Eine schöne, große, glitschige, tote Forelle

Eine schöne, große, glitschige, tote Forelle

Michaela Preiner

Foto: ( )

10.

August 2015

Sind wir aber noch in der Lage, die Tabubrüche von damals nachzuvollziehen? Können wir die emotionalen Wechselbäder, die durch die Künstlerinnen und Künstler dieser Zeit ausgelöst wurden, noch nachempfinden?

In einem der Schwerpunkte des diesjährigen ImpulsTanz-Festivals „Redefining Acions(ism) untersuchten 9 Kreative unter der Ägide von Christine Gaigg das heutige Verhältnis zum Thema Performance. Ausgangspunkt dafür war die Ausstellung „Mein Körper ist das Ereignis“ im mumok, in dem der Wiener Aktionismus dem internationalen der 60er und 70er Jahre gegenübergestellt wird.

Bewegt man sich durch die Ausstellung im Museum, ist der Griff zum Kopfhörer obligatorisch. Denn die schon historischen Performances, Aktionen oder Happenings, die dort auf Leinwänden und Bildschirmen gezeigt werden, erschließen sich nicht nur durch das Bild, sondern auch durch den dazugehörigen Ton. Wer sich alles ansehen möchte, ist wahrscheinlich sogar mehrere Tage beschäftigt, so umfangreich ist das bereit gestellte Material.

Sind wir aber noch in der Lage, die Tabubrüche von damals nachzuvollziehen? Können wir die emotionalen Wechselbäder, die durch die Künstlerinnen und Künstler dieser Zeit ausgelöst wurden, noch nachempfinden? Das sind die Fragen, die sich die Teilnehmenden am Field Project „Charged Documents (let us praise famous men, and women too)“ stellten. Ihre Herangehensweise in einer Woche, die ihnen zur Verfügung stand, war aber keine wissenschaftlich-theoretische. Vielmehr kamen sie auf die Idee, selbst aktiv zu werden und auch das Publikum miteinzubeziehen. Mit einem erstaunlichen Ergebnis.

„We start here, please come closer, closer, closer, closer“, das war die erste Aufforderung von zwei jungen Frauen, die damit die Menschen aus dem Raum näher zu sich heranriefen. So nah, dass man schließlich auf Tuchfühlung stand. Nicht genug der körperlichen Nähe ging es dann ans Stille-Post-Spielen. Das kennt man eigentlich nur aus vertrauten Körperumgebungen. Mit Freunden, der Familie, aber nicht mit Fremden. Und so mutet es eigenartig an, plötzlich den Atem eines bis dahin unbekannten Mannes oder einer Frau am Ohr zu spüren, auch den Geruch wahrzunehmen. Erster Klick im Kopf: Aha, so fühlen sich fremde Körper an. Körper, die auf den Leinwänden durchwegs nackt erscheinen und denen wir relativ unbeteiligt gegenüberstehen, rütteln uns emotional lang nicht so wach wie jene, die wir jetzt live erleben. In angezogenem und wohl gesittetem Zustand.

Weiter geht`s mit den aus dem performativen aber auch dramatischen Bereich allseits bekannten Ja-nein-Fragespiel. Hier wird aber seitens des Publikums nicht aufgezeigt, sondern man muss sich entweder für die linke oder rechte Seite von der fragenden Frau entscheiden und sich dort hinbegeben. „Essen Sie Fleisch? Menstruieren Sie gerade? Haben Sie schon einmal geboren?“, Fragen, die einen Zusammenhang mit den Videos, die im Raum zu sehen sind, herstellen. So man diese schon gesehen hat, versteht man die Konnexe, wenn nicht, bietet dieser Teil nur eine interessante, kleine Sozialstudie. Vor allem die Frage ob man allein oder in Begleitung gekommen sei – über 90 % in Begleitung, oder ob man Fleisch essen würde – 99% Zustimmung, erbrachten interessante und unerwartete Ergebnisse.

Und dann der Griff zum Fisch. Aus dem Hinterhalt taucht er auf. Eine schöne, große, glitschige, tote Forelle. Sie wird von einem zum anderen, von einer zur anderen gereicht und passiert nur Verweigernde. Hier wird das Nein-Sagen plötzlich ganz leicht, auch wenn man sich zuvor dazu bekannte, Schwierigkeiten damit zu haben. Im Hintergrund dazu läuft das Video „Wedding“ von Rudolf Schwarzkogler, in dem Ana Brus einen Fisch in ihren Händen hält.

Nächste Station ist der Raum im Tiefgeschoss. Von zahlreichen kleinen Bildschirmen rhythmisiert, wandert man hier normalerweise schweigend von einem zum nächsten. Hier ereignet sich eine stille Live-Aktion vor einer Gruppe von Videos von Ana Mendieta. Mit rotem Saft aus einem Trinkhalm wird der Name der so früh verstorbenen amerikanischen Aktionistin auf ein weißes Stofftuch aufgeblasen. Auf einem Bildschirm im Hintergrund bittet ein Truthahn mit seinen schlagenden Flügeln ergebnislos um Todesaufschub.

Das Angebot des gemeinsamen Videoanschauens unter einem weißen Leintuch wird nur von wenigen aus dem Publikum wahrgenommen und auch die Abschlussperformance „May I?“, bei der wiederum eine Gruppe Menschen dazu aufgefordert wird, auf Tuchfühlung zu gehen, erreicht nicht alle. Marina Abramović atmet im Hintergrund vielleicht ein wenig zu intensiv aus und ein. Breathing in and out – dieses Video zeigt eine körperliche Begegnung, die sich wenige Menschen so wirklich wünschen. Währenddessen zieht einer der Performer mit einem Klebeband eine Absperrung am Boden. Darauf verweist er mit einem Pfeil auf den Ausgang und verabschiedet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in vielerlei Sprachen.

Eine knappe Stunde dauerte die Performance von Katerina Andreou, Niko Arola, Julie Dind, Lisa Haucke, Lara Kramer, Rosa Omasdottir, Sonja Stangl, Pepa Ubera und Sophia Wolfe. Die Zeit reichte, um in ein Feeling eintauchen zu können, das zumindest einen fernen Nachhall jener emotionalen Zustände erzeugte, die im Rahmen der originalen Aktionen ausgehalten werden mussten. Die Addition von sensorischen Elementen wie dem Geruch, dem Tastsinn oder auch der von allen teilgenommenen Befragungsaktion ist im Grunde nichts anderes als die Forderung, die an museumspädagogisches Personal in der Zusammenarbeit mit Kinder gestellt wird. Sie funktioniert, das wurde damit bewiesen, auch bei Erwachsenen.

Wer die Ausstellung bis dahin noch nicht wirklich gesehen hat, wird sie wahrscheinlich nun mit einem anderen Blick konsumieren.

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