Von einer Zen-Übung zum körperlichen Massaker

Von einer Zen-Übung zum körperlichen Massaker

Michaela Preiner

Foto: (Franzi Kreis )

8.

August 2022

Simon Mayer kombiniert High-Tech-Equipment mit einer rein auf den Menschen bezogenen Choreografie. Obwohl er neue Techniken exzessiv auslotet, vermittelt sein Stück "Being moved" viel Tiefgang.

Eine One-man-Show zu bestreiten, bedeutet nicht nur eine große körperliche Herausforderung.  Für die Choreografie und das künstlerische Konzept allein verantwortlich sein, bietet auch eine große, kritische Angriffsfläche.

Seit Jahren schon setzt sich der Österreicher Simon Mayer diesen Herausforderungen aus. Und seit Jahren scheint er alles richtigzumachen. So auch in seiner Produktion „Being moved“, die 2020 im Brut in Österreich uraufgeführt wurde. Nun reüssierte er damit auf der Bühne des Akademietheaters beim Impulstanzfestival.

Woraus entstehen Bewegungen, was motiviert den Menschen zu tanzen, wie hängen Atem und Bewegung zusammen und wie kann das sichtbar gemacht werden? Was sich sehr theoretisch und auch ein wenig trocken anhört, entwickelt sich auf der Bühne jedoch gänzlich anders. Mayer lädt zu Beginn das Publikum ein, auf den im Halbkreis aufgestellten Stühlen imaginär Platz zu nehmen. Über den Sitzgelegenheiten sind herab baumelnde Mikrofone angebracht, Lautsprecher sind am Boden platziert und er selbst ist an seinen Extremitäten und seinem Körper verkabelt.

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„Being Moved“ (Foto: Franzi Kreis)

Jede Bewegung, die er an diesem Abend auf der Bühne machen wird, wird aufgenommen, verstärkt und so für alle hörbar gemacht: sein Atmen, seine Hand- und Armbewegungen, wenn er im großen Bogen durch die Luft wischt, das Auftreten seiner nackten Füße am Bühnenboden. Was man normalerweise auditiv nicht bewusst wahrnimmt, wird hier zum hörbaren Rhythmusimpuls für seine Performance. Was anfänglich leise beginnt, nimmt bald Fahrt auf. Der Performer wechselt von einer beruhigenden Zen-Atemübung hin zu einem schier endlosen, derwischartigen Kreisen um die eigene Achse. Mit der Geräuschkulisse, die sich zu einem lauten Getöse gesteigert hat, assoziiert man aber nichts Kontemplatives mehr. Als der Lärm plötzlich aussetzt, hüllt sich die Bühne in Nebel, während Mayer sich auszieht und einen Geigenbogen zur Hand nimmt. Durch das Streichen des Bogens an seinem eigenen Körper, erhält dieser etwas Fetischhaftes, mutiert jedoch bald zu einem Kampfsportinstrument, danach zu einem Säbel und schließlich zu einem Dirigentenstab.

Mayers Atem wird vervielfacht hörbar und vermischt sich, nachdem er dem Publikum Anweisungen zum Mitatmen gegeben hat, zu einem vielstimmigen Atemchor. Abermals wechselt der Sound hin zu einem wilden Grollen, Schnauben und Zischen, einem Gurren und Schnarren, unterlegt mit einem angsteinflößenden Dröhnen. Tierlaute vermischen sich mit Menschlichem und Elektronischem. Und auch Mayers Bewegungsrepertoire verändert sich hin zum Tierischen. Zur neuerlichen Soundveränderung – wieder mit menschlichen Stimmen und hörbaren Atemgeräuschen – geht Mayer nun im Kreis rückwärts. So als wolle er dort wieder ankommen, wo er angefangen hat. So als wolle er alles rückgängig und vergessen machen, was an bedrohlichem Szenario gerade zu erleben war.

Aber noch einmal verblüfft er mit einer neuen, choreografischen Idee. Seine Bewegungen werden zackiger, wieder wird Nebel eingeblasen, abermals beginnt er, im Kreis zu tanzen. Mit einem Stroboskop-Gewitter und einem harten, elektronischen Rhythmus verkörpert er nun, mit seinen auf dem Rücken scheinbar fixierten Armen, einen Mann, der physischer Gewalt ausgesetzt ist. Das, was jetzt zu sehen ist, erinnert an die Folterung gefangener Soldaten und auch die eingespielten Schreie untermauern diese Assoziation.

Simon Mayer erweckt in diesem Zustand den Eindruck, als ob er sich in einem Zwischenbereich befände. Seine Körperführung steht im Gegensatz zu einer Trance, in die er komplett eingetaucht zu sein scheint. Die Bühne, das Publikum, gewinnt man den Eindruck, ist in diesem Augenblick vergessen. Das hohe Energielevel, in dem sich der Tänzer befindet, ist beinahe körperlich spürbar.

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„Being Moved“ (Foto: Franzi Kreis)

Als der Beat verstummt und die aggressive Stimmung weicht, greift er abermals zu seinem Geigenbogen und beginnt diesen über sein Handgelenk gleiten zu lassen und dazu zu singen. Wieder werden seine Fußtritte mit Hall verstärkt – solange, bis ein Black die Vorstellung beendet. Für wenige Augenblicke ist sein Atem noch hörbar. Dann ist die körperlich extrem fordernde Performance beendet.

Mayer bietet darin eine Fülle von Assoziationen, aber auch eine unglaubliche Anzahl von Bewegungselementen und Bildern mit einem starken Nachklang. Die Mischung aus Choreografie und Komposition, die er für sich selbst entwickelt hat, nennt er „Kompografie“ – Pascal Holper ist für das beeindruckende Sounddesign zuständig. Es ist keine durchgehende Geschichte, die in „Being moved“ erzählt wird. Vielmehr eine Aneinanderreihung von Ideen, wodurch sich ein Körper in Bewegung setzt. Die Art, wie Simon Mayer diese Ideenkette miteinander verbindet, ist künstlerisch herausragend gelöst. Obwohl es sich um unterschiedliche Themenfelder handelt, gelingt ihm ein unablässiger Fluss mit einem wirbelnden Sog und Stromschnellen, die wieder in ruhiges Gewässer führen. Soundtechnisch auf der Höhe der Zeit und choreografisch auf ihn selbst perfekt zugeschnitten, ist die Produktion ein klares Beispiel, dass zeitgenössischer Tanz sich permanent weiterentwickelt und neue, technische, damit aber auch tänzerische Räume eröffnen kann.

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