, gebückt. Ein kleines Glas steht auf seinem Nacken, der Grund, warum der Mann nicht erhobenen Hauptes marschiert. Und er wird bis auf wenige Ausnahmen die Performance in dieser Haltung bestreiten. Schnell wird klar: Das, was er hier mit sich trägt, bedeutet Einschränkung. Einschränkung im körperlichen Sinn, aber darüber hinaus auch eine gedankliche Einschränkung. Denn das ist es, was Layes dem Publikum zeigen will. „Die Idee zu dieser Performance kam mir, als ich meiner Tochter zusah, als sie noch klein war. Sie spielte mit einem Wasserglas und verwendete es ganz anders, als wir dies normalerweise tun“, erklärte Layes in einem Interview. Diese Detextualisierung, diese Verwendung eines alltäglichen Gegenstandes in einer ganz anderen Art und Weise wie wir sie gewohnt sind, regte den Choreografen an, darüber nachzudenken, wie das denn eigentlich so ist mit den Gegenständen, die für uns selbstverständlich sind und über deren Gebrauch wir normalerweise überhaupt nicht nachdenken müssen.

Vincent Weber steigert die Absurdität seines Tuns auf der Bühne. Nicht nur, dass er gebückt schreitet, er entnimmt dem Kübel mehrere Gläser und Flaschen und eine kleine grüne Pflanze und beginnt, letztere zu gießen und die Gläser mit Wasser zu füllen. Auch jenes, das auf seinem Kopf steht. Unausweichlich, dass er sich dabei nass macht und das Wasser auf den Boden rinnt. Bald schon haben sich dort multiple Wasserlachen gebildet und man sitzt und sieht erstaunt dem ungewöhnlichen Treiben zu. Was geschieht hier denn eigentlich? Was macht dieser Mann, was soll das denn bedeuten? Fragen über Fragen, die einem durch den Kopf schießen, ohne in diesem Moment beantwortet werden zu können. Eine kleine akrobatische Einlage – Weber balanciert das Wasserglas ohne es zu berühren auf eine seiner Schläfen – verändert das bis dahin schon gewohnte Bewegungsrepertoire und langsam wird eine Binsenweisheit klar: Es ist alles nur eine Frage der eigenen Betrachtung. So wie man sich diese zurechtlegt, so agiert man auch. Im schlimmsten Falle mit einem gewaltigen Defizit. „Ich habe mich zu Beginn meiner Arbeit auch mit Zirkusakrobatik beschäftig“ – auch das fühlt man, wenn man Layes` Choreografie länger zusieht.

Nachdem sein Tänzer mit einem Putztuch unwirsch die Lachen auf dem Boden aufsaugte und das Tuch dann über dem Kübel auswrang, beginnt er damit, den Technikern hinter dem Regiepult Zeichen zu geben. Rechte Hand erheben bedeutet Musik an oder aus, linke Hand Licht aus und an. So dirigiert er das Geschehen direkt von der Bühne. Dazwischen zeichnet er immer wieder auf die Tafel Gläser oder Pflanzen mit verschiedenen Bewegungspfeilen. Was Gläser, Wasser, Flaschen, Tafeln und Pflanzen sind, wissen wir alle. Dass sie in einem Erzählzusammenhang auf der Bühne auch Stellvertreterrollen einnehmen können, wissen erfahrene Kulturkonsumentinnen und –konsumenten auch. Wenn aber die Metaphern, wie im Fall von „Allege“ sich nicht und nicht erraten lassen, dann muss eine Erklärung her. Und diese liefert Vincent Weber tatsächlich.

„This is the mechanism“ – macht er klar, während er auf das Glas in seinem Nacken zeigt. „This is the energy“ – benennt er das Wasser und „this is the limitation“ – ist die Erklärung für den Kübel. Das Putztuch symbolisiert den Traum, derselbe Fetzen in einer Wasserlache, dem Ozean liegend, ist Poesie, die Pflanze steht für das Leben und die immer kurz eingespielte Musik, ein Chanson, das man immer nur wenige Takte lang zu hören bekommt, ist die Zeit. Das einzige, das seinen symbolischen Gehalt nicht verändert, ist der Tisch. Und so ist man ab nun krampfhaft bemüht, den Erklärungen von Weber, die er in Englisch mit einem sympathischen französischen Akzent von sich gibt, zu folgen. Was nicht ganz einfach ist.

Die Beschränkung, das wird rasch klar, ist durch die Festlegung der Bedeutungszusammenhänge der Objekte in unseren Köpfen gegeben. Es fällt schwer, diese aufzuheben, immer und immer wieder stehen die bestehenden Fixierungen der Alltagsobjekte einem freien, unüblichen Zugang zu denselben im Weg. Und doch macht das Zusehen nach diesen Erklärungen nun noch mehr Spaß. Der Geist ist ständig bemüht, sich logische Zusammenhänge zu bauen, auch wenn die Handlungen, denen wir zusehen, noch so absurd erscheinen. Das Absurde ist auch einer jener Bausteine, die Layes sich aus der Kunst- und Literaturgeschichte ausborgt. Es sind die Dadaisten, aber noch mehr die Surrealisten, die es ihm angetan haben. Auch das kann man in dieser Arbeit gut nachvollziehen. Dass eine Pfeife keine Pfeife ist, wenn sich nur ihr Abbildhaftes auf einer Leinwand befindet, diese semantische Feinheit stammt ja schließlich auch von keinem Geringeren als dem Surrealisten René Magritte. Sein Bild „La trahision des images“ wurde zur surrealistischen Ikone. Layes setzt dieser Idee noch eins drauf und begnügt sich nicht, die Objekte in einen anderen Sinnzusammenhang zu stellen sondern er firmiert um, was das Zeug hält. So entsteht ein schier undurchwirrbares Handlungskonstrukt, das stellvertretend für die Komplexität unserer Welt angesehen werden kann. Das, was wir vermeintlich zu verstehen glauben, ist ja nur ein Ausschnitt von marginalen Wirklichkeiten. Tatsächlich setzt sich unsere Welt aus einer unüberschaubaren Fülle von Menschen und Handlungen, Wirklichkeiten und Imaginationen zusammen, dass niemand auf dieser Welt auch nur im Geringsten behaupten kann, darüber einen Überblick zu haben.

Die furiose Handlungssteigerung, in der Weber am Schluss des Stückes brilliert, lässt keinerlei Möglichkeit einer logischen Schlussfolgerung des Geschehens mehr zu. Vielmehr darf man sich zu diesem Zeitpunkt getrost zurücklehnen und sich über das Scheitern der eigenen Reflexionsfähigkeit köstlich amüsieren. So man die Welt nicht allzu ernst nimmt.

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