Geburtstage können auch zur Plage werden

Geburtstage können auch zur Plage werden

Was er selbst davon hält, aber auch wie es zu seinen Kompositionen für ein Klaviertrio kam, erfuhr das Publikum anlässlich eines Jeunesse-Konzertes mit dem Boulanger-Trio im Gläsernen Saal des Musikvereins.

Die drei jungen Musikerinnen starteten am 27. Jänner mit der „Boulangerie“ in Österreich eine kleine Konzertreihe. Birgit Erz (Violine), Ilona Kindt (Violoncello) und Karla Haltenwanger (Klavier) haben sich dieses besondere Format ausgedacht, mit dem sie normalerweise in Berlin auftreten. Dafür spielen sie Klaviertrios und laden jeweils einen Komponisten ein, von dem mindestens ein Werk präsentiert wird. Dieser wird aufgefordert, auch die Auswahl der anderen Stücke mitzubestimmen. Und am Ende des Konzertes gibt es – wie es sich für eine Boulangerie gehört – auch noch eine kleine lukullische Überraschung.

In Wien gab Ihnen Friedrich Cerha die Ehre seiner Mitarbeit und Anwesenheit. Mit seiner Einladung gestalteten die drei Damen zugleich den Auftakt zu den Feierlichkeiten anlässlich seines Geburtstagsjubiläums. Auf dem Programm standen Mozarts Klaviertrio KV 542 aus dem Jahr 1788. Der zweite Programmpunkt war das Adagio aus dem Kammerkonzert in einer Fassung für Violine, Klarinette und Klavier von Alban Berg. Dafür unterstütze Daniel Ottensamer mit seiner Klarinette einfühlsam die aus Hamburg gebürtigen Musikerinnen. Schon in diesen beiden Werken wurde klar, dass sich das Trio trotz seiner Jugend auf ein sehr aufeinander eingestimmtes Musizieren versteht. Haltenwanger nahm sich am Klavier in der Dynamik sehr zurück, um nicht mit einer zu dominanten Stimmgestaltung aufzuwarten.

Boulanger-Trio (c) Irene Zandel

Boulanger-Trio (c) Irene Zandel

Birgit Erz an der Violine überzeugte durchgehend. Ohne Angst vor expressiven Soli schafft sie die richtige Balance an Zurücknahme und Forcierung der Geigenstimme. Schön zu sehen auch, wie sie sich mit Haltenwanger und Kindt im überaus sympathischen Blickkontakt selbst an der Musik während des Spiels freuen kann. Das selbe gilt für Ilona Kindt, die ihre Stärke vor allem in den Cerha-Kompositionen ausspielen durfte.

Sie waren tatsächlich das Highlight des Abends. In einer lockeren Gesprächsführung, die von allen drei Frauen gleichermaßen absolviert wurde, betonte der Komponist, dass ihm vor allem das zweite der drei Stücke für Klavier und Cello, die er 2013 komponierte, besonders am Herzen läge. Er hätte darin nämlich den Charakter eines auf seine Akkuratesse stolzen Beamten wiedergegeben. Kein Wunder, dass bei den Pizzicato-Tönen, die zugleich auch noch gedämpft gespielt werden, viele Menschen im Publikum schmunzelten. Und tatsächlich drängte sich auch das Attribut „rechthaberisch“ beim Hören dieses Satzes auf, nicht zuletzt, weil Cerha den harschen Tönen auch kurze, sanfte dagegensetzte, die im Charakter an einen Bittsteller erinnerten, der mit seinen Einwänden gegen den herrischen Besserwisser nicht aufkommen kann. Sowohl im elegischen ersten, als auch raschen und dynamischen letzten Satz war jene Gleichheit der Stimmen zu spüren, die Cerha in der Kammermusik so wichtig sind.

Die fünf Stücke für ein Klaviertrio, die am Schluss der musikalischen Darbietung standen, kamen durch Anregung von Claus-Christian Schuster vom Altenberg-Trio zustande. Mit vielen Farben ausgestattet, wartet dieses Werk mit einer höchst facettierten Behandlung der einzelnen Instrumente auf. Außerdem hat jedes Stück seine ganz besondere Stimmung. Auch hier ist im zweiten Satz eine ungewöhnliche Hörerfahrung eingebaut. Das Thema, zuerst in Cello und Violine vorgeführt, wird vom Klavier ganz trocken übernommen. So als ob sich die Pianistin noch während einer Übungsphase zum Stück befände, wird sie von den Streicherinnen ganz leise hierbei unterstützt. Der dritte Satz führt drei überaus geschwätzige Instrumente vor, die sich zu einer großen Aufregung hochschaukeln, um sich anschließend wieder zu beruhigen. Wunderbar, wie das Klavier dabei gegen Ende etwas „nach humpelt“ und damit der Stimme einen eigenen Charakter verleiht. Das Flirren und Schweben des vierten Satzes und der Übergang zu einem exakten Rhythmus, der an das Schlagen einer Pendeluhr erinnert, machte erneut klar, dass Cerha in diesem Werk eine höchst illustrative, musikalische Sprache verwendete. Mit dem wilden, letzten Satz, der sich in seinem Mittelteil beruhigt, um dann – zuerst tröpfelnd, dann abermals intensiv – wieder ekstatisch aufzuschwingen, endete der musikalische Teil des Abends.

Wer mehr hören möchte, dem ist die vor wenigen Tagen erschienene CD des Trios mit Werken von Friedrich Cerha zu empfehlen.

Friedrich Cerha bei einer Jurysitzung für einen Kompositionspreis Juni 2015 (c) Jeunesse

Friedrich Cerha bei einer Jurysitzung für einen Kompositionspreis Juni 2015 (c) Jeunesse

Friedrich Cerha ließ es sich anschließend nicht nehmen, von ihm selbst verfasste Gedanken zu Geburtstagen vorzulesen. In überaus humorvoller Art und Weise schilderte er darin die willkürliche Entstehung unserer Zeitrechnung, die Ungewissheit unseres eigenen Geburtsdatums aber auch so manch kuriose Jubiläumsgeschenke, wie einen elektrischen Nasenhaarstutzer. „Eigentlich habe ich mir gewünscht, mit meiner Frau um den 85. Geburtstag zu sterben, angesichts der anstrengenden Geburtstagsfeierlichkeiten zum nächsten Jubiläum“, erklärte Cerha mit der Ergänzung: „Ich glaube jetzt aber, dass es gar nicht so schwer werden wird“. Wir gratulieren ihm von unserer Seite aus und wünschen ihm in seinen kommenden Jahren noch viel Kraft, um weitere, interessante Werke zu schreiben. Und die ein- oder andere Plage einer großen Geburtstagsfeier.

Das Boulanger-Trio setzt seine Boulangerie am 29.2. mit Michael Jarrell, sowie am 6.6. mit Johannes Maria Staud abermals im Musikverein fort.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Jeunesse.

Loriot in der Jesuitenkirche

Loriot in der Jesuitenkirche

Die Jesuitenkirche in Wien war am 13. Juni Schauplatz für ein Konzert des Österreichischen Komponistenbundes. Im Zentrum standen zwei wunderbare Musizierende. Einerseits Wolfgang Kogert an der Orgel, der unter anderen an der Wiener Hofburgkapelle zu hören ist und andererseits die musikalische Grenzgängerin Agnes Palmisano, vielen bekannt als moderne Wienerliedinterpretin.

Für Kogert spannte sich der Bogen der Kompositionen von Friedrich Cerha, Klaus Lang, Ernst Wally, Thomas Daniel Schlee, Manuela Kerer und Lukas Haselböck, wobei Kerer und Haselböck auch für Palmisano eine wichtige Rolle bereitgehalten hatten.

Die junge Südtirolerin Manuela Kerer war mit ihrer Komposition „Zweite Futurmodulation bei Sonnenaufgang für Sopran und Orgel (2010)“ von jenem Loriot-Scetch beeinflusst worden, in welchem eine Bundesdeutsche das Jodeln erlernen möchte und dabei zuerst einmal damit beschäftigt ist, das Jodelvokabular auswendig zu lernen. Kerer ließ in ihrer Partitur viel Raum für die Sängerin – und den nahm sich Palmisano im wahrsten Sinne des Wortes. Am Beginn in einer der Kirchenbänke sitzend, verließ sie ihren Platz um im Hauptgang neben ersten Jodelphrasen ein allseits hörbares Resonanzraumtraining zu absolvieren. Von Kogert spannend begleitet, spazierte sie langsam in Richtung Chorempore. Dort angekommen, lieferte sie sich mit ihm schlussendlich einen Kampf um die Vorherrschaft und je länger das Stück andauerte, umso intensiver wurde sowohl das stimmliche als auch das Klangvolumen der Orgel. Das mit so vielen Augenzwinkermomenten ausgestattete Stück endet abrupt und beinahe tragisch mit einem letzten Aufschrei der „Jodlerin“. Gerade dieses Schwanken zwischen Witz und Tragik macht die Spannung im Werk von Kerer aus. Diese Kostprobe machte jedenfalls spontan Lust, mehr von der Komponistin zu hören.

Ein weiteres Mal kam Palmisano zum Einsatz, nämlich in den “ Drei Gesängen nach H.C. Artmann für Mezzosopran und Orgel“ (2012) die Lukas Haselböck komponiert hatte. „Aum eaxtn is s ma r one dia“, „windradal „ und „hosd as ned kead“ boten für die Sängerin abermals genügend Interpretationsspielraum und beeindruckten durch ihren musikalischen Farbenreichtum. Stimmungsmusik pur, aber nicht jene, bei der das Schmalz trieft sondern Pfeile abgeschossen werden, die bohrend in Hirn und Ohr stecken bleiben.

Wolfgang Kogert, der auch eine interessante Einleitung moderierte, ließ mit den Präludien I – III von Friedrich Cerha aufhorchen, die 2011/2012 entstanden waren. Es handelte sich dabei um drei völlig verknappte Stücke, in welchen Cerha, der sich lange einer Komposition für Orgel verweigerte, jeweils in nur wenigen Takten Stimmung und Farbigkeit notierte und damit auch das Kompositionsprinzip verdeutlichte. Diese Miniaturen können wohl auch das als „pars pro toto“ angesehen, denen eigentlich kein einziger Ton mehr hinzuzufügen ist.

„The ugly house“ des Steirers Klaus Lang (2012) verströmte in minimalistischer Manier jede Menge Kontemplation, der jedoch auch eine gewisse Spannung inne wohnte. Demgegenüber standen Werke von Ernst Wally aus „Settings“ (2002) Agitated I – Fading

Thomas Daniel Schlee, Deux Prières Mariales (1985) I. Magnificat, II. Stabat Mater, die beide sämtliche Orgelregister in Bewegung setzten und im Hörerlebnis damit jene zufrieden stellten, die sich ein Orgelkonzert ohne Sausen und Brausen nicht vorstellen können.

Wolfgang Kogert meisterte alle Herausforderungen, von denen es in dieser Vorstellung sehr viele gab verbildlichst und machte klar, dass er in Österreich wohl als einer der herausragendsten Ansprechpartner für die Interpretation von zeitgenössischer Orgelmusik zu gelten hat.

Randnotiz:
Während des letzten Stücke von Schlee kam ein sehr junger „Augustinverkäufer“ in die Jesuitenkirche, um seine Zeitung zu verkaufen. Es war ihm nicht klar, dass er sich nicht in einer Messe oder Andacht befand, sondern in einem Konzert und so wanderte er von Bank zu Bank, setzte sich auch unerschrocken zu dem einen oder der anderen dazu, um von beinahe allen schroff abgewiesen zu werden. Als er schon wieder zum Rückzug angetreten war, begannen die Leute für ihn plötzlich unvermutet zu klatschen und da er sich im Hauptgang befand, an exponierter Stelle, begann sein Gesicht zu strahlen und er verbeugte sich sicherheitshalber mehrfach. Dieser so unbedarfte kindliche Zugang zu sozialen menschlichen Aktionen, deren Übereinkunft ihm in diesem Moment völlig unverständlich waren berührte jene, die menschliche Schicksale nicht kalt lassen, extrem. Die Tatsache, dass der Kunstgenuss für 90 Prozent aller in dem Kirchenraum Anwesenden einen höheren Stellenwert bedeutete als eine kleine pekuniäre Geste einem freundlichen, offenen, jungen Menschen gegenüber, beschämte mich zutiefst.

Die Stimme der zeitgenössischen Musik

Die Stimme der zeitgenössischen Musik

Georg Nigl (c)Bernd Uhlig

Der Bariton "Georg Nigl" (c) Bernd Uhlig

Georg Nigl hatte eine einfache und doch geniale Idee: Er bat verschiedene Komponistinnen und Komponisten, Lieder für ihn zu komponieren. Und das taten diese tatsächlich. Olga Neuwirth, Peter Eötvös, Wolfgang Rihm, Pascal Dusapin, Wolfgang Mitterer und Friedrich Cerha kamen Nigls Aufforderung nach und ermöglichten so dem jungen österreichischen Bariton, sich ein eigenes, ganz spezielles Konzertrepertoire aufzubauen. Eines, das ihm sozusagen auf die Stimme geschnitten ist.

Am 22.11. gelangten Cerhas und Mitterers Kompositionen im Rahmen des Festivals Wien Modern zur Aufführung und zeigten allein anhand dieser beiden Positionen, wie groß die Bandbreite der zeitgenössischen Kompositionen in dem beinahe schon vergessen geglaubten Genre des Liederabends ist.

Friedrich Cerha griff textlich auf Gedichte des Forum Stadtpark Mitbegründers Emil Breisach zurück, den viele vielleicht noch als ORF Intendant des Landesstudio Steiermark kennen. In diesen Kurzgedichten begibt sich der Autor auf sehr lyrisches Terrain. Er beschreibt darin die abendliche Stimmung in einem Zimmer genauso wie das flüchtige Liebesgefühl oder die unsichtbaren Ketten der Unfreiheit, die viele von uns umspannen, aber nur von wenigen, als solche wahrgenommen werden. Cerha verpackte diese Texte in eine musikalische Wundertüte namens Malinconia, aus der sie sich sanft einer nach dem anderen, umschmeichelt von der warmen, samtigen Stimme Nigls und dem weichen, zarten Posaunentönen von Walter Voglmayr in die Gehörgänge des Publikums schlichen. Friedrich Cerha gelang der Zaubertrick, die menschliche Stimme den Klängen der Posaune gleichwertig danebenzusetzen und dadurch ein ausgewogenes Gleichgewicht der beiden ansonsten so unterschiedlichen Instrumente zu erreichen. Die große Könnerschaft Voglmayrs trug maßgeblich dazu bei, Nigl auch nicht ein einziges Mal zu übertrumpfen, oder hinter dem Bariton in eine simple Begleitung zurückzufallen. Eine wunderbar ausgewogene Komposition, die das Kunstlied neu und eindrucksvoll definierte.

Im zweiten Programmteil war es Wolfgang Mitterer, der klar machte, dass er einen gänzlichen anderen Zugang zu diesem Thema pflegt. In seiner Komposition „Sturm“, geschrieben für Bariton, präpariertes Klavier und Electronics war Georg Nigl mit der Herausforderung konfrontiert, einem dichten Klangteppich, resultierend aus den eingesetzten Instrumenten, die Mitterer selbst spielte und bediente, seine Stimme oft kraftvoll dagegensetzen zu müssen. Dies geschah mehrfach, indem er sich nicht des Gesanges, sondern vielmehr eines Sprechgesanges bediente, in den er kurze, gesangliche Passagen einschob. Mitterers Klangwelt, die sich vor allem zu großen Teilen aus seinen ganz spezifischen, jedoch leicht wiedererkennbaren Electronikeinspielungen speist, stellte sich dabei nur manches Mal gleichberechtigt neben die Stimme Nigls, immer jedoch gleichberechtigt neben den Text. Dieser wurde aber in den wenigsten Fällen originalgetreu übernommen, sondern vielmehr auf weite Strecken verändert. Schubert goes DADA, so könnte man so manche neue Liedkomposition auf einen kurzen Nenner bringen, was gleichzeitig bedeutet, dass Liebhaber der beiden Schubert´schen Liedzyklen und anderer Lieder des Komponisten dieses Werk wahrscheinlich in zwei Lager spalten wird. Freunde experimenteller Musik, ohne Ressentiments gegenüber der Neubearbeitung von historischem Klangmaterial, kamen jedoch auf alle Fälle auf ihre Kosten. Wie Nigl „Dein ist mein Herz“ sarkastisch von der Bühne brüllte war witzig und beeindruckend zugleich. „Der Vater und das Kind“, das kurz darauf neu interpretiert wurde, zeigte sich so lyrisch und zart sowohl im Gesang als auch von Mitterer dementsprechend begleitet, dass man sich darin sofort verlieben konnte. „Es ist so schön, du süßes Herz“ hingegen forderte Mitterer – fast möchte man sagen – klarerweise dazu auf, Gegenposition einzunehmen und nicht Schönes an diesem Schönen zu lassen, sondern vielmehr klanglich ganz höllisch dazu aufzukochen. Und so, als ob er zeigen wollte, dass er auch das narrative Element beherrscht, begann es beim Bächlein, dass beschworen wurde Ruh`zu geben, fein zu zirpen und zu schmatzen. Heftiger Applaus zeigte im beinahe ausverkauften Baumgartner Casino, dass das Publikum nicht nur verstandesmäßig, sondern auch emotional dem akustisch so bunten Treiben auf der Bühne gefolgt war und seine Freude daran hatte.

Great Britain meets Austria

Great Britain meets Austria

Emiliy Howard (c) Mathew Seed

Emiliy Howard (c) Mathew Seed

Am Sonntag, dem 20.11., trafen im großen Saal des Konzerthauses britische und österreichische Kompositionen aufeinander. So standen den beiden Landesaltmeistern Harrison Birtwistle und Friedrich Cerha auch zwei junge Positionen gegenüber. Emily Howard und Gerald Resch waren ebenso mit Kompositionen vertreten, die das RSO unter James MacMillan zum Klingen brachte.

Erstaunlich war, wie beim Festival Wien Modern 2011 öfter schon festgestellt werden konnte, die Homogenität des gesamten Konzertes. Die Auswahl der Stücke, die zumindest in Teilen untereinander verwandt, oder zumindest befreundet schienen.

Spannend verlief der Abend deswegen, weil sich zeigte, dass Leises, Verhaltenes so atemberaubend wirken kann, sodass schon ein einziger Nieser aus dem Publikum an einer Stelle genügte, um diese konzentrierte Stimmung zumindest für einige Momente zu kippen.

Birtwistles „An imaginary landscape“, geschrieben für ein großes Blechbläseraufgebot, Kontrabässe und Percussion beeindruckte vor allem durch die Verhaltenheit in der Dynamik, die man bei dieser Besetzung überhaupt nicht erwartet hätte. Stück für Stück beschreibt der Komponist darin eine Landschaft, die sich verdichtet und wieder lockert. Man könnte die Komposition auch mit der Kartografierung einer weißen Landkarte vergleichen, in der Punkt für Punkt nacheinander eingezeichnet wird und so die Landschaft nach und nach zu einer Beschreibung gelangt. Die sphärische Auflösung am Schluss leitete wunderbar zu Emily Howards „Solar“ über. Eine Beschreibung unserer Sonne, die sie fast wie in einer Großaufnahme, in der man die Protuberanzen sehen kann, zeichnete. Einer farbigen Einleitung folgte der Aufbau einer großen Klangmasse, die sich schwer und fast träge weiterentwickelte, ohne jedoch je zu explodieren.

„Schlieren für Violine und Orchester“ von Gerald Resch, war das darauffolgende Stück betitelt, das nicht nur vom Publikum, sondern vor allem vom Solisten eine große Portion Aufmerksamkeit erforderte. Benjamin Schmid an der Violine zeigte mit unglaublicher Gelassenheit, dass man auch schwierige Passagen so spielen kann, als würden sie wie selbstverständlich über die Violinseiten wachsen. Wie symphonische Miniaturen hintereinander gereiht, setzt Resch diese wie auf eine Perlenschnur und übertitelt sie mit fließend, pochend und verspielt. Ganz wunderbar, wie er zu Beginn aus einem fast flirrenden Schwebezustand des gesamten Klangapparates die Geige sich langsam in den Vordergrund schieben lässt, bis sie solistisch stehen bleibt. Die verhaltene Spannung, die sich daraufhin bildete, ähnelte sehr jenem Zustand, mit dem zuvor Birtwistle schon beeindruckte – unter anderem jedoch mit dem Unterschied, dass Schmid mit einem Solo am Ende des 2. Satzes brillieren durfte, das zusätzlich durch Paukenschläge rhythmisiert worden war. Fast übergangslos ließ Resch die Musik in einen Tanzrhythmus gleiten, um schließlich eine kleine jazzige Geläufigkeitsübung im Soloinstrument anzuschließen. Bald schon stellte sich aber heraus, dass diese Sequenz nur die Aufwärmphase für die schwierige, abschließende Solopassage darstellte. Reschs Werk charakterisiert sich durch den Einsatz hoher musikalischer Intelligenz, die jedoch – wie bei ihm so oft – mit einer kompositorischen Augenzwinkerei versehen wird. Gerade diese Kombination macht die Arbeiten des jungen Komponisten so spannend, so sympathisch und herzerfrischend zugleich. Seine Musik ist eben nicht nur für den Kopf gemacht, aber weit davon entfernt, aus dem Bauch geboren worden zu sein.
Emily Howard, die an diesem Abend gleich mit zwei Arbeiten vertreten war, legte mit „Calculus oft he Nervous System“ ein Werk vor, in welchem sie sich von Ana Lovelace, der Tochter von Lord Byron, beeinflussen ließ, die als herausragende Mathematikerin galt. Auf eine überaus zarte Einführung – in der mehrere Generalpausen das Stück in die Schwebe erheben – kippt ihr Werk dramatisch, um kurz danach mit scharfen Einschnitten aufzuwarten. Diese für die Komposition so charakteristische duale Haltung endet nicht abrupt, wie man erwarten möchte, sondern in einer Art Endlosschleife von allerletzten Tönen und wiederum allerletzten Tönen und wiederum allerletzten Tönen… . Ein Werk, das man wegen seiner unglaublichen Einprägsamkeit beim zweiten Mal Hören sicher sofort wieder erkennen wird.

Der letzte Programmpunkt war Friedrich Cerhas „Wie eine Tragikomödie“ vorbehalten und wie immer bei seinen Kompositionen für großes Orchester, kommt das Publikum dabei klanglich voll auf seine Kosten. Durch dichte, hochdramatische Streicherklänge, die von Trommeln und Pauken unterstützt werden, schält sich eine aufsteigende Melodie heraus, die schließlich im Paukenwirbel kulminiert. Ihnen folgt die melodiöse Bratsche, die in Zwiesprache mit der gezupften Harfe tritt und alsbald von der Oboe abgelöst wird. Glockenschläge, wie von Ferne tauchen auf und begleiten das Stück, das sich schließlich in absteigenden Tonfolgen wieder in eine nervöse, dunkle Grundhaltung zurückmanövriert. Cerhas Kunst, ein Thema durch den gesamten Klangapparat laufen zu lassen, ohne dass auch nur einen Augenblick Langeweile aufkommt, ist aber noch von wesentlich stärkeren kompositorischen Elementen geprägt. So könnte man den Ablauf mit der Idee vergleichen, die Musik wie in eine große Reimform zu setzen. Was hier vielleicht abstrakt klingen mag, kann sinnlich – hörbar erfahren werden, wenngleich man für die tiefe Erkenntnis nicht ohne Partiturstudium auskommt.

Abschließend sei noch bemerkt, dass dieses Konzert, wie eingangs schon erwähnt, wie auch so manch andere während des Festivals Wien Modern, von einer ganz besonderen Sensibilität in der Zusammenstellung geprägt war. Diese kommt nur durch Kennerschaft der Werke zustande oder zumindest durch ein untrügliches Gefühl für Verwandtschaften und Gegensätze. Matthias Losek sei an dieser Stelle vor den Vorhang geholt!

Emiliy Howard (c) Mathew Seed

Emiliy Howard (c) Mathew Seed

Am Sonntag, dem 20.11., trafen im großen Saal des Konzerthauses britische und österreichische Kompositionen aufeinander. So standen den beiden Landesaltmeistern Harrison Birtwistle und Friedrich Cerha auch zwei junge Positionen gegenüber. Emily Howard und Gerald Resch waren ebenso mit Kompositionen vertreten, die das RSO unter James MacMillan zum Klingen brachte.

Erstaunlich war, wie beim Festival Wien Modern 2011 öfter schon festgestellt werden konnte, die Homogenität des gesamten Konzertes. Die Auswahl der Stücke, die zumindest in Teilen untereinander verwandt, oder zumindest befreundet schienen.

Spannend verlief der Abend deswegen, weil sich zeigte, dass Leises, Verhaltenes so atemberaubend wirken kann, sodass schon ein einziger Nieser aus dem Publikum an einer Stelle genügte, um diese konzentrierte Stimmung zumindest für einige Momente zu kippen.

Birtwistles „An imaginary landscape“, geschrieben für ein großes Blechbläseraufgebot, Kontrabässe und Percussion beeindruckte vor allem durch die Verhaltenheit in der Dynamik, die man bei dieser Besetzung überhaupt nicht erwartet hätte. Stück für Stück beschreibt der Komponist darin eine Landschaft, die sich verdichtet und wieder lockert. Man könnte die Komposition auch mit der Kartografierung einer weißen Landkarte vergleichen, in der Punkt für Punkt nacheinander eingezeichnet wird und so die Landschaft nach und nach zu einer Beschreibung gelangt. Die sphärische Auflösung am Schluss leitete wunderbar zu Emily Howards „Solar“ über. Eine Beschreibung unserer Sonne, die sie fast wie in einer Großaufnahme, in der man die Protuberanzen sehen kann, zeichnete. Einer farbigen Einleitung folgte der Aufbau einer großen Klangmasse, die sich schwer und fast träge weiterentwickelte, ohne jedoch je zu explodieren.

„Schlieren für Violine und Orchester“ von Gerald Resch, war das darauffolgende Stück betitelt, das nicht nur vom Publikum, sondern vor allem vom Solisten eine große Portion Aufmerksamkeit erforderte. Benjamin Schmid an der Violine zeigte mit unglaublicher Gelassenheit, dass man auch schwierige Passagen so spielen kann, als würden sie wie selbstverständlich über die Violinseiten wachsen. Wie symphonische Miniaturen hintereinander gereiht, setzt Resch diese wie auf eine Perlenschnur und übertitelt sie mit fließend, pochend und verspielt. Ganz wunderbar, wie er zu Beginn aus einem fast flirrenden Schwebezustand des gesamten Klangapparates die Geige sich langsam in den Vordergrund schieben lässt, bis sie solistisch stehen bleibt. Die verhaltene Spannung, die sich daraufhin bildete, ähnelte sehr jenem Zustand, mit dem zuvor Birtwistle schon beeindruckte – unter anderem jedoch mit dem Unterschied, dass Schmid mit einem Solo am Ende des 2. Satzes brillieren durfte, das zusätzlich durch Paukenschläge rhythmisiert worden war. Fast übergangslos ließ Resch die Musik in einen Tanzrhythmus gleiten, um schließlich eine kleine jazzige Geläufigkeitsübung im Soloinstrument anzuschließen. Bald schon stellte sich aber heraus, dass diese Sequenz nur die Aufwärmphase für die schwierige, abschließende Solopassage darstellte. Reschs Werk charakterisiert sich durch den Einsatz hoher musikalischer Intelligenz, die jedoch – wie bei ihm so oft – mit einer kompositorischen Augenzwinkerei versehen wird. Gerade diese Kombination macht die Arbeiten des jungen Komponisten so spannend, so sympathisch und herzerfrischend zugleich. Seine Musik ist eben nicht nur für den Kopf gemacht, aber weit davon entfernt, aus dem Bauch geboren worden zu sein.
Emily Howard, die an diesem Abend gleich mit zwei Arbeiten vertreten war, legte mit „Calculus oft he Nervous System“ ein Werk vor, in welchem sie sich von Ana Lovelace, der Tochter von Lord Byron, beeinflussen ließ, die als herausragende Mathematikerin galt. Auf eine überaus zarte Einführung – in der mehrere Generalpausen das Stück in die Schwebe erheben – kippt ihr Werk dramatisch, um kurz danach mit scharfen Einschnitten aufzuwarten. Diese für die Komposition so charakteristische duale Haltung endet nicht abrupt, wie man erwarten möchte, sondern in einer Art Endlosschleife von allerletzten Tönen und wiederum allerletzten Tönen und wiederum allerletzten Tönen… . Ein Werk, das man wegen seiner unglaublichen Einprägsamkeit beim zweiten Mal Hören sicher sofort wieder erkennen wird.

Der letzte Programmpunkt war Friedrich Cerhas „Wie eine Tragikomödie“ vorbehalten und wie immer bei seinen Kompositionen für großes Orchester, kommt das Publikum dabei klanglich voll auf seine Kosten. Durch dichte, hochdramatische Streicherklänge, die von Trommeln und Pauken unterstützt werden, schält sich eine aufsteigende Melodie heraus, die schließlich im Paukenwirbel kulminiert. Ihnen folgt die melodiöse Bratsche, die in Zwiesprache mit der gezupften Harfe tritt und alsbald von der Oboe abgelöst wird. Glockenschläge, wie von Ferne tauchen auf und begleiten das Stück, das sich schließlich in absteigenden Tonfolgen wieder in eine nervöse, dunkle Grundhaltung zurückmanövriert. Cerhas Kunst, ein Thema durch den gesamten Klangapparat laufen zu lassen, ohne dass auch nur einen Augenblick Langeweile aufkommt, ist aber noch von wesentlich stärkeren kompositorischen Elementen geprägt. So könnte man den Ablauf mit der Idee vergleichen, die Musik wie in eine große Reimform zu setzen. Was hier vielleicht abstrakt klingen mag, kann sinnlich – hörbar erfahren werden, wenngleich man für die tiefe Erkenntnis nicht ohne Partiturstudium auskommt.

Abschließend sei noch bemerkt, dass dieses Konzert, wie eingangs schon erwähnt, wie auch so manch andere während des Festivals Wien Modern, von einer ganz besonderen Sensibilität in der Zusammenstellung geprägt war. Diese kommt nur durch Kennerschaft der Werke zustande oder zumindest durch ein untrügliches Gefühl für Verwandtschaften und Gegensätze. Matthias Losek sei an dieser Stelle vor den Vorhang geholt!

Präzise heißt nicht blutleer

Präzise heißt nicht blutleer

Harrison-Birtwistle

Harrison Birtwistle (c) Hanya Chlala

Den Briten wird per se eine etwas noble Unterkühltheit im sozialen Umgang attestiert. Würde dies stimmen, müsste sich dies auch in den zeitgenössischen Kompositionen ausdrücken. Wie man aber am 31. Oktober im Konzerthaus in Wien feststellen konnte, so ist diese Vorstellung in keiner Weise deckungsgleich mit der Realität. Das Ensemble London Sinfonietta unter dem Dirigenten Franck Ollu bewies nämlich genau das Gegenteil. Was das Kammerorchester allerdings auch zeigte: Zeitgenössische Musik erfordert Präzision, wird aber nur dann zum Ereignis, wenn sie mit Herzblut gespielt wird. Und das war unbestritten der Fall. Auf dem Programm standen 5 Kompositionen zeitgenössischer, britischer Komponisten. Allen voran – weil er als Altmeister der zeitgenössischen Musik auf der Insel gilt – Harrison Birtwistle. Dem 1934 Geborenen ist beim Festival Wien Modern ja neben Friedrich Cerha ein Themenschwerpunkt gewidmet, was aufmerksamen Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit bietet, Parallelitäten oder auch Unterschiede der beiden Komponisten zu entdecken.

Und Ehre wem Ehre gebührt – soll an dieser Stelle seine Komposition als erste zu ihrem beschriebenen Recht kommen. Sein Stück Silbury Air, geschrieben für Kammerensemble im Jahr 1977, beeindruckte massiv. Nicht nur die Kritikerin, sondern das gesamte Publikum, dass dementsprechend akklamierte. Sein im 2/4 Takt angelegter Auftakt, ganz zu Beginn beinahe wie das Ticken einer Uhr wahrnehmbar, wandelt sich im Laufe des Stückes hin bis zu einer stampfenden Rhythmik, um ganz zum Schluss in einem wiederum zarten, metrisch bestimmten Abgesang noch einmal leise aufzutauchen. Zwischen dem Anfang und dem Ende gelang Birtwistle nicht nur ein schönes und mitreißendes Stück, sondern zugleich zeugt es von hoher Intelligenz sowie wunderbarem Verständnis, was den Einsatz der Instrumente betrifft. Allen voran konnte der exzellente Schlagwerker sein Können unter Beweis stellen. Von ihm hingen viele Einsätze ab, die wegen der komplexen, manches Mal ineinander verschachtelten Rhythmik punktgenau kommen mussten. Gekennzeichnet war das Stück sowohl von einem vollen Orchesterklang bis hin zu einer Reduktion der Stimmen, in welcher der vorgegebene Marschrhythmus nur mehr schwingend erahnbar war. Aber auch die immer wieder kehrenden, harten Trommelschläge, die einzelne Passagen beendeten, konnte man schon mit schöner Regelmäßigkeit wieder erwarten. Der Schluss, den Birtwistle selbst als Air bezeichnete, als ein kleines, musikalisches Stück mit melodiösem Grundcharakter, verzauberte die Stimmung komplett und ließ all die Macht und Genauigkeit, all das Voluminöse und Akkurate, all das Laute und Plakative im Nu hinter sich. Die Musik verschwand, ja tropfte förmlich aus und hinterließ mit den letzten Harfenklängen einen lang wirkenden Nachhall, den das Publikum bis ins letzte Hinein genoss.

Mit George Benjamin (*1960 in London), Luke Bedford (*1978 in Wokingham), Simon Holt (*1958 in Bolton) sowie Thomas Adès (*1971 in London) beherrschten vier weitere, jedoch wesentlich jüngere Komponisten das weitere Geschehen des Abends. George Benjamins „First Light“ von 1982 – ein Werk das er als 22jähriger geschrieben hat – erwies sich als sehr komplex und zeigte mannigfaltige musikhistorische Querverweise. Es stellt den Versuch dar, ein Bild von William Turner zu beschreiben, der darin mündet, die Komposition weit darüber hinaus mit der Musikgeschichte zu verbinden, in der Benjamin ja nicht der erste ist, der sich an Bildbeschreibungen abgearbeitet hat. Es kann kein Zufall sein, dass seine scharfen Trompetenstöße, seine klagenden Klarinetteneinsätze oder die helle Flötenstimme unweigerlich Assoziationen zu Mussorgskys Ausstellungszyklus erweckt, überraschender hingegen wirkt eine kurze Passage, die klanglich ganz nahe an der zweiten Wiener Schule steht. Als ob er aber auch noch den Beweis abliefern müsste auch die zeitgenössische Kompositionstechnik erforscht zu haben, kommen, wenn auch sehr sporadisch, aber doch, Alltagsklänge zum Einsatz. Dann nämlich, wenn der Schlagwerker zum Beispiel eine Zeitung zerreißt, oder einen kleinen Tischtennisball mehrfach auf hartem Untergrund aufhüpfen lässt. Spätestens diese kleinen Verweise, die das Publikum in Sekundenschnelle ganz sensibel auf die folgenden Klangphänomene macht sind Hinweise zumindest auf die Entstehungszeit der Komposition. Nicht jedoch auf Benjamins Alter, denn eine Arbeit wie diese möchte man kaum als Jugendwerk einstufen.

Luke Bedford, dessen Werk „Man Shoots Strangers vom Skyscrapers“ aus dem Jahr 2002 im Anschluss erklang, wählte, wenn man so möchte, im Hinblick auf den Ausgangspunkt seiner musikalischen Überlegungen, mit einem Kammerorchester eigentlich ein anachronistisches Medium. Immerhin nahm er sich Luis Buñuels „Das Gespenst der Freiheit“ als Ausgangsbasis seiner Komposition vor. Jenen Film, in welchem ein Unbekannter von Hochhäusern aus wahllos auf Passanten schießt. Es gelingt ihm, aus dem Kammerorchester einen unglaublich dichten, wogenden, melodischen Klang zu zaubern, der akustisch ein wesentlich größeres Ensemble evoziert. Immer wieder treten einzelne Stimmen daraus hervor, bis durch scharfe, immer wiederkehrende Tuttisalven die Leichtigkeit, ja beinahe Unbekümmertheit der Stimmung in eine Bedrohung umschlägt, die nicht mehr abgeschüttelt werden kann. Der in Wien anwesende, sehr sympathisch wirkende Komponist, schuf mit diesem kurzen Stück aber mehr als nur die Kurzfassung einer Filmbeschreibung. Vielmehr lässt er an jene Schicksalsmomente denken, die manche von uns aus heiterem Himmel wie Keulen treffen und nach denen nichts mehr so ist, wie es zuvor einmal war. Man kann gespannt sein, was die Zukunft Bedfords noch bringen wird.
Simon Holts „Lilith“ aus dem Jahr 1990 wurde aus kleinen, fast miniaturhaften Themen entwickelt, die in ihren Variationen ein ständiges Vorantreiben des Stückes bewirkten. Begleitet von extrem harten, stakkatierenden Harfenklängen, durchliefen diese Miniaturen das gesamte Ensemble, bis die Oboe die Kraft der Harfenschläge übernahm. Nur kurz dauerte der daraufhin einsetzende, ruhige Mittelpart, in dem das Publikum sich von der Wucht der Instrumentaleinsätze und der Rastlosigkeit des Geschehens erholen konnte, um bald darauf mit einem abermals dramatischem Aufbrausen konfrontiert zu werden. Ganz im Gegensatz zu Birtwistles Stück gestaltete der junge Komponist seinen Schluss dramatisch. Nach einer sirenenhaften Ballung aller Stimmen, sowie einem abermaligen scharfen Oboensolo und einem harten Harfenklang verstummte das Orchester und hinterließ damit eine unaufgelöste Spannung.
„Living Toys“, das opus 9 von Thomas Adès, komponiert im Jahr 1993, stellte am Schluss des Konzertabends eine schöne Klammer dar, die sich vor allem im Hinblick auf Holt und Birtwistle als interessanter Vergleich erwies. Das 17minütige Stück ist in 5 Teile gegliedert, das, laut Konzertbeschreibung, Anagramme des Wortes battle beinhaltet. Das Spiel mit den Worten battle, balett und tablett – war zwar in der Komposition akustisch nicht mehr wahrnehmbar. Dennoch überzeugt diese mit ihren ständig wechselnden Stimmungen. Zu Beginn gleich verschmolzen viele kleine Zitate zu einer nervösen Verfassung, die besonders durch den differenziert Einsatz von vielen Perkussionsinstrumenten, aber auch dem zusätzlichen Klatschen einzelner Musiker, gekennzeichnet war. Diesem Auftakt folgten jazzige Anklänge durch die Trompete, die mit dem Einsatz von einem Dämpfer besonders plakativ ausfiel. Die Antwort des Ensembles, überraschenderweise jedoch in einer ganz anderen musikalischen Sprache, blieb nicht aus und als ob es auf die Kraft des Blasinstrumentes ein adäquates Gegenmittel setzen hätte wollen, eskalierte und verdichtete sich der Klang zusehends. Wie auf einer Schaukel wiederholte sich diese Eskalation und Deeskalation noch einmal, verblüffte jedoch dazwischen mit einer fast romantischen Einlage, die vom immer beeindruckenden tiefen Klang des Fagotts unterlegt war. Ein dumpfer Paukennachhall, nachdreimaligem orchestralem Aufschrei, beendete das Stück.
Das besonders Interessante dieses Konzertabends war die Tatsache, dass alle Komponisten mit ihren Werken ganz im Rahmen des herkömmlich tradierten Gebrauches der Instrumente arbeiteten. Bis auf kleine Ausnahmen blieben sie dabei, die jeweiligen Klangeffekte der Instrumente beinahe schon historisch zu nutzen. Einzig die Kompositionen selbst, in denen es an Ideenvielfalt nicht mangelte, stellten den Bezug zu unserer Jetztzeit dar. Eine gelungene Demonstration, dass der Konzertsaal und das Kammerorchester nach wie vor noch eine Rolle im zeitgenössischen Musikgeschehen einnehmen.
Ein Abend, an dem man sich wünschte, viel mehr Zeit für die einzelnen Kompositionen zu haben, um das Paket an Informationen, das jede einzelne in sich trägt, noch besser zu entschlüsseln und genießen zu können.

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