Was haben Winston Churchill, Papst Franziskus und Theresa May gemeinsam?

Was haben Winston Churchill, Papst Franziskus und Theresa May gemeinsam?

Die Frage ist nicht als Intro zu einem Witz aufzufassen, obwohl man bei etwas Nachdenken sicherlich eine treffende Pointe finden würde. Vielmehr vereint die drei Personen, dass sie sich von ihrer Warte aus Gedanken zu Europa gemacht haben. Jenem Europa, das, wie es gerade scheint, derzeit in seinen Grundfesten erschüttert wird.

Anna Maria Krassnigg "Reden" Salon5 (c) Martin Schwanda

Anna Maria Krassnigg „Reden“ Salon5 (c) Martin Schwanda

Der Salon 5 auf der „Naturbühne“ des Alten Rathauses

Anna Maria Krassnigg hat sich mit ihrem Format „Reden“ in der „Naturbühne“ – O-Ton Krassnigg – dem Sitzungssaal des Alten Rathauses in der Wipplinger Straße zum Ziel gesetzt, den aktuellen politischen Entwicklungen mit Gedankenfutter entgegenzuhalten. In jenem Saal, in welchem der Wiener Gemeinderat zwischen 1853 und 1885 tagte. Als Gedankenfutter dienen Reden, die berühmte Menschen öffentlich von sich gaben und mit ihnen Einflussnahme auf ihr soziales oder politisches Umfeld nehmen konnten.

Während einer Theatersaison kann man sich einmal pro Monat dem Luxus hingeben, den ausgewählten Reden in der Veranstaltung des Salon5 zu lauschen. Und zusehen kann man auch noch. Nicht filmischen Originaldokumenten, sondern Schauspielern und Schauspielerinnen in Fleisch und Blut, die in die Rolle der jeweils vortragenden Person schlüpfen.

Churchills „Vereinigte Staaten von Europa“

Mit Martin Schwanda als Winston Churchill wurde der Lesereigen im November eröffnet. Interessant dabei zu erfahren, dass es dieser Politiker war, der den Begriff „Vereinigte Staaten von Europa“ prägte. Ausgehend von einem eurozentristischen Weltbild stellte er in seiner „Europa-Rede“, gehalten 1946 an der Universität Zürich, die Neuschöpfung einer europäischen Völkerfamilie in Anlehnung an den Commonwealth als Mittel zur Aussöhnung der durch den zweiten Weltkrieg verwundeten Staaten dar. Dass er dabei die „nationalsozialistischen Querelen als Ursprung des Elends“ benannte, hat keinen Neuigkeitswert, ist aber in Zeiten wie den unsrigen zugleich als abermalige Mahnung für Kommendes zu lesen.

Papst Franziskus und die Mutter Europa

Horst Schily (c) Martin Schwanda

Horst Schily (c) Martin Schwanda

Die Rede von Papst Franziskus bei der Verleihung des Karlspreises im Mai 2016 wurde von Horst Schily – ganz in Weiß – gehalten. Dabei skizzierte er Europa als eine alte Großmutter, wo ihr doch die Rolle einer Frau, die sich um ihre Familie noch aktiv kümmert, viel besser stünde. Solidarität im Handeln, die Fähigkeit zum Dialog, sowie die Rolle der jungen Menschen, die Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen müssten, stand im Mittelpunkt seiner Europavision.

Die Erfolgsstory Brexit

Anna Maria Krassnigg las schließlich selbst aus der Rede Theresa Mays vor dem Parteitag der Konservativen vom 22. Oktober 2016. „Wir werden aus dem Brexit eine Erfolgsgeschichte machen!“, konnte man erstaunt hören und auch, dass die Souveränität Großbritanniens mit der Abstimmung nun endgültig sei. Europa spielt in Mays Rede für das Vorankommen der Großmacht, welche „die meisten Nobelpreisträger hervorbrachte“ und deren „Zeitzone für den globalen Handel die günstigste sei“, nur mehr eine untergeordnete Rolle.

Der Gast des Abends, mit dem die Theatermacherin im Anschluss an die Reden diskutierte, skizzierte nicht nur den Privatmann Winston Churchill. Karin Kneissl, Autorin, Energieanalystin und Nahostexpertin, ließ auch mit ihrer Brexit-Analyse aufhorchen. Entgegen der Mainstream-Meinung in den Medien, beurteilt Kneissl den Ausstieg für Großbritannien bei Weitem nicht so negativ. Das Verständnis, eine Weltmacht zu sein und auch so zu agieren, lässt aus einem gewissen Blickwinkel den Brexit eher als europäisches Problem denn als britisches erscheinen.

Das wirklich Großartige am „Reden“-Format ist, dass man nicht nur einen geistreichen, theatralischen Abend verbringen kann, sondern dabei auch noch jede Menge gesellschaftsrelevanten Input erhält.

Übrigens: Wenn Ihnen ein Witz zur Frage im Titel einfällt, freuen wir uns auf die Weitergabe oder Sie hinterlassen diesen in den Kommentaren!

Die nächste Gelegenheit „Reden“ im Alten Rathaus zu genießen, gibt es am 13. Dezember.

Männerideen und Frauenwirklichkeiten

Männerideen und Frauenwirklichkeiten

„Die Braut oder Moderne Frauen“, im Sommer beim Salon5 im Thalhof uraufgeführt, erlebte nun seine Wien-Premiere.

Die Bühne des barocken Schlosstheaters von Schönbrunn ist in dämmriges Licht getaucht. In der Mitte stehen vier Sessel und vier Notenständer. Ein übliches Setting für ein Quartett. Das Publikum sitzt aber nicht in den Reihen im Zuschauerraum, sondern direkt auf der Bühne, rund um ein leicht erhöhtes Podium.

Schnitzler als Vordenker der Emanzipation

Ein junger Mann tritt in einem zarten, beigen, zum Teil durchsichtigen Tüllkleid auf. Die Lippen und Augen leicht geschminkt, wirkt er androgyn und zeigt doch zugleich seinen männlichen, behaarten Körper. „Auf einem Maskenball lernte ich sie kennen, nach Mitternacht. Ihre klugen und ruhigen Augen hatten mir gefallen und das dunkelblaue Kleid, das sie trug.“ Er beginnt mit den ersten Sätzen des Textes „Die Braut“ von Arthur Schnitzler. Einem kleinen Werk, das dieser als Vorstudie zu seiner Traumnovelle verfasste, das aber wenig bekannt ist. Darin erzählt er eine flüchtige Bekanntschaft mit einer jungen Frau, die sich am Beginn des 20. Jahrhunderts die Freiheit nimmt, so zu leben, wie sie möchte. Ohne eheliche Pflichten, mit Hinwendung zu jenen Männern, die sie sich aussucht und nicht umgekehrt. Aber auch im vollen Wissen, damit von der Gesellschaft geächtet zu werden. Der Lebensentwurf von Schnitzlers Protagonistin ist sogar für heutige Verhältnisse noch für viele Frauen und Männer undenkbar. Gerade deshalb könnte man sie als feministische Vorreiterin par excellence bezeichnen. Der Schauspieler Silas Breiding legt seinen Erzähler sehr einfühlsam an, bewundernd und mit Respekt dieser Frau gegenüber ausgestattet. Schnitzlers Text erscheint – denkt man an die Zeit der Entstehung – wie ein futuristischer Wunschtraum.

Die Braut oder Moderne Frauen, Silas Breiding (c) Christian Mair

Die Braut oder Moderne Frauen, Silas Breiding (c) Christian Mair

Der Monolog, mit dem Breiding den Auftakt zum Abend bestreitet, aber auch der spätere Text, werden zum Teil vom Thalhof-Quartett begleitet. Es besteht aus jungen Studierenden der MDW, die den Abend unter der Regie von Jens Bluhm musikalisch unterstützen. Das Quartett hatte sich unter der Federführung des Leiters des Haydn Instituts für Kammermusik und Spezialensembles am MDW, Johannes Meissl, anlässlich dieser Produktion im Sommer formiert und wird, höchst erfreulich, auch in Zukunft unter diesem Namen weiter auftreten.

Jelineks reaktionäre Frauenbeschreibung

„Krankheit oder Moderne Frauen“ nennt sich ein Text von Elfriede Jelinek aus dem Jahr 1987. Mit ihm wurde ein Kontrapunkt zur Eingangsszene gesetzt, in welcher Schnitzler seiner jungen Frau ein selbstbestimmtes Leben zuerkennt. Jelinek beschreibt in ihrem Stück, das sie stilistisch als Textfläche angelegt hat, zwei höchst gegensätzliche Paare. Emily, Krankenschwester und Schriftstellern ist mit Heidkliff, einem Zahnarzt liiert. Carmilla (Laura Laufenberg) hingegen ist die gefügige Ehefrau von Benno (Christoph Kohlbacher). Laufenberg und Kohlbacher sind im 2. Jahrgang ihrer Schauspielausbildung. Die vampiristischen Anlagen von Emily tauchen in der Regie von Jens Bluhm nicht auf. Vielmehr konzentrierte er sich bei dem Text auf die kaum erträglichen Stereotype der in den 80er Jahren noch üblichen Frauen- und Männer-Geschlechterbilder. Der Mann ist der Besitzende, der alles Bestimmende, der die Frau Formende. Diese verbleibt in Jelineks Text in der Rolle als Sexualobjekt, Gebärmaschine oder Haushaltshilfe, sich anbiedernd bis zum bitteren Ende. Die Gegenüberstellung von Gut und Böse ist dabei eindeutig verteilt. „Ich bin ein Maß, ich bin ein Muss“, erklärt Heidkliff an einer Stelle, während Carmilla sich selbst als „nichts Halbes und nichts Ganzes“ beschreibt, als ein Wesen „von liebenswürdiger Geringfügigkeit“.

Eine Textkombination als Ausgangsbasis

Bluhm hat bereits, wie auch Silas Breiding und Saskia Klar, die in der Rolle von Emily auftritt, das Max Reinhardt Seminar erfolgreich abgeschlossen. Der junge Regisseur arbeitet seit einigen Jahren an den Münchner Kammerspielen als Regieassistent und ließ sich auf den Vorschlag der Textkombination Schnitzler und Jelinek von Anna Maria Krassnigg ein, nicht ohne selbst eigene Textstriche durchzuführen. Zugleich nimmt er auch Krassniggs Idee auf, „verwundete Orte“, wie auch der Thalhof lange Zeit einer war, mit in die Konzeption der Inszenierung einzubauen. Das Schönbrunner Schlosstheater ist kein verwundeter Ort, aber allemal ein verwunschener, ein in der Zeit stehen gebliebener. Insofern schmiegt auch er sich wunderbar an diese Idee an.

Die Braut oder Moderne Frauen (c) Petra Gruber

Die Braut oder Moderne Frauen (c) Petra Gruber

Die Bühne und die Kostüme (Lena Müller) verbleiben im abstrakten Schwarz-Weiß-Modus, der Boden ist spiegelnd glatt. Nichts, was irgendwie heimelig erscheint. Die Menschen sind bei Jelinek in ihrem Sein gefangen und sich gegenseitig ausgeliefert. Sie stehen in ihrer kalten Gefühlswelt in starkem Kontrast zu Schnitzlers Figuren, die sich trotz all ihrer Unterschiedlichkeit dennoch schätzen.

Was ist antiquiert und was zukunftsweisend?

Die Position des Publikums erlaubt es, den historischen Raum des Theaters, zumindest aus den Augenwinkeln, wahrzunehmen. Das unweigerliche Switchen in der Wahrnehmung zwischen moderner Bühneninszenierung und barocker Ausstattung bedeutet eine sehr kluge Verschränkung mit den Texten, die das junge Ensemble anbietet. Wobei sich die historische Zeitabfolge der emanzipatorischen Ideen dabei völlig ad absurdum führt. Gestrige Ansichten sind Zukunftsmusik und Neueres gehört zum alten Eisen. Dabei drängt sich fast automatisch die Idee der Geschlechterkonstruktion auf. Dieses für gewöhnlich mühsam diskutiertes Feld schleicht sich in dieser Inszenierung auf leisen Sohlen in die Gehirnwindungen der Zusehenden.

Schnitzler Zeitgenossen und Ivana Stefanovic steuern die Musik bei

Die Auswahl der Streichquartette von Zeitgenossen von Schnitzler, Anton Webern und Alexander von Zemlinsky, die das Geschehen subtilst begleiten, ist höchst intelligent. Sowohl Webern, ein Komponist der Zweiten Wiener Schule, als auch Zemlinsky, über den sich die Wissenschaft zum Teil streitet – wird er doch sowohl den atonalen als auch den tonalen Komponisten zugeordnet – verwendeten Kompositionsprinzipien, die zu ihrer Zeit zukunftsweisend waren. Musikalische Utopien, die sich zum Teil überlebten, zum Teil jedoch in den Kanon der klassischen Musiktradierung aufgenommen wurden. Schön, dass sich mit Ivana Stefanovic auch eine Komponistin unserer Zeit dazugesellen kann. Stefanovic, die nach ihren Studien in Belgrad und Paris für das Belgrader Radio und Fernsehen gearbeitet hat, Direktorin eines Musikfestivals war, den Posten der Kulturstaatssekretärin innehatte und an einem Zentrum für „Women`s studies“ unterrichtet, ist ein wunderbares Beispiel einer emanzipierten Frau, die in einem Männerberuf reüssierte und im übertragenen Schnitz´lerschen Sinne ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen lebt.

Musikalisch wird mit den dargebotenen Werken eine große Bandbreite zwischen höchst dramatischen Sätzen und solchen, die mit sehr feinen Zwischentönen auskommen, aufgezeigt. Das Leben der Frauen und Männer, die an diesem Abend zu Wort kommen, ist genauso spannungsgeladen, wie die Musik, die gespielt wird. Unterdrückung und Konformität, aber auch die Möglichkeit, sich einem bestehenden Machtsystem zu entziehen, kann aus einzelnen musikalischen Strukturen herausgelesen und gehört werden. Die Schönheit eines Individuums und die Kraft einer Gruppe, könnten mit den musikalischen Einschüben assoziiert werden. Genauso wie für Jelineks an einigen Stellen ins Absurde ausufernden Text gibt es auch hier mannigfaltige Interpretationsmöglichkeiten.

Musiktheater mit Texten

Die Braut oder moderne Frauen, Saskia Klar (c) Christian Mair

Die Braut oder moderne Frauen (c) Christian Mair

„Musiktheater mit Texten“ nannte der Salon5 diese Inszenierung, die in Zusammenarbeit mit isa – der internationalen Sommerakademie der MDW zustande kam. Den jungen Protagonistinnen und Protagonisten bot sie zugleich die Möglichkeit, über den Tellerrand der eigenen Profession hinwegzublicken.

„Zuzusehen, wie akribisch Musizierende arbeiten und umgekehrt mitzubekommen, wie frei sich die Schauspielerinnen und Schauspieler ihren Rollen näherten, bedeutete für beide Gruppen eine unglaubliche Bereicherung.“ Anna Maria Krassnigg, die mit ihrem Salon5 den isa – Projekten Jahr für Jahr eine Plattform bietet, kann man getrost als Mentorin vieler junger Theaterschaffender bezeichnen. Ohne ihren Enthusiasmus und ihre Bereitschaft, kompromisslose Qualität auf Bühnen zu bringen, hätte eine Inszenierung wie diese wohl kaum das Licht der Bühne erblickt.

„Die Braut oder Moderne Frauen“, dieser theatralische Hermaphrodit, in dem Musik und Schauspiel gleichermaßen zu ihrem Recht kommen, ist das, was man gemeinhin als „harten Tobak“ charakterisiert. Sperrig, und alleine mit Intuition nicht zu erfassen. Zugleich aber auch ein Theaterabend, der aufzeigt, dass es mit Mut zu Unbekanntem möglich ist, Horizonte zu erweitern und Denkanstöße zu geben, die ohne diesen Abend so nicht zustande gekommen wären. Wer gut und wer böse ist, wo die Grenze zwischen Selbstbestimmung und Unterwerfung liegt, bleibt offen, die Deutungshoheit somit beim Publikum. Und auch, dass Theater streckenweise absurd sein darf, in Zeiten wie den unsrigen vielleicht sogar sein muss, kann als Erkenntnis mit auf den Nachhauseweg genommen werden.

Im Thalhof-Quartett spielen: Soo-Hyun Park / Violine, Nadia Kalmykova /Violine, Joachim Kelber / Viola sowie Mislav Brajkovic / Violoncello.

Ich will Präsident werden!

Ich will Präsident werden!

Passender hätte der Termin nicht gewählt sein können; der neue österreichische Bundeskanzler Christian Kern wurde vor Kurzem angelobt und die entscheidende Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl ist in Sichtweite und wirft ihren langen Schatten voraus.

Der Salon5 hat im alten Rathaus „Barack Obama“ und „Donald Trump“ zum Stelldichein gebeten. Unter dem Motto: „How to become Mr. President“ zielte diese Veranstaltung natürlich auf die Stichwahl am 22. Mai ab. Auf der einen Seite hielt David Wurawa die Siegesrede von Barack Obama aus dem Jahr 2008 und Horst Schily präsentierte die bereits legendäre Rede von Donald Trump aus dem Jahr 2015, bei der er seine Kandidatur bekannt gab. Als Gesprächspartner der Gastgeberin Anna Maria Krassnigg war Rainer Nowak, Chefredakteur der Presse, direkt von der Hofburg in das Alte Rathaus geeilt, um die Reden zu analysieren und die derzeitige innenpolitische Situation zu diskutieren.

Die Parallelen zwischen der Wahl von Obama und Christian Kern sind augenfällig. Beide proklamieren auf ihre Weise den Wechsel im politischen Spiel und wollen über die eigene Partei hinaus verbinden. Beide werden als eine Art politischer Heilsbringer empfunden und gehypt. „Es muss sich etwas ändern im politischen System“, ist die Botschaft der beiden. „Change“ und „yes we can“ könnte auch in der Rede von Kern stehen. Beide treten in Zeiten an, in denen die Gesellschaft in verschiedene Lager gespalten ist. Obama hatte von Anfang an die Tea-Party-Bewegung und die Mehrheit der Republikaner gegen sich. Die Frage, ob die ÖVP einem SPÖ-Kanzler den Erfolg und den Turnaround gönnt, ist nicht unberechtigt. Mit Norbert Hofer ist ein Politiker in der Stichwahl, der ähnlich wie die Tea-Party und jetzt auch Donald Trump sehr stark polarisiert und mehr die Gegensätze betont als die Gemeinsamkeiten. Nowak geht davon aus, dass gegen die Simplifizierer und Ausgrenzer nur die Werte der Aufklärung helfen können. Diese müssten konsequent gezeigt werden und man dürfe den Rechtsstaat nicht aufweichen, so seine Meinung.

Der Abend war sehr aufhellend und aufrüttelnd zugleich. Gerade für politisch Interessierte wurde mehr als deutlich, dass Demokratie, Toleranz und Offenheit nicht selbstverständlich sind. Die politische Stimmung kann sich innerhalb nur weniger Jahre extrem verändern. Außerdem zeigte sich klar, dass einzelne Politiker zwar Initialzündungen geben können, allerdings immer in ein politisches System eingebunden sind, welches seine eigenen Spielregeln und ab und zu auch Bremsen für Reformen und Veränderungen eingebaut hat.

Das Format „Reden“ des Salon5 erwies sich einmal mehr als brandaktueller, künstlerisch-intellektueller Beitrag zum aktuellen Zeitgeschehen in Österreich.

Reden!

Reden!

Es gibt viele Kreative, die scheinen ein nicht enden wollendes Potential von Ideen in sich zu tragen. Und dann gibt es einige wenige, die diese Ideen auch umsetzen. Zu letzter Gruppe gehört Anna Maria Krassnigg, die sich mit ihrem Salon5 ein neues Format ausgedacht und auf Schiene gebracht hat.

„Reden“ ist der Titel einer fünfteiligen Serie, die jeden dritten Dienstag im Monat im Festsaal des Alten Rathauses in der Wipplinger Straße stattfindet. Wer mit dieser Datumsangabe ins Schwimmen kommt, dem seien die Termine auf der Homepage des Salon5 ans Herz gelegt. Das genaue Programm wird dort jeweils ca. 2 Wochen vor der Veranstaltung veröffentlicht. „Um auch die Möglichkeit zu haben, auf Aktuelles zu reagieren“, wie Anna Maria Krassnig auf Nachfrage erläuterte.

Die Location hätte nicht besser ausgesucht werden können. Denn bei „Reden“ geht es tatsächlich um nichts Anderes, als darum, historische, aber auch brandaktuelle Reden vorgetragen zu bekommen. Von Schauspielerinnen und Schauspielern, die diese Kunst auch beherrschen. Und wo könnte man dies besser tun als coram publico von einem tatsächlichen Rednerpult aus. Die „erlesene Rhetorik“, wie Krassnigg die ausgewählten Texte doppeldeutig benennt, folgen pro Abend einer bestimmten Thematik. „Reden gegen Brandstifter“ war der erste Generaltitel.

Zum Auftakt gab es Ciceros berühmte erste Rede gegen Catilina, Joschka Fischers aufsehenerregende Rede zum Nato-Einsatz im Kosovo, sowie Navid Kermanis berührende, aktuelle Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen.

Reden Martin Schwanda c Christian Mair Kopie

„Reden“ Martin_Schwanda (c) Christian Mair

Martin Schwanda, mit weißem Sakko und goldglänzend bemustertem Hemd eröffnete mit Ciceros Aufruf an seinen Feind, Catilina, die Stadt zu verlassen. Wer immer auch beim Lateinunterricht Cicero übersetzen musste, außer er oder sie war eine Koryphäe in dieser Sprache, wird vielleicht zum ersten Mal die ausgeklügelten rhetorischen Finten verstanden haben, die Cicero hier anwandte.

Version 2

„Reden“ Jens Ole Schmieder (c) Christian Mair

Die Beschwörung des Gemeinwohls, wie er es tat, war auch in Joschka Fischers Rede ein Thema, die während ihres spannenden Vortrags durch Jens Ole Schmieder von Pfiffen und Zwischenrufen aus den Rängen begleitet wurden. Ganz wie an jenem Bundesparteitag der Grünen, an welchem Fischer dringend seine Parteifreundinnen und –freunde zur Einigkeit aufrief.

Reden Horst Schily c Christian Mair Kopie

„Reden“ Horst_Schily (c) Christian Mair

Den berührenden Schluss gestaltete Horst Schily, der die Rede von Navid Kermanis wiedergab, die dieser anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels vortrug. Die Bedrohung der Christen und der Muslime durch die IS in Syrien stand im Mittelpunkt seiner Ausführungen und es ist Krassnigg zu danken, dass sie mit dieser Auswahl eine Rede an ihr Publikum weiterleitete, die von Hellsichtigkeit, Menschlichkeit und Hoffnung getragen und der tatsächlich eine größt mögliche Verbreitung zu wünschen ist.

Der international renommierte Literatur- und Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk hat am Eröffnungsabend mit Anna Maria Krassnigg gemeinsam moderiert, seine Sicht auf die vorgetragene Rhetorik erläutert und auch aus seinem breiten Wissensspektrum zusätzlich Informationen ans Publikum weitergegeben.

„Reden“ erwies sich beim Auftakt als ein Format, das nicht nur mit einem theatralischen Element ausgestattet ist. Vielmehr ist es dazu prädestiniert, anhand von ausgewählter Rhetorik, sich mit Ideen zu beschäftigen, welche die soziale und politische Wirklichkeit vieler Menschen beeinflusst haben und vielleicht auch in Zukunft beeinflussen werden.

Wer mag, wandert im Anschluss der Vorstellungen jeweils mit ins Café Korb, dem „verlängerte Wohnzimmer“ des Salon5.  Um dort mit den Beteiligten im persönlichen Austausch  zu – wie sollte es auch anders sein –  reden.

Hier die Homepage des Salon5 mit den Terminen.

Das Leben spielt das verrückteste Theater

Das Leben spielt das verrückteste Theater

Die Kinobühnenschau „La pasada – die Überfahrt“ des Salon5 lädt im Metro Kinokulturhaus auf eine Achterbahnfahrt zwischen verschiedenen Realitätsebenen ein.

Sie heißen Caliban oder Antonio. Sie zitieren Verse aus Shakespeares „unaufführbarem Werk der Sturm“, O-Ton Regisseurin Anna Maria Krassnigg. Die übermächtige Leinwand versucht, sich das lebendige Theater, das davor über die Bühne geht, zu krallen. Allein, das Ensemble und der Text sind zu stark. David gegen Goliath könnte man die neue Inszenierung von Anna Maria Krassnigg zusammenfassen, mit dem Ergebnis, dass der ungleiche Kampf in diesem Match unentschieden endet.

Dafür sorgen die brillanten Schauspielerinnen und Schauspieler. Allen voran Erni Mangold. Sie tritt in dem Stück „La Pasada“ von Anna Poloni als Familienoberhaupt der vierten Generation auf, was aber nicht von Anfang an wirklich klar ist. Die höchst kunstvoll verschachtelte Geschichte rund um ein Familiengeheimnis, löst sich erst Stück für Stück im Laufe des Abends auf. Aus einer Geliebten zu Anfang wird eine Urgroßmutter am Ende. Das, was in diesem Leben dazwischenlag, gilt es, step-by-step mit Voranschreiten der Handlung zu enträtseln.

Eine der größten Stärken des Abends liegt in seiner permanenten Verschränkung zwischen dem Geschehen auf der Kinoleinwand und jenem direkt davor auf der Bühne. Wer meint, in der Kunst gäbe es nichts Neues, Entdeckenswertes mehr, der irrt und hat gleichzeitig doch recht. Denn das Genre, in dem sich „La Pasada“ bewegt, ist eigentlich ein historisches. Die Kinobühnenschau ist ein vergessenes Kapitel Kulturgeschichte, in dem Kino und Live-Spiel kombiniert wurde. Allerdings: Die große Leinwand, der Ton, der Farbfilm, all das gab es zu Beginn der bewegten Bilder noch nicht.

Die zweite Stärke aber liegt im Text selbst. Poloni geizt dabei nicht mit Lebensweisheiten, Bonmots und einem subtilen Witz. „Er ist ein kluger Mann. Versteht aus dem Leiden Leben zu machen, nicht umgekehrt“, sagt an einer Stelle die weise Flora über den von ihr aufgenommenen Cal. Eine wunderbare Metapher, die nicht nur das Schicksal des Flüchtlings umreißt, sondern für all jene Menschen steht, die das Leben verstanden haben. Sätze wie diese, und davon gibt es viele, geben dem Stück etwas sehr Kostbares. Man bekommt große Lust, es noch einmal nachzulesen. Besonders auch die Verquickung, die Poloni zu Shakespeares Sturm gelingt, beeindruckt. Gerade die multiplen Layer, die sich in diesem Werk auffinden lassen, machen es so hoch spannend. Dabei kann man sich über weite Strecken seiner eigenen Erkenntnis, die man bis dahin gewonnen hat, nie sicher sein. Denn im Handumdrehen muss man seine Anschauung dann auch wieder revidieren.

Familiengeheimnisse beeinflussen direkt das Leben der Nachkommen. Geheimnisse, die auf Lebensentscheidungen basieren, die sich im Fortgang der Generationen wiederholen. Schuld wird nur bei den anderen gesehen, die Auswirkungen des eigenen Verfehlens nicht in die kommenden Generationen weitergedacht. Eingedenk der Familienaufstellungen, die rund um den Globus beinahe schon zum guten Ton gehören, ist „La Pasada“ ein extrem zeitgeistiges Stück und doch zeitlos zugleich.

Die unterschiedlichen Ebenen zwischen Theater und Film werden gegen Ende noch durch die der Einbindung des Publikums erweitert. Eine logische, dramaturgische Konsequenz, die damit die unterschiedlichen Realitäten miteinander in Einklang bringt und eine zusätzliche Prise Humor ins Geschehen einstreut.

Die Kostüme von Antoaneta Stereva wiederholen die Verschränkung nicht nur zwischen Leinwand und Bühne, sondern auch über die Generationen hinweg und geben mit subtilen Farbcodes Hinweise auf familiäre Zusammenhänge.

Erni Mangold als weise Urgroßmutter, die sich, ausgelöst durch den Besuch ihres Urenkels, daranmacht, ihr Lebensgeheimnis zu lüften, ist ausschließlich im Film präsent. Gioia Osthoff hingegen, die Reinkarnation von Flora und der Beginn einer neuen Familiensaga, hat eine extrem anstrengende stumme Rolle auszuliegen. Flavio Schily, derzeit noch im Gymnasium tätig, schafft das Kunststück, mit jugendlicher Unbekümmertheit Erni Mangold einen wunderbaren Gegenpart entgegenzusetzen. Doina Weber in der Rolle der Extremverdrängerin und zugleich lamentierenden Anklägerin erkennt Martin Schwanda nicht als ihren Sohn. Dieser stottert sich als Altphilologe (die Sprache ist ein Dialekt, der Glück gehabt hat) durchs Leben, brilliert aber auch als Verführer der jugendlichen Flora und als späterer Familienvater. Antionis Mutter (Doina Weber) ist es lieber, weiter in Albträumen zu verweilen, die ihr die Schuld der Weglegung ihres eigenen Kindes verschleiern, als den leibhaftig vor ihr Stehenden als eigenes Fleisch und Blut anzuerkennen. David Wurawa als Vermittler zwischen allen Welten und Wirklichkeiten schwankt permanent zwischen Konjunktiv und Vergangenheit, die ja „auch nichts anderes ist als ein Konjunktiv“.

Das Stück wurde bereits im Sommer im Thalhof uraufgeführt. Die Inszenierung in Wien, in der kleine Änderungen vorgenommen wurden, besticht durch ihre Intimität und Konzentration und nicht zuletzt durch den Aufführungsort selbst.

Nur noch bis 28. November!!!
Informationen auf der Homepage von Salon5

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