Die Wiederentdeckung Robert Neumanns

Die Wiederentdeckung Robert Neumanns

text Robert Neumann Bildrechte Imagno Barbara Pflaum

Robert Neumann (c)Imagno Barbara Pfaum

Milde lächelt der weißhaarige Herr in die Kamera, wohl im Wissen, dass ihn dieses Foto überdauern würde. Dass hinter dieser Fassade auch ein milder Charakter steckte – wer dies denkt, der hat sich wohl gründlich getäuscht.

Drei ausgewiesene Literaturgrößen und eine Theatermacherin zusammen auf einem Podium – diese Mixtur sollte Garant genug sein, um das umfassende, literarische Werk von Robert Neumann (geb.1897 in Wien, gest.1975 in München) einem größeren Publikum in Österreich bekannt zu machen. Dass die Gastgeberin Anna Maria Krassnigg alle Beteiligten (den Herausgeber der Reihe WIENER LITERATUREN Alexander Kluy, dieLiteraturwissenschaftlerin Evelyne Polt-Heinzl sowie Franz Stadler, den Herausgeber der Robert-Neumann-Nachlass-Edition) wie Figuren eines Schachspieles am 9. Oktober im Salon 5 auf einem imaginären Spielfeld vereinte, kann wohl als weit vorausblickender Spielzug gewertet werden.

Die mediale Aufmerksamkeit – von jener des anwesenden Publikums gar nicht zu sprechen – war ihr mit der Veranstaltung zu Beginn dieser Woche im Salon 5 gewiss. Offenkundig verfolgte Krassnigg als Theatermacherin dabei nicht nur die Intention, den vergessenen Autor Robert Neumann neu zu entdecken, sondern nutzte den Abend legitimerweise auch, um auf das von ihr inszenierte Stück „Die Kinder von Wien“aufmerksam zu machen, das im kommenden Jahr in einer Produktion der Wiener Festwochen aufgeführt wird. Alles in allem also eine strategisch wohldurchdachte Veranstaltung, die noch dazu mit einem sinnlichen Genuss gewürzt war. Verantwortlich dafür zeichnete der Schauspieler Martin Schwanda, von Krassnigg immer wieder gerne und zu Recht eingesetzt, der mit vielen verschiedenen Ausdrucksfacetten gesegnet, ca. 40 Minuten aus dem soeben erschienen Buch „Die Hochstaplernovelle“ von Robert Neumann las. Mit Verve, Witz, viel Augenzwinkern, mit gespielter Gelassenheit trotz hoher Anspannung und Konzentration gelang ihm ein wahres Meisterstück. Er verlieh dem Ich-Erzähler, der unter dem Namen von Lord Chesterton von einem Hochstaplerabenteuer ins nächste fällt, nicht nur ein Gesicht – sondern vielmehr einen nachvollziehbaren Charakter. Mehr als gekonnt traf er nicht nur einmal den richtigen Ton, galt es dabei doch mehrere völlig unterschiedliche Personen rein stimmlich im Raum zu platzieren. Dabei wurde deutlich, dass Neumann dem Text nicht nur viele psychologischen Pfade aufsetzte, denen man unweigerlich folgen muss. Er schaffte es auch – so als sei dies ein Kinderspiel – diesen mit einer sich stetig steigernden Rhythmik zu unterlegen, die einem letztlich schier den Atem raubt. Dies sei übrigens ein typisches Merkmal der Literatur eben jener Zeit, in der „ Die Hochstaplernovelle“ entstand, bemerkte Alexander Kluy, dem mit der Herausgabe des schmalen Bändchens bereits die dritte Veröffentlichung der Reihe LITERATUREN in der Edition Atelier gelang. Das Konzept der Reihe ist schnell erklärt: Kluy verlegt Bücher aus, in oder über Wien und musste bei der Neumann´schen Novelle nicht lange überlegen.

Dass das kleine Buch ausgerechnet jetzt das Licht der Welt erblickte, mag wohl auch ein wenig dem Zeitgeist geschuldet sein, der jenem aus der Novelle selbst nicht unähnlich ist. Die wirtschaftlich schwierige Zeit, die dazu prädestiniert ist Hochstapler in vermehrtem Maße hervorzubringen, lässt sich gut mit den 20er und 30Jahren des vorigen Jahrhunderts vergleichen, in welchen die Novelle spielt. Neumanns Sprache, der sich als Literat der neuen Sachlichkeit verstand, ist gerade in diesem Werk alles andere als sachlich. Kluy kreierte an dem Abend im Salon5 dafür das Attribut „schwandesk“ im Hinblick auf die beeindruckende Lesung von Martin Schwanda. Als kleines Beispiel der Neumann´schen Sprachakrobatik sei hier ein Absatz wiedergegeben, der zeigt, wie es der Autor schaffte, eine Orts- und Stimmungsbeschreibung in Sätze zu gießen, die mehr an Malerei denn an Literatur erinnern:

„Ein Landhaus…, ein Jagdhaus, am Rand des Ruinenfeldes und nah dem Strand in die alten Mauern gebaut. Da stand es in einem Garten, dessen verwilderte Palmenkulturen sich im Steilsturz der Küste verloren, da stand es, da lag´s wie ein Tier, geduckt und wuchtend in schon gesunkener Dunkelheit. Stockwerk und Dachgeschoß schwiegen schwarz. Aber zu ebener Erde waren alle Fester erhellt; da klirrten lichtgrell und schattenüberflattert die Scheiben. Zu ebener Erde in allen Räumen des weitläufigen Baues wurde getanzt. Stampfen, Lärm, Gelächter, Musik spritze weit hinaus in lauschendes Bäumeragen und Blattgrün, da wir ins Tor traten.“

Und doch kann die hier ausgewählte Stelle keineswegs dafür herangezogen werden, Texte von Robert Neumann stilistisch in eine bestimmte Schublade abzulegen. Viel zu inhomogen war dafür sein Schreibstil. Seiner Begabung, andere Autoren zu imitieren, verdankte er seinen raschen Ruhm. Mit den beiden Bänden „Mit fremden Federn“ und „Unter falscher Flagge“ die als Parodiensammlungen auf Zeitgenossen aber auch historische Schriftsteller gelabelt wird, gelang ihm der Durchbruch als Schriftsteller. Lange jedoch konnte er sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, der Nationalsozialismus zwang den Schriftsteller jüdischer Herkunft zur Emigration. Die Tatsache, dass Neumann in seiner zweiten Heimat England auch in Englisch schrieb wurde später, zurückgekehrt nach Österreich, mehr als Makel denn als Leistung gewertet. Diese Umstände, aber auch familiäre – seine Frau starb kurz nach ihm, sein Sohn schon zu seinen Lebzeiten – ergaben wohl die Summe jener Faktoren, die dafür verantwortlich waren, dass der Autor fast völlig vergessen wurde. Ein an der Salzburger Universität vergangenes Jahr abgeschlossenes Forschungsprojekt zur Aufarbeitung des umfangreichen Nachlasses von Robert Neumann kam spät, aber doch. Menschen, wie die charismatische Anna Maria Krassnigg, die den Schriftsteller als „Kontinent“ beschreibt, als Kontinent, der ob seiner immensen Größe niemals ausgelotet werden kann, ist es zu verdanken, dass nun wohl mehr Literaturliebende als bisher sich mit dem Werk des streitbaren Neumann beschäftigen werden.

Mag das Lächeln auf dem Schwarz-Weiß-Foto auch mild erscheinen – „es gab nicht viele Zeitgenossen, mit denen er es sich nicht verscherzt hatte“ (O-Ton Evelyne Polt-Heinzl). Robert Neumann war nicht nur ein Vielschreiber, sondern vor allem ein sehr streitbarer Zeitgenosse. So schrieb Rudolf Walter Leonhardt in einem Artikel in der „Zeit“ im Jahre 1962 sogar von der Gruppe der „Anti-Neumannianer“. Schon die Überschrift „Soll man Robert Neumann drucken? Haß und Liebe, Feuilletonismus und Genius, Bosheit und Weisheit: ein schwieriger Mann“ macht deutlich, wie sehr der Literat die Meinung seiner Zeitgenossen spaltete. Auch dies mag seinen Namen davor bewahrt haben, in den teils zweifelhaften Olymp des Literaturkanons des 20. Jahrhunderts aufgenommen worden zu sein. Die „Hochstaplernovelle“ bietet jedenfalls einen wunderbaren, ersten Einstieg in jenen Literaturzug, welcher den Kontinent Robert Neumann bereist. Dass dabei mangels Neuauflagen, noch viele Zwischenstationen in der Bücherei gemacht werden müssen – sollte niemanden davon abhalten, diese Reise zu beginnen.

Lesenswerter Beitrag über Robert Neumann und sein Werk:
https://www.welt.de/print-welt/article637544/Ein-Meister-der-geistvollen-Camouflage.html

Wie man leben muss

Wie man leben muss

Ein Stück, geschaffen wie für ein Kammertheater mit kleinem Ensemble, wird derzeit im Salon 5 in Wien gezeigt. „Camera clara oder Wie man leben muss“ ist eine Koproduktion mit „Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und Drama Shop und entstammt der Feder von Anna Poloni.

Jens Ole Schmieder und Luc Feit als Karl und Franz in dem Stück Camera Clara von Anna Poloni

Karl (Jens Ole Schmieder) und Franz (Luc Feit) im Stück Camera Clara - Foto: (c) Bohumil Kosthohryz

Viel hat man von der Autorin bisher noch nicht gehört, umso erstaunlicher ist der in sich geschlossene, kunstvolle und reife Text. Die Handlung ist rasch erzählt: Ein Geschwisterpaar, Marek (Martin Schwanda) und Karen (Petra Gstrein) verbringen aufgrund der Weigerung des Bruders die Wohnung zu verlassen, ihr Leben abgeschottet von der Umwelt. Wäre da nicht Karens Beruf sowie das große Fenster, von welchem aus ihr Bruder beginnt, das Treiben im gegenüberliegenden Gastgarten zu fotografieren. Dort agiert seine Schwester als Lockvogel und versucht so, durch die Kamera ihres Bruders von der Ferne immer beobachtet, sich ein kleines Stück Freiheit zu erobern. Dieser ist jedoch nicht gänzlich unbeteiligter Zuseher, der Momentaufnahmen macht, sondern beginnt, anfangs unmerklich, dann immer stärker Regie im geschwisterlichen Zusammenleben zu führen. Dabei berät er Karen auch bei der „Kostümwahl“ und bittet sie, um besser auf den Fotos erkannt zu werden, immer etwas „Türkises“ zu tragen. Karen, im Gegensatz zu Marek extrovertiert, leidet unter der Enge der häuslichen Gegebenheiten und kommt schließlich auf die Idee, die Fotos ihres Bruders Galeristen zu zeigen. Diese, Franz (Jens Ole Schmieder) und Karl (Luc Feit) scheuen sich nicht, mit ihr ein Verhältnis anzufangen. Beide verheiratet, versuchen so, an die Bilder von Marek heranzukommen, der sich dem „Kunstbetrieb“ völlig verweigert. Auf dramatische Art und Weise beginnt sich das Geschehen plötzlich gegen die vermeintliche Familienidylle des Geschwisterpaares zu wenden, und am Schluss des Abends bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Psychologische Abgründe eröffnen sich, als Karen plötzlich dahinter kommt, dass ihr Bruder ein Doppelleben geführt hat und der Liebhaber mehrerer Frauen war. Das bis dahin traute inzestuöse Geschehen ist nicht mehr reparabel und der Schluss – zumindest in der Bühnenfassung unter der Regie von Anna Maria Krassnigg – tiefschwarz.

Die Autorin vermeidet in ihrem Text allzu rasche Festlegungen, welche die einzelnen Charaktere als gut oder böse kennzeichnen würden. Vielmehr agiert jeder von ihnen wie aus einem inneren Zwang heraus, getrieben von Motivationen, die multiple Ursachen zu haben scheinen, aber nur beiläufig blitzlichtartig zu erkennen sind. Durch die Konstruktionen ihres eigenen Seins verstricken sie sich in Handlungen, die sie selbst im Grunde ihres Herzens nicht gut heißen. Dennoch funktioniert der Mechanismus der Verdrängung bei den meisten von ihnen bestens. Wie sehr der Zugang zur eigenen Urteilsfähigkeit, zur Radikalität mit sich und den anderen bei den Protagonisten außerhalb der Geschwistergemeinschaft fehlt, zeigt eine Aussage von Franz, der Karen und ihren Bruder als jemand beschreibt, bei dem etwas nicht stimmt. „Es ist skandalös – sie lügen einfach nicht!“ stellt er ungläubig fest und charakterisiert dadurch auch jene unsanktionierte, ja auf weite Strecken erwünschte soziale Handlung, welche die Menschen förmlich dazu auffordert, Unwahrheiten ganz im Sinne eines breiten gesellschaftlichen Konsenses zu verbreiten.

Feststellungen wie diese sind das Salz in der Suppe dieses Abends. Pointiert und messerscharf schneiden sie in die wabernde und schlatzige Kommunikationsübereinkunft, die darauf ausgerichtet ist zu verstecken, was keiner sehen will und zu polieren, was im Grunde niemals Wert ist, poliert zu werden. Als Karl dem Künstler wider Willen den zu erzielenden Preis für seine Fotos nennt, fügt er im selben Atemzug hinzu: „Das hat nichts mit Ihnen zu tun – der Markt ist irrational“. Der Markt als Legitimation für Ausbeutung, dem nicht zu entkommen ist.

Die Inszenierung selbst verortet das Geschehen eher in die Zeit der Filme der „nouvelle vague“, ohne jedoch das Jahrzehnt konkret zu bestimmen. Existentialistisches Schwarz trugen Intellektuelle und Künstler damals wie heute. Der Vergleich zur Filmströmung, die von Frankreich aus ging, ist dennoch statthaft. Zwischenmenschliche Beziehungen mit bizarren Strömungswechseln sind, das wird an diesem Abend deutlich, ein Dauerbrenner.
Die Besetzung der Galeristen mit Luc Feit und Jens Ole Schmieder ist ein Volltreffer. Sie liegen in ihrer Interpretation absolut deckungsgleich auf den ihnen zugeschriebenen Figuren. Martin Schwanda als Marek oszilliert zwischen seiner Introvertiertheit und verdeckten Machtausübung. Die zarte Petra Gstrein als Karen ist ein bewusstes Gegenstück zu Kirstin Schwab, die – Lebenslust und Unbekümmertheit pur – als Einzige ihren Emotionen ihren Lauf lässt.

Man darf auf weitere Arbeiten von Anna Poloni gespannt sein!

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