Die Hoffnung schimmert von Island her

Die Saison des Schauspielhauses Wien wurde am 31. Oktober eröffnet. Unter dem neuen Intendanten Tomas Schweigen und einem jungen, ebenfalls neuen Ensemble präsentiert sich das Haus mit einem sicht- und fühlbarem Energieschwung . Der Clou des Einstandsstückes: Schweigen zeichnet gemeinsam mit den Schauspielerinnen und Schauspielern auch für den Text von „Punk und Politik“ verantwortlich. Ein erstes Beispiel einer von ihm angekündigten Produktionsgemeinschaft, die sich nicht nur auf eine Mitsprache in der Regie selbst bezieht, sondern schon bei der gemeinsamen Erstellung des Textes beginnt.

„Punk und Politik“ ist ein Krake. Ein Wesen, das prinzipiell nicht leicht zu orten oder gar zu fangen ist. Ein Etwas, bei dem man Gefahr läuft, auch verschlungen werden zu können. Es ist der Versuch der Vereinnahmung des Publikums, der Wille, die neuen Gesichter des Hauses bis hin zum Bühnenbildner dem Publikum vorzustellen. Es ist eine Demonstration von neuen, stärkeren demokratischen Strukturen am Schauspielhaus und ein Bemühen, über Europa nachzudenken. Jenes Europa, das sich, so hat es den Anschein, im Moment in seine einzelnen Bestandteile zu atomisieren droht.

Das „Punk und Politik“ – Stück ist ein Hybrid. Eine Mischung zwischen postdramatischem Ensemble-Mitmachtheater und einer wilden, zeitgeistigen TV-Polit-Show. Es ist eine Verquickung von kurzen Video-Reportagen und vorgespielten Publikumsbefragungen. Ein Statement, der grassierenden Politikverdrossenheit etwas entgegenzuhalten und auf Strömungen aufmerksam zu machen, die aufgrund des hohen medialen Grundrauschens in der öffentlichen Wahrnehmung leicht untergehen können. Strömungen, die aufzeigen, dass es Ideen und auch Umsetzungen gibt, die sich gegen ein Establishment stemmen, das Wählerinnen und Wähler nur als Stimmvieh ansieht, aber ganz und gar nichts davon hält, wenn eben dieses versucht, politische Prozesse mitzubestimmen.

Wer ist drinnen und wer draußen? Wer schaut zu und wer sind die Spielenden? Gleich zu Beginn muss man sich diesen Fragen stellen, denn Stephan Weber, Bühnenbildner aus der Schweiz, schuf im Theatersaal eine zweite Schauspielhausfassade. Diese erkennt man erst, wenn man die Bühne selbst passiert hat, um zu den Zuschauerreihen zu gelangen. Gerade in der ersten Halbzeit lebt das Stück – oder sollte man es lieber eine Performance nennen – von einer hohen Gag-Dichte. Dazu gehört auch, dass Weber mittels einer Leuchtschrift über den Eingangstüren namentlich und mit seiner Funktion vorgestellt wird. Gleich danach folgt eine Sichtbarmachung jenes Prozesses, der in der Erarbeitung der Vorstellung vonstatten ging. Ideen und Gegenvorschläge, Bedenken und Versprechungen fürs Publikum ergeben rasch eine krude Mischung, die erahnen lässt, wie die Vorstellung ablaufen wird. Dass sie sich dann jedoch schneller, schriller, lauter und verrückter präsentiert als man das sich in seinen kühnsten Träumen vorstellen hätte können, wenn man hätte wollen müssen – um im Diktum der Eingangssätze zu bleiben – ist dann doch der Regie von Tomas Schweigen zu verdanken.

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Männerrivalitäten, unterschiedliche Frauenpersönlichkeiten, das Spiel mit Verkleidung (Kostüme Anne Buffetrille) bis hin zu Commedia dell´arte-Figuren, die Verschränkung unterschiedlichster Medien, das Einbinden von ausgewiesenen Europa-Kennern wie Robert Menasse, all das bringt er, wenngleich auch nicht immer klar durchschaubar, doch unter einen Theaterhut. Und dann ist da noch die Geschichte von Jon Gnarr, jenem Comedian und Ex-Punk, der es in Reykjavik am Kulminationspunkt der wirtschaftlichen Krise mit seiner „Spaßpartei“ auf den Bürgermeistersessel schaffte. Gnarr, abseits von medialem Blitzlichtgewitter ein ruhiger, besonnener und eher veschlossener Mensch, schaffte einen Turnaround zumindest während seiner Amtszeit. Wie er im Frühling im Aktionsradius in Wien anlässlich der Vorstellung seines neuen Buches „Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!“ erklärte, sind die Probleme bei Weitem nicht gelöst. Vielmehr halten die Gläubiger ruhig, die Island genauso gut einen Todesstoß versetzen könnten. „Es war meine Aufgabe, mit diesen Leuten zu reden und zu verhandeln“, erklärte Gnarr. Mangels politischer Erfahrung griff er einfach auf private zurück. „Ich habe Zeiten mit meiner Familie erlebt, die sehr schwer waren. Wenn man nicht weiß, wovon man seine Miete zahlen kann, dann muss man eben mit dem Vermieter reden und ihm Vorschläge machen.“ Von diesem Arbeitsstil wird im Stück von Schweigen & Ensemble nichts erzählt, vielmehr wird Gnarr als ein zumindest intelligenter Spaßvogel präsentiert, der mithilfe seiner wichtigsten Waffe, dem Humor, eine ganze Nation motivieren konnte, ihr Schicksal wieder selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Und das ist mehr, als alle politischen Parteien mit ihren seitenlangen Programmen in den letzten zehn Jahren in Europa zusammengebracht haben.

Victoria Kupsch kämpft hingegen mit wesentlich schwächeren Waffen auf einem fast verlorenen Posten. Über sie erfährt man, dass es eine Initiative gibt, die eine Europäische Republik konstituieren möchte. Mit allgemeinem Wahlrecht und einer länderübreifenden Arbeitslosenversicherung. Ihre bisher 800 Stimmen, die sie dafür gesammelt hat, machen klar, dass ihr jene Unterstützung fehlt, die Gnarr in Island durch die Medien hatte. Und so kommen Schweigen & Ensemble auf die Idee, doch „Punk und Politik“ an möglichst vielen europäischen Theater spielen zu lassen um gleichzeitig für die „European Republic“ Werbung zu machen und Stimmen einzufangen. Das Manifest dieser Bewegung findet sich auch auf der Homepage des Schauspielhauses. PR-technisch gesehen auch keine schlechte Entscheidung, denn durch die kurzen Video-Statements von verschiedenen Theatermacherinnen und –machern aus unterschiedlichen europäischen Ländern kann er sich der internationalen Aufmerksamkeit für den Start seines Hauses sicher sein.

Der im ersten Teil rasch aufs Tapet gebrachten Idee, dem Europa der Regionen doch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, widersetzt sich ein unerwarteter Schluss. Nach der Öffnung des Bühnenbildes wird eine nebelverhangene Landschaft sichtbar. Um einen rohen Felsen haben sich die Spielenden, nun allesamt in Fell, Lendenschurz und teilweise auch mit Wikingerhelmen bestückt, eingefunden. Sie imitieren jene Zusammenkünfte, die isländische Stammesführer über Jahrhunderte einmal im Jahr an einem bestimmten Ort veranstalteten. „Das älteste Parlament der Welt“ löst sich schließlich aus dem Bühnenbild, um vor dem Publikum Platz zu nehmen. Und wie in einer Endlosschleife das Spiel wieder ganz von vorne zu beginnen.

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Punk und Politik (c) Matthias Heschl

Hinter „Punk und Politik“ steht nicht zuletzt auch der Wille, dass mit einer zeitgenössischen Theateridee dieses künstlerische Medium aus seinem Elfenbeinturm erlöst wird. Wer, wie Tomas Schweigen und sein Ensemble das Theater offensichtlich als mitbestimmende politische Kraft, als Keimzelle für die Entwicklung und Verbreitung neuer sozialer Ideen erkennt, braucht nicht nur gute Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern auch viel Fingerspitzengefühl in der Programmatik, um das Publikum auf diesem neuen Weg mitzunehmen. Die kommenden Inszenierungen werden zeigen, ob dies möglich ist.

Was bleibt, ist der Eindruck eines prallvoll gefüllten Theaterabends, der so viel zeigt, dass man darin leicht den Überblick verlieren kann. Dass dies Kalkül und dem Thema an und für sich schon immanent ist, versteht sich. Was noch bleibt, ist der gelungene Einstand eines höchst sympathischen Ensembles: Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman mit seiner wunderbar glaubhaften Gnarr-Darstellung, Steffen Link, Sophia Löffler, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger. Der neue Wind ist auch durch die kleinen baulichen Maßnahmen in der Innenraumgestaltung des Hauses erkennbar. Eine sehr ansprechende Ästhetik, die auch mit dem Logo selbst mannigfach spielt, peppt nun auch den Katakomben-Bereich gehörig auf. Eine Bibliothek, in der Bücher zur freien Entnahme zur Verfügung gestellt werden und Sitzgelegenheiten vor dem Theatersaal selbst verbreiten eine heimelige Stimmung, die zum längeren Verweilen einlädt.

Alle Termine auf der Website des Schauspielhauses.
Achtung: Seit dieser Saison spielt das Schauspielhaus im En-Suite-System. Die Inszenierung läuft deswegen nur bis Ende Dezember.

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