Eine brisante Auszeit

Eine brisante Auszeit

Eine brisante Auszeit

 
TAG „Der Untergang des österreichischen Imperiums“ (Foto: Anna Stöcher)
19.
November 2018
Sie treffen sich abseits der hektischen Großstadt einmal im Jahr am Semmering. Um sich „gegenseitig zu helfen“, das jeweils abgelaufene Jahr Revue passieren zu lassen und – um ihre Wunden zu lecken. Vier Frauen und vier Männer – allesamt der schreibenden Zunft angehörend – erleben im TAG eine Auszeit von ihrem Alltag, die alles andere als erholsam ist.

Ed Hauswirth erarbeitete mit dem Ensemble ein Kammerspiel, das sich formal an jenem Genre orientiert, in dem die Risse von Partnerbeziehungen während einer Einladung im Freundeskreis offenbar werden.

In seinem Stück „Der Untergang des Österreichischen Imperiums oder Die gereizte Republik“ legt er aber vor allem den Finger auf den politischen Umbruch in unserem Land und die Auswirkungen, die sich dadurch auf die vierte „Macht“ im Staat ergeben. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer. Letztere gehören dem linken Intellektuellen-Establishment an, erstere, jung und machtgeil, sind die Karriereleiter im Zuge von politischen Medienumfärbungen rasant nach oben geklettert. 

Was sich anfänglich durch eine lange Vorstellungsphase der einzelnen Charaktere ein wenig in die Länge zieht, nimmt ungefähr ab Mitte des Stückes an Fahrt auf. Nachdem klar ist, dass sich eines der Paare in Trennung befindet und ein anderes in seiner Langzeitbeziehung nicht mehr wirklich wohl fühlt, dass sich in der Konstellation Alt und Jung zwangsläufig unterschiedliche Familienentwürfe offenbaren und gescheiterte, verlegerische Unternehmungen Auswirkungen auf die Lebensumstände einiger Anwesender haben, fährt Hauswirth die politischen Geschütze auf. Und die sind wesentlich interessanter als die sehr stereotyp angelegten Paarkonstellationen.

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TAG „Der Untergang des österreichischen Imperiums“ (Foto: Anna Stöcher)
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TAG „Der Untergang des österreichischen Imperiums“ (Foto: Anna Stöcher)

Die Macht im Staat – von links nach rechts gewandert – tut, was sie immer tut: Sie hebelt bei dem einen oder anderen Prinzipien aus, die sich aufgrund von finanziellen Notständen oder auch der Aussicht auf mehr Einfluss, flugs wandeln. Da mutiert Jens Claßen innerhalb von wenigen Augenblicken zum opportunistischen, aber gut bezahlten Journalisten, während Monika Klengel (Linde) sich ärgert, nicht von ihrem einstigen Redaktions-Schützling Markus und nunmehrigen Blatt-Chef (Raphael Nicholas) für einen Posten vorgeschlagen worden zu sein. Zumindest Georg Schubert und Lorenz Kabas kämpfen nach anfänglichen Verführungsattitüden tapfer mit ihrem Gewissen, wohl wissend, dass sie ab sofort auf der finanziellen Verlierer-Bank Platz nehmen dürfen. Interessanterweise sind es die Frauen, Beatrix Brunschko als Barbara, Lisa Schrammel als Birgit und Juliette Eröd als Dora, die eine Standhaftigkeit an den Tag legen, die den Männern zuweilen abhanden gekommen ist. 

Filmeinspielungen, in denen die Freundinnen beim Joggen auf Forstwegen, oder die Männer beim gemeinsamen Kochen gezeigt werden, verschränken das Geschehen mit jenem auf der Bühne und setzen eine ländliche Idylle gegen ein Wien, das voll Militär ist und sich im Ausnahmezustand befindet. Dass sich die Handys, gemäß der Tradition, im versperrten Safe befinden, und keinerlei Internetzugang möglich ist, hebt das Wohlbefinden der kleinen Gruppe auch nicht wirklich.

So sind die Kontrahenten und Kontrahentinnen gezwungen, ihre Scharmützel direkt auszutragen, bis hin zum Showdown zwischen Linde und Markus, den sie dank ihrer überragender Kampf-Technik blutig prügelt. Doch was nach moralischem Happyend aussieht, wischt Markus, der Machtmensch, mit blutverschmierten Fingern vom Tisch. Er, der an der Macht Partizipierende weiß nur zu gut, dass diese Niederlage seinen weiteren, beruflichen Aufstieg nicht bremsen wird. Die Vergangenheit, der alle nachtrauern, ist ein für alle Mal vergangen. Das politische Blatt hat sich gewendet und wird bis in eine nicht absehbare Zukunft sich so schnell auch nicht wieder drehen. Was macht da schon eine blutige Nase?

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TAG „Der Untergang des österreichischen Imperiums“ (Fotos: Anna Stöcher)

„Der Untergang des Österreichischen Imperiums“ ist eine Mischung aus Gesellschaftskomödie mit einer dystopisch anmutenden, politischen Gegenwartsbeschreibung und changiert dementsprechend zwischen diesen Polen. Die Inszenierung macht klar, dass sich Österreich in einem Zustand befindet, mit dem sich viele zwar noch nicht abfinden wollen, Ressentiments oder gar Trauer völlig nutzlos sind. Wer dem  einen Hoffnungsschimmer entnehmen will, muss sich schon am rechten Rand des politischen Spektrums wohlfühlen.

 

 

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Ich bin Schicksal! Ich bin sexy!

Ich bin Schicksal! Ich bin sexy!

Ich bin Schicksal! Ich bin sexy!

Von Michaela Preiner

Macbeth – Reine Charaktersache (Foto: Anna Stöcher)

04.

Februar 2018

Du geile Scheiße du! Blöde Schachteln! Mir geht`s gut, der Krieg war schön. Bei höherem politischen Interesse muss man die Moral vergessen. Das ist ein scheiß Tag!
Wetten, Sie erraten nicht, aus welchem Drama diese Sätze stammen – außer Sie haben die neueste Eigenproduktion am TAG gesehen.

Gernot Plass arbeitete sich bereits an mehreren Shakespeare-Dramen ab und fuhr nun mit seiner Macbeth-Überschreibung einen wahren Premierenerfolg an seinem eigenen Haus ein.

Dabei blieb der Autor, Regisseur, Musiker und künstlerische Leiter des TAG in Personalunion – mit Ausnahme des Sprachdiktums und einer ganzen Menge von Aktualitätsbezügen – nahe an der Erzählvorlage, die den Aufstieg des Heerführers Macbeth zum König, aber auch dessen Untergang beschreibt.

Eine dunkle Bühne mit einem riesigen, weißbetuchten Tisch und einige schwarze Sessel, Vorhänge, eine kleine Treppe und eine Schüssel, in der sich drei rote Kerzen befinden, damit ist das Bühnenbild auch schon beschrieben. (Ausstattung Alexandra Burgstaller)

Bis auf Julian Loidl, der Macbeth in allen Schattierungen spielt, die diese Rolle hergibt, schlüpfen alle anderen fünf Ensemblemitglieder in insgesamt 26 Charaktere. Eine echte Herausforderung, vor allem was den Kostümwechsel betrifft. Dieser wird – sehr zur Freude des Publikums – zum Teil an den Bühnenrändern vorgenommen.

Vor allem die Besetzung der drei Hexen mit Raphael Nicholas, Georg Schubert und Lisa Schrammel evoziert einen Publikumslacher nach dem anderen. Tatsächlich ist es urkomisch, wie die drei „Frauen“ in rosaroten und später roten Tussikostümen sich gegenseitig ununterbrochen befetzend, Macbeth beinahe ungewollt die Zukunft voraussagen. Wobei nach Plass keine von ihnen tatsächlich hellsichtig ist. Vielmehr wird aufgeschnitten, improvisiert und gereimt, was das Zeug hält, nur um Macbeth im Glauben einer Vorhersehung zu lassen.

Dass die Erfüllung ihrer Worte dennoch eintrifft, überrascht sie mehr als den unrechtmäßigen Schottenkönig. „Ich bin Schicksal! Ich bin sexy.“, gibt Schubert als Oberlügner-Hexe von sich als sie merkt, welche Macht in ihrer vermeintlichen Zukunftsinterpretation steckt.

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Lisa Schrammel, Georg Schubert, Raphael Nicholas (Foto: Anna Stöcher)

Zu Beginn noch ein bescheidener Kriegsheld, seinem König Duncan treu ergeben und froh ob der Freundschaft zu Banquo (Jens Claßen), erlebt Macbeth am eigenen Leib seine charakterliche Veränderung. Das kleine Pflänzchen an Machthunger, das ihm die völlig ausgeflippten Zankteufel einpflanzten, entwickelt sich nach und nach in seiner Vorstellungswelt zu einem hypertrophen Gewächs mit hochgradiger, toxischer Wirkung.

Untermalt mit einem Soundgemisch aus Heavy-Metal-Klängen und kriegerischen Trommelanfeuerungen, unter Einsatz von Lichteffekten wie auf einem Popkonzert und einer kurzen Videoeinspielung werden alle Register einer zeitgeistigen Multimedia-Inszenierung gezogen. Dabei bleibt jedoch das Herzstück jeder guten Inszenierung, das lustvolle Spiel der Beteiligten, stets das Hauptkriterium. Elisa Seydel macht als Lady Macbeth mit Leadership-Qualitäten ihrem Mann unverblümt klar, dass er mit Liebesentzug zu rechnen hat, sollte er sich weigern, seinen König zu ermorden, um selbst den Thron besteigen zu können. Die Farbsymbolik ihres Kleides ist mehrdeutig: Einerseits verweist das Schwefelgelb ihrer Krönungsrobe auf ihre Herrscherstellung. Diese Farbe war vor allem in China ausschließlich den Kaisern vorbehalten. Andererseits wird der Farbe die Charktereigenschaft des Neides zugeordnet. Er ist wohl ein wichtiger, intrinsischer Hauptmotivator von Lady Macbeth, die in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz oben ankommen möchte. (Kostümbetreuung Daniela Zivic)

Auch die drei roten Kerzen, welche das Ehepaar Macbeth auf seinem Königsweg begleiten, bilden einen subtilen Querverweis. Sie können als Hinweis auf jenen königlichen Lebensentwurf gedeutet werden, den Macbeth, von den in Rot gekleideten Schicksalsbeschwörerinnen ausgesprochen, bereitwillig in seinem Inneren aufnahm und bis zur letzten, bitteren Konsequenz verteidigte. Bevor er in den sicheren Tod geht, bläst er die zarten Flämmchen mit einem Atemstoß aus.

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Macbeth – Reine Charaktersache (Fotos: Anna Stöcher)
Der permanente Wechsel von tragischen Ereignissen wie Morden, Komplotten und höchst humorigen Einschüben wie die Szenen der Hexen, aber auch der drei gedungenen Mörder, die in einem Tirolerisch reden, dass man die Berggipfel dabei sehen kann, machen den Reiz des Stückes aus. Aber auch das dahinterliegende, gedankliche Konstrukt, in dem die Frage gestellt wird, ob denn eine Weissagung ein Schicksalsbausteinchen darstellt oder sie vielmehr eine „self-fulfilling prophecy“ auslöst.

Würde Julian Loidls Stimme, der seinen Text in mehreren Szenen psychologisch gerechtfertigt, sehr leise sprechen muss, sanft verstärkt werden, wäre die Freude ob der Inszenierung schier unerträglich. „Macbeth – Reine Charaktersache“ könnte sich zu einem wahren Publikumsmagneten entwickeln. Gerechtfertigt wäre es.

Weitere Termine auf der Internetseite des TAG.

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Das Böse zeigt sich im Schlaf – oder einer Aufstellung

Das Böse zeigt sich im Schlaf – oder einer Aufstellung

Mit „ihr“ im Rücken fühlt sich Marlene beschützt und wohl und posiert kurzerhand für das Publikum vor ihrer Großmutter, die sie in ihrer abgebildeten Pose zu imitieren versucht. Die Rede ist von jenem Bild, auf dem eine nackte Frau mit wehendem Haar, an einen Tisch gelehnt, etwas verklärt die Betrachtenden anblickt. Das Original dieses Bildes hing einst im Münchner „Führerbau“ und stammt von Adolf Ziegler, alias dem „Pinselführer“ oder dem „Meister des deutschen Schamhaares“ wie er im Volksmund verächtlich genannt wurde. Ziegler war, trotz seiner minderen, künstlerischen Begabung, kometenhaft zu Hitlers oberstem Kunstberater aufgestiegen, stand der Reichskammer der Bildenden Künste vor und war maßgeblich für die Beschlagnahmung tausender Bilder verantwortlich, die auszugsweise in der Wanderschau „Entartete Kunst“ gezeigt wurden.

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„Wahr und gut und schön“ im TAG (Foto:Johannes Gellner)

Man muss die Genese des Bildes nicht unbedingt wissen, sie ist aber ein direkter Hinweis auf die familiäre Herkunft von Marlene (Martina Zinner) und Dietrich (Lorenz Kabas) – einem Geschwisterpaar in den Fünfzigern, ausgestattet mit einer sprechenden Namenskombination. Gemeinsam mit ihrer Schwägerin Anne Claire (Juliette Eröd) und der Haushaltshilfe Veronika (fulminantest von Monika Klengel dargestellt) leben sie in einer Villa, die sie von ihren Eltern vererbt bekommen haben.

Eine Texassemblage und eine halbe Geschichte

Der Text, den sie von sich geben, ist eine Assemblage anhand von „Gehörtem Gelesenem und Gesehenem“, wie aus dem Programmblatt zu entnehmen ist. Ed. Hauswirth, für die Regie verantwortlich, fügte alles zu einer halb erzählten Geschichte zusammen. Halb erzählt, weil wesentliche Teile davon nur angedeutet, aber nicht ausformuliert wurden. Wie zum Beispiel die Geschichte von Marlenes und Dietrichs Bruder, über den nicht gesprochen wird und wenn, dann nur von seiner Frau. Diese bezichtigt Dietrich, ihren Schwager, mehrfach, ihr in diesem Zusammenhang etwas Schlimmes angetan zu haben. Und dann gibt es noch eine geheimnisvolle Lade, die Dietrich an einer Stelle sogar coram publico verschraubt, um nur ja ihren Inhalt nicht preiszugeben.

Das Schicksal meint es im Moment mit der Familie samt Anhang nicht wirklich gut. Der „Bub“ (Saladin Dellers), Sohn von Dietrich, ist Anführer einer identitären Gruppe und verbreitet seine Botschaften per YouTube im Netz. Seiner Familie missfällt dabei lediglich sein schlampiges Outfit, nicht aber seine nationalistische Propaganda, die er darin verbreitet. Dietrich, ein Polizeijurist, ist der einzige, der Geld einspielt, aber aufgrund einer ebenfalls nicht näher erläuterten Begebenheit suspendiert wird. Kollegen hätte er decken wollen, die ihm dann in den Rücken fielen ist alles, was man darüber erfährt.

Effekthascherische Schenkelklopfer

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„Wahr und gut und schön“ im TAG (Foto:Johannes Gellner)

Es ist nicht die humpelnde Geschichte, die an diesem Abend fesselt. Vielmehr lässt sie viele Fragen offen. Es ist auch nicht eine geschliffene, psychologisch nachvollziehbare Figurenführung, mit der Ed. Hauswirth beeindruckt. Im Gegenteil, einige Wendungen bleiben psychologisch gesehen unerklärlich. Vielmehr sind es zum Teil relativ seichte Gags – wie in jener Szene, in welcher alle mit vollem Mund, in den sie sich ein „Weizer Weidelamm“ stopfen – ihre philosophischen Ergüsse über die Biolandwirtschaft und die Verwerflichkeit von Dönerfleisch zum Besten geben. Zum Glück mit Übertitelung, die das Gesagte wenigstens so erklärbar macht. Auch scheint es vorauseilender Humorsgehorsam zu sein, der das Publikum gleich zu Beginn bei der Vorstellung der Frauen lachen lässt, die an sich noch nicht wirklich humorig ist.

Eingefleischte TIB-lerinnen und TIB-ler sind offenbar leicht zu belustigen. Vielmehr sind es herausragende, schauspielerische Leistungen wie jene von Monika Klengel, die köstlichst zwischen der Osttiroler Haushälterin und ihrer eigenen Persönlichkeit als Schauspielerin hin und her switcht, die dem Abend so manches Highlight aufsetzen. Wie auch Lorenz Kabas in der Rolle des Dietrich, bei dem erst in seiner Verzweiflung eine Führungsattitüde sichtbar wird, mit der er seine Schwägerin des Hauses verweist, um die frei gewordene Wohnung gewinnbringend zu vermieten. Trotz seiner Introvertiertheit kann er den tiefen Kummer nicht verbergen, der in ihm sitzt und an ihm nagt. Dass seine physische Erscheinung dies noch zusätzlich unterstützt, zeigt von einer gekonnten Besetzung.

Zwei packende, gelungene Szenen

Dramaturgisch jedoch sind es zwei Szenen, die den Kauf einer Theaterkarte lohnen. In einer versinken alle Beteiligten in tiefen Schlaf, in dem sie nacheinander zu reden beginnen. Dabei kommen alle jene Verdrängungen zum Vorschein, in denen deutlich wird, was die Protagonistinnen und Protagonisten wirklich zutiefst bewegt. Ist es bei Anne Claire der Mangel an körperlicher Nähe und Sex sowie Machtfantasien in der Rolle von Le Pen, outet sich Marlene als Mensch, der sich am liebsten mit Natodraht bekleiden würde, um unerwünschte Zuwanderer von sich abzuhalten. Dietrich dagegen fantasiert von seinem Sohn, zu dem er nie eine wirkliche Nähe aufbauen konnte. Nur die Haushälterin darf in wachem Zustand über Flüchtlinge herziehen und im Gegensatz dazu aber auch Krokodilstränen über verunglückte Schweine und Hühner vergießen. Sie ist die einzige, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt und ihre menschenverachtenden, faschistoiden Ansichten freimütig von sich gibt und dabei von ihrer dienstgebenden Familie nicht gezügelt wird. „Sie ist halt eine von uns“, weiß Marlene dazu an einer Stelle zustimmend beizupflichten.

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„Wahr und gut und schön“ im TAG (Foto:Johannes Gellner)

Die Ausländerfeindlichkeit und der rechte Bodensatz, der sich derzeit in Europa ständig weiter verbreitet – diese Themen sind in der Regie von Hauswirth – im subkutanen Persönlichkeitsbereich der Figuren angesiedelt. So unterdrückt, dass es wilder Träume bedarf, um sie an die Oberfläche zu spülen. Schön wäre es, wenn unsere Gesellschaft noch in diesem Stadium stecken würde.

In einer zweiten Schlüsselszene geht das Ensemble der Frage nach, ob der Tod von Jörg Haider ein Unfall oder ein Selbstmord war. Extrem witzig, wie dabei eine Aufstellung „absolute Klarheit“ Licht ins Dunkel dieses Vorfalls bringt. Sie zeigt auch, wie sehr Praktiken wie diese, einst entwickelt von dem höchst faschistoid agierenden Familientherapeuten Bert Hellinger, mittlerweile inmitten der Gesellschaft angekommen sind. Die menschenverachtenden Aktionen des „Erfinders“ dieser heute bereits gängigen Praxis kennen jedoch nur die wenigsten Menschen.

Pro und kontra

Das Resümee für dieses Stück fällt höchst gespalten aus. Ed. Hauswirth verarbeitete mit dem Ensemble ein brandaktuelles Thema. Die Figurenentwicklung darin lässt jedoch zu wünschen übrig. Und auch die mittlerweile in so gut wie jedem Schauspiel bemühte Nabelschau des eigenen Wirkens am Theater, fehlt darin nicht. Vieles, was jedoch Lacher provoziert, ist extrem effekthascherisch angelegt. Genial hingegen die Schonungslosigkeit, mit welcher unserer Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten wird, in den viele lieber nicht blicken wollen. Pro und kontra halten sich bei dieser Inszenierung unserer Meinung nach die Waage. Sich selbst eine Meinung bilden hilft in diesem Fall weiter.

Buckeln bis zum bitteren Ende

Buckeln bis zum bitteren Ende

Nach oben buckeln und nach unten treten. Wer dieser perfiden Anleitung zum Glücklichsein folgt, tut sich in seinem Leben meist nicht schwer, ist bei seinen Mitmenschen aber auch nicht wirklich beliebt.

Ein rassistisches Stück wider den Rassismus

Im TAG läuft derzeit mit „Weiße Neger sagt man nicht“ ein Stück, in dem es Paradebeispiele dieses sozialen Verhaltens zu studieren gibt. Mit dem provokanten Titel will die Regisseurin und Autorin Esther Muschol, die das Stück gemeinsam mit dem Ensemble verfasste, auf die Problematik von Rassismus aufmerksam machen. Daraus ist aber noch viel mehr geworden, nämlich ein atemberaubender Parcours zwischen politischer Korrektheit und dem Gegenteil davon.

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Weißer Neger sagt man nicht im TAG (Foto: Anna Stoecher)

Dieser ist angesiedelt zwischen einem höchst vergnüglichem Voyeurismus, den man anlässlich eines Assessment-Center-Auswahlverfahrens für eine Führungspersönlichkeit an den Tag legen darf und Schreckensmomenten, die den zweien Teil des Abends bestimmen. In ihm drehen sich nämlich die Machtverhältnisse unter den Teilnehmenden komplett um. Womit Esther Muschol sehr frei auf den „Talismann“ von Johann Nestroy verweist.

Aus schwarz mach weiß und umgekehrt

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Weißer Neger sagt man nicht im TAG (Foto: Anna Stoecher)

Die ursprünglich geplante Fassung musste 10 Wochen vor der Premiere komplett neu angedacht werden: „Sie hat nicht funktioniert“, meinte dazu Muschol knapp. Was in der aktuellen Version nun noch an Nestroy erinnert, ist ein „Geschenk“. So wie Titus Feuerfuchs eine Perücke bekommt, mit welcher er seine roten Haare geschickt verbergen kann, erhält Titania Coleman (Nancy Mensah-Offei) ein Make-up, das ihre schwarze Haut kurzerhand in eine weiße verwandelt. Sie ist eine von sechs, fünf oder doch nur vier Personen – im Laufe der Handlung gibt es diesbezüglich einige Überraschungen zu erleben – die sich um einen Job in einem österreichischen, aber international agierenden Industrieunternehmen bewerben.

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Weißer Neger sagt man nicht im TAG (Foto: Anna Stoecher)

Was da so alles von den Bewerberinnen und Bewerbern gefordert wird und vor allem wie die Aufgaben auf der Bühne publikumswirksam umgesetzt werden, macht richtig Spaß und strapaziert die Lachmuskeln. Beim „Postfachspiel“ muss Coleman so rasch es geht hintereinander Entscheidungen treffen. Die Emails werden vom lebenden Emailprogramm alias dem hemdsärmeligen Johann Pertl alias Georg Schubert angekündigt und verlesen. Michaela Kaspar in der Rolle der übereifrigen Amelia Schulz buseriert Coleman in der selben Szene als unfähige Sekretärin und zusätzlich wird Coleman in dieser Situation noch ständig vom Kindergarten angerufen, in dem sich ihre kleine Tochter gerade mehrmals übergibt.

Eine Handlungsvolte jagt die nächste

Was sich in den ersten Szenen noch als witzige Gesellschaftskritik am oftmals abstrusen Auswahlverfahren von Führungspersonen präsentiert, kippt mit einer einzigen Handlungsvolte. Mit ihr verkehren sich die Machtverhältnisse mit einem Schlag ins Gegenteil.

Im Handumdrehen verändert sich das Verhalten aller. Der kompetitive und doch in gewisser Weise gemeinsame Kampf um den Job verändert sich zu einem rundum opportunistischem Gebaren von Ja-Sagern. Egal wie blödsinnig die Aufgaben sind, die nun die neue Machtperson an die Bewerbenden stellt, egal wie erniedrigend sie auch sind, es gibt niemanden, der sie nicht befolgt. Wer sich die Überraschung dieser Handlungsänderung bei einer Vorstellung nicht entgehen lassen möchte, überspringt am besten die nächsten drei Absätze.

So wie Nancy Mensah-Offei sich mithilfe der Schminke zu Beginn ein weißes Gesicht zulegte, so schwärzen sich nun alle anderen die ihren. Besser, man tut so, als sei man empathisch, besser vorauseilender Gehorsam als kein Job, ist die Devise.

Titania Coleman agiert nun so, wie sich die weißen Kolonialisten in Afrika einst aufführten. Überheblich, ohne einen Funken Mitleid, das Letzte und Schlimmste von ihren Untergebenen verlangend. Dabei wird man beim Zuschauen ganz schön hin und her gebeutelt. Darf sie denn das? Du meine Güte, so war das also, so ist das auch heute noch, so wurden und werden Menschen anderer Hautfarbe malträtiert und gedemütigt – und wir stecken bei all dieser Diskriminierung nach wie vor fein den Kopf in den Sand. Sätze wie diese sausen einem durch den Kopf, während das böse Spiel auf der Bühne kein Ende zu nehmen scheint. Dass sich Coleman dabei in einem blauer als blauem Kleid präsentiert, lässt leicht Assoziationen zur rechts angesiedelten Partei in Österreich zu. Welch wunderbare, versteckte Metapher, in der die Absurdität von Ausgrenzung von andersfarbigen Menschen und die Anbiederung an ein scheinheiliges, nationalistisches System zugleich auf den Punkt gebracht wird. Ihre Gegenspielerin Beatrix Melichar, dargestellt von Elisabeth Veit, tritt hingegen in ganz Schwarz auf. Passend zu ihrer Funktionärstätigkeit, die sie doch so gerne ablegen möchte – im Umfeld eines Niederösterreichischen Landeshauptmannes.

Sogar die im Chor vorgetragenen Heimatlieder wechseln, je nachdem, wer gerade die Machtposition innehat. Darf das Ensemble zwecks Teambuildingsmaßnahme zu Beginn das Lied eines Wildschützen mehrfach anstimmen, sieht es schließlich Salomo Weiß (Raphael Nicholas) als seine Pflicht an, die neue, schwarze Chefin mit einem afrikanischen Lied zu beglücken.

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Weißer Neger sagt man nicht im TAG (Foto: Anna Stoecher)

Rassismus ist das, was die Betroffenen für Rassismus halten

„Ist unser Stück rassistisch?“, wollte das Ensemble bei einem Gespräch mit dem Publikum erfragen. Ja, es ist rassistisch, denn es arbeitet mit all den Vorurteilen, die unsere, von weißen Menschen dominierte westliche Gesellschaft gegenüber Schwarzen hat, wenn auch subkutan. In der Inszenierung erhält Titania Coleman von Beginn an einen Außenseiterplatz. Mit ihr wird vorsichtiger kommuniziert, ihr versucht man ungefragt gewisse, gesellschaftliche Usancen zu vermitteln, ohne sich bewusst zu sein, dass sie diese Sonderbehandlung gar nicht benötigt.

„Ich erhielt einmal eine ziemliche Abfuhr, als ich mit einem Schwarzen aus Nigeria über die nigerianische Fußballnationalmannschaft sprechen wollte“, erklärte Jens Claßen in der Diskussion nach einer Aufführung. Im Stück verkörpert er einen höchst wandelbaren Psychologen und Philosophen, der, gezwungenermaßen, in mehrere Rollen schlüpfen muss. Claßen ist ein Fußballfan und deswegen ist für ihn dieser Sport immer ein Gesprächsthema. Umso erstaunter war er, als er von seinem Gesprächspartner folgende Abfuhr erhielt. „Man kann doch nicht davon ausgehen, dass ich mich für Fußball interessiere, nur weil ich aus Afrika bin.“ Diese kleine Geschichte zeigt wunderbar auf, dass es unsere eigenen Ideen, Wertigkeiten und Vorurteile sind, die unsere Kommunikation mit anderen Menschen bestimmen. Je nach den Landkarten, welche unsere Kommunikationspartnerinnen und -partner im Kopf tragen, befinden wir uns dann in einem harmonischen oder disharmonischen Gespräch. Und: Rassismus muss nicht das sein, was wir dafür halten. Rassismus ist das, was die Betroffenen für Rassismus halten.

Macht ist der größte Rassismusfaktor

In der Muschol-Inszenierung ist besonders gut zu erfahren, dass bei dem Thema Rassismus der Machtfaktor die allergrößte Rolle von allen spielt. Wer oben ist, muss politisch nicht korrekt sein, wer unten kriecht, sollte sich darob umso mehr bemühen. Die Menschenwürde bleibt dabei auf der Strecke.Das überraschende Ende geht tief unter die Haut und hinterlässt reichlich Diskussionsstoff.

„Weiße Neger sagt man nicht“ ist vergnüglich und in höchstem Maße aufwühlend zugleich.  Diese emotionale Extramischung mit einer herausragenden, spielerischen Ensembleleistung sollte man sich nicht entgehen lassen.

Termine auf der Homepage des TAG.

Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang

Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang

Jana Carpenter, die aus London nach Wien reiste und Jim Libby, der schon lang hier wohnt, gaben sich für einen „Meet the Masters“-Abend in der Gumpendorfer Straße die Ehre. Sie präsentierten ein zauberhaftes Programm, mit dem sie im Handumdrehen die Herzen ihres Publikums eroberten.

Sunrise/Sunset war der Titel, der das Szenario schon in aller Kürze umschreibt. Denn in dem Plot ging es um einen Tag von Jane, einer alleinlebenden Lehrerin mittleren Alters und Marc, der nach seiner wenig erfolgreichen Karriere bei der Navy bereits in Frühpension geschickt wurde. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durften die Zuseherinnen und Zuseher die beiden begleiten und dabei jede Menge über sie, ihre Freunde und ihre Beziehungen erfahren.

Zauberhaft war dieser Impro-Abend deswegen, weil er keine marktschreierischen Szenen aufwies, sondern wie an einer Perlenschnur aufgefädelt, jede Menge kurze, aber feine Impressionen aufblitzen ließ, in welchen man die verschiedenen Charaktere näher kennenlernen durfte. Da gab es nicht nur Jane, die ihr Herz der Geschichtsvermittlung verschrieben hat, sondern auch einen pubertierenden Schüler von ihr. Wunderbar, wie Jim Libby diesen Dickkopf wiedergab, der nicht einsehen wollte, warum er nur eine 2+ und keine 1 auf eine Klassenarbeit bekommen hatte. Er schlüpfte aber auch in die Rolle von Janes Ex-Freund, der verbittert nach der Trennung genug von Beziehungen hat. Aber auch in Ramon, einen furchtlosen Museumswärter, der sich nicht scheute, Jane in ihrer Mittagspause bei der Betrachtung eines Rembrandts anzumachen.

Eine der grandiosesten und humorvollsten Momente – ein Rückblick auf ein Ereignis aus der Teenagerzeit von Jane und Marc – machte klar, warum die beiden gefragte Impro-Darsteller sind. Wie sich Jim Libby dabei seine imaginierten Haare aus der Stirn blies, seine Unsicherheit mit Gesten verdeutlichte, mit denen er an seinen Ohren und Haaren nestelte, wie er einen herrlich tollpatschigen Tanz mit jeder Menge „toller moves“ ablieferte – all das ergab ein Gesamtpaket von schauspielerischer Höchstleistung. Libby ist ein Komödiant durch und durch, den man gerne viel, viel öfter auf Wiens Bühnen sehen möchte.

Die Herausforderung, Publikumsideen in ihr Spiel einzubauen, meisterte Jana Carpenter bravourös. Die ersten Übungen an einer geschenkten Gitarre oder ihre Überraschung, als Marc ihr am Telefon erzählte, er hätte ihr Teenagertagebuch aufbewahrt – all das machte klar, dass es nicht nur Talent, sondern auch großer Erfahrung bedarf, um Szenen wie diese auf die Schnelle so professionell zu spielen.

Der große Spaß beim Impro-Theater ergibt sich aber auch aus der Tatsache, dass Carpenter und Libby es verstehen, Menschen aus dem Publikum fast wie nebenbei dazu zu bewegen, aus ihrem Leben zu erzählen. Sei es über das Geschenk einer Schwiegermutter, eine Halskette, die seit 20 Jahren als Talismann fungiert, sei es über eine weiße Jacke mit Schulterpolstern, die irgendwo verlegt wurde und Gewissensbisse hervorrief, weil es das Präsent einer Tante war.

Fazit: Ein höchst vergnüglicher Theaterabend, der zeigte, dass hohe Schauspielkunst nicht schwer verdaulich verpackt sein muss. Und ein Abend der Appetit auf mehr Impro-Inszenierungen machte.

Im März gibt es wieder die Möglichkeit hierzu. Näheres auf der Homepage des TAG.

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