Remix von Georg Baselitz oder die gelungene Graphikkoketterie

So einfach und banal dies klingen mag, so schwierig muss sich wohl die tatsächliche Ausführung gestaltet haben. Dies ist schon unter dem Blickwinkel der Schwierigkeit einer Ausstellungsbesucherin – in diesem Falle ich selbst – die neue Abfolge auch in der Betrachtung dementsprechend zu berücksichtigen, erahnbar. Durch viele historische Beispiele ist man als Rezipient einfach gehirntrampelpfadig gewohnt, die großen Arbeiten als Endergebnis eines künstlerischen Prozesses anzusehen, dem vorweg die kleinen Blätter auf Papier vorangegangen sind. Obwohl die Beschreibung zur Ausstellung nichts zu wünschen übrig lässt, und das Phänomen erster und zweiter Arbeitsschritt mehrfach dargelegt wird, ertappt man sich immer wieder, den Vergleich gewohnheitsmäßig und nicht auf Baselitzsche Art durchführen zu wollen. Verblüffend, wie einem die kunsthistorische Ausbildung hier schon einmal kurzzeitig im Weg stehen kann. Mit genügend Selbstironie aber gehts ans Schmunzeln, ob der eigenen Betrachtungsunzulänglichkeit und schon ist man dort angelangt, von wo aus Baselitz losmarschiert ist. Eine große Prise Ironie spricht nämlich tatsächlich aus einem Teil der Arbeiten, speziell aus der „Die große Nacht im Eimer, Remix 2005“ betitelten, die, unverkennbar durch den Haar- und Bartwuchs sowie die eng beieinander stehenden Augen, Hitler darstellt – mit einem großen, erigierten Penis in der Hand – und – wohlgemerkt – einem – auf gut Österreichisch ausgedrückt – <span></span>richtig roten Ohrwaschl. Baselitz, am Puls seiner Zeit, spitzt in dieser Arbeit aus 2005 zu, was er schon 1962/63 lässig vorexerzierte. Worüber derzeit allerorts heftig öffentlich diskutiert wird, nämlich ob es überhaupt statthaft ist, mit Witz und Ironie die Thematik Hitler und seine Folgen zu verarbeiten, scheint den Künstler nicht zu kümmern. Oder anders herum: gerade diese Diskussion dürfte ihn dazu veranlasst haben, sich hier explizit bildend zu betätigen. Baselitz bedient sich bewusst dieses Themas in einem „Remix“, so als wollte er den Skandal, den das Bild bei seiner ersten Ausstellung hervorrief, in einem neuen, zeitgemäßen Kontext noch einmal wiederholen. Den einstigen Vorwurf der Pornographie – heute kein müdes Lächeln mehr hervorrufend – stellt er jedoch im Zusammenhang mit der historischen Persönlichkeit und deren Lächerlichmachung – ein zweites Mal in gewandelter Form zur Diskussion. <span></span>Hitler, die eigene Scham ob seiner Handlung durch sein rotes Ohr zur Schau tragend, wird vom Betrachter beim Onanieren ertappt. Lächerlicher geht es wahrscheinlich nicht mehr. Bravo, Baselitz! Auch wenn es kunstkritische Stimmen gibt, die diese Bearbeitung als bewusste modische Provokationsattetüde negativ darstellen, so sei diesen Befunden entgegengesetzt, dass es wohl nichts schwierigeres gibt, als einst gefundene, künstlerische Themen und Positionen mit neuen Inhalten und stilistischen Mitteln zu bearbeiten und den Vergleich zur eigenen Position im Kunstgeschehen nicht fürchten zu müssen. Baselitz behält Recht, ein einstiges Skandalbild mit einer neuen Bedeutung erneut in die Diskussionsschlacht zu werfen, ob dies puristischen Stilelementeklaubern gefällt oder nicht. Im Vergleich zu seiner Erstfassung aus dem Jahr 1962/63 hellt er die Farben merklich auf, setzt der ehemals dunklen Farbenskala vereinzelte, kräftige, farbige Kontrapunkte in Rot, Gelb und Grün hinzu. Aufgrund des nun deutlich erkennbaren Portraits setzt Baselitz der Erstfassung auf diese Weise weitere Erläuterungen hinzu. Allein die Spekulationen, ob der Junge auf dem Skandalbild in den 60ern bereits Hitler darstellte oder nicht, eröffnen weitere Interpretationsmöglichkeiten und stellen somit beide Bilder, wie auch die Zeitspanne zwischen ihrer Erzeugung in einen neuen Betrachtungszusammenhang. Doch nicht nur dieses eine Bild ist es wert, sich diese Schau anzusehen. Besonders sinnfällig wird die Schenkung dann, wenn die genaueren Bildanalysen zeigen, dass Baselitz auch auf seinen großen Formaten auf Leinwand ganz offenkundig Bezug auf den umgekehrten Entstehungsmodus nimmt. So sind die meisten Darstellungen von einem breiten, weißen, also unbemalten Streifen umgeben und imitieren ganz offenkundig den Rand einer Graphik auf Papier. Im Gegensatz dazu sind wiederum viele Arbeiten auf Papier bis zu deren Rändern hin – ja auch scheinbar darüber hinaus – komponiert und ausgeführt. Ein abermaliger Hinweis auf die der Werkphase zugrunde liegende Thematik des verschobenen Einsatzes von Graphik und Malerei. Einen ganz wesentlichen Anteil am Gelingen dieser tollen Schau hat die elegante und bewusste Hängung der Arbeiten. Beeindruckend kommen schon die ersten Köpfe auf dem Bild „Oberon“ (Remix) 2005 dem Besucher entgegen, wenn er oder sie die lange Rolltreppe in die Tiefe hinab fährt. Je tiefer man in den Raum eintaucht, umso mehr sieht man auch von den vier Köpfen, die nicht müde werden, den Blick vom Besucher abzulassen. Eine bewusste Provokation, der sich der Besucher und die Besucherin gar nicht entziehen kann. Die Hängung bleibt nach dem ersten Raum hinaus weiterhin stringent und nutzt jeden optischen Fluchtpunkt beim Durchschreiten der Räumlichkeiten für die Platzierung der prominenten Großformate. Auch die einheitliche, unauffällige Rahmung bis hin zu den Papierarbeiten und deren wohlgefällige, optisch austarierte Hängung trägt wesentlich zu dem Wohlfühlfaktor bei, der diese Ausstellung schließlich als mehr als gelungen einstufen lässt. Gelungen vom künstlerischen Experiment her, gelungen von der Entscheidung der Sammlung Rheingold, diese Bilder der Albertina zur Verfügung zu stellen und gelungen nicht zuletzt aufgrund der perfekten Präsentation. Sehenswert.

Infos: https://www.albertina.at/cms/front_content.php?idcatart=64

Michaela Preiner

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