Blut wohin das Auge schaut

Blut wohin das Auge schaut

Die Sprache kantig und roh wie ein Holzschnitt von Barlach. Die Figuren expressiv wie in den Bildern von Otto Dix. Die Bühne kalt, offen und zwanghaft versperrt zugleich. Lulu von Franz Wedekind erlebte im Rahmen der Reihe „Ungebremst – Das Max Reinhardt Seminar zu Gast auf der Probebühne der Josefstadt“ – seine Premiere.

In einer beachtenswerten Textfassung von Dirk Brauner und David Stöhr, der zugleich für die Regie verantwortlich ist, spult sich das tragische Geschehen um den Aufstieg und den Fall des Mädchens Lulu vor den Augen des Publikums perpetuierend ab. Denn gleich zu Beginn wird in einer brutalen Szene, in der man Mühe hat, sich nicht zu übergeben, die Abschlachtung von Lulu durch Jack vorexerziert. Ihre Eingeweide landen blutig wie sie selbst am Boden. Schigolch, jener grauenhafte menschliche Abschaum, der mit dem Schicksal des Mädchens von Beginn bis zu seinem Ende untrennbar verbunden ist, agiert prompt sowohl als Leichenwäscher als auch als erbarmungsloser Lebenseinpeitscher. Alles noch einmal von vorne. Es war des Leids noch nicht genug.

Marie-Luise Stockinger darf so gleich zweimal unter Schmerzensschreien ihr Leben aushauchen. Dazwischen jedoch agiert sie als kindliche Verführerin ohne Herz und Gefühl aber mit einer überdimensionalen Portion an Lebenswillen. Sie ist sich bewusst, dass jeder einzelne ihrer Männer sie nur für die eigenen Bedürfnisse schamlos benützt und tut das Ihrige, um sich zu holen, was nur möglich ist. Dabei ist ihr Leben von Leichen gepflastert. Theaterblut beherrscht von Beginn an die Szenerie und wird im Laufe des Geschehens nie versiegen. Stockinger spielt einen beinahe bipolaren Charakter, der Mitleid nur mit sich selbst hat. Sie verfällt nur dann in Panik, wenn nicht sie einen Schlussstrich unter die Beziehungen macht, sondern die Männer sie verlassen wollen.

Luka Vlatkovic als zerlumpter Schigolch, strotzend vor in- und auswendigem Schmutz und stahlblauen Augen, die bis in die letzte Zuschauerreihe unbarmherzig stechen, lockt und verstößt Lulu so wie er es auch mit dem Publikum macht. Er agiert als Mittler zwischen der Tragödie auf der Bühne und den Menschen im Saal, die ja „gekommen sind, um zu schauen“. Mit Stefan Goski als Alwa und Pauline Fusban als Martha bildet er zum Schluss jene Gemeinschaft, die im letzten Bild zwischen den Toten als Untote leben und sich nach wie vor von Lulu, ebenso zerlumpt, zerfetzt und schon blutüberströmt, aushalten lassen. Stieren Blickes sitzen dabei alle auf dem Boden und lassen das Spiel seinen Lauf nehmen.

Lulus blutbeschmiertes Wäschestück (Kostüme Agnes Burghardt) fungiert darüber hinaus auch als Leinwand ihres Künstlergatten. Lennart Lemster darf in dieser Rolle zeigen, wie leicht Menschen ihre Verdrängungsmechanismen aktivieren können. Exaltiert, neurotisch, zögerlich und schwärmerisch zugleich hält er jedoch nur so lange an seiner Frau fest, bis er mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird. Bernhard Eder schuf minimalistische Soundgebilde, welche die jeweiligen Seelenzustände verstärkend illustrieren. Ein zusammenklappbarer Leibstuhl fungiert bühnenmittig gleichzeitig als einzige Sitzgelegenheit und als Folterinstrument auf dem Lulu ihr grausiges Ende findet. Sarah Sassens Bühnenbild und –ausstattung sind genauso kalt wie die Charaktere, die darin leben und sterben. Dass sich viel direkt auf dem Boden abspielt, ist für das Publikum auf den hinteren Sitzreihen leider ein richtiges Handicap. Ein nur wenige Zentimeter hohes Podest hätte hier gut Abhilfe schaffen können.

Stöhrs stringente Regie lässt keine emotionalen Verschnaufpausen zu. Das vorweggenommene Ende zieht wie eine Lokomotive das Geschehen erbarmungslos voran. Alle Beteiligten sind innerhalb und außerhalb des metallenen Bühnenkorsetts permanent sichtbar. Warten entweder stehend auf ihren Einsatz, oder liegen sichtbar in ihrem Blut am Boden. „Je ne regrette rien“, Edith Piafs Songikone auf ihr eigenes Leben, wird von Stockinger in einer karikierten Fassung intoniert. Die Begleitmusik dazu verweist gleichermaßen auf ihr kindliches wie auch kaltblütiges Wesen.

Samouil Stoyanov als Goll, Stefan Goski als Alwa und Andrei Viorel Tacu als Jack sind, wie alle anderen, bis auf Lulu selbst, weiß geschminkt. Zwar repräsentieren sie perfekt die ihnen zugedachten Charaktere, sind aber zugleich durch ihr Erscheinungsbild auch entpersonalisiert. Männliches Begehren und weibliche Liebessehnsucht und Selbstgeißelung, wie Martha sie permanent zur Schau trägt, stehen der authentischen Figur Lulus gegenüber. Obwohl ihre Rolle bei Wedekind als die allgemeine weibliche Verführung schlechthin angelegt ist, steht in dieser Inszenierung ihre Persönlichkeit mit ihrer sichtbaren Verletzbarkeit im Vordergrund.

Das starke Bedrückungsgefühl, das durch die Inszenierung ausgelöst wurde, war in den Augenblicken nach dem Ende des Spiels bleischwer im Saal zu spüren. Mission completed.

Weitere Termine hier: Termine

Unbeugsamen bleibt nur der Tod

Unbeugsamen bleibt nur der Tod

Sie sitzt in einem blauen Nachthemd in einem vergitterten Bett. Die Decke an die Brust gezogen, den Blick angstvoll und misstrauisch ins Publikum gerichtet, das nach und nach Platz nimmt. Nichts deutet darauf hin, dass die junge Frau eine Königstochter ist. Nichts, dass sie die Fähigkeit hat, in die Zukunft zu sehen. Langsam beginnt sie zu sinnieren. Dass die Trümmer von Troja das Letzte sind, das sie in diesem Leben sieht, stellt sie emotionslos fest. Und nach und nach gleitet sie in einen Erinnerungsvorgang, an dem sie das Publikum teilhaben lässt.

Christa Wolfs Erzählung „Kassandra“ bildet die Grundlage zum gleichnamigen Theaterstück, in dem Katharina Haudum mit starker Präsenz nicht nur in die Rolle der trojanischen Seherin schlüpft. Sie verkörpert zugleich einige wichtige Nebenrollen, indem sie diese mit stimmlich unterschiedlichen Attitüden ausstattet. Allen voran Priamos, den König,ihren Vater. Mit exaltierter Fistelstimme, seiner Familie und dem Volk entfremdet, macht er zu Beginn alles lächerlich, was Kassandra als Mahnungen ausspricht. Im Laufe des Abends schraubt er seine Eskalation so weit nach oben, dass am Ende seiner Zurechtweisungen keine Fistelstimme mehr steht. Vielmehr ein aus tiefster Seele hasserfüllt herausgeschleuderter Befehl, seine Tochter festzunehmen und wegzubringen. Seinen Gegner Achill, den Kassandra als Vieh bezeichnet, färbt Haudum mit lautem Timbre und rüdem Sprachauswurf. Er, der Bezwinger der Stadt, soll unter Zuhilfenahme einer List den Tod finden. Kassandra lehnt sich dagegen mit aller Wucht auf, vor allem, weil ihre Schwester dabei ungefragt als Beute herhalten muss. Dieser Widerstand wird ihr zum Verhängnis.

Katharina Haudum hat Wolfs Erzählung von den Nebenschauplätzen gereinigt und erscheint als eine reflektierte, wenngleich zeitweise dem Wahnsinn anheim fallende, aber dennoch starke Persönlichkeit. Durch das Nachdenken über ihr Schicksal im vergitterten Bett, durch die extreme räumliche Einschränkung, die auch schauspielerisch eine große Herausforderung ist, gelingt es ihr schließlich, das eigene Schicksal nicht zu verfluchen, sondern anzunehmen.

David Stöhr, der Regie führte, Kommilitone von Haudum aus dem Fach Regie, ist selbst ausgebildeter Psychologe und mit den Untiefen der menschlichen Seele wohl vertraut. Er regte den beschränkten Aktionsraum an, in welchem Haudums Kassandra in ungezählten emotionalen Facetten agiert. Ängstlich, verstockt, verstört, aufmuckend, flehend, resigniert aber auch romantisch verliebt in jenen Momenten, in welchen sie sich an ihre Stunden mit Aineias erinnert.

Die Max Reinhardt Absolventin hat diesen Text ursprünglich als Diplomarbeit vorgetragen. Im Brick 5, im Rahmen der Reihe „FensterNachMorgen“ des Salon5, präsentierte sie ihn in szenisch veränderter Fassung. Christa Wolfs Text dient Haudum als eine Art Vehikel. Erlaubt er doch der jungen Schauspielerin, ihre persönliche Stärke, die man auch im privaten Gespräch sofort spürt, ungebremst auf die Bühne zu transportieren. Klein beigeben – das ist weder Kassandras Ding, noch scheint es Haudums Charakter zu entsprechen. Und so spielt sie nicht die personifizierte antike Emanze, ausgestattet mit einem scharfen Intellekt und einer analytischen Fähigkeit, die menschlichen Schwächen aber auch Beziehungen zu erfassen. Sie ist Kassandra in jedem einzelnen Moment. Diese trägt keine Schuld an ihrem Schicksal. Vielmehr ist es der göttliche Fluch Appolos, den sie verschmähte und der ihren Weissagungen den Fluch auferlegte, kein Gehör zu finden. Aber nicht zuletzt auch die patriarchalischen Machtverhältnisse, die es nicht zulassen, dass die Hellsichtige schließlich einen gebührenden Platz in der Gesellschaft findet.

Dennoch ist in Haudums Interpretation Kassandra in keiner Sekunde fremdbestimmt. Wenn ihr etwas im Wege steht, dann nur ihr eigener Geist, aber selbst diesen weiß sie zu überlisten. Sogar dem Tod, den sie ins Auge blickt, begegnet sie mit einer unglaublichen Stärke und einem selbstindizierten Trost. Eine starke Performance, die Schauspielerin und Publikum gleichermaßen forderte und gerade deswegen einen bleibenden Eindruck hinterließ.

Erzählter und erlebter Krieg

Erzählter und erlebter Krieg

Es gibt manches Mal Zufälle, die aus zwei Geschehen ein Vielfaches machen. Das mag sich hier kryptisch anhören, ist aber rasch erklärt. Ein solcher Zufall ereignete sich am 13. März in Wien. Kamen doch genau an diesem Tag zwei völlig unterschiedliche Theaterstücke zur Aufführung, an völlig unterschiedlichen Orten und zum Glück auch zu völlig unterschiedlichen Zeiten, sodass es möglich war, beide hintereinander zu besuchen. Und doch fußten beide auf einem Generalthema: Nämlich Krieg.

Die Rede ist hier vom Stück „Feuerseele“, das im Parlament uraufgeführt wurde und von „Zerbombt“, das am Max Reinhardt Seminar zu sehen war. Jetzt mag man meinen, dass zwei so unterschiedliche Aufführungsorte zugleich auch auf unterschiedliche Qualitäten des Dargebotenen deuten – was in der Tat auch der Fall war. Wobei in diesem Artikel nicht die eine gegen die andere Produktion ausgespielt werden soll, aber, und das war das Faszinierende, Vergleiche gezogen werden können, die es wahrlich in sich haben.

Feuerseele

Maxi Blaha, die umtriebige und vielseitige Schauspielerin, schlüpfte in „Feuerseele“ in die Rolle der Bertha von Suttner, die ihr von Susanne Felicitas Wolf quasi auf den Leib geschrieben wurde. Das Stück entstand nach einer Idee Blahas, zur Erinnerung an den 100. Todestag der Friedensnobelpreisträgerin. Im Budgetsaal des Parlamentes wurde sie dabei von Georg Buxhofer am E-Bass unterstützt, wobei diese musikalischen Interventionen vor allem im ersten Teil der Aufführung die noch romantische Stimmung der jungen Frau wiedergaben. Wolf komprimierte das Leben von Suttner in eine Stunde und ließ dabei weder die emotionalen Ebenen, noch die intellektuellen außer Acht. Zu Beginn blickt sie in ihre Kinder- und Jugendtage zurück, in welchen sie wegen der nicht standesgemäßen Beziehung ihres Vaters mit ihrer Mutter nicht in die Gesellschaft aufgenommen worden war. Sie erzählt von ihren ursprünglichen Schwärmereien für den Kaiser, den „alten Kriegstreiber“ wie sie ihn später nennen sollte, von ihrer Arbeit als Erzieherin im Hause des Barons von Suttner, ihrem kurzen Intermezzo als Sekretärin bei Alfred Nobel in Paris. Sie schildert ihr Durchbrennen und die heimliche Heirat mit dem um viele Jahre jüngeren von-Suttner-Sohn, ihre seelischen Verletzungen, als dieser in platonischer Liebe zu seiner Nichte entbrannte, dem frühen Tod ihres Mannes und der Rückkehr nach Österreich. Neben all den biographischen Hinweisen, die ihre Gefühlswelt offenlegten, schält Wolf aber vor allem jene Momente aus Suttners Leben heraus, in welchen sie begann, sich für den Frieden zu engagieren. Die ersten Konfrontationen mit dem Kriegsleid, die sie im Russisch-Türkischen Krieg erlebte, die tief empfundene Empörung über Rassismus und den stark spürbaren Judenhass in der k. u. k. Monarchie, sowie ihren Kampf für den Frieden vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Blaha spielt Suttner in der ersten Hälfte des Stückes in einem schwarz-blauen Schleppenkleid. Nach dem Tod ihres Mannes legt sie jedoch den blauen Rock ab, um in einer schwarzen, schmalen Hose und einer hochgeschlossenen Bluse sich nicht nur ihre modischen weiblichen Attribute zu entledigen, sondern offenbar auch ihre kämpferische Natur und Unbeugsamkeit stärker zu betonen. Keine Spur von der überlieferten Bertha von Suttner in ihrem langen, schwarzen Kleid mit Hut und Schleier. Stark ist der Text besonders in jenen Passagen, in welchen Wolf ihre Protagonistin hellsichtig über die Kriegstreiberei, die Nutznießer eines Krieges und ihre Vorausschau für eine internationale Friedensbewegung, die sich zwar erst viel später, aber doch im 20. Jahrhundert formierte. In diesen Passagen wird die unglaubliche Hellsichtigkeit und Intelligenz dieser Frau erfahrbar und es sind auch gerade diese Sätze, welche Vergleiche zu den kriegerischen Brennpunkten der heutigen Welt zulassen.

Die Regie von Alexander Hauer schlägt keinerlei experimentelle Volten, sondern belässt Blaha trotz einiger Abgänge von ihrem Podium relativ statisch auf der Bühne. Das Feuer, das in ihr selbst brennen musste, um so zu agieren, wie sie agierte, wird in seiner Regiefassung nicht wirklich entfacht. Vielmehr bleiben die Schilderungen über das Leid, das den Menschen im Krieg zugefügt wird, auf einer reinen Erzählebene. Und das ist nicht Blahas Schuld. Sie wird der Rolle äußerst gerecht und mutiert vom unreifen, schwärmerischen Backfisch zu einer resoluten, liebenden und für den Frieden fast bis zur Selbstzerstörung kämpfenden Frau, die ihre Fassung auch in ihren schlimmsten Zeiten nicht verliert. Die Regie dürfte wohl dem Aufführungsort geschuldet sein – bedächtig, nie laut werdend, Haltung bewahrend. Und trifft somit wahrscheinlich die Erwartung des angesprochenen Publikums.

Zerbombt

„Feuerseele“ stand in großem Kontrast zur Aufführung im Max Reinhardt-Seminar, eineinhalb Stunden später. Dort wagte sich David Stöhr, Studierender in der Regieklasse bei Anna Maria Krassnigg im zweiten Studienjahr an kein geringeres Stück als an das bei seiner Uraufführung heftig umstrittene Erstlingswerk der viel zu früh verstorbenen britischen Autorin Sarah Kane. „Zerbombt“ – eine schonungslose „homo homini lupo – Parabel“, lebt von Charakteren, die vom Krieg deformiert wurden. Kane erzählt die Geschichte des Journalisten Ian (Andrei Viorel Tacu) und seiner Freundin Cate (Michaela Saba Pircher). Die Geschichte einer kranken Beziehung, die längst aufgelöst wurde und dennoch kein Ende findet. Die Gewaltszenen, die Cate über sich ergehen lassen muss, wird sie zu einem späteren Zeitpunkt rächen, zuvor wird jedoch Ian selbst noch Opfer massiver Misshandlungen.

Der Krieg, der außerhalb des Hotelzimmers tobt, in welchem sich das Geschehen abspielt, hält genau in dieses Einzug. Mit aller Wucht und Gewalt, die man sich nur vorstellen kann. Der Soldat, von Lukas Watzl gespielt, hat schon so viele Morde auf seinem Gewissen und so viele Gewalttaten erlebt, dass er sich auch vor weiteren nicht scheut. Die Vergewaltigungsspirale, die Ian mit Cate begann, setzt sich zwischen dem in das Zimmer eingedrungenen Soldaten und ihm fort, bis er schlussendlich auf bestialische Art seines Augenlichtes beraubt wird. Das Einzige, was dem Soldaten nach diesem Exzess noch überbleibt, ist sich in all dieser er- und gelebten Grausamkeit selbst zu richten. Es ist allerdings keine Reue, die ihn dazu treibt. Kein Mord, keine Vergewaltigung, keine noch so grausame Menschenschinderei befreite ihn vom Schmerz, der ihn angesichts des gewaltsamen Todes seiner Freundin ergriff, von dem er Ian zuvor bis in grausame Details berichtete. Das Erkennen, dass auch weitere Gewalt diesen Schmerz nicht töten wird, führte schließlich zu seiner finalen Entscheidung.

Die Besetzung mit Lukas Watzl hat Stöhr klug gewählt, ist doch dem jungen Mann jene Zerbrechlichkeit anzumerken, die ihn am Ende Suizid begehen lässt. Stöhr, der bereits ein abgeschlossenes Psychologiestudium vorweisen kann, leitete Michaela Saba Pircher als Cate sowie die beiden Schauspieler Tacu und Watzl mit sicherer Hand durch die psychische Geisterbahn, die alles andere als leicht zu spielen ist; erleben doch die Figuren eine ständige Zunahme an seelischen und körperlichen Verletzungen. Es gibt in diesem Stück kein Auf und Ab, sondern ausschließlich ein rasantes Höllentempo in die allertiefsten menschlichen Abgründe, die erst einmal erspürt und dann auch gespielt werden müssen. Dass dies den jungen SchauspielerInnen dermaßen gut und mit Bravour gelang, ist mehr als erstaunlich. Der Wechsel vom Unterdrücker zum Unterdrückten, vom Sadisten zum Selbstmörder, vom verschreckten, jungen Mädchen hin zur kaltblütigen jungen Frau, die mit dem erlebten Grauen jede Unsicherheit ablegt, ist in allen Momenten glaubhaft gespielt.

Dabei greift David Stöhr zu keinen Verhüllungstricks und lässt Ian coram publico mehrfach masturbieren, vergewaltigen aber auch in der Opferrolle vergewaltigt werden. Einige Szenen, wie die erste Vergewaltigung von Cate, werden nur durch eine Geräuschkulisse, sei es stark prasselnder Regen oder ein infernalischer Lärm angedeutet – bei ihnen bleibt die Bühne dunkel. Andere wiederum – wie der kannibalistischen Akt, den Ian an einem toten Baby vollführt – werden dem Publikum schonungslos zugemutet. Gerade in dieser Schonungslosigkeit aber liegt die Kraft dieser Inszenierung. Das, was Kane mit ihrem Text vollbrachte, das greift der junge Regisseur, man möchte meinen – völlig ungefiltert – auf. Ohne jegliche Beschönigung, ohne Angst vor irgendwelchen Stolperfallen, die eine Inszenierung solch eines Stückes mit sich bringen kann. Und das war gut so. Die Lichtregie, die am Schluss den erbarmungswürdigen Zustand von Ian gut nachvollziehbar macht und das Bühnenbild von Sarah Sassen sind mehr als gelungen, bedenkt man vor allem, dass es sich hier um ein No-Budget-Projekt handelt. Ein schwarzes Bett, dahinter eine weiß-schwarze Ziegelwand, die im Laufe des Geschehens einstürzt, ein kleiner Kühlschrank und zwei Stehlampen verweisen in der Ausstattung auf die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts – sind aber genauso gut in heutigen Urban-Style-Hotels zu finden. Kanes Stück hat leider durch die Krise auf der Krim und den Zuständen in der Ukraine eine aktuelle Brisanz in Europa erhalten, wie sie zum letzten Mal in den 1990er Jahren während des Balkankrieges auftrat.

Pircher durchlebt in ihrer Rolle eine Bandbreite an Gefühlen, die sich in ihr Innerstes eingraben. Sie ist imstande, diesen komplexen Prozess glaubhaft nach außen zu tragen und beeindruckt von Anfang bis zum Schluss. Andrei Viorel Tacu als Ian, vom Tod schon gezeichnet und dennoch beständig auf Trieberleichterung aus, meistert den immensen Schwierigkeitsgrad dieser Rolle so souverän, dass man den studentischen Hintergrund dieser Aufführung gänzlich vergisst. Alles Elend, das ein Mensch einem anderen zufügt, aber auch jeder Gräuel, der einem angetan wird, wird von ihm aus initiiert und erlitten. Mit seinem allerletzten „Danke“ – im Stück auch sein einziges – unterscheidet sich Ian von jenem Tier, das er zuvor mit menschlichen Zügen ausstaffierte.

Wie eingangs beschrieben, handelt es sich um zwei grundsätzlich unterschiedliche Produktionen, die nicht direkt miteinander verglichen werden können. Dennoch zeigen sie die enorme Bandbreite auf, in welchem sich Theater heute bewegen kann. Auf der einen Seite ein zeitgenössischer Einstieg in eine historische Figur, deren Anliegen jedoch auch heute noch von Brisanz ist. Textlich und von der Regie her aber so schaumgebremst, dass zwar dank der Leistung von Maxi Blaha der Funkenflug von der Feuerseele hin zum Publikum stattfindet, jener ihres Anliegens jedoch in einer leicht angestaubten Schublade liegenbleibt. Auf der anderen Seite ein Stück über die Gewalttätigkeit des Menschen und seinen grausamen Willen, anderen jene Qualen zuzufügen, die ihm selbst zugefügt wurden. So schonungslos von einem jungen Team gezeigt, dass ein Verdrängen dieser psychologischen Tatsachen einfach nicht möglich ist.

Pin It on Pinterest