Aktuell wie vor 800 Jahren

Aktuell wie vor 800 Jahren

Aktuell wie vor 800 Jahren

Aktuell wie vor 800 Jahren

„König Johann“ (Foto: Andrea Klem)
Das Surrounding könnte nicht authentischer sein. Die frisch renovierten Kasematten in Wiener Neustadt stammen in ihrem Kern aus dem Mittelalter. Aus jener Zeit, in der der Adel sich in Europa konstituierte und seinen länderübergreifenden Einfluss und seine umfassende Macht in Stellung brachte.
„König Johann“, ein krudes und dramaturgisch etwas verworrenes Frühwerk von Shakespeare, wurde in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts von Friedrich Dürrenmatt überschrieben und gelangte nur wenige Male zur Aufführung.
Man muss schon eine große Portion Selbstvertrauen haben, sich mit diesem Werk in eine neue Ära zu begeben. Dies tat und tut gerade Anna Maria Krassnigg, ihres Zeichens künstlerische Leiterin und Regisseurin, aber auch Autorin, die gemeinsam mit Christian Mair die wortwiege gründete. In Wien Vielen noch als „Salon5“ bekannt, später dann im Thalhof in Reichenau für 4 Jahre beheimatet, bot man Krassnigg nun die Erstbespielung der historischen Gemäuer in Wiener Neustadt an. Begleitet von einer Reihe literarischer Spürhunde – der despektierliche Ausdruck ist hier anerkennend gemeint – stieß sie auf das Drama „König Johann“, welcher der jüngste Bruder von Richard Löwenherz aus dem Geschlecht der Plantagenets war.

Nicht nur, dass Wiener Neustadt seine erste Prosperität dem Lösegeld verdankte, das in Silber für Richard Löwenherz an den Herzog von Österreich ausbezahlt wurde. In Shakespeares Stück kommt Letzterer sogar leibhaftig vor. Als verkommener Kriegstreiber, der den lukullischen Genüssen mehr zugeneigt war als dem humanistischen Gedanken an Frieden.

Krassnigg inszeniert das Stück als aberwitzigen Ritt eines Ablaufes von innerfamiliären Geschehnissen, bei welchem die Blutsverwandtschaft den Eindruck hinterlässt, sich selbst der größte Feind zu sein. Der Kampf um die Aneignung von Ländereien in Frankreich, sowie ganz England, tritt als Schaulauf von Grausamkeiten, Niedertracht und Verrat in Erscheinung: höchst symbolträchtig auf und um einen verkohlten Catwalk. Hinter diesem hat sich ein riesiges Schlachtross in seiner wildesten Drohgebärde aufgestellt und begleitet das Geschehen damit in Permanenz. (Bühne Andreas Lungenschmid)

König Johann 672A6879 web c Andrea Klem
„König Johann“ (Foto: Andrea Klem)
König Johann 672A7044 web c Andrea Klem
König Johann 672A7317 web c Andrea Klem
König Johann 672A7136 web c Andrea Klem
„König Johann“ (Foto: Andrea Klem)
Die beiden Gegenspieler König Johann und König Philipp – beide aus dem Geschlecht der Plantagenets – agieren als machthungrige Scheusale, die skrupellos einen Krieg anzetteln, bei dem sie wissen, dass tausende Soldaten ihr Leben lassen müssen. Doch auch die Frauen des Clans, der „mafiose Strukturen“ aufweist, wie Krassnigg das Adelsgeschlecht in einem Interview charakterisierte, kommen nicht wirklich gut weg. Entweder stehen sie kurz davor, nach einem wilden, verbalen Schlagabtausch handgreiflich zu werden. Oder sie versuchen die Männer zu manipulieren, um die Krone für ihre eigene Nachkommenschaft zu sichern.

Wie in einem verrückt gewordenen Lebenskarussell wendet sich das Blatt des Schicksals mehrfach. Dennoch steuert die Familiengeschichte haltlos einem unrühmlichen Ende zu. Horst Schily als König Johann und Jens Ole Schmieder als König Philipp spielen beeindruckend zwei höchst kontrapunktische Herrscher. Ersterer als überheblicher Throninhaber, der sich, selbst entscheidungsschwach, von einem „Bastard“ zu vernunftgetriebenen Entscheidungen überreden lässt. Schily spielt mit einer Attitüde, die einem verschlagenen Herrscher innewohnt, der seine eigene Entscheidungsschwäche durch abgehobenes Gebaren überspielt. Während ganz konträr sich Jens Ole Schmieder durch lautstarke Auftritte und überbordendes Testosteron den Geschehnissen dennoch fatalistisch ausgeliefert sieht, aber letztlich als Glücksritter aus den Wirren der Schicksalsumschwünge hervorgeht. Antoaneta Stereva schuf Kostüme die zwischen Eleganz und schäbiger Abgerissenheit changieren und nicht nur die einzelnen Charaktere betonen, sondern Brücken quer über alle Jahrhunderte ins Heute schlagen.

Mit Niko Lukic wurde ein authentischer „Bastard“ besetzt, der stimmgewaltig seine Jugend und seine Vernunft ins Rennen um den Frieden einzusetzen versucht. Als einziger Unbeugsamer wählt er ein Leben in Freiheit ohne Adelsauszeichnung. Blutbesudelt von den angeordneten Peitschenhieben seiner ehemaligen Geliebten, die er verraten hat, zieht er sich letztlich vom Hof zurück. Petra Staduan, die ihn als Blanka zu ihrem Ehemann auserkoren hatte, rächt sich mit einem rockigen „I put a spell on you“, gesungen in ein blank poliertes 50er-Jahre Mikrofon. Jenem Fluch, mit dem Screamin` Jay Hawkings in eben jenem Jahrzehnt zu Weltruhm gelangte. Christian Mair (Musik) nimmt die markante Bass-Melodie auf und lässt mit ihr unterlegt gleich zu Beginn die verfeindeten Familien auftreten. Petra Staduan kämpft in der Rolle als aufmüpfige und lebenshungrige Blanka – entgegen jeder Etikette – selbstermächtigt für ihre Rechte als Frau.

König Johann 672A6974 web c Andrea Klem
König Johann 672A7013 web c Andrea Klem
König Johann 672A6811 web c Andrea Klem
König Johann 672A7252 web c Andrea Klem
„König Johann“ (Foto: Andrea Klem)

Nina C. Gabriel ereilt nicht nur als Eleonore, Johanns Mutter, ein grausames Schicksal, dem sie erhobenen Hauptes entgegenschreitet. Sie schlüpft auch in die Rolle von „Österreich“ und kommentiert dessen lukullischen Erlebnisse höchst launig während des Treffens, in welchem über das Schicksal der Bürger von Angers entschieden wird. Isabella Wolf tritt sowohl als Constanze auf, der Mutter des Thronfolgers Arthur, als auch als androgyner Kardinal. Mit seinem Bannspruch unterwirft er Philipp und fädelt in weiterer Folge eine neue englische Regentschaft ein. Herzzerreißend bricht sie als Mutter nieder, als sie erfährt, dass ihr Sohn in die Hände der Engländer gefallen ist und berückend und aufklärerisch zugleich erscheint sie als Christus-Nachfolger, der weiß, wie man mit Sog und Druck verführt und zu seinem Ziel kommt.

Julian Waldner verkörpert insgesamt grandios sechs Charaktere. Sein „Bürgervertreter“ mischt sich unter das Publikum und macht diesem klar, dass das, was auf der Bühne verhandelt wird, nicht weniger als jene Zukunft ist, die wir heute Demokratie nennen. Ob als Chatillon oder Pembroke, ob als unglücklicher Arthur, Angouleme oder Mönchlein – mit ihm transportiert Krassnigg in höchstem Maße die Idee, dass ein guter Schauspieler imstande ist, ein Ensemble durch Mehrfachbesetzung numerisch scheinbar aufzumotzen. Die permanenten und oft im Handumdrehen durchgeführten Rollenwechsel, auch von den anderen Mehrfachbesetzungen, sprühen nur so vom Geist eines lebendigen, blutvollen Theatergedankens. Einer Vermittlungsidee großer Stoffe, die durch hervorragende Schauspielende sinnlich erfahrbar und nachvollziehbar wird.

Der Wunsch, dass Theater imstande sein soll ein Nach-Denken anzuregen, dieser Wunsch geht in dieser Inszenierung auf. Denn egal, ob man allen Familienverstrickungen folgen kann oder nicht: Das Spiel um die Ränke der Mächtigen, um Vernunft und Unvernunft und letztlich um eine Bürgerschaft oder ein Volk, das mehr ist als die, die es regieren, hinterlässt starke Eindrücke. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass König Johann vor mehr als 800 Jahren verstarb und vermeintlich in unserem Leben keine Rolle mehr spielt.

König Johann 672A7076 web c Andrea Klem
„König Johann“ (Foto: Andrea Klem)

Die wortwiege zeigt noch bis Anfang April „König Johann“. Vor einzelnen Vorstellungen trifft Anna Maria Krassnigg auf Gäste aus dem In- und Ausland, um mit ihnen über das Thema des diesjährigen Festivals „Bloody Crown“ zu diskutieren.

Alles Infos hier: www.wortwiege.at

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

Piraten und Westernhelden im Shakespeare-Format

Piraten und Westernhelden im Shakespeare-Format

Piraten und Westernhelden im Shakespeare-Format

Von Michaela Preiner

„Viel Lärm um nichts“ (Foto: ©www.lupispuma.com/Volkstheater)
04.
März 2018
Prall, schräg, vital, temporeich. Laut, emotional, derb und wild. Man könnte noch mehr dramatische Attribute aufzählen, um die Inszenierung von Sebastian Schug zu beschreiben.

E r lieferte am Volkstheater eine Shakespeare-Interpretation rund um das Thema Liebe und Intrigen ab, die trotz einiger kleiner psychologischer Umdeutungen, dank der Übersetzung von Angela Schanelec, das bot, was einige Besucher des Abends vielleicht nicht auf ihrem Radar hatten: Einen Shakespeare, der sich nicht scheute, Grobes wenig verklausuliert aufzuzeigen und gleichzeitig dem derb-wilden Treiben ein Feuerwerk an geschliffener Sprache entgegenzusetzen, dass dem Publikum dabei schwindlig werden kann.

Die Premiere von „Viel Lärm um nichts“ begann unerwartet: Die Hausherrin, Anna Badora, verkündete vor dem Vorhang die virusbedingte Stimmlosigkeit Stefan Suskes, der die Rolle von Leonato, dem Regenten von Messina, dennoch spielen wollte, lieferte jedoch die Lösung des Problems zugleich mit: Leonato wurde live vom Souffleur Jürgen M. Weisert synchronisiert. Ein mutiges Unterfangen, das aber aufging und letztlich mit Extra-Applaus bedacht wurde.

Die Entscheidung, die sich häufig in Bewegung befindende Drehbühne und die Kostüme in einer Mischung aus Western-Saloon und Piratenspelunke auszustatten, macht Sinn. Denn das Testosteron, das die kämpfenden Recken nicht nur zu Beginn, sondern während des gesamten Stückes darin versprühen, spritzt auf diese Art bis in den letzten Winkel des Volkstheaters. (Bühne: Christian Kiehl, Kostüme: Nicole Zielke) Folgerichtig, dass auch die Damen sich keineswegs höfisch benehmen.

Allen voran zeigt Isabella Knöll als Beatrice, dass Gefügigkeit und Duldsamkeit für sie Fremdworte zu sein scheinen und brüllt gleich zu Beginn den Song „nothings gonna hurt you baby“, begleitet von ihrer eigenen Frauen-Power-Band, ins Mikro. Er stammt von der Brooklyner Ambient-Pop Band „Cigarettes After Sex“ und ist im Original um einiges weicher und sanfter. Aber sanft und weich passt nicht auf Beatrice. Knöll ist eine tolle Besetzung für jene Unbeugsame, deren Hass zu Benedikt, dem gerissenen Womanizer und Frauenverächter, sich letztlich in Liebe verwandelt. Sie verkörpert eine brennende, intensive, schamlose, beleidigende, unabhängige und höchst intelligente junge Frau, der selbst die angekündigte Ehe am Ende des Stückes nichts von ihrer Power und Eigenbestimmtheit nehmen wird. Das macht die halsbrecherische Verfolgungsjagd quer über die sich drehende Bühne mit Benedikt klar. Jan Thümer hat als ihre Hass-Liebe alle Hände voll zu tun, seine Auserwählte an sich zu binden, Herr wird er ihr aber bis zum Schluss nicht wirklich.

Regie Sebastian Schug
„Viel Lärm um nichts“ (Foto: ©www.lupispuma.com/Volkstheater)

Bis es jedoch soweit ist, stattet der Regisseur einzelne Figuren mit intensiven Charaktereigenschaften aus. So darf das Stubenmädchen Margaret, mit ähnlichen widerständigen Charaktereigenschaften ausgestattet wie ihre Herrin, voll der Mannesgier, Benedikt coram publico besteigen. Evi Kehrstephan schwankt dabei grandios zwischen Lüsternheit und Anhänglichkeit, wohl wissend, dass ihr Traummann ihre Zuneigung nur körperlich erwidert. Pater Francis hingegen, dem aufgestreuten, weißen Kokain-Pulver sehr zugetan, ist ständig zugedröhnt. Fabelhaft, wie Thomas Frank wankend und schwankend und doch als einziger klar Denkender der gesamten Truppe mit einer riesigen Portion Humor und Spielfreude diese Figur interpretiert und Licht ins Dunkel einer ehebedrohlichen Verleumdung bringt. Sein umständliches Herabsteigen einer aus Alustangen improvisierten Kanzel erinnert an Helmut Lohners unvergessene Sesselszene als Titus Feuerfuchs in Nestroys Talismann aus dem Jahr 1976. Ein Beweis, dass Slapstick dieser Art und Weise ohne Ablaufdatum im Theater immer funktioniert.

Nicht zu vergessen ist Donna John, die Steffi Krautz als geschlechterumgedeutete Halbschwester von Don Pedro mimt. Ihr abgrundtiefer Hass ihrem Bruder (Sebastian Pass in weißem Silbernieten-verbrämten Macho-Disco-Outfit) gegenüber steigert sich gleich zu Beginn in der ersten Szene klar und deutlich, verliert sie doch während des Fechtkampfes blutigst ihre linke Hand, die flugs durch einen Metallhaken ersetzt wird. So ist schon nach den ersten Minuten klar, dass Schug auch bemüht ist, die psychologischen Beweggründe der Shakespeare-Figuren plakativ zu unterfüttern. Krautz` Furor steigert sich im Laufe der Vorführung grandios bis hin zu jener Szene, in der sie – während ihrer eigenen psychologischen Selbstverstümmelung – ganz in Wild-West-Manier und abseits des Shakespear´schen Drehbuches, von ihrem Halbbruder erschossen wird.

Regie Sebastian Schug 4
Regie Sebastian Schug 7
Regie Sebastian Schug 5
Regie Sebastian Schug 2
„Viel Lärm um nichts“ (Fotos: ©www.lupispuma.com/Volkstheater)

Auch Margret, Hero (Nadine Quittner) und Ursula (Claudia Sabitzer), die Beatrice eine Liebesintrige spinnen, erhalten einen Twist. Dürfen sie doch nach ihrem von Beatrice belauschten, hinterhältigen Dreierauftritt bei ihrem Abgang die englischen Verse der drei Hexen aus Macbeth deklamieren, in welchen diese ihre nächste Zusammenkunft vereinbaren.

Immer wieder heizen unterschiedliche Songs die ohnehin schon köchelnde Stimmung auf und verdeutlichen dabei zusätzlich die emotionalen Befindlichkeiten von Beatrice und Benedikt, wie in der wild-romantischen Darbietung von „Falling in love with you“ von Elvis Presley. Einzigartig, wie Isabella Knöll anfangs jedes einzelne Wort zögernd und zaudernd stimmringend aus sich presst, bis am Ende schließlich Beatrice und Benedikt den Text zur Punk-Version wie liebes-waidwunde Tiere herausschreien. (Musikalische Leitung: Thorsten Drücker)

„Viel Lärm um nichts“ – jenes Nichts, das im ersten Bild mit einer über die Bühne getragenen Fahne thematisiert wird – erhielt bei der Premiere neben vielen Bravo-Rufen auch zwei deutlich vernehmbare Buhs für die Regie. Für manche scheint diese deftige Shakespeare-Kost unverdaulich gewesen zu sein. Die Mehrheit am Premierenabend verließ jedoch sichtlich beglückt das Volkstheater. Unser Tipp: Bilden Sie sich selbst eine Meinung!

Weitere Termine auf der Homepage des Volkstheaters.

Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.

So spielt man Shakespeare

So spielt man Shakespeare

Ivo van Hove fasste Shakespeares Königsdramen Heinrich V, Heinrich VI und Richard III in „King of Wars“ für einen Abend bei den Wiener Festwochen zusammen. Eine 5-stündige Publikumsherausforderung, spannend, opulent, atemlos und nicht zuletzt auch voyeuristisch. Große Bilder, durch die sich die Hauptcharaktere erklären, aber überraschenderweise wenig Zeitkritisches.

George, William, Charles, die Queen – ein Schwarz-Weiß-Foto jeder einzelnen Person erscheint auf der großen Projektionsfläche zu Beginn des Abends über der Bühne. Unter den Konterfeis sind zeichenhafte Statthalter für deren Regentschaft angebracht: Außer bei Elisabeth stehen bei den drei Erstgenannten Fragezeichen, sowohl für den Beginn als auch für das Ende ihrer Regierungsperiode. In rascher Abfolge läuft die Präsentation historisch zurück zu Heinrich V. Aber es ist sein Vater, Heinrich IV, der live in der ersten Großaufnahme auf der Leinwand zu sehen ist. Er liegt mit nacktem Oberkörper in einem weißen Bett. Wie es nach ihm noch viele andere tun werden. Sein Sohn, Henry V, ist an seiner Seite.

Ein historischer Stoff in einer zeitgeistigen Umgebung

Der niederländische Regisseur Ivo van Hove gastierte mit der Toneelgroep aus Amsterdam mit „King of Wars“ bei den Wiener Festwochen. Dabei handelt es sich um eine höchst aufwendige Produktion. Nicht nur die Anzahl der Ensemblemitglieder, sondern auch eine wahre Armada an IT-Leuten sitzt dafür an einem Dutzend Bildschirmen in einer Reihe inmitten des Publikums, um das Geschehen auf der Bühne mit Live-Projektionen und Videos zu ergänzen. Jene Menschen  nicht mitgerechnet, die in der Regiekabine selbst noch am Werken sind.

Jan Versveyveld, der das Bühnenbild verantwortet, Eric Sleichim, Musik, und Tal Yarden, Video, müssen in einem Atemzug mit dem Regisseur genannt werden. Denn jeder Einzelne von ihnen hat maßgeblich Anteil am Gelingen dieser Inszenierung. Es gibt kaum eine Minute, die Sleichim nicht dazu nutzt, das Geschehen musikalisch zu unterfüttern. Dabei verwendet er sowohl Live-Auftritte von einem Posaunenquartett und einem Countertenor als auch zuvor Eingespieltes. Zeitgenössisches vermischt sich mit Renaissancemusik, Disco- und Loungeklänge schaffen eine starke Verbindung ins Hier und Heute. Sakrales trifft auf spannungsgeladene Soundräume, das Ticken einer Uhr verwandelt sich in das Tropfen von Wasser. Selten hatte Musik in einer Theaterproduktion, die Shakespeares Texte heranzieht, einen so großen Stellenwert. Und selten war sie so großartig wie hier.

Versveyveld holte sich von Churchills „war room“ seine Inspiration. Die verschiedenen Könige, die in diesem Stück auftreten, nutzen alle denselben Raum. Zwar verändert er sich bei jeder neu erzählten Geschichte durch andere Requisiten, bleibt aber in der Grundkonzeption derselbe. Drei Ausgänge führen in angrenzende, weiße, kahle Gänge. Die Ereignisse darin werden mittels einer Steadycam, aber auch zuvor aufgenommener Takes, auf die große Leinwand projiziert. Eine Herausforderung für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die zwischen den Medien Film und Theater beständig wechseln müssen.

Die drei Königsdramen werden oft in einer Abfolge auf die Bühne gebracht. Van Hove setzt das Geschehen aber in die Jetzt-Zeit, wobei er sich dennoch relativ eng an Shakespeares Textvorgabe hält. An wenigen Stellen blitzt sogar sein Versmaß auf, an anderen wiederum lässt er einen zeitgenössischen Jargon zu, um eine stärkere Identifikation mit den Personen zu erreichen.

Businessanzüge mit Maßhemden und Krawatten sind Standard. Der Kardinal ist als solcher nur durch einen Kollar erkennbar. Die Damen – Prinzessinnen und Königinnen präsentieren sich in noblem Businessoutfit. Hosenanzüge, weich fallende Blusen oder schicke, aber niemals aufreizende Kleider.

Der „war room“ ist bei Heinich V und seinem Sohn noch mit Radarschirmen ausgestattet. Erst Richard III, braucht diese Hilfsmittel nicht mehr. Sein Feind ist nicht mehr Frankreich, sondern die eigene Familie, die er erbarmungslos nach und nach ausrottet, um an die Macht zu gelangen.

Der Regisseur legt viel Wert auf eine zeitgeistige Verankerung, allerdings rührt er die großen Erzählstränge von Shakespeare dabei nicht an. Der Krieg Heinrichs V mit Frankreich bleibt der historische Krieg mit all seinen Einzelheiten, welche die mittelalterliche Strategie damals mit sich brachte. Die Verhandlungen über das Brautgeld der Prinzessin Margaret, die von Heinrich VI als Ehefrau begehrt wird, haben nichts mit Abfertigungsgesprächen von Managerinnen des 21. Jahrhunderts zu tun. Und auch die Umsetzung der Machtansprüche Richards III wird nicht zeitgeistig umgedeutet.

Nur die Tötungsmittel sind zum Teil unserer Zeit angepasst. Zwar wird noch eigenhändig erwürgt, aber häufig kommen Giftspritzen und -injektionen zum Einsatz, um die Widersacher loszuwerden. Gnadenlos hält die Kamera bei diesem Geschehen auf die geschundenen Körper, sodass einige Sensible ihre Blicke senken müssen. Aber die herrschende Klasse und ihre Speichellecker müssen sich nicht wie heute mit globalen Wirtschaftsfragen oder dem Druck des Shareholder-Values abplagen. Sie sind nur damit beschäftigt, ihr Reich zu vergrößern und sich selbst an der Macht zu erhalten. Da hilft auch eine kleine, eingeschobene Lachnummer nichts, bei der Richard mithilfe von drei Telefonen Barack, Angela und Putin anruft.

Der heile Moment am roten Teppich

Viermal wird ein roter Teppich für eine Krönungszeremonie ausgerollt. Viermal die Insignien wie Krone und Hermelin aus einem stets sichtbaren, gläsernen Arzneischrank geholt. Jedes Mal ertönen die Posaunen, aber an der Klangfarbe lässt sich ablesen, ob England gute oder schlechte Zeiten bevorstehen. Es sind jene seltenen Augenblicke, in welchen die Herrscher außerhalb einer Zeit stehen, in der sie permanent agieren müssen. Heile Momente, dennoch zukunftsschwanger aufgeladen. Die Charakterisierung der Figuren gelingt in jedem einzelnen Fall dank der hohen schauspielerischen Leistungen bestens. Heinrich V, jener über die Franzosen siegreiche König, kann sein Glück nach der Schlacht nicht fassen. Zu groß war die Übermacht des Gegners, als dass er sich zuvor selbst einen Sieg eingeräumt hätte. Die Verblüffung steht Ramsey Nasr förmlich ins Gesicht geschrieben. Er rangiert in der Sympathieskala an diesem Abend ganz weit oben. Wie fast alle anderen Schauspielerinnen und Schauspieler, schlüpft er noch in eine weitere Rolle und überzeugt dabei durch seine große Wandlungsfähigkeit. Auch seine Ansprache kurz vor der Schlacht, ein schwerer Text, der das Publikum selten wirklich packt, gelingt ihm völlig glaubwürdig und bringt ihm zusätzliche Sympathiewerte ein.

Schauspielerische Leistungen der Sonderklasse

Eelco Smits als sein Sohn Heinrich VI brilliert durch seine ausgefeilte Mimik und sein linkisches Gehabe. Ganz nah an der Kamera blickt das Publikum in ein zögerliches, teilweise dummes, fast autistisches Gesicht. Er lässt keinen Zweifel an der Unfähigkeit seiner Regentschaft und schläft wie ein Maturant im gestreiften Pyjama, selig zugedeckt alleine in seinem Bett, während seine Frau Margaret (Janni Goslinga) seinem Getreuen und Widersacher Suffolk mit einem Blow-Job beglückt. Elektrisierend wirkt der junge Mann in jener Szene, in der er von Schmerz übermannt, sich auf dem Boden wälzt, um den Tod seines Onkels zu beklagen. Was wie eine kindische Aktion beginnt, endet als körperlicher und geistiger Ausbruch, der höchste Empathie hervorruft. Eine Herde von Schafen, eingepfercht in die weißen Bunkergänge, blökt, während sich der schwache Regent am Ende unter sie mischt und sich damit sinnbildhaft von der Gesellschaft abwendet, der er nicht gewachsen ist.

Eine Klasse für sich ist Hans Kesting. In den Niederlanden ist er nicht nur durch seine Auftritte mit der Toneelgroep bekannt, sondern auch durch verschiedene Fernsehformate. Seine darstellerische Bandbreite reicht von der Verkörperung klassischer Rollen von Aischylos, Sophokles oder Shakespeare bis hin zu solchen in Kinderprogrammen. Als Richard III läuft er hinkend und dämonisch über die Bühne. Im Gesicht einen dunklen Blutschwamm, changiert er mühelos zwischen teuflischem Schlächter und vermeintlich treusorgendem Onkel. Jener Auftritt, in welchem er sich selbst die Krone auf den Kopf setzt, einen Perserteppich um die Schultern hängt und sich mit Jubelschreien über seine bevorstehende Krönung anfeuert, brennt sich innerhalb von wenigen Momenten ins Gedächtnis. Auch seine Selbstanklage und sein gegen sich selbst „Zu Gericht Sitzen“, das er mit dem Rücken zum Publikum zu spielen hat, ist schlichtweg grandios. Kurz davor machte sich die Länge des Abends bemerkbar, aber diese Performance hebelt jegliches Zeitgefühl aus. Seinem furiosen Abgang auf einem imaginierten Pferd galoppierend, folgt noch die Inthronisation von Henry VII, klugerweise wieder von Ramsey Nasr dargestellt.

Ivo van Hove gelingt es, mit eindrucksvollen Bildern das Publikum zu packen und es ganz nah an die Shakespeare-Interpretation der historischen Geschehnisse zu führen. Das Fehlen eines zeitgenössischen Plots jedoch erzeugt ein gewisses Vakuum in der Rezension. Es hätte wohl der ein- oder andere kleine Hinweis genügt, dieses Stück auch zu einem höchst aktuellen Werk über die soziale Verfasstheit unserer Zeit zu machen. Der Grundgedanke hätte dies hergegeben. Der charakterlich individuelle Umgang mit Macht, der im Mittelpunkt der Inszenierung steht, ist dennoch ausreichend, um von einem herausragenden Theaterereignis sprechen zu können.

Paintball und Shakespeare

Paintball und Shakespeare

„Liebe und Krieg“ ist eine von drei Shakespeare – Adaptionen der Konservatorium Wien Privatuniversität im Dschungel Wien.

Nebel kriecht über den Boden, Sirenen heulen, von hinten stürmt eine Mannschaft auf die Bühne, ihre Montur ist irgendwo zwischen Football, Paintball und Computerspiel angesiedelt. Mit hypermännlicher Gestik beginnen sie zu skandieren.

Diese betonte Männlichkeit zieht sich durch das gesamte Stück, vom Kostüm (Ausstattung: Vanessa Achilles-Broutin) über die zur Schau gestellte Körperlichkeit bis zur Besetzung. Neben Katharina Farnleitner als Cressida gibt es noch Katharina Stadtmann als deren Onkel Pandarus – mit Schnauzbart. Die anderen Rollen sind aufgeteilt auf die drei Schauspieler Valentin Postlmayr, Deniz Baser und Noah Saavedra. „Liebe und Krieg“ (Autor: Dietrich Trapp) ist eine Adaption von Shakespeares „Troilus und Cressida“ für ein Publikum ab 12 Jahren.
Durch die Liebesgeschichte von Troilus und Cressida, die durch den Trojanischen Krieg getrennt werden, soll „dem Krieg ein Gesicht gegeben werden“, wie es in der Programmankündigung heißt. Cressida, eine Trojanerin, wird im Zuge eines Gefangenenaustauschs an Griechenland ausgeliefert. Dort steht sie vor der Frage: Treu bleiben, koste es, was es wolle? Oder sich anpassen? Sie entscheidet sich für letzteres. Der Rest ist vorhersehbar. Das ganze Stück über ist keine der Figuren je anders, als man es von ihr erwartet.
Die Inszenierung schafft es nicht wirklich, ihre moralisierende Komponente abzustreifen. Sie bietet allerdings durch ihre hohe Geschwindigkeit, einen gut dosierten Witz und einen Beatbox–Battle, den das Publikum mit Szenenapplaus belohnt, gute Unterhaltung. Ein Stück, das man sich gerne ansieht, das einen aber wahrscheinlich nicht nächtelang verfolgen wird.

Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln

Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln

„War Game“ – ein „Spiel“ rund um den Krieg und seine medialen Mechanismen im Dschungel Wien.

„War Game“ ist eine von drei Shakespeare–Adaptionen für Kinder und Jugendliche die Ende März im Dschungel Wien uraufgeführt wurden. In dieser Produktion haben Studierende des Tanzpädagogikzweigs (Dorothea Altenburger, Monika Demmer, Clarissa Friedrichkeit, Lena Pirklhuber, Martin Wax) der Konservatorium Wien Privatuniversität unter der Leitung von Nikolaus Selimov gemeinsam die Choreografie erarbeitet.  „Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln.“ – dieses Zitat aus „Julius Cäsar“ schlägt gemeinsam mit anderen Zitaten von William Shakespeare eine Brücke zu Konflikten in der Vergangenheit.

Mit Computer-Spielen hat „War Game“ allerdings wenig zu tun. Vielmehr wird man wird mit Bildern geflutet. Die Konflikte, die die Medien bestimmen, werden auf eine Wand projiziert. Gemeinsam mit akustischen Einspielungen vermischt sich dabei alles zu einem überschwappenden Medienbrei.

Tische stellen eine undurchdringbare Festung dar. Dann wieder werden sie zu einer wackeligen Bühne, die immer kleiner und unsicherer wird. Eine Handkamera wird auf das Bühnengeschehen gerichtet, Naheinstellungen zeigen Gewaltszenen. Aus Bewegungen, die wirken, als wären die Tänzerinnen und der Tänzer selbst getroffen worden, entwickeln sich kurze Momente der Suche nach Nähe – in einer Welt, die unter Beschuss steht.

Als Publikum wird man allerdings nur selten gezwungen, die eigene Komfortzone zu verlassen. Nur manchmal nähert sich das Bühnengeschehen physisch und emotional. Dann, wenn die Tänzerinnen fallen, und noch am Boden weiter salutieren. Wenn sie, einen Marschrhythmus stampfend, auf das Publikum zukommen. Oder wenn der Arm des Verwundeten in den Medienberichten zum Arm einer Tänzerin wird. Insgesamt, obwohl das Potential vorhanden wäre, bleibt das Geschehen jedoch seltsam ungefährlich. Auch die Faszination, die Krieg und besonders Kriegsspiele auslösen können, bleibt auf der Strecke.

Dabei macht die Inszenierung einen weiten Zusammenhang der medialen Inszenierung von Krieg auf und reflektiert die Produktion von Grauens- oder Heldenbildern. Zugleich wird darauf angespielt, dass wir es in unserem Land so friedlich haben, dass wir Krieg virtuell simulieren müssen. Eingespielt werden auch Zitate von Schülerinnen, die im selben Alter wie das Zielpublikum sind. Aus ihnen lässt sich die große Entfernung, die wir zwischen uns und dem Kriegsgeschehen wahrnehmen, ablesen. Diese Entfernung bleibt unangetastet. Hängen bleibt die Quintessenz: „Ich will nicht, dass es anderen Menschen schlecht geht“. Ob das reicht?

Pin It on Pinterest