Schrill, schriller – TAG!

Dominic Oley schuf mit „Kissing Mr. Christo“ am TAG eine schrille Farce auf den mediendurchtränkten Zeitgeist, in welchem Gefühle, wenn überhaupt, nur vor der Kamera ausgepackt werden dürfen. Er präsentierte parallel dazu eine aberwitzige Fahrt auf einer sprachlichen Hochschaubahn, die mit so vielen technischen Finessen ausgestattet war, dass man, an deren Ende angekommen, sich ob der Überfülle an Ideen und wahnwitzig raschen Dialogen schwindelig fühlte.

„Das ist – Ihr Herzblatt.“ Wer kennt nicht diesen Ausspruch kurz vor Ende jener Flirtshow, die Rudi Carell von 1987 bis 1993 moderierte! Nach ihm waren es noch weitere fünf Moderatoren und eine Moderatorin, welche für die TV-gerechte Zusammenführung von paarungswilligen Menschen die Wortspenden beisteuerten, bis das Format 2005 eingestellt wurde.

Ein Revival der besonderen Art gibt es derzeit im TAG, dem Theater an der Gumpendorfer Straße, zu sehen. Jedoch nennt sich die dortige Revue nicht „Herzblatt“, sondern „Kissing Mr. Christo“. Dominic Oley – Autor, Regisseur, Schauspieler und Musiker in einer Person – schuf den Text und war auch für die Regie verantwortlich und kann sich für beides ordentlich auf die Schulter klopfen.

Wie durch seinen Titel leicht durchschimmert, lässt Oley Alexandre Dumas Romanfigur Edmont Dantès, den späteren Grafen von Monte Christo, wieder auferstehen. In Kurzform schildert der Autor das Geschehen rund um den Rachsüchtigen, der nach seiner Flucht aus dem Kerker, in den er unschuldig eingesperrt war, zu großem Reichtum gelangt. Oley bringt Dantès samt seiner Roman-Entourage wie in einem animierten Comicstrip aus dem 18. Jahrhundert auf die Bühne. Dabei verquickt sich das Geschick des Romanhelden mit dem jener beiden jungen Frauen, die sich zur Disco-Disco-Amour-Bye-bye – Show gemeldet haben. Einer Show für gerade Geschiedene, zeitnah Zertrennte und endlich Entliebte. Bei dieser geht es aber nicht darum, dass sich beide wieder finden, sondern viel mehr um den höchstmöglichen Grad an gewaschener Schmutzwäsche, an der sich das Publikum erfreuen darf. Als Moderatoren fungieren Bruce (Jens Claßen) und George (Georg Schubert), zwei alternde TV-Marktschreier.

Was sich vielleicht etwas kompliziert anhören mag, ist auch tatsächlich kompliziert. Denn die Verschränkung von Vergangenem und Heutigem lässt sich zwar anhand der jeweils getragenen Kostüme erkennen, die Fülle von Figuren jedoch – insgesamt sind es 13 Charaktere, die vom 5-köpfigen Ensemble gespielt werden – erfordern hohe Konzentration. Wenn diese einmal nicht vorhanden ist – auch nicht schlimm, das schrille Revuekarussell dreht sich bis zum Schluss unaufhörlich und bietet beinahe im 5-Minuten-Takt ein Bonmot nach dem anderen. Was auf den ersten Blick wie leichte Unterhaltungskost aussehen mag, ist jedoch eine bitterböse, gescheit verpackte Medienschelte aber auch eine Art Abgesang auf jene postmoderne Prämisse, nach welcher es keine großen, identitätsstiftende Geschichten mehr erzählt werden können.

Die Läuterung und die Erkenntnisse von Dantès lässt er ins Heute vermelden, was tatsächlich zum Schluss „in einer versöhnlichen und nachdenklichen Stimmung“ ausklingt. Ein direktes Zitat aus Wikipedia im Artikel über den Grafen von Monte Christo, das eins zu eins auf die Bühne übertragen wird.

Zuvor jedoch fechten die untreue und kampfeswillige Eve (Elisabeth Veit) und die naive, verlassene Adolfa (Michaela Kaspar) ihre Kämpfe vor dem Fernsehschirm zur Belustigung der Moderatoren und des Publikums aus. So lange, bis Adolfa die Frage gestellt bekommt, ob sie sich denn nicht an Eve rächen möchte. Just in diesem Moment erscheint Dantès und das Spiel um den Grafen von Monte Christo nimmt seinen Lauf. Das wunderbare Bühnenbild von – wie könnte es anders sein – Alexandra Burgstaller, verwandelt sich alsbald vom Showgepränge in ein finsteres Verlies in dem sich Dantès ( Raphael Nicholas) und Abbé Ferreira (Georg Schubert) mit langen grauen Haaren und Bärten Trost zusprechen und Fluchtpläne schmieden. Einzigartig, wie in dieser Szene die beiden Männer von einer Sekunde auf die andere wie aus dem Nichts erscheinen – sehr zum Gaudium des Publikums und danach ihr weiteres Geschick in Mickey-Maus-Sprache wie im Zeitraffer präsentiert wird. Aus Dumas Edmont wird natürlich Eddy, dem Raphael Nicholas ein umwerfendes französisches Diktum einhaucht und Michaela Kaspar, die zuvor glaubwürdigst die Naivität von Adolfa hervorkehrte, bezaubert an seiner Seite nun als Mercedes. Oley wirft mit sprachlichen Einfällen so um sich, als gäbe es keine Grenzen. Da belehrt der Abbé Eddy im finsteren Kerker dieser solle doch an seiner Einstellung arbeiten, worauf Eddy sich fragt, ob er nun tatsächlich mit seinem „schlecht sitzenden Unterbewusstsein“ spricht. Aber dem lange nicht genug, mündet die finale Aufforderung Abbés an Dantès seinen Schatz zu heben in der Anweisung, diesen flüssig und Kapital daraus zu machen. Die sehr vorausssehende Antwort: „Was – Ich soll den Kapitalismus erfinden? Damit wird die Sache bestimmt nicht besser!“ von Dantès dreht die derzeit hochaktuelle Kapitalismusdebatte an einen vom Autor neu erdachten historischen Beginn. Welch köstlicher Einfall! Nach der Flucht von Dantès taucht dieser als Graf von Monte Kapitalisto auch direkt wieder in der Fernsehshow auf und gibt bereitwillig zum weiteren Fortgang des Geschehens auf alle Fragen Auskunft. Zwischendurch dürfen Bruce und George, wie schon zuvor die Damen und Dantès ausgiebig über Sex reden, oder vielmehr nicht reden, sich über Schuld und Nicht-Schuld unterhalten. Dürfen Albert, der sich mit dem Grafen duellieren will und Haydee, die Sekretärin von Monte Christo, sich wie in jener perpetuierenden Schleife benehmen, die in den 90er Jahren in einer Filmkomödie das Murmeltier ewig grüßen ließ. Nach Beendigung des Romangeschehens gibt Eddy noch den sinnvollen Hinweis: „Wirklich das Leben zu lieben ist nur für jemanden möglich, der bereit ist, sein Leben für das Leben aufs Spiel zu setzen!“ Ganz schön unverdauliche Kost in einer Welt, in der es für alles und jedes eine Versicherung gibt und alles und jedes von Babybeinchen an schon Jahre im Voraus geplant werden muss. Da stimmt auch das Ende, bei welchem sich alle aussöhnen, nicht wirklich versöhnlich. Und auch Eves Schlussbemerkung, dass die gute Zeit vor uns liege, weil die schlechte schon hinter uns liegt, nimmt man ihr leider, leider nicht wirklich ab.

Schrill, schriller – TAG – so lautet der Komparativ und der Superlativ für diese neue Produktion des Theaters an der Gumpendorferstraße.

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