Schmusepatschen und Highheels

Schmusepatschen und Highheels

Spitzendeckchen aus Plastik, rote Vorhänge vor den Fenstern, kleine Geldkassetten auf den Tischen. Mehr braucht es nicht, um jenes Ambiente zu erzeugen, in dem Diana ihrem Beruf nachgeht. „Love for sale“ – der Klassiker von Cole Porter, erklingt an diesem Abend mehrfach – in der Interpretation der drei Protagonistinnen Franziska Singer, Sonja Pikart und Prisca Schweiger, begleitet von Birgit Michlmayr an den Instrumenten. Der Vergleich zu den drei Grazien aus der Antike drängt sich förmlich auf. Wenngleich jene, die derzeit am Fleischmarkt 22 zu sehen sind, die aktuellen Körpercodes des Männerwerbens perfekt beherrschen und sich nicht mehr grazil nur an den Händen halten müssen, um in verdrehten Posen die Vorzüge ihrer körperlichen Schönheit zu präsentieren.

Appetizing young love for sale – love thats fresh and still unspoiled – love thats only slightly soiled – was sich so frisch und anregend in den Lyrics des Jazzoldies anhört, ist in die Sprache des harten Prostitutionslebens übersetzt nichts anderes als der nackte, schutzlose Körper von Mädchen und Frauen, missbraucht und geschunden, besudelt und verachtet. Das Geld, das für ihre Dienste bezahlt wird, ist Dreckiges. Und was Diana davon an einem Tag übrig bleibt, an dem sie zwischen 30 und 40 Männer bedient, ist gerade einmal der Stundenlohn eines mittleren Angestellten.

In der neuen Koproduktion des Theater Drachengasse und dielaemmer „Erst war es leer ohne Herz, aber jetzt geht`s wieder“ der jungen Dramatikerin Lucy Kirkwood, wird gleich zu Beginn klar, dass Prostitution – außer für den Zuhälter – beileibe kein lohnendes Geschäft ist. Diana, die von ihrem Freund und Vater ihrer Tochter zur Prostitution gezwungen wird, erlebt an diesem Abend noch einmal alle Höhen und Tiefen ihres jungen Lebens. Angefangen von der großen Liebe bis hin zu ihrer Verhaftung, gerade in jenem Moment, als sie ein Stückchen vermeintliche Freiheit zurückerlangt, verfolgt das Publikum ihren Lebens- und Leidensweg hautnah. Die Bühne ist an diesem Abend zweigeteilt. Die meiste Zeit über agieren die jungen Schauspielerinnen an der Längsseite des Raumes, was sie ganz nahe an die ZuseherInnen bringt. Ein kluger Schachzug, der die Körperlichkeit, mit der sie ihr Geld verdienen, spürbar werden lässt. Dass aber in manchen Szenen auch die Ursprungsbühne bespielt wird, erweist sich dann doch als sportliche Publikumsherausforderung. Die Spiegel, die das Geschehen indirekt ins Blickfeld der ZuseherInnen leiten sollen, sind zu klein, um diesen Effekt durchgehend aufrechtzuerhalten. Und so bleibt einem nichts anderes übrig, als streckenweise das Risiko eines Hexenschusses einzugehen oder dem Geschehen nur akustisch zu lauschen. Was schade ist. Denn Sonja Pikart als Gefängnisfreundin zieht gerade in dieser Szene, in der sie „ins letzte Eck“ gestellt wird, alle Register ihres Könnens. Zuvor jedoch vervielfältigen sie und Prisca Schweiger Dianas Agieren im Freierzimmer flankierend direkt vor dem Publikum und machen mit der Verdreifachung der Hauptakteurin deutlich: Hier handelt es sich nicht um ein Einzelschicksal.

Franziska Singer bringt alle Facetten der jungen Beinahe-Mutter Diana, die ihr Kind im fünften Monat unter traumatisierenden Umständen verloren hat, zum Leuchten. Von kindlich naiv bis hin zu völlig abgebrüht nach ihrer erzwungenen Prostitutionszeit, verkörpert sie glaubhaft die seelische Wandlung, die nur eine Konstante kennt: Die Liebe zu ihrer Tochter, zu der sie sich mit jeder Faser ihres Herzens sehnt. Schockierend – berührend agiert sie auch in jenem Teil, in welchem sie den Geschlechtsakt mit ihrem letzten Freier nachvollzieht. Hier hat die Regisseurin Alex. Riener ein Glanzstück hingelegt. Ohne nackte Haut zeigen zu müssen, springt der Funke des Entsetzens über jene sexuelle Gewalt aufs Publikum über, die die junge Frau wohl tausendfach erleben musste. Von ihren zuvor erklärten Rechtfertigungsschleifen, dass Sex etwas sei, das sie liebe und dass sie stolz darauf sei, eine der Besten zu sein, bleibt in diesem Moment kein Fädchen mehr übrig.

Prisca Schweiger beeindruckt neben ihrer lasziven Ausstrahlung vor allem mit ihrer Stimme. In den vielen musikalischen Einlagen ist es ihr Gesang, der die Melodien so professionell trägt, dass ein Playback schade wäre. Die wichtigsten Kleidungsstücke – Schmusepatschen und Highheels markieren die jeweiligen emotionalen Befindlichkeiten wie vermeintliche häusliche Geborgenheit und sexuelle Zurschaustellung des eigenen Fleisches – ein Dazwischen – scheint es nicht zu geben. Birgit Michlmayr baut mit ihren harten Gitarrenbeats und sanften Keybord-Klängen stimmige musikalische Räume, die Schein und Sein, zur Schau gestellte Lust und menschliches Leid adäquat unterstreichen.

So plakativ das Geschehen auf den ersten Blick auch scheinen mag – so viele unterschwellige gesellschaftliche Zustandsbeschreibungen hält es zugleich parat. Wie zum Beispiel jene, als Prostituierte noch nicht am Ende jener Skala angekommen zu sein, die ein „beschissenes“ Leben markiert. Das wird dann doch noch für jenen Freier bereitgehalten, der gelähmt im Rollstuhl sitzt. Und auch jene Schwarze, die Dianas Zuhälter vor ihr zur Prostitution genötigt hat, bleibt ihrem Gefühl nach weit unter ihrer eigenen Wertigkeit. Interessant auch die Beschreibung eines der höchsten Glücksgefühle, das Diana als I-Phone-Besitzerin erleben darf. Eine scharfe Konsummetapher, die aufzeigt, dass der Besitz von zeitgeistigen Gütern als so erstrebenswert empfunden wird, dass die eigene Ausbeutung dafür in Kauf genommen wird. Dass am Ende des Elends nur noch ein Haarshampoo der Marke L´Oréal das eigene Ich mit dem markigen Spruch „Weil ich es mir wert bin“ trösten kann, ist fast schon als logische Konsequenz anzusehen.

Der breit ausgewalzte Schlussteil erklärt zwar anschaulich die Genese der Beziehung Dianas zu ihrem Zuhälterfreund und klärt vor allem auch ihre zerrüttete Psyche, steht aber im Grundmotiv der naiven Unschuld in scharfem Kontrast zu den ersten beiden Dritteln des Abends. Was in der Textfassung funktioniert, beinhaltet in der Bühnenfassung ein Absinken der bis dahin stark aufgebauten Dramatik. Die Entschuldigung bei der Garderobe einer älteren Dame ihrer Freundin gegenüber, sie in „so ein Stück“ mitgenommen zu haben, bestätigt jedoch die Brisanz und lebensnahe Aufarbeitung des Themas. Auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen: Dianas Schicksal ist eines von Hunderttausenden. Wegschauen und falsche moralische Maßstäbe anlegen, macht alles noch schlimmer.

Fazit: Hervorragende Besetzung und eine mutige Inszenierung mit kleinen Fallstricken. Sehenswert.

Links:

Webseite dielaemmer
Spielplan Theater Drachengasse
Theater Drachengasse bei European Cultural News

Ver/spielt – Die Logik des Bösen oder alles wird gut

Ver/spielt – Die Logik des Bösen oder alles wird gut

text 2012 04 23 VER.spielt dielaemmer c barbara pálffy 6

Michèle Rohrbach in Ver/Spielt (Foto: (c) barbara pálffy)

Die neueste Produktion von DIELAEMMER im Off-Theater in der Kirchengasse aufgeführt, vereint Gestalten quer durch die Geschichte, die ihr Sein im Spannungsfeld von Gehorsam und Auflehnung, von Zwang und freiwilliger Unterjochung verspürten und bis ins Letzte auch auslebten. Faust, Antigone und Eichmann bilden jenes Dreigestirn, in welchem sich die Themen der freien Lebensentwürfe im Gegensatz zu den vorgegebenen der Gesellschaft gut verhandeln lassen.
Felicitas Lukas, als weiblicher Geist, der Großes will und dabei keine Einschränkungen akzeptiert, verkörpert auch die entfesselte Marktwirtschaft, in welcher der Profit oberstes Gebot ist. Und übermittelt dabei auch, dass es offenbar tatsächlich Geister sind, die einmal losgelassen, nicht mehr zu bändigen sind. Michèle Rohrbach in der Rolle der Antigone, aber auch mit kurzen Textausschnitten aus den Verhörprotokollen von Sophie Scholl versehen, stülpt ihr Innerstes nach außen, verbrennt selbst in ihrem Hass vor jeglicher Reglementierung und gräbt mit ihrer Prinzipientreue tiefer und tiefer ihr eigenes Grab. Karl Wenninger schließlich verkörpert den Nazi-Teufel Eichmann, der sein Tun bis zuletzt rechtfertigt und seine perfekte Tötungsmaschinerie wie ein präzises Uhrwerk aufzog.

Den Dreien zur Seite gestellt ist der Chor, der im Auftritt des Milgram-Experimentes sowohl den Widerstand als auch die Mitläuferschaft von Menschen wiedergibt, die anderen Leid zufügen sollen.

Es ist an diesem Abend nicht nur die Idee, die beschriebenen Themen als ewig menschliche darzustellen, die eine gute Basis bildet. Vielmehr ist es auch der Hinweis, dass es ganz bestimmte Situationen gibt, in denen alle Alarmglocken schrillen sollten, wenn es heißt, sich einer bewussten Manipulation entgegenzusetzen. „Du darfst nicht, das ist Ihnen nicht erlaubt, du hast keine Wahl“ wären Sätze, die nur Gehirnbesitzer nicht in Wallung bringen sollten. Gehirnbenützer hingegen sind dazu aufgerufen zu hinterfragen und gegebenenfalls Widerstand zu leisten. In welcher Form – das bleibt dem Individuum selbst überlassen.

Das Spiel in der Inszenierung von Alex. Riener, im nüchternen Raum zwischen dem an zwei Seiten platzierten Publikum und seinen offenen, laufenden Kostümwechseln, wird unterstützt durch die Musik von Wolfgang Frisch (Sofa Surfers) bleibt nicht im abstrakten Geschehen, sondern wendet sich zu Recht zum Schluss auch ans Publikum mit der Gewissensfrage, wie es um die eigene Entscheidung aussieht.

Spritzig und beklemmend zugleich – eine gelungene Gänsehautmischung.

text 2012 04 23 VER.spielt dielaemmer c barbara pálffy 6

Michèle Rohrbach in Ver/Spielt (Foto: (c) barbara pálffy)

Die neueste Produktion von DIELAEMMER im Off-Theater in der Kirchengasse aufgeführt, vereint Gestalten quer durch die Geschichte, die ihr Sein im Spannungsfeld von Gehorsam und Auflehnung, von Zwang und freiwilliger Unterjochung verspürten und bis ins Letzte auch auslebten. Faust, Antigone und Eichmann bilden jenes Dreigestirn, in welchem sich die Themen der freien Lebensentwürfe im Gegensatz zu den vorgegebenen der Gesellschaft gut verhandeln lassen.

Felicitas Lukas, als weiblicher Geist, der Großes will und dabei keine Einschränkungen akzeptiert, verkörpert auch die entfesselte Marktwirtschaft, in welcher der Profit oberstes Gebot ist. Und übermittelt dabei auch, dass es offenbar tatsächlich Geister sind, die einmal losgelassen, nicht mehr zu bändigen sind. Michèle Rohrbach in der Rolle der Antigone, aber auch mit kurzen Textausschnitten aus den Verhörprotokollen von Sophie Scholl versehen, stülpt ihr Innerstes nach außen, verbrennt selbst in ihrem Hass vor jeglicher Reglementierung und gräbt mit ihrer Prinzipientreue tiefer und tiefer ihr eigenes Grab. Karl Wenninger schließlich verkörpert den Nazi-Teufel Eichmann, der sein Tun bis zuletzt rechtfertigt und seine perfekte Tötungsmaschinerie wie ein präzises Uhrwerk aufzog.

Den Dreien zur Seite gestellt ist der Chor, der im Auftritt des Milgram-Experimentes sowohl den Widerstand als auch die Mitläuferschaft von Menschen wiedergibt, die anderen Leid zufügen sollen.

Es ist an diesem Abend nicht nur die Idee, die beschriebenen Themen als ewig menschliche darzustellen, die eine gute Basis bildet. Vielmehr ist es auch der Hinweis, dass es ganz bestimmte Situationen gibt, in denen alle Alarmglocken schrillen sollten, wenn es heißt, sich einer bewussten Manipulation entgegenzusetzen. „Du darfst nicht, das ist Ihnen nicht erlaubt, du hast keine Wahl“ wären Sätze, die nur Gehirnbesitzer nicht in Wallung bringen sollten. Gehirnbenützer hingegen sind dazu aufgerufen zu hinterfragen und gegebenenfalls Widerstand zu leisten. In welcher Form – das bleibt dem Individuum selbst überlassen.

Das Spiel in der Inszenierung von Alex. Riener, im nüchternen Raum zwischen dem an zwei Seiten platzierten Publikum und seinen offenen, laufenden Kostümwechseln, wird unterstützt durch die Musik von Wolfgang Frisch (Sofa Surfers) bleibt nicht im abstrakten Geschehen, sondern wendet sich zu Recht zum Schluss auch ans Publikum mit der Gewissensfrage, wie es um die eigene Entscheidung aussieht.

Spritzig und beklemmend zugleich – eine gelungene Gänsehautmischung.

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