Stravinsky und Prokofjew im Wettstreit

Dmitri Slobodeniouk 02@Marco Borggreve

Der Dirigent Dimitri Slobodeniouk (c) Marco Borggreve

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Orchéstres en fête“ war in Straßburg zwischen dem 18. und 21. November 2010 der musikalische Ausnahmezustand ausgerufen worden. Eingebettet in das französisch-russische Freundschaftsjahr hatte das OPS, das Orchéstre philharmonique de Strasbourg“ insgesamt 9 Konzerte vorbereitet, bei dem 9 Solisten zum Einsatz kamen und 25 Stücke gespielt wurden.

Mit dem Auftakt am Donnerstag gab sich Alexander Toradze in Straßburg die Ehre. Jener aus Georgien stammende, international bekannte Pianist, der 1983 bei einem Auslandskonzert in Amerika von dieser Konzertreise nicht mehr in die USSR zurückkehrte, und in seinem neuen Heimatland an der Indiana University in South Bend das Toradze-Studio begründete. In dieser außergewöhnlichen Schule wurden unter ihm bisher ca. 160 Klaviersolisten ausgebildet. Toradze selbst spielte unter der Stabführung des jungen Dirigenten Dima Slobodeniouk das 1. Klavierkonzert von Prokofjew, sowie das Konzert für Klavier und Bläser von Stravinsky. Zwei ungemein anspruchsvolle Stücke, die nicht nur eine hohe technische Brillanz erfordern, sondern auch eine tiefe Kennerschaft der Werke, um ihre Strukturen dementsprechend hörbar zu machen.

Dass dabei jedoch nicht nur der Pianist, sondern auch das Klavier in hohem Maße gefordert ist, wurde sogar sichtbar, da während des Konzertes eine Klavierseite riss, die von kundiger Hand in Windeseile entfernt werden musste – ein wahrlich nicht alltäglicher Vorgang. Wie sehr Toradze in der russischen Musik lebt, wurde schon bei der Generalprobe deutlich, die dieses Mal für die Öffentlichkeit zugängig gemacht wurde. Während einiger Stellen sprang der Musiker von seinem Klavier auf und unterstützte den jungen, russischstämmigen Dirigenten mit kräftigen und deutlichen Gesten, um die Dramatik und die Tiefe des Orchesterklanges zu steigern. Wie selbstverständlich wirkte dieser Vorgang, auch die danach beiderseitige, kurze Absprache in Russisch, zwischen ihm und dem Dirigenten, deren Ergebnis dann von Slobodeniouk auf Englisch an das französische Orchester kommuniziert wurde. Ein herrliches Erlebnis, bei dem mehr als deutlich wurde, dass Musik alle Sprachbarrieren überwindet – Orchestermusiker heute aber auch tatsächlich mehrsprachig sein müssen, um den Anforderungen der vielen Gastdirigenten adäquat nachkommen zu können.

Toradzes Interpretationen kennen das schwärzeste Schwarz und das weißeste Weiß, das kräftigste Forte und das leiseste Pianissimo. Dazwischen bleibt nicht viel Platz. Was die russische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts betrifft, so liegt er damit aber völlig richtig. In einem Interview erzählte der Pianist, dass Bartok, Prokofjew, Strawinsky usw. jene Komponisten waren, mit denen er quasi schon von Kleinkindesalter an aufwuchs. Sein Vater, selbst Komponist, erklärte ihm wie beiläufig viel später, dass es vor diesen Komponisten auch noch andere gegeben habe die den Namen Mozart oder Beethoven trugen. Aus diesem Blickwinkel heraus wird klar, warum die Identifikation von Toradze mit dieser Musik so unglaublich stark ist und er einen so überaus natürlichen Zugang zu diesen Werken hat. Einen Zugang, der bei anderen Pianisten in diesem Zusammenhang eher selten anzutreffen ist.

Was Schwarz und was Weiß bei Toradze bedeutet, wurde schon im Klavierkonzert von Prokofjew rasch klar. Der kräftige, ja halsbrecherische erste Satz, der mit einem bestimmenden Marsch beginnt und in ein wahres pianistisches Lauffeuer übergeht, machte deutlich, dass Toradze nicht gewillt ist sich, das Klavier, oder die Musiker des Orchesters zu schonen. Seine kräftigen, so ganz und gar nicht pianistisch wirkenden Hände scheinen für diese Art von Musik absolut prädestiniert. Zartheit ist hier fehl am Platze, wenngleich sie in den Perlenschnüren des dritten Satzes, die der Pianist am Klavier dutzendweise akkurat abspulte, bereits durchblitzen. Das große Finale des nur 15 Minuten dauernden Konzertes, welches Prokofjew fast effekthascherisch programmierte, gelingt nur dann, wenn die pianistische Kraft und Ausdauer, ja ein starkes Ego vorhanden ist, um dem ebenso starken Orchesterpart die Stirn bieten zu können. Und Toradze tat dies ohne auch nur eine leise diesbezügliche Frage aufkommen zu lassen. Perfekt agierte dazu Slobodeniouk, der mit Präzision agierte, jedoch im Ausdruck stark genug war, um auch feinere Schattierungen an das Orchester weitergeben zu können.

Im Konzert für Klavier und Bläser zeigte Toradze dann auch, dass seine Schwarz-Weiß-Malerei Lyrismen nicht unbedingt ausschließt. Im ersten Satz, der mit einem Trauermarsch in den Bläsern beginnt und kontrapunktisch in Bach´scher Manier auftritt, zerschlägt das Klavier die historischen Reminiszenzen und gleitet in unglaublich schwierige, rhythmische Strukturen mit jazzigen Anklängen. Was dann, im zweiten Satz zu hören war, war unglaublich. Der stämmige Pianist legte sichtbar sein Herzblut in die singende Melodie, die so wunderbar von den Oboen und auch Hörnern aufgenommen wird und zwischen ihnen und dem Klavier immer wieder hin- und herwogt. Tatsächlich konnte man einem jener seltenen, innigen Momente bewegt lauschen, die Prokofjew in diesem Konzert bereit hält. Wie zum Ausgleich durchwühlte Toradze im Finalsatz die schwierigen rhythmischen Passagen, um schließlich wieder in einem kraftvollen Fortissimo so zu enden, wie er das Konzert begann, nämlich ganz im Sinne des Komponisten, der einmal feststellte, dass ihm bei diesem Konzert eine „trockene Klarheit“ vorschwebte.

Eine schöne Ergänzung boten noch Stravinskys Symphonie in drei Sätzen sowie Prokofjews Suite „Die Liebe zu den drei Orangen“. Beide Werke wurden von Slobodeniouk punktgenau dirigiert, wobei das OPS im gesamten Klangappart aufs Äußerste gefordert war. Vier Konzerte an einem Abend, die technisch hoch anspruchsvoll zu spielen sind und auch nicht häufig auf dem Programm stehen, waren eine Herausforderung, der jedoch bravourös Stand gehalten wurde.

Zuletzt bleibt nur noch das Werk Ayas, eine Fanfare von Christophe Bertrand zu erwähnen. Es erlebte seine Welturaufführung als Eröffnungsstück und stammt von jenem jungen Straßburger Komponisten, der im September dieses Jahres viel zu früh mit 29 Jahren verstarb. Rhythmisch und klanglich kraftvoll bot es eine wunderbare Einleitung, welche im übertragenen Sinne die Bühne für das Kommende öffnete. Das dreiminütige Stück für dreizehn Blas- und Perkussionsmusiker, die mit Gongs, großen Trommeln, antiken Zimbeln und Pauken agieren ist, kaum gespielt, auch schon wieder verklungen. Klanglich mit Reminiszenzen an Skrijabin versehen, war es im Hinblick auf dieses Konzert mit Werken von Stravinsky und Prokofjew vom Komponisten verfasst worden; ein Umstand, der Seltenheitswert hat und als Verweis eines Konzertabends aufgefasst werden kann, den Bertrand offenbar als Gesamtkunstwerk verstand. Es wäre schön, wenn dies international Beachtung fände und öfter in einem zumindest ähnlichen musikalischen Konnex erklingen könnte.

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