Lemminge, Humoriges und Muckibudentanz

Lemminge, Humoriges und Muckibudentanz

Überraschung! Die von Kanako Sako kuratierten Tanzabende könnte man ohne Weiteres unter dieses kurze Motto stellen, denn tatsächlich war das Moment der Überraschung auch beim dritten Fifoo-Programm im Palais Kabelwerk ein gewichtiges. Die Winterausgabe der Tanzreihe bestand diesesmal aus zwei unterschiedlichen Abenden mit insgesamt gleich 5 Tanzproduktionen.

Abend Nummer eins wurde von der Gruppe Monochrome Circus aus Japan eröffnet. Der Titel „Lemming“ verweist auf eine dem Menschen wenig schmeichelhafte inhärente Eigenschaft – sich nämlich in bestimmten Situationen wie diese Tiere zu benehmen. Ihnen wird nachgesagt, dass sie in Rudeln auftreten und völlig unreflektiert das tun, was die Ersten in ihren Reihen zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnen. Kosei Sakamoto, Gründer der in Kyoto beheimateten Truppe und Choreograf des Stückes, bringt mit seinen Tänzerinnen und Tänzern, die noch durch weitere Mitglieder aus Fukuoka und Kobe ergänzt werden, Stimmungen in den Saal, die zwischen den Gefühlen von Hilfsbedürftigkeit und Hilfestellung-leisten-wollen, hin und her pendeln. In immer kürzeren Abständen lassen sich seine Protagonisten und Protagonistinnen ohne jegliche Vorwarnung zu Boden fallen. Wie von einer sie überkommenen Ohnmacht befallen, brechen sie von einer Sekunde auf die andere zusammen, ohne jedoch dabei hart auf der Erde aufzuschlagen. Vielmehr ist immer jemand in der Nähe um das Fallen aufzuhalten, wenn manches Mal auch erst in der letzten Sekunde. Das Tempo, das sich dabei im Laufe der Vorstellung zu einem atemlosen steigert, ist anfangs noch ein ruhiges, dahinfließendes, überschaubares und die Aktionen dadurch noch kalkulierbar. Je mehr Tänzerinnen und Tänzer jedoch die Bühne betreten umso rascher wird der Wechsel zwischen sich Fallenlassen und Auffangen, bis schließlich beinahe im Sekundentakt untereinander geholfen werden muss. So, als würden sie bereits einen Schwächeanfall von vorneherein spüren, beginnen die Tänzerinnen und Tänzer im Laufe der Zeit das Niedersinken bewusst zu evozieren – die Grenze zwischen Helfen und die Katastrophe-selbst-auslösen, beginnt dabei langsam zu verschwimmen. Die große, grüne Pflanze inmitten der Bühne ist das einzige Requisit, das so etwas wie ein Stück Restnatur markiert, um das herum sich das Treiben der Menschen-Lemminge abspielt. Beeinflusst wurde Kosei Sakamoto dabei von der Pandemie im Jahr 2009, als die Vogelgrippe große Auswirkungen auf die Stadt Osaka hatte und das Leben dort beinahe paralysierte, sowie von den Erdbeben, dem großen Tsunami und nicht zuletzt dem nuklearen Supergau, die Japan heimsuchten. „Lemming“ ist zwar vom Titel her ein Stück, das den Menschen auf seine tierischen Instinkte hin reduziert. Der Inhalt aber ist durchtränkt von jenen Gefühlen und Verhalten, die nur dem Menschen zugeschrieben werden: Besorgnis, Hilfsbereitschaft, einem starken Gemeinschaftssinn und dem Wissen, in der Masse nicht alleine zu sein. Gerade diese Ambivalenz, die bis zum Schluss stehen bleibt, macht diese Produktion neben ihrem Tempo spannend. Die bunte Truppe, in der sichtbar verschiedene asiatische Ethnien vereint sind, tanzt beinahe bis zur völligen Verausgabung großartig und vermittelt das Gefühl, an einem ganz besonderen Ereignis teilgenommen zu haben. Sich ins Nichts fallenzulassen und dabei immer wieder aufgefangen zu werden stellt doch eine unglaubliche Bereicherung im körperlichen Erfahrungsschatz eines jeden Menschen dar. Sakamotos Ensemble hat bei dieser Produktion die Möglichkeit, sich dieses Gefühl durch die vielen Proben und Aufführungen ganz einzuverleiben. Beneidenswert.

Kanako Sako, gebürtige Japanerin, derzeit in Wien lebend und künstlerische Leiterin von Fifoo, erweist im zweiten Stück dem Publikum selbst die Ehre. „I.multifillis“ lautet der kryptische Titel des kurzen Werkes ihrer persönlichen Serie „color for naught“. Bedeutungsschwanger schiebt sie dafür anfangs kriechend eine Flasche über den Tanzboden und stellt sie dort in der Mitte derselben ab. Jede Geste, jede Bewegung scheint inhaltsschwer aber nicht entzifferbar, jede Bewegung – sei es das Schieben von Glas auf dem harten Boden oder das Rutschen einer Hand wird zum feinen, außergewöhnlichen akustischen Erlebnis. Ein Glas und ein Blatt Papier landen auf dieselbe Weise im Zentrum des Geschehens, bleiben dort aber ungerührt, während die Tänzerin nun zu einer romantischen Cellomelodie ganz selbstverloren beginnt, ihren Körper ihrem rechten Arm unterzuordnen. Ihr „Armtanz“ mit angehängtem Körper fesselt nun das Publikum nicht nur ob der bewundernswerten Kraft, welche Kanako Sako dafür in dieser Extremität benötigt. Es ist ein ganz besonderer lyrischer Moment, der durch eine ebensolche Musik unterstützt wird, der so verzaubernd wirkt und vergessen lässt, was zuvor an Requisiten zurechtgestellt wurde. Fließende, elegante Bewegungen mutieren zu kantigen, eckigen, der am Arm hängende Mensch wird zur Nebensache. Es ist schließlich ein kurzer Erschöpfungszustand, in dem Kanako Sako am Boden liegend neue Kraft holt, aufsteht und im zuvor platzierten Glas nun mit Wasser ein weißes Pulver auflöst. Sie taucht ihren Finger ein und beginnt Strich für Strich, langsam, dem Publikum den Rücken kehrend, am Boden zu schreiben. Aber anstelle eines philosophischen Gedankens oder eines gesellschaftlichen Imperativs entsteht die ganz banale Botschaft: „20 Minuten Pause“. Wie schön, wenn sich jemand aus dem als so unverständlich verschrienen zeitgenössischen Tanzbetrieb selbst so humorvoll sehen kann und die Erwartungshaltung des Publikums so bricht, dass dieses laut zu lachen beginnt. Der Schalk sitzt dieser liebenswerten Künstlerin ganz tief im Nacken – ein Wesenszug, der gerade bei Solistinnen und Solisten überaus selten anzutreffen ist. Die Verbeugung, mit welcher sie ihr Publikum jeweils beim Betreten des Saales begrüßt, muss an dieser Stelle an sie zurückgegeben werden.

Den Schluss des ersten Abends bildete die Crew von @tendance/C. Medina, die seit 2006 kräftige Lebenszeichen in Graz und darüber hinaus von sich gibt. „In/dependance“ – also ein Pendeln zwischen Abhängigkeit und deren Gegenteil – ist ein passender Titel für das, was mit nur einer Requisite auf der Bühne das Publikum bei Laune hält. Ein offenes Metallpodest mit einem einzigen Boden und einer ungefähren Bodenfläche von 1,5 x 1,5 Metern bestimmt das Geschehen oder vielmehr scheint als direkte Inspirationsquelle für die vier jungen Frauen zu gelten, die davor in engen schwarzen Trikots sitzend das „Turngerät“ erst einmal intensiv betrachten. Dem Publikum wurde zuvor Kopfhörer ausgeteilt, über welche man ganz individuell zwei unterschiedliche Soundkanäle zuschalten kann. Oder auch je nach Lust und Laune zwischen diesen wechseln, oder den Ton überhaupt ganz abschalten kann. Zwar machen nur wenige Menschen davon Gebrauch, aber es ist ein interessantes Experiment, ein Bühnengeschehen mit unterschiedlichen Soundlayern zu konsumieren und dabei verschiedene Empfindungen und Kopffilme zu evozieren und ablaufen lassen zu können. Nach einem kurzen „Beschnuppern“ des Metallgestänges überkommt die Tänzerinnen die Spiellust und sie bemühen das Gerät in einer Staccato-Szene abwechselnd als Hundekäfig, Gogo-Stangen, Laufsteg, Jägerstand, Aufzug, Bett, Haus, als Boxarena mit witziger Wrestlingpersiflage oder schwimmen damit wie in einem Boot über ruhiges Gewässer. Einmal an die physischen Umstände gewöhnt, beginnen sie mit einer Mischung aus Tanz und Akrobatik, die zwischen menschlichen und tierischen Impressionen beständig pendelt. Stand- und Hebefiguren wechseln mit Machtattitüden und territorialen Anspruchsgebärden. Permanent zeigen sie ein Spiel von aktiven und passiven Bewegungen, von sich bewegen und bewegen lassen. Die Lust an kraftvollem körperlichen Ausdruck und unbewusst gesteuerten Bewegungen, die aus tiefen, tierischen Überlebenstrieben kommen, oszilliert beständig. Eine schier unendliche Kaskade an Sprung- und Drehmomenten, mit welchen die akrobatischen Tänzerinnen das Podest in jeder nur erdenklichen Pose in seinem Innenraum erkunden, macht deutlich, wie groß das Kreativpotenzial hinter dieser Choreografie ist, die sich auf eine so geringe Kubatur einschränkt. Hier hat Christina Medina als Choreografin ganze Arbeit geleistet. Rachelle Bourget, Kayla Henry, Mira Kratochwil und Clarissa Omiecenski hinterlassen einen starken Eindruck ob ihrer körperlichen Präsenz. Ihre Fitness und Muskelausstattung ist sicherlich auch einem konsequenten Krafttraining im Fitnessstudio geschuldet. Ein kräftiges Lebenszeichen aus Graz, das einmal mehr deutlich macht, dass aktuelle, zeitgenössische Tanzkultur sich auch abseits der großen Ballungszentren entwickeln kann.

An diesem Abend zeigte der Bühnenkunstverein Fifoo erneut, wie viel Leben in ihm steckt und machte klar, dass sich in Wien langsam neben dem Tanzquartier ein zweiter Ort für zeitgenössischen Tanz entwickelt, dem man Beachtung schenken sollte.

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Drei Wünsche auf einmal

Drei Wünsche auf einmal

„Mami, bringst du mir was mit? Was Spannendes, was zum Spielen und Schokolade!“ So lauteten in den 80er Jahren in einem Fernsehspot die drei Wünsche eines blonden Dreikäsehochs an seine Mutter, die gerade dabei war, mit dem Cabrio zum Einkaufen abzubrausen. Ganz dem Bild der heilen Familie entsprechend, setzte sich sofort der Bruder der Kleinen neben die Mama ins Auto, um dieser bei der „schwierigen“ Aufgabe der Suche nach den drei Wünschen behilflich zu sein. Wenn man die Bitte nach der Schokolade weglässt und „was zum Staunen“ dagegen einsetzt, so hat man eine schöne Zusammenfassung, die den jenen Abend unter der Fifoo-Federführung charakterisiert, der im Palais Kabelwerk am 13. August Erstaunliches bot. Unter dem Namen „project pinwheel“ waren Esther Balfe, Frey Faust und Young Doo Jung eingeladen worden, ihren Gedanken zum Thema „Family of Artist“ freien, tänzerischen Lauf zu lassen.

Die Soloperformerin und ihre beiden männlichen Kollegen interpretierten diese Grobvorgabe auf unterschiedliche Art und Weise, wobei die Übergänge zu ihren jeweiligen Auftritten fließend vonstattengingen und sich so immer wieder auch gemeinsame Anknüpfungspunkte ergaben.

Mit Esther Balfe aus Großbritannien stand ein ehemaliges Mitglied und eine derzeitige Gasttänzerin der Forsythe Company auf der Bühne, die auch am Konservatorium in Wien eine Tanzprofessur innehat. Mit nur drei Requisiten – einem Scheinwerfer und zwei unterschiedlich großen Würfeln – schuf sie eine Bedeutungsebene, die als sichtbarer Hinweis auf jene Fragilität gedeutet werden kann, die jeder Familie innewohnt. Der kleinere Würfel war dabei so auf den großen aufgesetzt worden, dass er einen sehr Absturz gefährdenden Moment kennzeichnete. Man konnte sich gut vorstellen, dass er – hätte Balfe den Schwerpunkt auch nur ein klein wenig anders gesetzt – vom großen Würfel herunterfallen hätte können – was er aber bis zum Ende der Vorstellung nicht tat. Ihr Tanz selbst war zeitweise von einer musikalischen Untermalung begleitet, die Klänge wie aus einer längst vergangenen Zeit einspielte. War es ein altes Grammophon oder ein schlecht eingestelltes Radio, das auf Vergangenes verwies, das von Ferne andeutungsweise in die Gegenwart geweht wurde? Die Interpretation, dass Familie viel stärker auf uns wirkt, uns gefangen hält, als wir es uns eingestehen wollen, liegt dabei auf der Hand. Das breite tänzerische Spektrum Balfes war von kantigen und ruckartigen Bewegungen charakterisiert, die sich in ihren Mikroanlagen gerne wiederholten. Dabei agiert sie so außerhalb des körperlichen Erfahrungsschatzes eines durchschnittlich motorisch begabten Menschen, dass man gar nicht anders kann, als ihrem Ideenreichtum gehörig Respekt zu zollen. Immer wieder musste sie sich während ihrer Vorstellung die Aufmerksamkeit des Publikums von Neuem erobern, da Faust und Young Doo Jung durch ihre Bühnenpräsenz ihr den Status der Soloperformerin abspenstig machten. Ein Kampf, den viele auch innerhalb Ihrer Familie kennen – bei dem es um Anerkennung und Aufmerksamkeit geht, die oft auf der Strecke bleiben.

Die Revanche kam umgehend, als sie ihrem Tanzkollegen Frey Faust kurz nach seinem Bühnenauftritt einen Kübel Wasser über den Kopf laufen ließ. Was als Racheakt begann, war in der Konsequenz nichts anderes als eine logische Ergänzung seiner Familieninterpretation. Minutenlang so am Boden so agierend, dass keiner seiner Füße diesen berührte, machte er seinen Körperzustand deutlich. Durchtrainiert bis in jede Faser, imitierte er verschiedene Entwicklungsstadien, angefangen von primitiven Lebewesen bis hin zu höher Entwickelten, die im Wasser ihren Ursprung haben. Die Dunkelheit, die ihn umgab und die spannende Beleuchtung seines Körpers, die mehr im Diffusen denn im Erhellenden angesiedelt war, erweckten die Aura eines unwegsamen Ortes unter Wasser. Der nasse Boden – Trauma eines und einer jedenTanzenden – war ihm ein willkommenes Element, in dem er sich nicht nur wohlfühlte, sondern das er sichtlich kreativ in seine Performance einbaute. Fausts wesentlich erweiterter Familienbegriff – bis zum logischen Hinweis unserer engen Verwandtschaft mit den Primaten – spielt auch in seinem Lehrprogramm „Axis Syllabus“ eine Rolle. Darin macht er klar, dass so manches tänzerische Trainingsprogramm sich nach einiger Zeit als krankmachend herausstellt, weil es nicht den physischen Gegebenheiten unseres Körpers angepasst ist. Als Weiterentwicklung im evolutionären System vom Tier zum Menschen sind diesem eben gewissen Bewegungen als natürlich gegeben und andere wiederum völlig kontraproduktiv – auch wenn das sowohl im klassischen als auch im zeitgenössischen Tanz oft negiert wird. Das Aufstehen auf seine zwei Beine am Ende seiner Performance markierte den Schlusspunkt der menschlichen Entwicklung und zugleich die Geburt des Individuums.

Der Koreaner Young Doo Jung, Begründer des Doo Dance Theaters, machte als Einziger seine Familienverhältnisse klar. Er zeigte mit einer kleinen, gestisch untermalten Aufzählung auf, wie viele Kinder seine Großeltern und Eltern hatten, um auf das bisherige Ende dieser Familienlinie, seine Tochter, hinzuweisen. Seine unglaublich harmonischen Bewegungen, wohl stark vom asiatischen Tai Chi beeinflusst, erfüllten den gesamten Raum. Nichts schien seine „Erzählung“ aufzuhalten, kein Schwung blieb ohne Gegenschwung, keine seiner Bewegungsenergien wurde nicht in eine neue umtransformiert. Da war die Überraschung groß, als er anmerkte, dass er gerne anders wäre, als die Menschen in seiner Familie. Die kleine Choreografie seiner rechten Hand hob sich auch merklich vom zuvor gezeigten Repertoire ab, um aber doch wieder in jene Bewegungsströme zu enden, mit denen der sympathische Tänzer zuvor schon so beeindruckte. Ein kleiner Kuss, einem imaginären Gegenüber gewidmet, versöhnte ihn am Ende mit seiner Abstammung und verwies zugleich auf liebevolle Gesten im Umgang mit der nächsten, noch so jungen Generation.

Eine kleiner, gemeinsamer Abspann ermöglichte allen Dreien noch einmal, die jeweils individuelle Körpersprache kurz aufzuzeigen. Mit der Abschlussaktion von Frey Faust, in welcher er das Publikum animierte, im Stehen mitzutanzen, endete der Abend allseits schweißtreibend. Dabei durfte man durch die eigene Bewegungserfahrung noch im Nachhinein nicht nur die Leistung der drei Profis bewundernd und mitfühlend würdigen, sondern sich auch als große Familie verstehen, deren Liebe zum Tanz zumindest an diesem Abend und in diesem Raum alle harmonisch vereinte. Wir waren alle „Family of Artist“ – zumindest für diesen einen Abend.

Video: Frey Faust

Ein Abend prall gefüllt mit Geschichten

Ein Abend prall gefüllt mit Geschichten

Am zweiten Festivalabend von Fifoo kam das Publikum in jeder Hinsicht voll auf seine Kosten. Prall gefüllt mit fünf getanzten Geschichten, eine wie die andere sehenswert, gestalteten sich die Produktionen nicht nur spannend, sondern auch kurzweilig.

Fifoo Tanzfestival

Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit beim Fifoo Tanzfestival in Wien (c) Wolfgang Probst für 3art3 Company

Der Studiengang Zeitgenössischer und Klassischer Tanz vom Konservatorium Wien Privatuniversität überraschte mit zwei hoch qualitativen, jedoch gänzlich unterschiedlichen Stücken. In einer SOB STORY mit dem Untertitel „You are not alone“ gelang René Friesacher, Rino Indrawan Indiono, Sayed Labib, Future Sibanda, Seraphim Schuchter und Martin Wax eine umwerfende, mit Testosteron geschwängerte Interpretation einer Choreografie von Sophia Hörmann. Die sechs jungen Männer exerzierten in einer beinahe schon martialischen Körpersprache erzwungen Gemeinsames als auch unfreiwillig Einsames bis hin zu einer kitschig-witzigen Karaoke-Version von Michael Jacksons „You are not alone“. In ihr wurde schließlich auf bizarre Art klar, dass diese zuckerlrosa Hitpille nicht wirkt und am Ende doch jeder alleine bleibt, Kommiss- und Bandengetue hin oder her. Jeder ist sich selbst der Nächste oder, wie die jungen Tänzer klar machten – des anderen Feind. Das Gefühl, dass diese Vorstellung auch drei Mal so lang hätte sein können, ohne einen Augenblick Langeweile zu evozieren, macht wohl mehr als deutlich, wie gut sie war.

Auch Lisa Buderla gelang mit ihrer Choreografie „Animo“ dasselbe Kunststück. Rino Indrawan Indiono hatte darin neben Carina Herbst und Katharina Senk seinen zweiten großen Auftritt und belegte damit, wie groß die Bandbreite seines tänzerischen Ausdrucks jetzt schon ist. In einer sehr gelungenen Soundkompilierung, in welcher der „Sommer“ von Vivaldi das Geschehen auf der Bühne zu einem emotionalen aber vor allem ästhetischen Höhepunkt trieb, verwandelten sich die drei TänzerInnen in Tiere. Deren Bewegungsmuster imitierten sie mit einer derartigen Leichtigkeit und vor allem Schönheit, dass man des Sehens nicht müde wurde. Das herrliche Farbenspiel der Kostüme in unterschiedlichen kräftigen Rottönen und eine perfekte Lichtregie taten ein Übriges, um die Darbietung als meisterhaft charakterisieren zu können. „Animo“ kann als Paradebeispiel eines gelungenen zeitgenössischen Tanzstückes bezeichnet werden, in welchem es vor allem auch auf die Synchronizität der TänzerInnen ankam. Ein Stilmittel, an dem sogar viele alteingespielte Tanzkompanien scheitern, nicht aber die drei InterpretInnen an diesem Abend. Mit dementsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet, könnte diese Choreografie sicherlich auch mit größerem Ensemble abendfüllend ein großes Publikum begeistern.

In einem Duett von Matan Levkowich aus Israel und Luan Manfredi aus Brasilien exerzierten die beiden in kräfteraubender Art und Weise, wie schwer die Kommunikation zwischen zwei Menschen ist – ja eigentlich, wie unmöglich sie sich zwischen zwei Männern gestalten kann. „Boys don´t cry“, so der Titel ihrer Produktion, lebt von einer rasanten Körpershow, die mit vielen Sprungelementen, aber vor allem auch Druck- und Zugbewegungen ausgestattet ist. Die immer wieder offerierte Hilfestellung des einen beeinflusst den anderen nur wenig. Die Bemühungen, stets jener zu sein, der in diesem Zweiergespann vorangeht, machen so manchen Versuch zunichte, sich auf einen kleinen gemeinsamen Kommunikationsnenner zu einigen. Kaum scheint Ruhe eingekehrt zu sein – und sei es durch eine Siegerpose, in welcher der Untergebene am Boden liegend den Fuß seines Unterwerfers auf der Brust verspüren muss, erfasst ein neuer Aggressionsschub die beiden Männer. Sie verausgaben sich beinahe bis zur völligen Erschöpfung und unterhalten die ZuseherInnen auch mit grotesken Sprungkaskaden, in welchen sich akrobatisches Können mit ästhetischer Sprungkraft vereint. Eine locker-lässige Choreografie, in der die turnerischen Elemente den Ton angeben und wahrscheinlich gerade deswegen diesen zwei jungen Männern auf den Leib geschrieben scheinen.

Der zweite Teil des Abends widmete sich gleich mit zwei Produktionen menschlichen Zuständen, die nur zu gerne von der Gesellschaft ignoriert werden. Das Anders-Sein, das sich meist im Wegsperren der Menschen in psychiatrischen Kliniken äußert, brachte der aus Korea stammende Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit zum Ausdruck. „ (Going below) work in progress nannte der seine Arbeit, in der er sich mit dem tragischen Phänomen der Amnesie auseinandersetzte. Das Vergessen nahm bei ihm die ungewohntesten Züge an, die man sich denken kann – ja wohl den Albtraum eines jeden Tänzers und einer jeden Tänzerin. Wie es denn wohl sein mag, wenn das Vergessen so lange fortgeschritten ist, dass der Mensch nicht mehr imstande ist, seinen Bewegungsapparat unter Kontrolle zu halten und nicht mehr weiß, wozu man seine eigenen Beine benötigt, führte der Meister der undenkbaren Bewegungen eindrucksvoll vor. Der junge Tänzer zeigte dabei unzählige Arten des Nicht-Gehen-Könnens, eine Aneinanderreihung von Bewegungsabläufen, denen nur eines gemein war: Die Verhinderung jener Bewegungen, die notwendig sind, um einen Schritt vor den anderen zu setzen. Die unglaubliche Kreativität, die Moon Suk Choi dabei an den Tag legte, war mehr als beeindruckend. Das Kippen seiner Choreografie weg von einem zappelnden und unkoordinierten Wesen, hin zu einem Menschen, der seinen Körper und seine Bewegungen kontrollieren kann, setzte er dramaturgisch gekonnt an den Schluss. Mit einem auf einem Stapel Büchern sitzenden Mann, der leise vor sich hin singt, und mit dieser Aktion auf eine der höchsten menschlichen Fähigkeiten verweist, endet sein beeindruckendes Stück versöhnlich.

Mit „gone to get milk“ der britischen Choreografin Ieva Kuniskis knüpfte das Geschehen direkt an jenes von Moon Suk Choi an. Ieva Kuniskis, Helen Aschauer und Charles Cooper Ford performten dabei drei Menschen im psychischen Ausnahmezustand. Eingebettet in einen genialen Soundtreck, der auditive Erlebnisse von Bach bis hin zu Goran Bregovic offerierte, zeigten die Drei, wie sehr ein mentales Handicap auch emotional beeinträchtigt. Nähe und Distanz – zwischen diesen Polen wogte sowohl das äußere als auch das innere Geschehen der ProtagonistInnen hin und her. Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern findet bei diesen Menschen oft dann ihr Ende, wenn die eigenen Obsessionen und Zwangshandlungen ihre Emotionen kappen und sie von einer Sekunde auf die andere das Interesse an einer innigeren Beziehung verlieren. Halt gibt ihnen nur der geregelte Tagesablauf – oder der geregelte Ablauf ihrer körperlichen Handlungen. Unkontrollierte Gebärden, zuckende Gliedmaßen, bis zur Erschöpfung sich wiederholende Bewegungen – all das gibt trotz ihrer Anstrengungen das Gefühl von Sicherheit, sind sie doch das Einzige, was im Leben dieser Menschen verlässlich ist.

Mit der zweiten Auflage von Fifoo legte das Team rund um Kanako Sako die Latte für Kommendes sehr hoch. Im Herbst soll die dritte Auflage folgen. Wir freuen uns darauf!

Links: Artikel vom ersten Abend
Fifoo TanzfestivalAm zweiten Festivalabend von Fifoo kam das Publikum in jeder Hinsicht voll auf seine Kosten. Prall gefüllt mit fünf getanzten Geschichten, eine wie die andere sehenswert, gestalteten sich die Produktionen nicht nur spannend, sondern auch kurzweilig.

Fifoo Tanzfestival

Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit beim Fifoo Tanzfestival in Wien (c) Wolfgang Probst für 3art3 Company

Der Studiengang Zeitgenössischer und Klassischer Tanz vom Konservatorium Wien Privatuniversität überraschte mit zwei hoch qualitativen, jedoch gänzlich unterschiedlichen Stücken. In einer SOB STORY mit dem Untertitel „You are not alone“ gelang René Friesacher, Rino Indrawan Indiono, Sayed Labib, Future Sibanda, Seraphim Schuchter und Martin Wax eine umwerfende, mit Testosteron geschwängerte Interpretation einer Choreografie von Sophia Hörmann. Die sechs jungen Männer exerzierten in einer beinahe schon martialischen Körpersprache erzwungen Gemeinsames als auch unfreiwillig Einsames bis hin zu einer kitschig-witzigen Karaoke-Version von Michael Jacksons „You are not alone“. In ihr wurde schließlich auf bizarre Art klar, dass diese zuckerlrosa Hitpille nicht wirkt und am Ende doch jeder alleine bleibt, Kommiss- und Bandengetue hin oder her. Jeder ist sich selbst der Nächste oder, wie die jungen Tänzer klar machten – des anderen Feind. Das Gefühl, dass diese Vorstellung auch drei Mal so lang hätte sein können, ohne einen Augenblick Langeweile zu evozieren, macht wohl mehr als deutlich, wie gut sie war.

Auch Lisa Buderla gelang mit ihrer Choreografie „Animo“ dasselbe Kunststück. Rino Indrawan Indiono hatte darin neben Carina Herbst und Katharina Senk seinen zweiten großen Auftritt und belegte damit, wie groß die Bandbreite seines tänzerischen Ausdrucks jetzt schon ist. In einer sehr gelungenen Soundkompilierung, in welcher der „Sommer“ von Vivaldi das Geschehen auf der Bühne zu einem emotionalen aber vor allem ästhetischen Höhepunkt trieb, verwandelten sich die drei TänzerInnen in Tiere. Deren Bewegungsmuster imitierten sie mit einer derartigen Leichtigkeit und vor allem Schönheit, dass man des Sehens nicht müde wurde. Das herrliche Farbenspiel der Kostüme in unterschiedlichen kräftigen Rottönen und eine perfekte Lichtregie taten ein Übriges, um die Darbietung als meisterhaft charakterisieren zu können. „Animo“ kann als Paradebeispiel eines gelungenen zeitgenössischen Tanzstückes bezeichnet werden, in welchem es vor allem auch auf die Synchronizität der TänzerInnen ankam. Ein Stilmittel, an dem sogar viele alteingespielte Tanzkompanien scheitern, nicht aber die drei InterpretInnen an diesem Abend. Mit dementsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet, könnte diese Choreografie sicherlich auch mit größerem Ensemble abendfüllend ein großes Publikum begeistern.

In einem Duett von Matan Levkowich aus Israel und Luan Manfredi aus Brasilien exerzierten die beiden in kräfteraubender Art und Weise, wie schwer die Kommunikation zwischen zwei Menschen ist – ja eigentlich, wie unmöglich sie sich zwischen zwei Männern gestalten kann. „Boys don´t cry“, so der Titel ihrer Produktion, lebt von einer rasanten Körpershow, die mit vielen Sprungelementen, aber vor allem auch Druck- und Zugbewegungen ausgestattet ist. Die immer wieder offerierte Hilfestellung des einen beeinflusst den anderen nur wenig. Die Bemühungen, stets jener zu sein, der in diesem Zweiergespann vorangeht, machen so manchen Versuch zunichte, sich auf einen kleinen gemeinsamen Kommunikationsnenner zu einigen. Kaum scheint Ruhe eingekehrt zu sein – und sei es durch eine Siegerpose, in welcher der Untergebene am Boden liegend den Fuß seines Unterwerfers auf der Brust verspüren muss, erfasst ein neuer Aggressionsschub die beiden Männer. Sie verausgaben sich beinahe bis zur völligen Erschöpfung und unterhalten die ZuseherInnen auch mit grotesken Sprungkaskaden, in welchen sich akrobatisches Können mit ästhetischer Sprungkraft vereint. Eine locker-lässige Choreografie, in der die turnerischen Elemente den Ton angeben und wahrscheinlich gerade deswegen diesen zwei jungen Männern auf den Leib geschrieben scheinen.

Der zweite Teil des Abends widmete sich gleich mit zwei Produktionen menschlichen Zuständen, die nur zu gerne von der Gesellschaft ignoriert werden. Das Anders-Sein, das sich meist im Wegsperren der Menschen in psychiatrischen Kliniken äußert, brachte der aus Korea stammende Moon Suk Choi mit furioser Körperarbeit zum Ausdruck. „ (Going below) work in progress nannte der seine Arbeit, in der er sich mit dem tragischen Phänomen der Amnesie auseinandersetzte. Das Vergessen nahm bei ihm die ungewohntesten Züge an, die man sich denken kann – ja wohl den Albtraum eines jeden Tänzers und einer jeden Tänzerin. Wie es denn wohl sein mag, wenn das Vergessen so lange fortgeschritten ist, dass der Mensch nicht mehr imstande ist, seinen Bewegungsapparat unter Kontrolle zu halten und nicht mehr weiß, wozu man seine eigenen Beine benötigt, führte der Meister der undenkbaren Bewegungen eindrucksvoll vor. Der junge Tänzer zeigte dabei unzählige Arten des Nicht-Gehen-Könnens, eine Aneinanderreihung von Bewegungsabläufen, denen nur eines gemein war: Die Verhinderung jener Bewegungen, die notwendig sind, um einen Schritt vor den anderen zu setzen. Die unglaubliche Kreativität, die Moon Suk Choi dabei an den Tag legte, war mehr als beeindruckend. Das Kippen seiner Choreografie weg von einem zappelnden und unkoordinierten Wesen, hin zu einem Menschen, der seinen Körper und seine Bewegungen kontrollieren kann, setzte er dramaturgisch gekonnt an den Schluss. Mit einem auf einem Stapel Büchern sitzenden Mann, der leise vor sich hin singt, und mit dieser Aktion auf eine der höchsten menschlichen Fähigkeiten verweist, endet sein beeindruckendes Stück versöhnlich.

Mit „gone to get milk“ der britischen Choreografin Ieva Kuniskis knüpfte das Geschehen direkt an jenes von Moon Suk Choi an. Ieva Kuniskis, Helen Aschauer und Charles Cooper Ford performten dabei drei Menschen im psychischen Ausnahmezustand. Eingebettet in einen genialen Soundtreck, der auditive Erlebnisse von Bach bis hin zu Goran Bregovic offerierte, zeigten die Drei, wie sehr ein mentales Handicap auch emotional beeinträchtigt. Nähe und Distanz – zwischen diesen Polen wogte sowohl das äußere als auch das innere Geschehen der ProtagonistInnen hin und her. Die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern findet bei diesen Menschen oft dann ihr Ende, wenn die eigenen Obsessionen und Zwangshandlungen ihre Emotionen kappen und sie von einer Sekunde auf die andere das Interesse an einer innigeren Beziehung verlieren. Halt gibt ihnen nur der geregelte Tagesablauf – oder der geregelte Ablauf ihrer körperlichen Handlungen. Unkontrollierte Gebärden, zuckende Gliedmaßen, bis zur Erschöpfung sich wiederholende Bewegungen – all das gibt trotz ihrer Anstrengungen das Gefühl von Sicherheit, sind sie doch das Einzige, was im Leben dieser Menschen verlässlich ist.

Mit der zweiten Auflage von Fifoo legte das Team rund um Kanako Sako die Latte für Kommendes sehr hoch. Im Herbst soll die dritte Auflage folgen. Wir freuen uns darauf!

Links: Artikel zum ersten Abend
Fifoo Tanzfestival

Wo Fifoo drauf steht, ist spannender junger Tanz drin

Wo Fifoo drauf steht, ist spannender junger Tanz drin

Ester Balfe beim Fifoo Tanzfestival in Wien

Ester Balfe / The Forsythe Company (Konservatorium Privatuniversität Wien (AUT) / „Insight“ / (Foto: Max Moser)

Bereits zum zweiten Mal bestreitet der Bühnenkunstverein Fifoo ein buntes Tanzprogramm im Palais Kabelwerk, das sich dafür bestens eignet. Unter der künstlerischen Leitung der in Wien lebenden Tänzerin Kanako Sako werden noch bis 9. Juni insgesamt acht Produktionen gezeigt, deren einzige Gemeinsamkeit der körperliche Ausdruck auf der Bühne ist. „Junge TänzerInnen brauchen eine Bühne, auf der sie auftreten können“, erklärt Frau Sako, der auch die Vernetzung von Ausbildungsinstitutionen für zeitgenössischen Tanz in Österreich ein Anliegen ist. Diesen Austausch, den sie selbst während ihres Studiums vermisst hat, möchte sie in Gang bringen und jungen TänzerInnen in Wien die Möglichkeit eines frühen öffentlichen Auftrittes ermöglichen. Neben den Studierenden sind es aber auch ProfitänzerInnen, die mit eigenen Beiträgen vertreten sind. Diese seltene Kombination ergibt einen spannenden Mix, der eine große Bandbreite an Tanzproduktionen bereithält.

Mit dem Stück „Watanebekun“ aus „Luftraum Projekt/Serie O“ eröffnet Kanako Sako selbst das Festival. Auf einer dunklen Bühne tritt sie in einen schwachen diffusen Lichtraum und imitiert dabei nicht nur körperlich, sondern auch stimmlich einen einsamen Vogel. Der Lichtpegel, der das gesamte Stück über sehr niedrig bleibt, gestattet Assoziationen zu einer Traumwelt oder zumindest zu einem Geschehen, fern ab jeder hektischen Zivilisation. Die präzisen, sparsamen Bewegungen benötigen keine unterlegte Musik und erreichen so eine Fokussierung auf das meditative Geschehen. Diesem Einstieg, der stark von einer japanischen Ästhetik geprägt ist, folgt ein zweiter Teil, in welchem die Tänzerin ein neues, wesentlich runderes und geschmeidigeres Bewegungsmaterial verwendet. Unterlegt wird dies von einer exakten rhythmischen Grundlage, die mit minimalen Perkussionselementen arbeitet. Inspiriert wurde Kanako Sako von Werken des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami. Im Programmheft gibt sie dabei auch den kleinen Hinweis auf „Naoko“ – einer weiblichen Figur des Literaten, die mit ihrer geheimnisvollen Aura in einem Roman einer lebenslustigen Rivalin gegenübergestellt wird. Die zarte Rückverwandlung der lebensvollen jungen Tänzerin in den geheimnisvollen Vogel und sein abruptes Verschwinden lassen ganz abseits der literarischen Vorlage viel Spielraum für eigene Interpretationen.

Mit der Arbeit „Insight“ zeigt Esther Balfe, Mitglied der Forsythe Company, mit dem Studiengang Zeitgenössischer und Klassischer Tanz des Konservatoriums der Wiener Privatuniversität ein spannendes Cross-over-Projekt, dessen Choreografie „Woolf Phrase“ von William Forsythe sie mit den jungen TänzerInnen erarbeitet hat. Laura Böttinger, Katharina Deschler, Naja Novak, Thomas Riess – der einzige Mann an diesem Abend – Anna Schumacher und Manaho Shimokawa beeindrucken allesamt mit ihrem Können, das bereits auf einem hohen technischen Niveau angesiedelt ist. Textpassagen von Virginia Woolf stehen in Konkurrenz zum tänzerischen Geschehen und umfangen es gleichzeitig mit einer indifferenten Verortung. Ein Sommertag am Meer bildet die sprachliche Grundlage, auf der sich zur Musik von Thom Willems ein ganzes Kaleidoskop von tänzerischen Ausdrucksmöglichkeiten entfaltet. Eine große Herausforderung stellen auch jene Passagen dar, in welchen die TänzerInnen ihre Stimme einsetzen müssen. Der permanente Wechsel zwischen Deklamation und Tanz erfordert grundsätzlich unterschiedliche Bühnenpräsenzen, denen das junge Ensemble jedoch völlig gewachsen ist.

Ceren Oran - beim Fifoo Tanzfestival in Wien

Ceren Oran (TRK) „Youmemeyouhemeshewemeyouheshewetheyusme…….“ (Foto:Ceren Ora)

Mit „Youmemeyouhemeshewemeyouheshewetheyusme…“ der Solistin Ceren Oran, einer jungen Tänzerin aus der Türkei gebürtig aber in Salzburg lebend, folgt einer der Höhepunkte des Abends. Die charismatische Künstlerin hat ihre Performance „allen Protestierenden gewidmet, die für Freiheit und gegen faschistische Einstellungen und menschliche Diskriminierung kämpfen“ und agiert im Spannungsfeld zwischen Tanz, Performance und Pantomime. Ihre Erzählung basiert auf einer poetischen Transkription der Schwierigkeiten, der sich Fremde in einem neuen Land ausgesetzt sehen. Mit einem kleinen Köfferchen ausgestattet – und von einer perfekten Lichtinszenierung begleitet – kämpft sie um einen Platz in der Gesellschaft, der ihr jedoch nur auf deren unteren Rängen zugestanden wird. Witzig und berührend zugleich veranschaulicht sie mit Hülsenfrüchten nicht nur die Anzahl der MigrantInnen in Österreich zwischen 2002 und 2012, sondern verdeutlicht, wie sehr diese auch zum Spielball von Gesellschaft und Politik werden können. Eine beeindruckende und berührende Session, die es verdient, vor einem großen Publikum gezeigt zu werden.

Den Abschluss des ersten Abends machten tanz.coop aus Wien mit Cäcilia Färber, Anna Possarnig, Anna Schumacher sowie Linda Sperger, die mit ihren 9 Jahren den Damen gerne die Show stiehlt. „I wanna be a super hero“ unter der Choreografie von Gisela Elisa Heredia aus Argentinien lotet nicht nur Träume aus, die sich in der Idee ergehen eine Super-Heroin zu sein, sondern erzählt auch vom schwierigen, schweißtreibenden Weg dorthin. Heros gibt es viele, erfährt man in dieser Produktion, aber auch, dass Gemeinschaft ein nicht zu unterschätzendes Gut ist. Zwischen lockeren Tanzsequenzen, wie sie in den 80er Jahren in einem Fernsehballett zu sehen waren, und ausdrucksstarken Körperbildern, die wie eingefroren wirken, arbeiten die TänzerInnen auch mit einer ganzen Reihe von bodenakrobatischen Elementen, wobei sie eine bewundernswerte Kondition aufweisen.

Wer Lust auf weitere geballte Tanzladungen hat, kommt noch bis inklusive 9. Juni auf seine Kosten.
Links: www.fifoo.at

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