Das Gemeindekind

Das Gemeindekind

„In früheren Zeiten konnte einer ruhig vor seinem vollen Teller sitzen und sich’s schmecken lassen, ohne sich darum zu kümmern, dass der Teller seines Nachbarn leer war. Das geht jetzt nicht mehr, außer bei den geistig völlig Blinden. Allen übrigen wird der leere Teller des Nachbarn den Appetit verderben – dem Braven aus Rechtsgefühl, dem Feigen aus Angst. … Darum sorge dafür, wenn du deinen Teller füllst, dass es in deiner Nachbarschaft so wenig leere wie möglich gibt. Begreifst du?“

Mit diesem Text von Marie von Ebner-Eschenbach beginnt das „Gemeindekind“. Eine Produktion im Theater Spielraum, für welche der Text von Nicole Metzger, der Hausherrin, adaptiert wurde.

Sündenböcke gab es zu jeder Zeit. Heute würde man im gesellschaftlichen Kontext von Ausgegrenzten sprechen, im beruflichen von Mobbingopfern. Das Theater Spielraum in der Kaiserstraße nimmt sich dieses Themas mit dem Stück „Das Gemeindekind“ an. Der zugrunde liegende Roman gilt als eines der Hauptwerke jener Literatin aus dem 19. Jahrhundert, deren Texte erschreckend aktuell sind.

Gleich zu Beginn der Inszenierung hört man ländliche Csardas-Klänge und weiß sofort, dass man sich auf dem Land befindet. In Ungarn höchstwahrscheinlich. Dort wird ein Ehepaar verurteilt, das ohnehin keinen guten Ruf besitzt. Der Mann wird zum Tod verurteilt, die Frau zu 10 Jahren Zuchthaus und die Kinder werden in die Obhut der Gemeinde übergeben, die ab sofort für sie zu sorgen hat. In der Fassung von Nicole Metzger sind es ein Bruder und seine jüngere Schwester.

Ohnehin vom Schicksal schon gebeutelt, schiebt man sie der Familie des Gemeindehirten zu, deren Frau als falsch und zänkisch gilt. Glück im Unglück hat das kleine Mädchen, das der Gräfin zufällt, welche diese in ihr eigenes Kloster schickt, um sie dort christlich erziehen zu lassen.

Metzger, die auch Regie führt, lässt Dana Proetsch, Veronika Petrovic und Paul Graf in unterschiedliche Rollen schlüpfen. Diese Herausforderung meistern allesamt mit Bravour. Proetsch schafft dabei den heiklen Twist zwischen einer dünkelhaften und zugleich standesbewussten Baronin zur groben Ziehmutter von Pavel, die alles andere als einen noblen Charakter hat.

Veronika Petrovic beeindruckt mit David Czifer als Geschwisterpaar. Vor allem jene Szenen, in welchen sie sich gegenseitig Schutz und Halt geben, sind überaus berührend. David Czifer reift von einem verschreckten, aber trotzigen Jugendlichen zu einem überlegten Mann, dem das finanzielle Glück aufgrund harter Arbeit zur Seite steht.

Abraham Thill gibt den Lehrer, der sich redlich müht, Pavel auf einen rechten Weg zu führen und ihm eine gute Ausbildung zukommen zu lassen. Allerdings schätzt er die Situation der Ziehfamilie des Jungen völlig falsch ein. Dass er noch dazu von seiner eigenen Lebenslüge davonläuft und ein neues Leben in einer neuen Stadt beginnen möchte, beraubt Pavel auch seiner einzigen Bezugsperson, mit der er reden kann.

Das Bühnenbild besteht aus nicht viel mehr als einem großen Tisch mit weißem Tischtuch, unter dem Pavel immer wieder Zuflucht findet. Das Kloster wird in Form eines beleuchteten Fensters hoch über der Bühne angedeutet. Der rasche Szenenwechsel und auch der häufige Kostümwechsel des Ensembles, gehen mit eine hohen Erzähltempo einher.

Paul Graf in der Rolle des Bürgermeistersohnes gibt einen selbstgefälligen, jungen Mann, dem letztlich sein Stolz und seine Habgier im Wege stehen. Obwohl sich die Inszenierung nicht bemüht, zeitgeistig zu erscheinen, ist es gerade das Eingangszitat, das noch einmal am Schluss eingespielt wird, welches die Aktualität der Ungleichheit von Reich und Arm, von Ausgegrenzten und Establishment deutlich macht.

Neben dem fulminanten spielerischen Einsatz, der aufzeigt, was am Theater alles mit einem tollen Ensemble möglich ist, ist es vor allem die bewegende Geschichte, die zwischen Komik und Tragik kaum zu überbieten ist, die fesselt. Ein Theaterabend wie aus einem Bilderbuch.

An dieser Inszenierung ist nichts, aber auch schon gar nichts alt

An dieser Inszenierung ist nichts, aber auch schon gar nichts alt

An dieser Inszenierung ist nichts, aber auch schon gar nichts alt

An dieser Inszenierung ist nichts, aber auch schon gar nichts alt

„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Foto: Barbara Palffy)
„Ich fordere nur Respekt mir gegenüber!“ Dieser Satz, heute nicht einmal mehr in einer hitzigen, politischen Debatte zu vernehmen, konnte vor 300 Jahren noch das Todesurteil bedeuten. Arlequin, Landei und Habenichts, aber von einem Mädchen gleichen Standes geliebt, begehrt genau mit diesem Statement gegen seinen Fürsten auf. Just in jenem Moment, als dieser ihm unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er als Regent sich Arlequins Verlobte auch ohne seine Zustimmung zur Frau nehmen könne. Diese spannende Konfrontation zweier höchst ungleicher Männer ist der Kulminationspunkt im Stück „Unbeständig ist die Liebe“ von Pierre Carlet de Marivaux.
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„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Fotos: Barbara Palffy)
Uraufgeführt wurde es 1723, rund ein halbes Jahrhundert vor dem Sturm auf die Bastille, „aber schon vom Licht der Aufklärung beschienen“, wie Regisseur Gerhard Werdeker dies bei der Premierenfeier im Theater Spielraum dem Publikum erklärte. Ergänzt durch den Aufruf, dass wir auch heute, wie vor beinahe 300 Jahren, gefordert sind, gegen die Mächtigen dieser Welt Stellung zu beziehen. „Heute können wir demonstrieren oder Petitionen unterschreiben“, so der Regisseur weiter. Zu Marivaux` Zeiten jedoch hätte ein derartiger Aufstand mit Leichtigkeit im Gefängnis enden können.

Theater mit Stücken zu machen, deren Autoren schon vor hunderten Jahren das Zeitliche gesegnet haben, mit Ausnahme vielleicht von Shakespeare oder der Deutschen Klassiker, ist völlig zu Unrecht in Verruf geraten. Vor allem, wenn dies auf so kluge Weise und gekonnt geschieht, wie es derzeit im Theater Spielraum zu sehen ist. Dort trifft man auf ein Aufgebot von jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die allesamt nicht nur untadelig, sondern hervorragend spielen, eine atemberaubende Bühnenpräsenz aufweisen und in einem puristischen, aber höchst effektvollen Bühnenbild agieren dürfen. Stilisierte Pferdeköpfe über den Logen und eine von der Mitte hängende, ovale, zeitgeistige Schaukel reichen völlig aus, um die höfische Umgebung im Frankreich des 18. Jahrhunderts zu markieren.

Dort möchte der Regent ein Bauernmädchen ehelichen, das seine Liebe jedoch vorerst zumindest nicht erwidert. Marivaux zieht in seinem Stück alle nur erdenklichen Register von Verführung, Zurückweisung, Machtgehabe, Intrigen, Standhaftigkeit oder Wankelmut und belässt es dennoch nicht bei leichtem Liebesgeplänkel. Denn so einfältig sich Arlequin zu Beginn auch gibt, so großartig und philosophisch kontert er den Bestechungsversuchen von „Le prince“, um letztlich – doch klein beizugeben.

Es ist nicht nur herzerfrischend, sondern erstaunlich, wie professionell das junge Ensemble seine Rollen ausfüllt. Aufbrausend und zornig bis hin zu verzweifelt und von Gewissensbissen geplagt, spielt Sofie Pint Silvia. Jenes Bauernmädchen, das ihrem geliebten Arlequin zumindest eine Zeitlang treu zugetan ist. Solange, bis eine andere „große“ Liebe erscheint. Jan C. J. Liefhold, der Regent, der sich lange Zeit jedoch nicht als solcher zu erkennen gibt. Er wechselt vom Bestecher-Modus hin zum überschwänglich Liebenden, lässt aber auch eine gehörige Portion Eifersucht durchblitzen, als ihm bei der Liebesrochade eine seiner Hofdamen abhanden kommt. Diese, Flaminia – Magdalena Mair – schafft das Kunststück, dass sich Silvia letztlich doch dem Heiratsantrag ihres Fürsten mit Liebe ergibt.

Gänzlich unerwartet und jeglicher Ratio enthoben, verliebt sich die Hofdame in den tölpelhaften, aber lustigen Arlequin. Ob tatsächlich nur von ihren Gefühlen geleitet oder doch von jener Apanage, die ihr der Fürst versprochen hat, als Belohnung für die erfolgreiche Verkuppelung mit Silvia, darf frei interpretiert werden.

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„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Foto: Barbara Palffy)
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„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Fotos: Barbara Palffy)

Ihre Schwester Lisette wiederum, Julia Lorünser, giftet sich nach einem vergeblichen Verführungsversuch Arlequins durch die Hofgesellschaft und schießt dabei ihre hasserfüllten Blicke und Beleidigungen in Richtung Silvia, dass einem naiven Gemüt dabei schwindlig werden könnte. Mit Trivelin, Mario Klein, steht ihr ein Höfling zur Seite, dessen Liebe zu Flaminia nicht erwidert wird. Er ist ein Vertreter jener Gattung Mensch, die sich ganz der Herrschaft angedient hat, der die Etikette in höchstem Maße als wichtig erachtet und für welche die Unterdrückung der eigenen Gefühle gang und gäbe ist. Trivelin lässt sich am Ende des Spieles mit Lisette zu einem Paar zusammenspannen. Frei nach dem Motto: Wenn es unserem Herrscher gefällt, dann soll es eben so sein.

Es ist die genaue psychologische Betrachtungsweise, die Marivaux seinen Figuren eingeschrieben hat, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat. In ihr stellen sich alltägliche Fragen wie jene nach Treue, aber auch nach Loyalität, nach dem Wunsch, nicht auf der Strecke zu bleiben oder auch danach, selbst ein großes Stück vom Wohlstandskuchen abzubekommen. Nicht zu vergessen jene, wie denn Intrigen am besten gesponnen werden. Dabei malt der Schriftsteller nicht eine einzige seiner Charaktere im Schwarz-Weiß-Duktus, was auch in der Regie spürbar bleibt.

Ein ausdrucksvolles Mienen- und Bewegungsrepertoire, zum Teil der Commedia dell`Arte entnommen, gekonnt rhythmisierte Auf- und Abgänge, sekundengenaues Timing – in welchem so manches Liebesknistern spürbar wird – all das fügt sich zu einem extrem kurzweiligen Ganzen, dem man nicht müde wird, zuzusehen. Wie Arlequin seine Füße als Liebespärchen sprechen lässt, oder auch die Schaukel den Wankelmut der Verliebten verkörpert, sind nur zwei kleine Beispiele von vielen, welche die Inszenierung so farbig machen. Auch der Mix zwischen höchst zeitgeistigen Kostümen – Lisette und Flaminia bestechen in roten und violetten Reitoutfits wie frisch von einem It-Girl-Modelabel. Silvia und Arlequin tragen Leinen in unterschiedlichen Braun-Abstufungen, während sich Le Prince mit seiner silbernen Glitzerbluse zu erkennen gibt. (Bühne und Kostüme Anna Pollack)

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„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Fotos: Barbara Palffy)
„Unbeständig ist die Liebe“ wäre nicht eine Produktion des Theater Spielraum, würde sie nicht im allerletzten Arlequin-Auftritt mit einer Überraschung aufwarten. So viel sei verraten: Die Gelbwesten-Bewegung, die sich zurzeit nicht nur auf den Pariser Straßen, sondern in ganz Frankreich einen Fixplatz im politischen Diskurs erobert hat, hält auch auf der Bühne in der Kaiserstraße in Wien Einzug. Unser Resümee: Temporeich, witzig, tiefgründig, wunderbar gespielt und: An dieser Inszenierung ist nichts, aber auch schon gar nichts alt.
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Horvath ganz nah

Horvath ganz nah

Horvath ganz nah

Von Michaela Preiner

„Jugend ohne Gott“ Theater Spielraum (Foto: BARBARA PÁLFFY)

22.

Jänner 2018

Das Theater Spielraum ist dafür bekannt, Dramen, aber auch dramatisierte Romane, die zum Teil nur mehr selten, bis gar nicht mehr gespielt werden, wieder auf die Bühne zu bringen.

Ö dön von HorvathsJugend ohne Gott“ ist nicht in Vergessenheit geraten, immerhin gibt es fünf Verfilmungen des Stoffes, die letzte aus dem Jahr 2017. Umso mutiger ist eine zeitnahe Bühnenaufnahme, die jedoch perfekt in den Spielplan des Theater Spielraum passt. In diesem ist ein Geist abzulesen, der sich mit Nachdruck gegen Rassismus und einen Rechtsruck in unserer Gesellschaft ausspricht und der zugleich immer wieder die Folgen einer solchen Entwicklung aufzeigt. Mit Vehemenz gehen die Theater-Verantwortlichen dabei gegen das historische Vergessen vor, was heute leider mehr als notwendig ist.

Horvath gab in seinem dritten Roman einen Einblick in das schulische Geschehen während der Zeit des Nationalsozialismus. Seine Schüler erhielten ausnahmslos Namenskürzel, was leicht als metaphorischer Hinweis auf die bewusste Gleichschaltung der Individuen in jener Zeit verstanden werden kann. Z, N, T, B – sie alle treten neben einem Pfarrer, einem Direktor und einem Lehrer auf, die auch allesamt nur ihre Berufsbezeichnungen tragen.

Letzterer versieht seinen Schuldienst nur mehr angewidert und ist sich bewusst, dass er nur durch Opportunismus seinen Beruf behalten kann. Bei der Zurechtweisung eines Schülers, in der es um das N-Wort geht, stößt er sofort auf Gegenwehr und hat es letztlich dem Direktor zu verdanken, dass er im Schuldienst bleiben kann. Bei der Aufführung im Theater Spielraum gab es in Zusammenhang mit dem Besuch von Schulklassen heftige Kontroversen, ob denn dieses Wort auf der Bühne überhaupt noch verwendet werden darf.

Nicole Metzger, die für die Regie verantwortlich zeichnet, rechtfertigte dies mit der Freiheit der Kunst, aber vor allem auch damit, dass es auf der Bühne erlaubt sein muss, ja sogar notwendig ist, Unrecht und Grausamkeiten aussprechen zu dürfen. „Theater darf nicht politisch korrekt sein“, so ihr O-Ton im Rahmen eines Gespräches mit einer Schulklasse und dem weiteren Hinweis, dass gerade die Verunglimpfung, die damit ausgedrückt wird, in diesem Stück eine zentrale Rolle spielt.

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„Jugend ohne Gott“ Theater Spielraum (Foto: BARBARA PÁLFFY)

Zwar tragen die Schüler in der Aufführung weiße Hemden und kurze Hosen mit Hosenträgern, womit sie sich ganz und gar nicht zeitgeistig präsentieren. (Kostüme Anna Pollack) Die Bühne (Andreas Stockinger) jedoch ist weitgehend abstrahiert und weist außer den für dieses Theater markanten, unterschiedlich hohen Rampen ein mit Decken improvisiertes Versteck in luftiger Höhe auf.

Die militärische Disziplin, die den Schülern auch bei einem Oster-Ferienlager beigebracht werden soll, wird durch gleichmäßiges Stampfen bei den Auf- und Abgängen der Jugendlichen deutlich, die nur durch das Auftreten von Eva konterkariert werden. Julia Sailer spielt jenes junge Mädchen, das aus tristen Verhältnissen ausgerissen, im nahen Wald lebt und eine Beziehung zu einem der Schüler beginnt. Sie schlüpft auch in die Rolle des Schülers B – der am Ende des Geschehens als einziger dem Lehrer vermittelt, dass er sich mit einigen anderen zu einer Gruppe zusammengeschlossen hat, die verbotene Literatur lesen.

Auch Gunter Matzka, Sebastian von Malfèr sowie Max Kolodej sind in mehreren Rollen präsent. Ersterer als mehrfacher Obrigkeitsvertreter wie der Pfarrer oder der Richter, zweiter neben dem Schüler T auch als alle Mütter, wobei er bei einem Auftritt die Lacher auf seiner Seite hat. Kolodej verkörpert neben dem Schüler N auch mehrere Väter und den Kriminalreporter. Dieser trägt schwarze, kleine Flügel auf seinem Trenchcoat. Ein kleiner Hinweis, dass die Regisseurin ihn auch als Geist von N selbst sieht, der in diesem Stück ermordet wird und sich so auf die Suche nach seinem Mörder macht. Dieser Turnaround von Horvaths Figur ist der einzige Rebus der Produktion. Sonst bleiben die Figuren und Charaktere, trotz Kürzungen, bestens verständlich und ihre Aktionen nachvollziehbar.

Der Lehrer (Martin Purth), der sich letztlich am Kulminationspunkt des Geschehens durch eigene Feigheit in eine Situation manövriert, in der er vor der Entscheidung steht, eigenes Fehlverhalten zu vertuschen oder dazu zu stehen, wählt bei der Gerichtsverhandlung letztere Option. Die pädagogische Vorbildwirkung, die er dadurch auslöst, wird von Horvath im Handlungsstrang in seiner ganzen tragischen Reichweite verfolgt. Daraus ergibt sich nicht nur eine weitere Zeugenaussage von Eva, sondern schließlich auch deren zu Unrecht stattfindende Verurteilung.

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„Jugend ohne Gott“ Theater Spielraum (Fotos: BARBARA PÁLFFY)

Ödön von Horvaths literarische Leistung liegt generell nicht nur im Aufzeigen von Ungerechtigkeiten und Mitläufertum. Sie besteht auch darin, die Menschen mit all ihren Verirrungen und Charakterschwächen aufzuzeigen, ohne dass diese schließlich mit irgendeiner Art von Erlösung zu rechnen haben. Nicole Metzger stellt in ihrer Interpretation auch nicht die generelle Frage nach der Religion in den Vordergrund. Vielmehr zeigt sie eine Entwicklung auf, die der Autor im Roman „das Zeitalter der Fische“ betitelte. In ihm werden die Seelen der Menschen so unbeweglich, wie die Antlitze von Fischen, die in einer Szene auch die Bühne bevölkern. Verfolgt man die aktuelle Berichterstattung über die Erstarkung der Rechten in Europa und über den vehementen Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, braucht man nicht lange darüber nachdenken, dass diese Metapher der gesellschaftlichen Befindlichkeit der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts leider brandaktuell ist.

Eine Inszenierung zum Nachdenken und Vorausdenken, aber auch mit hohem Diskussionspotential, ob Politische Korrektheit auch auf Theaterbühnen anzuwenden ist.

Weitere Termine auf der Homepage des Theater Spielraum.

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Wird man je erwachsen?

Wird man je erwachsen?

„Bonjour tristesse“ war Sagans erster und zugleich auch berühmtester Roman. Rund weitere 30 sollten noch folgen und sie nicht nur in Frankreich zur Bestsellerautorin machen. Geschrieben mit 18, wirbelte er 1954 gehörig Staub auf.

Zumindest die älteren Generationen echauffierten sich prüde über die im Buch geschilderte körperliche Zuneigung der jungen Protagonistin mit einem Studenten. Dass der Teenager Mitschuld am Tod einer Modedesignerin trug, war weniger relevant.

Im Theater Spielraum hat sich Katharina Köller der Theaterfassung des Romanstoffes von Ulrich Waller angenommen und Regie geführt. Wie schon mit „Colette“ wagte sie sich an einen sehr bekannten Stoff, in dem abermals eine jungen Frau der Mittelpunkt des Geschehens ist.

Schuhe als kryptische Hinweise

Die Bühne (Dimiter Ovtcharov) besteht aus einer schwarz-weißen, modernen Architekturfassade mit einem davor angebauten, schmalen Steg. Der Boden ist übersäht mit schwarzen Schuhen jeder Art. Alten und neuen, ausgelatschten und solchen, die noch gut in Schuss sind.

Köller wollte damit einen Verweis auf ein Denkmal liefern, das am Donaustrand in Budapest an die verfolgten Juden und Jüdinnen erinnert. Und sie wollte dem mondänen Geschehen in der Villa am Mittelmeer etwas Triviales, Reales entgegensetzen.

Der Verweis auf das ungarische Mahnmal ist – zumindest in Wien – ohne Erklärung kaum nachvollziehbar. Immerhin bilden die Schuhe aber nicht nur Hindernisse, wie sie das Meer mit seinen größeren und kleineren Felsbrocken an verschiedenen Stellen anbietet. Steine, über die man sich vorsichtig fortbewegt, oder, in tieferem Gewässer, einfach hinwegschwimmt. Die Schuhe erzielen von Beginn weg ein leichtes Unbehagen, eine diffuse Beklemmung, die man jedoch aufgrund der Leichtigkeit des Geschehens über lange Strecken hinweg gut unterdrücken kann.

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Bonjour Tristesse, Christian Kohlhofer, Johanna Hainz © Barbara Pálffy

Johanna Hainz – eine Schauspielentdeckung

Die junge Regisseurin rahmt das Geschehen rund um die Beziehung von Vater und Tochter geschickt ein und lässt es von Beginn an wie einen Rückblick erscheinen. Dafür spricht Cécile am Anfang und am Schluss einen Text, der über Band eingespielt wird. Währenddessen sitzt sie, auf dunkler Bühne, dunkel gekleidet, mit dem Rücken zum Publikum. Alle anderen Szenen stehen dazu in heftigem Kontrast. Künden von der Leichtigkeit des Lebens, das von Cécile und ihrem Vater gelebt wird.

Kollateralschäden mit etwaigen Liebhaberinnen wie Elsa, sind dabei eingerechnet. Cécile – unglaublich authentisch und großartig von Johanna Hainz gespielt, ist nur die Nähe zu ihrem Vater wichtig. Seine verschiedenen Lieben erscheinen für sie nicht gefährlich, da sie regelmäßig ausgetauscht werden. Bei Hainz sitzt jede Geste, aber was noch viel wichtiger ist, jede einzelne Mimik, jedes Heben einer Augenbraue, jedes Weinen und jedes Herumtollen, sodass man sich fragt, wie diese junge Frau einmal in zwanzig Jahren spielen wird, wenn ihre Leistung im Moment schon derart reif ist. Eine wahre Entdeckung!

Reinhardt Winter verkörpert ihren Vater mit Bravour. Lebenslustig, ja lebensgierig, unbesonnen, aber zugleich warmherzig freut er sich, dass er unbeschwerte Sommertage mit seiner Tochter verbringen kann. Die beiden sind ein Traumpaar auf der Bühne, von dem man nicht genug bekommen kann.

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Johanna Hainz, Reinhardt Winter © Barbara Pálffy

Die naive Elsa (Sandra Riedl geizt nicht mit ihren Reizen), rothaarig und von einem Sonnenbrand geplagt, macht bei den Spielen von Vater und Tochter geduldig mit. Bis Anne zu ihnen kommt. Eingeladen von Céciles Vater. Sie ist eine ehemalige Freundin von Céciles verstorbener Mutter und wächst sich, sehr zum Missfallen des Teenagers, zu einer richtigen Konkurrenz aus.

Nicole Metzger verkörpert die distanzierte, mondäne, erfolgreiche Designerin (Kostüme Anna Miriam Jussel), die sich in Raymond gründlich täuscht und von Beginn an gegen seine Tochter ankämpfen muss.

Die Intrige, die das junge Mädchen zu spinnen beginnt, wird Anne schließlich zum Verhängnis. Cyril, ein junger Jus-Student und in heftiger Liebe zu Cécile entbrannt, ist das ganze Gegenteil von ihr. Beharrlich, ernst, vorausschauend und linkisch zugleich. Herrlich, wie Christian Kohlhofer in dieser Rolle den tollpatschigen, jungen Mann spielt, der nicht aus freien Stücken Céciles Vater mit dessen Exfreundin eifersüchtig macht.

Vieles bleibt still

Bis zum dramatischen Ende darf aber heftig geliebt und gestritten werden. Verstohlene Küsse werden ausgetauscht, Cécile durch einen Backenstreich von Anne aber auch gehörig erniedrigt. Es wird im Meer geschwommen, am Strand gesonnt und in der Disco getanzt.

Katharina Köller arbeitet dabei sehr geschickt die Psychologie der einzelnen Rollen heraus. Sie gestaltet plausible Auf- und Abgänge, lässt das Spiel laufen, wo der Schmäh zwischen Tochter und Vater rennt und zieht verdichtet und verlangsamt das Geschehen, wo das intrinsische Befinden von Cécile veranschaulicht wird.

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Nicole Metzger, Reinhardt Winter, Sandra Riedl © Barbara Pálffy

Man stellt sich nur die Frage, warum keinerlei Soundfiles oder andere Geräuschkulissen verwendet wurden. So ist das Geschehen zum Teil von einer eigentümlichen Stille erfasst, die den Eindruck von Längen erzeugt, die gar nicht vorhanden sind. Dies ist jedoch der einzige Wermutstropfen der Inszenierung.

Über weite Strecken darf man sich über das Treiben der Gesellschaft, die sich in Ferienlaune befindet, herzlich amüsieren. Das Ende ist im Roman von Sagan nicht so belehrend, wie es die Bühnenfassung anbietet. Bei der Autorin bleiben Cécile und ihr Vater im Roman das, was sie sind – Menschen, die eigentlich nicht erwachsen werden und immer versuchen, das Leben von seiner leichten Seite zu nehmen. Bei Köller/Waller bleibt Cécile jedoch in ihrer Tristesse gefangen.

„Bonjour Tristesse“ im Theater Spielraum bedeutet für alle, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts schon literaturaffin waren, ein schönes, nostalgisches „Wiedersehen“, für das junge Publikum ist es sicherlich eine tolle Neuentdeckung.

Weitere Termine auf der Homepage des Theater Spielraum.

Der tiefe Sturz vom hohen Ideal auf den harten Boden der Realität

Der tiefe Sturz vom hohen Ideal auf den harten Boden der Realität

Ödön von Horváth feiert derzeit in Österreich so etwas wie eine Renaissance. Das mit gutem Grund, spiegeln doch viele seiner Stücke höchst zeitgeistige Stimmungen wider. Leider, muss dazu festgestellt werden. Denn wer dachte noch vor 10 Jahren, dass Rechtsextremismus, Xenophobie und Themen wie Vertreibung und Flucht uns heute derart in Atem halten würden.

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Figaro lässt sich scheiden, Theater Spielraum (c) Barbara Pálffy

Beaumarchais weitergedacht

Das Theater Spielraum bleibt mit der Stückauswahl seiner Eigenproduktionen hochaktuell und zeigt derzeit Horváths „Figaro lässt sich scheiden“. Jene Komödie, in welcher der Autor die Vorlage von Beaumarchais und die bekannte Vertonung „Figaros Hochzeit“ von Mozart nach deren inhaltlichem Ende weiterdenkt. In ihr wird Figaro zum geistigen Mitläufer und Unterstützer der französischen oder auch sonstigen Revolutionen gegen die ungerechten Herrschaftszustände, wenngleich er dabei auch seinem Dienstherrn, den Grafen Almaviva und dessen Gattin, zur Flucht verhilft.

Das Exil nutzt er schließlich, um mit seiner Frau Susanne einen Friseursalon in Großhadersdorf zu eröffnen. Dabei wechselt er von seiner einstigen Feudalherrenabhängigkeit in jene des kapitalistischen Systems. An seiner Weigerung Vater zu werden, zerbricht schließlich seine Ehe.

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Figaro lässt sich scheiden, Theater Spielraum (c) Barbara Pálffy

Ein Spiel zwischen Komödie und Tragödie

Anders als im Horvath´schen Original gibt es in der Inszenierung von Gerhard Werdeker jedoch kein Happy End. Vielmehr lässt der Regisseur seine Figuren in freiem Fall von ihren einstigen Idealen auf den harten Boden der Realität unbarmherzig aufprallen. Kennerinnen und Kenner des Theater Spielraum bemerken rasch, dass das Stück jede Menge – aus neoliberaler Sicht – subversiver Gebrauchsanleitungen für den Umgang mit Kapital-Akkumulateuren bietet. Denn die Ausbildung der Superreichen-Klasse des 20. und 21. Jahrhunderts lässt sich – wie es der junge, linke, italienische Rebellen-Philosoph Diego Fusaro in einem herausragenden Artikel veranschaulicht – wunderbar mit dem Mittelalter vergleichen. Jener Zeit, in welcher sich das feudalistische System ausbildete und festigte.

Dabei changiert die Inszenierung zwischen einem deftigen Schwank, in dem das Ensemble seine komödiantischen Vorzüge zeigen darf und einem dramatischen Beziehungsstück. Yvonne Laussermayer, Johannes-David Schwarzmann und Gunter Matzka bringen dabei das Publikum in einer choreografisch angelegten Bankerl-Szene mit gegenseitigen Puffereien herzlich zum Lachen. Matthias Messner (Figaro) und Samantha Steppan (Susanne) hingegen erhalten nach ihrem veritablen Streit, der schließlich auch die Trennung besiegelt, Zwischenapplaus. Robert Rigler als Graf und Dana Proetsch, die im Spielraum die noblen Damenrollen gebucht hat, zeigen auf, dass sie sich als „Herrschaften von parfumierter Existenz“ in einer Realität in Armut nicht zurechtfinden. Weder können, noch wollen.

Als Einstreuer gibt`s noch allerlei humoristischen Zeitbezug, angefangen vom Rauchverbot auf der Bühne bis hin zu einem Seitenhieb auf den president elect, Donald Trump.

Das Theater Spielraum ist Kult

Das Theater Spielraum festigt mit dieser Inszenierung abermals seinen heimlichen Kultstatus. Dieser begründet sich nicht nur darin, dass es unbeirrbar Klassiker der Weltliteratur zeigt. Vielmehr schaffen es die Inszenierungen im ehemaligen Erika-Kino jedes Mal, unglaubliche, ja beinahe schon unheimliche Gegenwartsbezüge aufzuzeigen. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann dies nicht nur im Rahmen dieser Inszenierung tun, sondern darf auch ein Sonntagsfrühstück mit anschließender Aufführung im kleinen Saal genießen. Am 29. Jänner gibt es dazu mit einem Gastspiel von „ergo arte“ mit dem Titel „Der gute Ton – eine Navigation durch Zwang, Korsett und Schinkenbrot“ wieder Gelegenheit. Anmeldungen sind ob der begrenzten Kartenzahl unbedingt erforderlich.

Weitere Infos auf der Homepage des Theater Spielraum.

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