Hurra – es ist alles trostlos

Hurra – es ist alles trostlos

Rollercoaster „Zeitgeist“ – alles einsteigen und anschnallen bitte: Garantiert wird eine große Portion Weltungergangsgefühl, eine Tragikomödie aus dem fast richtigen Leben und eine Prise Absurdität. Wer hier nicht schwindelig nach Hause geht, ist selber schuld!

Man muss sich ein Gerüst so vorstellen - Garage X Wien

Christina Scherrer, Johannes Schüchner (Foto: Yasmina Haddad)

Diese Aufforderung hätte getrost über der Eingangstür zum Theaterraum der Garage X stehen können, die gestern unter dem Titel „Startguthaben – das richtige Leben im dritten A“ zum jährlichen Nachwuchsprojekt lud. Der Abend, in Koproduktion mit dem Institut für Sprachkunst der Universität für angewandter Kunst in Wien auf die Beine gestellt, ließ 3 AutorInnen sowie 3 Regisseurinnen zu Wort kommen. Oder besser sollte es wohl heißen „zu Wörtern kommen“. Denn diese mussten innerhalb von 2 Wochen geschrieben und in weiteren 2 Wochen mit den SchauspielerInnen erarbeitet werden. Theaterarbeit vom Fließband halt – man lernt ja schließlich fürs „richtige Leben“ da draußen. Und da muss es – wir wissen es alle – fix gehen! Einmal quer durch die zeitgeistige Befindlichkeit, mal kurz auf den Stapel von bereits Veröffentlichtem geschielt, und schon waren sie da, die drei „Einakter“, die den Thrill am Beginn der Berufslaufbahn bilden. Und verstecken müssen sich alle drei nicht. „Man muss sich ein Gerüst so vorstellen“ von Elisabeth Mundt, fischt über eine lange Strecke in den Gewässern, in denen sich nur der Weltuntergang spiegelt – und für die es auch bekannte, höchst aktuelle Vorbilder gibt. PeterLicht wäre eines davon, um nur jenen Protagonisten zu nennen, der in dieser Saison mit seiner „ Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends.“ im Schauspielhaus die Welt beinahe untergehen ließ. Wie er setzt Mundt das Publikum mitten hinein in eine soeben verwüstete Welt. Da liegt noch dicker Staub auf allen Straßen und das Knacken der Knochen, die brechen, ist in die Stille hinein zu hören. Auf einer schneeweißen Bühne, dicht an dicht mit weißen Plastikhockern zugestellt, erklärt ein junges Pärchen sich und dem Publikum, wie das so war, als es noch schön war auf dieser Welt und wie es jetzt so ist, mitten im Desaster. In einer Zerstörung, in der nicht einmal mehr die Beruhigungen der allmächtigen Staatsgewalt mehr etwas nützen. Dabei lassen die beiden jungen Leute ein Bild einer Stadt vor dem geistigen Auge entstehen, in welchem es von Gerüsten nur so wimmelt. Von Gerüsten, die gefüllt werden müssen mit stabilen Bauten – letztendlich aber dennoch in sich zusammenstürzen. Eine gelungene Metapher für den Zustand unserer Konsumgesellschaft, in jener Zeit, in der der Kapitalismus allenthalben hinterfragt wird, aber bislang noch keine tragfähigen Gegenentwürfe auf dem Tisch liegen die – und das muss heute schon sein – wieder global greifen könnten. Christina Scherrer und Johannes Schüchner hanteln sich anfänglich ängstlich und unbeholfen über das, was noch an begehbarem Stadtmaterial da ist, geraten angesichts der Aussichtslosigkeit ihres Daseins in größten Beziehungsstress, um – Ende gut, alles gut, doch noch zueinander zu finden und von einer neuen, gemeinsamen Zukunft zu träumen. Wenn auch in einem höchst instabilen Zustand, auf der Spitze eines Plastikhockerturmes fest aneinandergeklammert. Anna Katharina Winkler schaffte es in ihrer Inszenierung, die Fragilität unseres Planeten in einem eindrucksvollen Spiel mit dem Ungleichgewicht zu veranschaulichen und die Menschen dennoch als Wesen zu determinieren, die eine enorme Kraft vorweisen können – die Hoffnung.

Schwitzen - Garage X

Mirko Roggenbock, Bernhard Dechant, Patrick Seletzky (Foto: Yasmina Haddad)

Rosemarie Pilz zeigte einen anderen Blick auf die Welt im Jahre 2012 und ihre Herausforderungen. In ihrem Stück „Schwitzen“ haben sich Piet, Père und Pax – drei Freunde aus Kindertagen – zu Jungunternehmern gemausert, die versuchen, sich im Grundrauschen der globalen Konsumgesellschaft Gehör zu verschaffen. Ihre Mittel sind dazu zwar höchst ungeeignet und unausgesprochen sie sind sich dessen auch bewusst. Dennoch darf nicht sein, was nicht sein darf – und so werden Geschäftspläne geschmiedet, was das Zeug hält, oder zumindest die jeweilige Persönlichkeit. Der spritzig, witzige Text strotzt nur so von Humor, der, unterstützt durch die brillanten Einfälle von Susanne Egger, punktgenau das Lachzentrum des Publikums trifft. Wenn das geballte Testosteron allzu hoch aufzuwallen beginnt und sich die Freunde am Boden balgen ist immer einer der noch mahnen kann „bloß keine Konkurrenz“ aufkommen zu lassen. Piets Idee, Schlafsäcke für Obdachlose zu produzieren, die tagsüber auch als Jacken getragen werden können, Pères „Lichtschutzfactory“, in der man sich individuelle Bräune angedeihen lassen kann und das Seminarangebot von Pax, in dem man lernen kann, zu seinen schlechten Eigenschaften zu stehen, bestehen aus nicht viel mehr als aus spätpubertierenden Träumen, sich mit eigener Kraft sein Leben bestreiten zu können. Neben der literarischen Glanzleistung bestechen Bernhard Dechant, Mirka Roggenock und Patrick Seletzky, die vom Typus her nicht unterschiedlicher sein können, mit ihrem schauspielerischen Leistungen. Ein Trio, das man wahrlich öfter in dieser Konstellation sehen möchte – mit Texten von Rosemarie Pilz. Diese Kombination hat das Zeug zum gehobenen TV-Entertainment!

Jolt - Garage X

Marion Reiser, Martin Schwanda (Foto: Yasmina Haddad)

Den Abschluss des Abends bildete Jakob Kraners Stück „Jolt“. Im Deutschen ein nichtexistentes Wort bedeutet es auf Englisch „aufrütteln“, „sich einen Ruck geben“ und tatsächlich könnten beide Interpretationen Rückschlüsse auf den Inhalt des Stückes geben. Wieder ist es ein Paar, das versucht, sich durch sein Leben zu schlagen, in das es bewusst oder versehentlich geraten ist, und in welchem es zu ersticken droht. Als Angestellte arbeiten sie in einem Büro und verrichten letztlich völlig sinnentleerte Tätigkeiten wie Papierstapel von einer Tischseite auf die andere zu schlichten, Papierflieger- und –boote zu basteln und sich zwischendrin von Frau Zufall und Missgeschick ärgern zu lassen, die in Gestalt einer androgynen Figur auftritt und ohne Worte den so perfekten Arbeitsablauf immer wieder unterbricht. Um dieses eintönige Leben ertragen zu können kommen sie auf die Idee, Mutter Natur anzurufen – die schwups – als Plastik-Grasziegel mit integrierten Margeriten auf ihrem Schreibtisch abgelegt wird. Aber die ist doch noch nicht die endgültige Erfüllung und so wird der Gedanke geboren, sich neuen Input beim Kennenlernen anderer Kulturen zu holen. Der giftgrüne Buddha, der prompt auf die Bühne bugstiert wird, bringt zwar kurzzeitig Erleichterung, aber dennoch fehlt den beiden etwas. Auch ihre Liebesaffäre gleitet letztlich in das Gefühl etwas zu leben, das millionenfach vorgelebt, schließlich doch nur in der Routine endet und der Traum vom Chaos, bei welchem man die allgemeine Ordnung nicht wieder herstellen kann, bleibt letztendlich nur ein Traum. Der intelligente, pseudo-philosophische Text ergibt in der Bühnenumsetzung von Hannan Ishay eine grandiose Mischung aus absurdem Theater und Slapstick. Und abermals sind es die SchauspielerInnen, die man extra „vor den Vorhang“ holen muss. Marion Reiser, Martin Schwand und Stefanie Sourial spielen auf Teufel komm raus und man möchte das Stück nach diesem unglaublichen psychologischen Augenfutter, das sie anbieten, gerne noch verlängern. Starguthaben – Das Richtige Leben im Dritten A – pendelt in seinen drei Stücken tatsächlich zwischen den Polen des Turbokapitalismus und einer kaschierten Diktatur, in der sich die unsichtbare Hand von Adam Smith mit ihren positiven Auswirkungen im Moment leider nicht und nicht offenbaren will. Zumindest ein Trost bleibt an diesem Abend: Es gibt eine ganze Reihe von jungen Kreativen, die mit ihrem Elan und ihren Ideen das Zeug dazu haben, kleine Bausteine zur Gesellschaftsveränderung beizutragen – und das ist der wahre Lichtblick.

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