Seelenstriptease hinterm Konferenzpult

Iran Conference - Steirischer Herbst (Foto: Jasper Kettner)

Ivyn Vyrypaevs „Iran Conference“ beim Steirischen Herbst

Der Steirische Herbst widmet sich in diesem Jahr ganz explizit politischen Themen und griff dabei in einer seiner ersten Produktionen ein aktuelles Thema auf.

Die Aula der Karl Franzens Universität bot für „The Iran Conference (2018)“ von Ivan Vyrypaev (Text und Regie) ein ideales Setting. Der in Russland geborene Schauspieler, Regisseur und Dramatiker lebt heute in Polen. Die Ausgangslage der Theaterproduktion: Eine Konferenz, die in Kopenhagen stattfindet und sich dem Thema Iran widmet. Das Publikum schlüpft dabei in die Rolle der Konferenzbeobachtenden und wird Zeuge nicht nur unterschiedlicher Zugänge zum Thema Islam versus westliche Gesellschaftsideologien. Vielmehr kommt es vor allem in der zweiten Hälfte der Aufführung zu Selbstoffenbarungen, die mit dem Terminus Seelenstriptease gut umrissen sind.

Insgesamt 8 Expertinnen bzw. Experten aus Dänemark stehen einer Literatur-Preisträgerin aus dem Iran gegenüber und rühren kräftig in jenen philosophisch-wissenschaftlichen Aktualitätsdiskursen, die sich mit den Fragen nach der Wahrnehmung, Menschenrechten und – zentral in dem Stück – auch nach der Frage über Gott beschäftigen. Es ist nicht die politische Lage, die in dieser „Konferenz“ angesprochen wird. Vielmehr stehen ganz persönliche Einstellungen zu den angesprochenen Themen zur Debatte und rufen – unerwartet – heftige Reaktionen aus den Reihen der Diskutierenden hervor. Der Moderator hat dabei alle Hände voll zu tun, dass die Gesprächsebene nicht unter die verbale Gürtellinie rutscht und gefällt sich zuweilen sehr in seiner eigenen Rolle am Podium.

Eine verkürzte Kategorisierung der Menschenrechte wird ebenso diskutiert wie die Reibepunkte einer toleranten Integration muslimischer Mitbürgerinnen und -bürger. Persönliche Schicksalsschläge werden ebenso angesprochen wie private Animositäten. Der Erkenntnisgewinn dieser Produktion lässt sich, trotz intellektuellem Vortrags-Sprech, kurz und bündig zusammenfassen: Wir alle bewegen uns in unserer Wahrnehmungs-Matrix mit unseren eigenen genetisch- und sozial determinierten Wahrnehmungsbrillen, die wir nur schwer gewillt sind abzunehmen.

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Iran Conference – Steirischer Herbst (Foto: Jasper Kettner)

Dass Stück, das im Laufe der Vorstellung an Fahrt und damit zugleich an Aufmerksamkeitsspanne seitens des Publikums zunahm, überraschte mit einem verblüffenden Schluss. Die herzzerreißende Ansprache der jungen, iranischen Autorin kippte in jenem Moment, als sie erklärte, ihre Selbstaufgabe, die sie zuvor lang und breit beschrieben hatte, hätte gar nichts mit ihrer Liebe zu einem Ehemann zu tun. Mit einer Liebe also, von der man annahm, dass diese ganz der Idee einer patriarchalischen Gesellschaft verpflichtet, dazu führt, die Frau zu veranlassen, ihr eigenes Sein und ihre eigenen Bedürfnisse zum Wohl des Mannes und der Familie in den Hintergrund zu stellen.

Mit dieser Volte machte Vyrypaev einmal mehr klar, wie groß das Unverständnis zwischen dem christlich geprägten Normenkanon ist, der seit der Aufklärung, und verstärkt durch liberale Wirtschaftsideen, permanent korrodiert und jenen gesellschaftlichen Ideen, die im Iran nicht nur von einem religiös-muslimischen Wertesystem, sondern in großem Maße von männlich dominierten Machtstrukturen bestimmt wird.

Interessant dabei, noch als Sidestep-Bemerkung, dass der Regieansatz bei diesem Theaterstück sehr klassisch über die Bühnenrampe kam und das Publikum von den Schauspielerinnen und Schauspielern, die ihrem vorgefertigten Text verpflichtet waren,  fein säuberlich trennte.

Vyrypaev schafft es mit seinem Stück, die  persönlichen Positionen, die de facto hinter allen Teilnehmenden an einer Konferenz stecken, aber immer von Rollenerwartungen zugedeckt werden, zu offenbaren. Durch diesen Blickwinkel eröffnet er eine ganze Reihe von neuen Zugängen, die beim Publikum solcher Veranstaltungen stärker in den Fokus treten  und damit auch hinterfragt werden können. Dies ganz abgesehen von den offenen Bruchlinien der angesprochenen Gesellschaftsformen, die er damit einmal mehr offen zur Schau stellte.

Auf der Bühne agierten höchst authentisch: Krzysztof Kumor als Philipp Rasmussen, Juliusz Chrząstowski als Daniel Christensen, Richard Berkeley als Oliver Larsen, Philipp Mogilnitskiy als Magnus Tomsen, Agata Buzek als Astrid Petersen, Magdalena Górska als Emma Schmidt-Poulsen, Mariusz Zaniewski als Gustav Jensen, Redbad Klynstra-Komarnicki als Father Augustine, Patrycja Soliman als Shirin Shirazi

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