Pure Lebensfreude

Pure Lebensfreude

ImpulsTanz, das „Vienna International Dance Festival“ eröffnete seine Ausgabe 2015 mit einer Aufführung unter regenwolkengeschwärztem Himmel im Museumsquartier. Mehrere Tausend Besucherinnen und Besucher durften bei freiem Eintritt „Hit The Boom“ erleben, eine Show der tanzenden DJane und Choreografin Doris Uhlich.

Gemeinsam mit ihren rund 20 Tänzerinnen und Tänzern heizte sie dem Publikum richtig ein. Zu einem clever gesampelten Musikmix mit Takes von Black Sabbath, den Red Hot Chili Peppers über die Barockkomponisten Lully und Vivaldi bis hin zu den Chemical Brothers und Rihanna zeigte Uhlich in ihrer Choreografie eine Vielzahl an Bildern nicht nur mit emotionalen, sondern auch historischen Bezügen.

Die Nacktheit, die sie in einem Soloauftritt nicht nur von sich selbst, sondern auch während der gesamten Vorstellung von ihrer Truppe abverlangt, wirkt dabei nicht aufgesetzt. Vielmehr lässt eine kluge, dramaturgische Führung diese sogar zwingend notwendig erscheinen. Vor allem, wenn sich die Bilder der einzelnen Tanzgruppen zu solchen verdichten, die an die Figuren der antiken, griechischen Vasenmalerei erinnern. Heldenposen, kämpfende Leiber, ruhende Herrscher und huldvoll winkende Führer werden dadurch in wenigen Augenblicken zum Leben erweckt. An anderer Stelle taucht ihre Crew in sattes, rotes Licht und markiert damit ein höllisches Treiben, in dem es keinen Augenblick des Innehaltens gibt. Uhlich lässt aber auch die wilden 68er mit körperbetontem Happeningrausch auferstehen und zeigt so dem vor allem jungen Publikum ein Spektrum an ungezwungen gelebter Körperlichkeit, das heute für viele schwer denkbar geworden ist.

Bei allem, was sich an Assoziationen so einstellt, überwiegt jedoch stets ein Gefühl: Was hier auf der Bühne abläuft, ist getragen von einer Lebensfreude, die sich in Sekundenschnelle auf den gesamten Platz im Museumsquartier überträgt. Uhlichs „Hit the Boom“ ist ein Fest des gemeinsamen Erlebens, eine Negierung sämtlicher Körperreglementierungen, eine Aufforderung, das Leben zu feiern. Mit allen Fasern seines eigenen Körpers. Es ist zugleich eine weitere Demokratisierung des Tanzgenres, in dem sie subtil dazu aufruft, sich seiner eigenen Bewegungsmuster zu bedienen, seinen eigenen Körper mit all seinen vermeintlichen Makeln in Szene zu setzen und ihm einen Raum zu bieten, den er sich dünkellos erobern darf. „Your body is the brain“ singt sie selbst an einer Stelle und erweckt dabei auch Erinnerungen an die große Performance-Künstlerin Laurie Anderson. Zugleich verweist sie damit auf jenes Forschungsfeld, das sich der Erinnerungskultur des Körpers, abseits vom kognitiven Prozessen widmet.

Die durch eine kluge Lichtregie opulent wirkende Bühnenshow, die auf die Wand des Museum Leopold übertragen wurde, begeisterte und bot einen Festivaleinstand, der große Lust auf mehr weckte. „Ich habe schon viele Eröffnungen gesehen, aber die hier ist meine Lieblingseröffnung“ ließ der Moderator des Abends Dirk Stermann das Publikum wissen. Er dürfte vielen aus dem Herzen gesprochen haben. Der befürchtete Regen blieb übrigens aus.

Weitere Infos über das Festival hier: ImpulsTanz

Nackte Tatsachen

Nackte Tatsachen

Die Bühne ist puristischer als puristisch. Auf ihr befindet sich nichts als ein Mischpult, an dem Doris Uhlich herself wirkt. Mit knöchelhohen Schuhen und einer silbrig glänzenden Jacke, welche die Tänzerin und Choreografin aber über lange Strecken beiseitegelegt hat, werkt sie an den Reglern. Mit einer langen Passage Discomusik lässt Uhlich die 20köpfige Tanzgruppe – gänzlich nackt – erst einmal aufwärmen. Langsam ergreift die Musik von den durchtrainierten Körpern der jungen Männer und Frauen Besitz. Zu diesem Zeitpunkt ist das voyeuristische Moment, das man beim Publikum angesichts dieser vielen nackten Tatsachen erwartet, tatsächlich auch noch präsent. Noch halten die Tanzenden Abstand voneinander, sind mit der Einstimmung auf den Abend beschäftigt, doch nach wenigen Augenblicken ändert sich das Szenario. Was nun zu sehen ist, wird sich während der ganzen Vorstellung hindurch in Abwandlungen wiederholen. Es ist nicht die Präsentation von Spannung, Kraft und muskelgestählten Körpern. Ganz im Gegenteil. Selbstverliebt beginnen die Akteure und Akteurinnen einzelne Teile ihres eigenen Leibs zu entdecken und jene Partien in Schwingung zu versetzen, die beim Tanz sonst diszipliniert angespannt werden müssen. Da wackeln Busen und Hinterteile, Waden und Oberschenkel. Da wird an Wangen gezerrt und Unterschenkel in Wellenbewegungen gesetzt. „Fetttanztechnik“ bezeichnet Uhlich selbst den von ihr kreierten Stil, bei dem es darauf ankommt, all das in Schwingung zu versetzen, was in Schwingung versetzt werden kann. Im Körper selbst würden sich Informationen wie Denkweisen oder Gesellschaftsstrukturen sammeln und festsetzen und durch das Beuteln und Schütteln würden diese gelockert und in Bewegung gesetzt werden. Das ist der theoretische Hinterbau, der von Wilhelm Reichs Ideen stark beeinflusst scheint, dieser speziellen Art von Choreografie.

"More than naked" Uraufführung ImPulsTanz

ImPulsTanz Festival in Wien zeigt die Uraufführung des Stückes „more than naked“ von Doris Uhlich (Foto: Andrea Salzmann)

So trocken das vielleicht auch klingen mag – auf der Bühne selbst generiert sich die Beschäftigung mit dem puren Fleisch extrem lustig. Vor allem in jenen Passagen, in welchen die Tänzerinnen und Tänzer einzelne Muskeln gegenseitig in Schwingung versetzen. Und genau in dem Moment ist auch der Publikumsbann gebrochen. Lautes Gelächter aus einzelnen Reihen machen klar: Von einem Spannereffekt kann hier nicht mehr die Rede sein. Aber nicht nur das Publikum hat Spaß an den unterschiedlichen Bewegungskombinationen, bei denen sich bis zu 5 Menschen miteinander vereinigen, um wackeln zu lassen, was das Zeug hält. Auch die Tanzenden haben sichtlich Spaß an dem ungewöhnlichen Geschehen. Abseits jeglicher Konnotation, die auf sexuelle Aktivitäten schließen lässt, reiben sie ihre Bäuche und Rücken, Beine und Arme aneinander und entwickeln immer absurder werdende Bewegungsmuster. Eine abwechslungsreiche Musikmischung von Heavy-Metal bis hin zu barocken Festklängen bestimmt die Geschwindigkeit und Intensität der Choreografie – bis hin zur gänzlichen Verweigerung. Als Barockmusik erklingt, bleibt die Truppe dem Publikum abgewandt, in einer Reihe regungslos stehen – eine schöne Metapher für die so restriktive Körperlichkeit der damaligen Zeit, für die – zumindest bei Hofe – ein Abweichen einer Norm nicht möglich war. Nicht nur Tanz unterlag strikten Regeln, sondern auch die Annäherung zwischen den Menschen und Geschlechtern waren in ein Korsett gepresst, das keinen individuellen Ausdruck zuließ.

Was Fetttanzen wirklich heißt, zeigt Uhlich schließlich in einer Soloperformance. Dabei pfeift sie auf Schönheitsideale und macht deutlich, was pure Lust am eigenen Körper bedeutet. Ihre Fettpölsterchen schwingen, ihr Busen hüpft vergnüglich und ihr Po wird ordentlich durchgeschüttelt. Wer wissen will, wie weit Emanzipation gehen kann – vielleicht sogar muss, um ihrem Namen tatsächlich gerecht zu werden, dem sei diese Performance ans Herz gelegt. Da verblasst so manch junges, make-up-gestiltes Modepüppchen, ganz zu schweigen von den blutlosen Möchte-Gern-Models, die in diversen Fernsehshows einem pseudo-fröhlichen Körperkult huldigen. Die Akzeptanz des eigenen körperlichen Seins steht bei Doris Uhlich im Vordergrund und die Aufforderung, diesen als lustvollen Ort abseits jeglicher gesellschaftlicher Normen und Vorgaben zu begreifen. Von der Selbstwahrnehmung bis hin zu Begegnungen im sexuellen Bereich reicht das Spektrum, das unter diesem Blickwinkel neu definiert werden kann. Alles was es dazu braucht, ist Mut, davon aber jede Menge.

Links:

ImPulsTanz Festival Wien
ImPulsTanz bei European Cultural News
Webseite von Doris Uhlich

Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen

Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen

Ein alteingesessenes Wiener Schreibwarengeschäft im 3. Bezirk erfreut die Passanten vor allem durch eine lange Front an Schaufenstern, in welchen vom Radiergummi bis zu Tarotkarten allerhand Nützliches und weniger Nützliches bestaunt werden kann. Eigentlich müsste dieses Geschäft in jedem Wien-Führer zu finden sein, denn es gibt wohl kaum einen anderen Platz auf der Welt, an welchem man noch Plastik-Handarbeitskoffer aus den 60er Jahren traut vereint neben Hello-Kitty Schultaschen, teure Füllfedern neben Billigkugelschreibern und auch noch Durchschlagpapier! findet. Besonders sympathisch macht dieses Geschäft, dass ihre Betreiberinnen wohl selbst um ihre vermeintliche Rückständigkeit wissen, denn unlängst fand sich sinngemäß folgender kleiner Schriftzug neben einem Tintenfässchen und einer Schreibfeder im Fenster: Findet einmal der Weltuntergang statt, sei froh, wenn Du in Wien bist! Dort kommt alles erst 20 Jahre später! So viel zum Thema Weltuntergang mit einer kräftigen Portion Augenzwinkern.

UNTER GANG

UNTER GANG ART © Thomas Jelinek

Am 30. März war im Wiener Tanzquartier „UNTER GANG ART“, eine Diskursperformance und Installation des Welttheaters zu sehen, eine Vorstellung, deren Titel sperriger nicht gewählt werden hätte können. Aber eine gewisse Sperrigkeit ist dem Weltuntergang wohl wahrlich nicht abzusprechen und so hätte man ob des Titels und Programms an sich schon gewarnt sein sollen.

MOMAD LABfactory / KKuK präsentiert von Thomas Jelinek versuchte zwar stellenweise das gleiche Augenzwinkern wie die Damen aus dem Papierfachgeschäft, aber man muss hier leider festhalten, dass das Gleiche noch lange nicht dasselbe ist. Begleitet wurde diese „Vorstellung“ von einer Reihe von Parallelaktionen unter der künstlerischen Leitung von Aldo Giannotti, die hier mangels selbst Erlebtem nicht zur Sprache kommen.

Zu Beginn des Abends erinnerte Doris Uhlich mit einem Striptease zu Falcos Lied „Titanic“, dass Feiern und Untergehen ein zwar ungleiches, nichtsdestotrotz jedoch immer wieder zu findendes Paar bilden. Wahrscheinlich sehr zur Freude des Gros der männlichen Besucher, entledigte sie sich ihrer roten Reizwäsche, um nach getaner Arbeit schließlich im Publikum Platz zu nehmen.

Nach dieser fulminanten Eröffnung sank der künstlerische Anteil des Abends dramatisch. Bis auf eine kleine Vorleseübung, bei welcher kurze Statements meist historischer Berühmtheiten zum Untergangsthema von kleinen an der Wand befestigten Zetteln abgelesen wurden, war nun jener Teil überlastig, der sich Diskursperformance übertitelte. Allerdings gab es wenig Diskurs – denn dazu gehören mindestens 2 Meinungen und auch keine weitere Performance – außer diese wäre in der letzten halben Stunde noch präsentiert worden, welche die Autorin dieses Artikels nicht mehr verfolgte. Brav, wie nach einem Drehbuch einer Kreativklasse in einem Gymnasium, durften sich live Expertinnen und Experten zu Wort melden, die manches Mal schlüssiger, manches Mal weniger schlüssig über den trüben Zustand dieser Welt Auskunft erteilten. Allerdings war die Regie streng bemüht, keinerlei Kohärenz walten zu lassen, sondern es sollte mit dem kruden Themenmix wohl aufgezeigt werden, dass es offenbar kein Fleckchen auf dieser Welt gibt, das nicht zum Untergang verdammt ist. Ob nun die Wasserknappheit in Teilen der Welt, das Ende des Kapitalismus, ob die Ausbeutung der Umwelt oder der produzierenden Menschen in den Billiglohnländern – wie in den Nachrichten kam Schlag auf Schlag ein Missstand nach dem anderen zur Sprache, ohne je tatsächlich auch nur ein klein wenig in der Tiefe beleuchtet zu werden.

Ein „den ganzen Abend hindurch offenes Mikrofon“, wie es vom Moderator, dessen exakter Kurzhaarschnitt bewunderungswürdig war, erklärt wurde, kam tatsächlich mehrfach zum Einsatz. Leute aus dem Publikum, aber auch solche, die sich vom künstlerischen Team her dazu bemüßigt sahen, leisteten Wortspenden. Dass es dabei von männlicher Seite aus sogar zu kleinen Machtspielchen mit lautstarken gegenseitigen Beschimpfungen kam, wirkte belustigend und auflockernd, wenn vielleicht teils auch gar nicht gewollt. Auf die Frage einer Zuseherin, was es mit den Blumenzwiebeln auf sich habe, die auf den kleinen Sofatischchen verteilt waren, um die das Publikum saß, kam die lapidare Antwort, dass es sich hierbei auch um ein Kunstprojekt handle. Dank diesem werden nun wahrscheinlich im Garten meiner Begleiterin dieses Abends im nächsten Frühling Blümchen aus dem Boden sprießen.

Was an männlichem Gehabe lächerlich bis peinlich wirkte, wurde durch weibliche Intelligenz wettgemacht. Die prägnantesten Aussagen kamen von Julieta Rudich, die zumindest durch ein an die Wand projiziertes Foto anwesend war. Als Videojournalistin des ORF und als Korrespondentin der „El Pais“ viel in Südamerika unterwegs, zeigte sie eine neue Sicht auf die Krise auf. In dieser wurde deutlich, dass es viele Länder gibt, in denen sich die Bevölkerung einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren kann, wenn sie hört und sieht, dass Europa derzeit in großen finanziellen Schwierigkeiten steckt. Was für Europa eine Krise bedeutet ist unter Umständen für viele andere Länder eine Chance, war von ihr zu erfahren, was zugleich auch den bis dahin durchgängig larmoyanten Ton überdeckte. Der Abend hätte viel mehr von Ideen wie der Letztgenannten vertragen, dann wäre er sicherlich nicht in jener Phase stecken geblieben, in der man den Eindruck hatte, dass zwar schon alles gesagt worden war, aber leider noch nicht von allen.

Manches Mal tut es gut, nach einem Vorstellungsabend länger über dessen Wirkung nachzudenken.

In diesem Fall gab es jedoch auch nach einigen Tagen noch keine weitere Erkenntnis außer jener, tatsächlich einem Abgesang beigewohnt zu haben. Nämlich einem, der die künstlerische Kreativität betrifft. Und das tut weh.

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