Ein Postbeamter außer Rand und Band

Ein Postbeamter außer Rand und Band

Rudolf Widerhofer als Postbote Rudi (Foto: Barbara Pálffy)

Als der Postbeamte Rudi von einem Tag auf den anderen keine Post mehr abzuarbeiten hat, flüchtet er in eine Traumwelt. Alexander Kukelka schuf in seinem neuen Musiktheater „Rudi langt`s“ ein märchenhaftes Stück, in dem sich ein Postbote letztlich zu einem musizierenden Abenteurer verwandelt. Mit Rudolf Widerhofer als Postbote Rudi steht ihm ein Charakterschauspieler zur Seite, der erst den gelangweilten, dann gestressten und schließlich außer Rand und Band geratenen Angestellten ohne Sprache mimt.

Dabei bedient er sich der ursprünglichsten Mitteln des Theaters und verwandelt die Bühne im Laufe des Stückes von einer Postdienstelle in eine Pirateninsel. Schachtel um Schachtel, die Rudi zuvor mehr oder weniger sorgsam als Postbote abstempelte, werden geleert und die darin befindlichen Objekte in sein Spiel und seine Verwandlung mit einbezogen. (Bühne und Kostüm Maria Theresia Bartl) Nicht nur, dass bei Rudi jeder Kalendertagabriss aufs Neue einen Freitag, den 13., zeigt: Der lähmenden Routine, der Rudi täglich ausgesetzt ist, folgt eine heillose Überforderung mit nervenden Anrufen am roten Telefon und immer rascher werdenden Postsack-Zulieferungen, bis diese schließlich eines Tages von einem Schlag auf den anderen ausbleiben.

Der darauffolgenden Depression, inklusive verschiedener Suizidversuche, folgt eine Explosion von Rudis Kreativität. Diese verursacht zwar jede Menge Chaos, endet jedoch mit der Idee eines vom Himmel gefallenen Alter Egos, das sich, ganz von seinem Alltagstrott befreit, einem neuen Leben widmen kann. Der Musik gleichgestellt agiert Widerhofer in dieser Koproduktion vom „Neues Wiener Musiktheater“ und dem Theater Drachengasse wie ein Stummfilmschauspieler, nur mit dem Unterschied, dass das Publikum die Vorführung live erleben kann.

Kukelka leitet sein Ensemble live vom Klavier aus und schafft mit den weiteren Instrumenten wie einem Fagott, verschiedenen Flöten und Percussionsinstrumenten eine höchst illustrierende und atmosphärisch dichte, musikalische Begleitung. Ob sanfte Schlummermelodien, brausende Wetterstürme, ob bedrohliche Klänge während der immer schnelleren Postzulieferungen oder Bongorhythmen, die Rudi auf seinem Inseltrip begleiten – Kukelkas Kompositionen reihen sich nahtlos aneinander, um schließlich in einem Duett von Fagott und Vogelstimmengezwitscher zu enden. Dass Rudi dabei auf einer Klarinette die samtenen Fagott-Töne nachahmt, spielt dabei keine Rolle.

„Rudi langt`s“ vermittelt den Eindruck einer Produktion, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Sie verwendet keine zeitgeistigen, technischen Hilfsmittel wie Videoeinspielungen oder aufwändige Bühnenumbauten. Die pantomimische Darstellung reduziert die Erzählung auf einen einzigen Menschen und dessen Nöte und Freuden und sie beeindruckt durch die Feinabstimmung zwischen dem Schauspieler und der Musik, die sich eng an dessen Bewegungsvokabular anschmiegt. Ein Theaterabend für alle, die sich von Theater und Musik gerne verzaubern lassen.

Irgendetwas an dem Konzept stimmt nicht!

Irgendetwas an dem Konzept stimmt nicht!

Zu viert stehen sie auf der Bühne, schwarz gewandet. Sehen grimmigen Blicks ins Publikum und beginnen plötzlich, als ob sie ein antiker Chor wären, zu rezitieren.

Sie, das sind Vater, Mutter, Tochter und Sohn im Stück „Die großen Kinder unserer Zeit“, das von Franz-Xaver Mayr und Korbinian Schmidt im Theater in der Drachengasse in Szene gesetzt wurde. Christiane Rochefort veröffentlichte 1961 ihren Roman „Kinder unserer Zeit“, in welcher die 11-jährige Hauptprotagonistin nicht zufälligerweise denselben Namen trägt wie die Tochter im Bühnenstück.

Humorige Sprachgewalt und eine witzige spritzige Regie

Ein Stück, in dem sich eine furiose bis humorige Sprachgewalt und eine witzige und spritzige Regie die Waage halten. Der Plot ist nicht schnell erklärt, denn eigentlich dient die abstruse Familiengeschichte vielmehr dazu, sich mit dem Phänomen der sprachlichen Kommunikation, den Wirrnissen unserer vermeintlich aus den Ufern geratenen Gesellschaft und den Mitteln des Theaters auseinanderzusetzen.

Die großen Kinder unserer Zeit2

Die großen Kinder unserer Zeit (c) Elisabeth Anna Brucker

Da zählt es nicht wirklich viel, dass der jüngste Spross, Joe (Silvan Frick), als Dreizehnjähriger seine ersten Kusserfahrungen innerhalb der Familie machen muss. Eine Familie, die, von der Mutter pathologisch abgeschirmt und vom Draußen behütet, wie ein Raumschiff in den Wirren der Jetztzeit herumschwirrt. Eine Familie, die gemeinsam in die Disco geht, in der Joe versucht, soziale, weibliche Kontakte zu knüpfen. Eine Familie, die sich willigst fremdsteuern lässt.

Gezeigt wird das in jenen Szenen, in welchen die Mutter, Karola Niederhuber, Regieanweisungen von einem imaginären Handy ohne weitere Fragen oder Aufmucken entgegennimmt und dadurch dem Geschehen auf der Bühne jeweils einen neuen Dreh verpasst. Jimmy, die ältere Schwester von Joe, übt sich hingegen im Schauspielhandwerk und versucht immer wieder, die Rolle der Antigone einzustudieren. Ganz entgegen den elterlich ausgesprochenen Bedenken, dass man in einer Zeit wie dieser, doch keine alten Schinken mehr spielen könne.

Wer sich oder das Theater ernst nimmt, ist hier fehl am Platze

Neben all den Familienverirrungen lebt das Stück von reichlich klugem Sprachhumor. Beispiel gefällig? Nach einer wilden Discoszene und der Frage, was das denn jetzt gewesen sei, antwortet der Vater (Reinhold G. Moritz): „Das muss der Neoliberalismus gewesen sein. Wir sind total fertig und haben fast nix verdient!“ Oder: „Man hat vor lauter Sprechen keine Zeit mehr nachzudenken, was man sagt.“ Aber nicht nur der Kapitalismus bekommt sein Fett ab. Unter das Brennglas genommen wird der Wildwuchs der Sterneküche mit seinen abstrusen Speisekarten genauso wie aberwitzige Bühneninszenierungen. Das beginnt damit, dass die Truppe einen dadaistischen Auftritt in Tierkostümen absolviert, sich später am Bühnenrand bis auf die Unterwäsche auszieht, um sich anschließend jeweils selbst mit weißem Joghurt zu besudeln und unter einem feinen Sprühnebel ins Finale zu schlittern.

Die großen Kinder unserer Zeit 3

Die großen Kinder unserer Zeit (c) Elisabeth Anna Brucker

„Irgendetwas an dem Konzept stimmt nicht!“, ist zu fortgeschrittener Spieldauer zu hören, an welcher das Geschehen bereits völlig außer Rand und Band geraten ist. Zu einem Zeitpunkt, an dem klar geworden ist, dass alle Beteiligten inklusive ihrer Überväter Mayr und Schmidt eines ganz bestimmt nicht tun: Das Theater und das Spiel auf der Bühne ernst nehmen. Dass das Publikum das auch nicht tun braucht und dennoch jede Menge von dem mitbekommt, was den Zauber eines Theaterabends ausmacht, ist der große Verdienst dieser Produktion.

„Die großen Kinder unserer Zeit“ erhielt 2016 den Jurypreis des Nachwuchswettbewerbes und steckt so voller Ideen und Anregungen, dass ein Abend alleine nicht reicht, um ihn in seinen Tiefen und Untiefen wirklich ausloten zu können. Verbeugung auch an das Ensemble!

Weitere Termine finden sich auf der Homepage des Theaters Drachengasse.

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Osnabrücker Dramatikerpreis 2014, Stückepreis des Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreises 2015, Thomas-Bernhard-Stipendium 2015 am Landestheater Linz und das Wiener Dramatikerstipendium, Kleist-Förderpreis 2016. Wenn jemand in so kurzer Zeit so viele Preise und Stipendien erhält und noch dazu aus Österreich kommt, ist das eine besondere Erwähnung wert.

Der Ausgezeichnete ist Thomas Köck, 30 Jahre jung, und derzeit mit seinem Stück „jenseits von fukuyama“ im Theater Drachengasse vertreten. Demnächst wird im Volxs/Margarethen in Zusammenarbeit mit dem Max Reinhardt Seminar, Isabella H. (geopfert wird immer), ein weiteres Stück von ihm aufgeführt werden.

Der Titel „jenseits von fukuyama“ referenziert offensichtlich auf die Thesen des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, der 1992 ein umstrittenes Buch mit dem Titel „Das Ende der Geschichte“ verfasste. Und tatsächlich sprechen auch die Figuren in Köcks Stück davon, die Geschichte hinter sich gelassen zu haben. Sie leben in einer Welt des Neoliberalismus, in der bereits alle Pfründe aufgeteilt wurden und die Jungen so gut wie keine Chancen mehr auf einen Aufstieg im Berufsleben haben, der ihnen ein halbwegs gesichertes Einkommen bringen würde.

Angesiedelt im Umfeld eines Glücksforschungsinstitutes agieren Aleksandra Corovic, Johanna Rehm, Steve Schmidt und Dirk Warme als abhängige Jung-Angestellte. Ihre Gefühle brechen für das Publikum zwar sichtbar aus, werden von ihnen jedoch im Alltag sozial erwünscht, artig und brav unterdrückt. Pilar Aguilera schlüpft in die Rolle ihrer Chefin, die sich nicht scheut, ihre Macht uneingeschränkt auszuspielen. Frau Dr. Fekter, wer Ähnlichkeiten mit lebenden Personen erkennt, ist ein Schelm, lässt ihrem jungen Nachwuchs ohne Skrupel spüren, dass sie nicht daran denkt, auch nur einen Cent ihres Reichtums, den sie sich in den Jahrzehnten des Wirtschaftsbooms aufgebaut hat, abzugeben. „Sagen Sie, wofür bezahle ich Sie eigentlich kaum?!“, ist einer ihrer anmaßenden Sprüche, mit dem sie ohne Gegenwehr Angst verbreitet.

Köck verwendet eine Sprache, die Gedachtes und Gesprochenes miteinander vermischt. Dafür stellt er den einzelnen Figuren ein Alter Ego an ihre Seite, das zumeist anstichelt und Unfrieden stiftet. Er zeigt ein Zukunftsbild, das eigentlich nichts Zukünftiges mehr an sich hat. Vielmehr ist das Gerangel um den ersehnten Fix-Job, für dem man Überstunden macht und seine Familie vernachlässigt, längst Alltag. Antidepressiva, beschönigend als „Bessermacher“ tituliert, sind an der Tagesordnung. Den Sinn einer erfüllten Arbeit hat man längst vor der Türe gelassen. Die Liebe wurde in schwarzen Säcken im Sondermüll entsorgt und der Geschichte wurde schlicht „gute Nacht!“ gesagt.

Samuel Schaab verstärkt die Absenz der Menschlichkeit durch ein technisch aufmagaziniertes Bühnenbild mit von der Decke hängenden Leuchtstäben und daran fixierten Mikrofonen. Die Regie von Katharina Schwarz gibt dem ohnehin mit zeitgeistigen Schlagworten hoch getakteten Text noch zusätzlich Speed. Sie lässt den Figuren keine Verschnaufpause und erweckt dadurch den Eindruck einer rastlosen und permanent getriebenen Gesellschaft, die zwar den Wahnsinn der eigenen Lebensumstände erkannt hat, aber nicht imstande ist, sich dagegen zu wehren.

„Was wäre die Mittelschicht ohne ihre Angst?“, lässt Köck eine der Personen sagen und benennt damit das Grundübel jeglicher freiwilliger Unterjochung. Dass am Ende sich alle für alles entschuldigen, den Zustand der Welt bedauern, scheint für den Autor der mögliche Ausweg aus dem Dilemma zu sein, das damit aber dennoch nicht aus der Welt geschafft wird.

jenseits von fukuyama © Andreas Friess / picturedesk.

jenseits von fukuyama © Andreas Friess / picturedesk.

Hass und Neid, Besitzstandswahrung, Angst, Überheblichkeit und der Einsatz von Ellenbogen, all das sind Gefühle und nicht zuletzt Taktiken, die in diesem Drama vorkommen. Gefühle, die nicht erst seit dem Neoliberalismus bekannt sind, aber, so wird allerorten kolportiert, durch diesen zusätzlich befördert werden können. Dem intensiven Spiel des Ensembles ist es zu verdanken, dass die einzelnen Charaktere zumindest ein wenig greifbar werden. Der Zynismus und Sarkasmus, das Schwarz-Weiß von Köcks Text, lässt dies auf weite Strecken wohl ganz bewusst nicht zu.

Ein Umstand, der das Publikum nicht betroffen macht, sondern ihm allenfalls die Möglichkeit gibt, den Grundaussagen und der im Stück verbreiteten Tristesse zuzustimmen, oder sich und anderen zu beweisen, dass es auch anders geht.

Ein Ohr für Männer

Ein Ohr für Männer

Wissen, was Männer fühlen, denken, tun? Katharina Tiwalds „Mann Ohr Mann! Ein Geschlecht wird belauscht“, gibt im Theater Drachengasse Auskunft.

Sich auf die Suche nach Männergeschichten machen. „Mann“ erforschen wollen. Befindlichkeiten oder Geschichten aus Männern herauskitzeln und das alles für ein Theaterstück? Was kann dabei schon herauskommen?

Das Ergebnis ist: „Mann Ohr Mann! Ein Geschlecht wird belauscht.“, – eine Collage, eine Drei-Männer-Performance, geimpft mit viel Testosteron aber auch einer großen Portion Poesie. Wenn man sich darauf einlässt.

Katharina Tiwald hat sich dafür in der Recherche mit vielen Männern unterhalten, in einem Blog zur Kommunikation aufgerufen, Gesprächsfetzen aufgeschnappt. Alles in allem dürfte dies zeitweise ganz schön anstrengend gewesen sein. Das hört man zumindest zwischen den Zeilen heraus. Der Ausgangspunkt für Tiwald, ist ein gänzlich anderer als einer, den frau für eine soziologische Untersuchung heranziehen würde. Braucht das Theater lebendige Bilder, sammeln Soziologinnen und Soziologen zuallererst Fakten. Lebendige Bilder bedeuten aber zugleich gut zuhören können und Empathie zeigen, sonst kommt nix. Und das kostet Kraft.

Das „Ohr“ an vielen Männern zu haben bedeutet auch, viele Informationen abzuspeichern, die dann in ein bestimmtes Gefäß gegossen werden müssen, um das Publikum zu unterhalten. Die Autorin fand dafür gemeinsam mit Julia Nina Kneussel, die für die Regie verantwortlich ist und Bernhard Eder, der die Musik beisteuerte, eine sehr spezielle und höchst kunstvolle Form. Ihre drei Protagonisten – Alexander Fennon, Nikolaus Firmkranz und Albert Friedl – schlüpfen dabei in viele unterschiedliche Rollen, aber jeweils nur für wenige Augenblicke. Keine Geschichte wird von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende komplett durchgehend auserzählt. Vielmehr bestimmen Fragmente und Überlagerungen der Texte das Geschehen. Dadurch entsteht ein rhythmisiertes Ganzes, das nahe an einer musikalischen Komposition liegt. E-Gitarre, Schlagzeug, Klavier und Akkorden, diese Instrumente ergänzen und verstärken diesen Eindruck noch.

Neben der Präsentation von all dem Gesammelten und Erlauschten nimmt Tiwald aber gleich auch jene Kritik vorweg, die automatisch aufkommt, wenn frau ein Männerthema in den Vordergrund stellt. Und sie gibt mit kurzen Einspielungen auch Einblick in Interviewsituationen.

So unterschiedlich die Geschichten der Männer auch waren, mit einer Thematik „könnte man den gesamten Donauwalzer füllen“, erfährt man an einer Stelle. Gemeint ist damit die Scheidung, das Davor und das Danach. Das von Männern empfundene Unrecht, pro Kind 20% an Unterhalt zahlen zu müssen. Trennung, so stellt sich im Laufe der Show heraus, ist überhaupt ein wichtiges Kapitel. Nicht nur die Trennung von der Frau. Getrennt wird man als Kind auch von der Mutter oder dem Vater und leidet vielleicht ein Leben lang darunter.

In einer rasanten Abfolge werden Themen wie Krieg, Vaterschaft, Beruf und Sexualität angerissen. Dabei erfüllen die drei Männer auf der Bühne alle Erwartungshaltungen, die man einer Gruppe Männern gegenüber haben kann. Sie spielen sich als Alphatiere auf, brüllen sich gegenseitig nieder, aber klopfen sich auch kumpelhaft auf die Schulter. Sie unterbrechen sich rüde, lassen aber die anderen auch einmal ausreden und zu Wort kommen. Den Text in dieser Kritik zu zerpflücken, wäre strafbar. Würde bedeuten, dem Abend seine Spannung, seine Attraktivität, seinen Zauber und seine Poesie zu nehmen.

Den einzigen Ratschlag, den man für künftiges Publikum geben kann ist: Zurücklehnen, Augen und Ohren aufmachen, nicht krampfhaft den Denkapparat bemühen wollen, sondern den Strom an Worten, Melodien, an Ideen und Gedanken einfach fließen lassen.

Weitere Informationen auf der Seite des Theater Drachengasse.

Was ist schön am Jungsein?

Was ist schön am Jungsein?

„Für immer Peter Pan!“ Das Theater Drachengasse zeigt 4 Produktionen zu diesem Thema. Der Sieger wird am 20. Juni verkündet.

Vier Produktionen zu je 20 Minuten werden alljährlich beim Nachwuchs-Theater-Wettbewerb im Theater Drachengasse dem Publikum vorgestellt. Das Generalthema 2015 – „Für immer Peter Pan!“ – evozierte insgesamt 73 Einreichungen. Wer Jury- und Publikumssieger wird, wird erst am letzten Tag der Vorstellungsreihe verkündet. Bis zum 20. Juni gibt es aber noch reichlich Gelegenheit, sich selbst ein Urteil zu bilden und mitzustimmen.

„Fairydust“ TM

„Fairydust“, Feenstaub, nennt sich die erste, kurze Geschichte der paul amann werke – einem Kollektiv für Sprache, Bild und performative Kunst. Darin wird eine Arbeitssituation beschrieben, die für junge Menschen heute zum Alltag gehört.

„Fairydust“ TM

„Fairydust“ TM  (Foto: © Andreas FRIESS / picturedesk)

Michael ist nach seinem Master-Abschluss auf der Suche nach seinem nächsten Praktikum und darf dafür 2 Wochen, unentgeltlich, versteht sich, in einem Start-up arbeiten. Dort erfährt er, dass nicht nur seine Arbeitskraft, sondern er als ganze Person und diese am liebsten Tag und Nacht gewünscht wird. Denn der Job ist ja kein Job, sondern eine Lebenserfüllung. Das wird ihm zumindest von seinen Kolleginnen und Kollegen eingeredet.

Katharina Paul ist für den Text, die Dramaturgie und Regie verantwortlich. Ihr gelang schon mit dem Titel eine tolle Metapher für eine Arbeitssituation, die mehr aus Hoffen und Wünschen, denn aus realer Zielerfüllung, die sich in Barem ausdrückt, besteht. Immer aufs Neue werden dem kleinen Team (Angelina Berger, Christina Cervenka, Benjamin Kornfeld, Fabian Schiffkorn) von ihrem Vorgesetzten Peter – nur durch das allmächtige Auge einer Videokamera präsent – neue Vergütungen in Aussicht gestellt, wenn die vorgegebenen Ziele erreicht werden.

Proportional zur Versagensquote steigen die in Aussicht gestellten Prämien und da es Essen und Trinken, ja sogar die Möglichkeit sich zu duschen und im Büro zu schlafen gibt, nehmen die Youngsters dieses ausbeuterische Prinzip mangels anderer Alternativen in Kauf. Die Sprache, gespickt mit englischen Fachausdrücken aus der Internet- und Start-Up-Szene, verwendet jede Menge knackige Parolen. Kurze Kommunikation ist nicht nur in der Werbung das Um und Auf, sondern offenbar auch im alltäglichen Umgang miteinander. Eine tolle Idee, in der sich vor allem die jungen Leute sehr zuhause fühlen werden und ältere Semester wohl aufatmen, noch einer anderen Generation anzugehören.

Lost: Girls and Pirates and Songs

LOST: GIRLS AND PIRATES AND SONGS . (Foto: © Andreas FRIESS / picturedesk. )

LOST: GIRLS AND PIRATES AND SONGS . (Foto: © Andreas FRIESS / picturedesk. )

„Stefan, dasselbe wie jeden Abend?“ eine kräftige Frauenstimme stellt die Frage beim Eingang in den Bar-Raum des Theaters, sodass sich das Publikum umdrehen muss, um zu sehen, von wem sie kommt. Jessyca R. Hauser und Nancy Mensah Offei, beide in pinkfärbigen Perücken mit Bubischnitt, performen einen Text von Lena Rasovsky. „Lost: Girls and Pirates and Songs“ ist der Titel, der mehr andeutet als aufklärt. Tatsächlich sind es nur zwei Mädchen, die sowohl die Bühne als auch die Bar bespielen.

Was nicht unlogisch ist, denn aus dem Programmheft geht hervor, dass sie sich in einer Karaoke-Bar befinden. Der höchst artifizielle Text, der zum Teil literarische Vorlagen aus den 70er und 80er Jahren vermuten lässt, lässt die beiden Darstellerinnen mehr zu Denkmaschinen mit angeschlossenem Sprechorgan mutieren als zu lebendigen Menschen.

Es fehlt ihnen ein richtiger empathischer Austausch, obwohl dazu genug Anlass gegeben ist. Nancy erzählt wie beiläufig vom Tod ihres 14jährigen Bruders, der nun nicht mehr die Möglichkeit hat, erwachsen zu werden. Und Jessyca kämpft mit der Situation, für ein Praktikum nach Dornbirn fahren zu müssen. Und doch sind sie sich beide näher, als es der erste Eindruck vermuten lässt.

Die philosophische Frage, ob das Fallen eines Baumes nur dann als real eingestuft werden kann, wenn man diesem auch beiwohnt, beherrscht den Diskurs der beiden immer wieder. Was ist wirklich, was ist nur geträumt und ist es nicht besser zu träumen als in der Wirklichkeit zu leben?

Der Wunsch nach Nähe, der Wunsch, die andere immer bei sich zu haben, veranlasst Jessyca letztlich diesen auch ganz offen auszusprechen und das Risiko des Zurückgewiesenwerdens einzugehen, das beide bis dahin scheuten. Eine witzige Wassereimer-Nummer, bei der die Vorstellung zwischen Urlaub und einem Flugzeugabsturz beständig wechselt, sowie ein fulminanter Song, bei dem das Wort „troubles“ das wohl meistbenutzte ist, lassen die Vorstellung genauso schillern wie die Perücken der beiden Protagonistinnen. Man wünscht sich, den Text nachlesen zu können, um tiefer in das Rasovsky-Universum eintauchen zu können.

Alb (When Alice met Peter)

In „Alb (When Alice met Peter)“ verfolgt die Autorin Theresa Thomasberger die Idee, das Gefühl einer jungen Frau wiederzugeben in dem sich Wunschdenken und Depression zu einem undurchschaubaren Mengengelage vermischt.

ALB [WHEN ALICE MET PETER] . (Foto: © Andreas FRIESS / picturedesk)

ALB [WHEN ALICE MET PETER] . (Foto: © Andreas FRIESS / picturedesk)

Anna-Sophie Fritz tanzt zu Gitarrenklängen von Jean Philipp Over Viol als ob es kein Morgen gäbe. Und tatsächlich ist es das Morgengrauen, das ihr Angst einzujagen scheint. Anders als bei Romeo und Julia, die sich das Singen der Nachtigall und nicht der Lerche wünschen, um die Trennung voneinander nicht vollziehen zu müssen, ist es das Rosa, das vom Himmel gebannt werden muss, um nicht in den Tag einzutauchen. Zuvor jedoch versucht Anna-Sophie noch, sich die Fahrt in die Eingeweide ihres Traummannes vorzustellen.

Projizierte Live-Aufnahmen von Gaumenzäpfchen sind derzeit in Wien der Renner. Schon Chris Haring exerzierte in seiner jüngsten Produktion, wie ein Minikameraobjektiv das Innere eines Menschen optisch für das Publikum in gigantische Dimensionen anschwellen lassen kann. So auch in dieser Produktion, die ihre große Stärke aber in der Choreografie von Anna-Sophie Fritz hat.

Von Inszenierung zu Inszenierung schiebt sich immer noch ein weiteres Stück Freiheit in die Interpretationsmöglichkeit der einzelnen Arbeiten. War es bei „Fairydust“ noch ein kompletter Plot, der erzählt wurde, löste sich diese Erzählweise in den darauffolgenden Arbeiten immer weiter auf.

„Meine Nase läuft“

In „Meine Nase läuft“ sind es nur mehr lose aneinandergereihte Szenen, in welchen jene Themen sicht- und spürbar werden, die junge Menschen von heute packen. Frederik Müller greift dabei die Queer-Thematik auf und beruhigt sich im Laufe des Geschehens damit, dass der seelische Schmerz, den er früher verspürte, jetzt nicht mehr da ist. Wie das mit seelischen Schmerzen, die als überwunden geglaubt postuliert werden tatsächlich ist, weiß man.

An seiner Seite agiert Banafshe Hourmazdi ebenso wie ihr Partner in einer kessen Pfadfinderuniform. Hot Pants sind heuer wieder in – und so gibt es viel Bein und hohe Plateauschuhe zu bewundern. Ob des durch kleine Äste hervorgerufenen unebenen Bodens ein beständiger Balanceakt für die beiden. Aber auch eine schöne Metapher, die aufzeigt, das in dieser Welt, wie sehr man sie auch für sich zurechtbiegen kann, nichts sicher ist.

Meine Nase läuft (Foto: © Theater Drachengasse)

Meine Nase läuft (Foto: © Theater Drachengasse)

Dada, aber auch die 70er Jahre mit ihren schrillen Kostümierungen und Masken lassen grüßen. Protestsongfeeling vermischt sich mit der Illusion einer Drag-Queen-Revue, angesiedelt um knisterndes Lagerfeuer, an dem Volksliedgut abgesungen wird. Schräg, schräger am schrägsten – dieses Attribut bekommt an diesem Abend sicherlich „Meine Nase läuft“ – so der Titel der Performance.

„For ever Peter Pan“ war vielleicht als positiv konnotierte Ausgangslage für die Ausschreibung angedacht. Nach dem Besuch der vier finalen Produktionen stellt sich jedoch unweigerlich die Frage: Was ist schön am Jungsein? Die Unschuld, nicht die körperliche, sondern vor allem jene, welche die Babyboomer noch bis ins frühe Erwachsenenalter ein reines Gewissen fühlen ließ, die ist offenbar längst dahin.

Eine übermächtige Medienflut lässt es nicht mehr zu, die Augen vor Problemen jeglicher Art zu verschließen. Mag man auch noch so jung sein. Sozialkritik, die am eigenen Körper beginnt und mit dem Thema der schönen, neuen Arbeitswelt endet, bestimmt das Denken aller Teilnehmenden. Dann lieber Peter Pan weit hinter sich lassen und ab ins vermeintlch selbstbestimmte Lebensgetümmel!

Pin It on Pinterest